Im Wald, nahe dem Grenzverlauf zu Nordfluss hielt sich eine Horde Gouwors mit einem unartgleichen Anführer in einem behelfsmäßigen Lager auf. Zwei dieser abartigen Wesen standen sich in gekrümmter Haltung gegenüber.
»Brutmeister wissen will, wo Patrouille bleiben. Sollten mit Gefangenen viel lange zurück sein.«
»Ohne Reißer schwer. Wald hier dicht und groß«, versuchte ein niederer Gouwor seinem Anführer, einem abkommandierten Berserker, zu beschwichtigen.
»Du sollen Spurenleser sein! Geh und finde Spuren!«
»Ja, Legionenführer.« Der Gescholtene machte eingeschüchtert kehrt und verschwand im Dickicht des Waldes, um seinem Auftrag gerecht zu werden.
»Warum müssen ich immer mit Trottel gehen. Nur eine Viertellegion in Marsch, keine Ganze. Ich Legionenführer«, geiferte dieser und schwang kraftvoll seine rechte Faust in die linke, offen haltende Pranke.
»Und warum muss ich mich mit solch hirnloser Zucht wie Euch abgeben? Was tat ich, um diese Schmach ertragen zu müssen?«, blaffte ihn ein Neuankömmling im rauchigen tonal wutschnaubend und mit wild rudernden Armen an. Bekleidet, mit einer schmutzig grauen Robe, die ihm lose und schlaff von der Schulter bis zum Boden herabreichte, nährte sich dieser dem schimpfenden Berserker. Die Ärmel der deutlich zerschlissenen Bekleidung waren um etwa zwei Handbreiten länger als seine Arme reichten und verdeckten so seine Hände. Eine übergroße Kapuze, tief ins Gesicht gezogen, verbarg sein Antlitz weitestgehend. Rein bemessen an der Körperstatue, schien dieses Wesen menschlicher Natur, nur würde sich niemand, dieser Abstammung, mit solch verabscheuungswürdigen Kreaturen freiwillig umgeben. Aus den Augen, die bei genauerer Betrachtung nur sehr schwach zu erkennen waren, drang ein eindringlich hasserfüllter Blick, nur dass dieses dem Legionenführer nicht beeindruckte, und schnaubte.
»Du kannst es mir natürlich nicht sagen, wie auch. Was erwarte ich von einer Zucht der euren? Eine Hundertschaft eurer Gattung kann sich nicht einfach in Luft auflösen.« Seine Stimme wurde mahnender, würde gar jedes vernunftbegabte Wesen frösteln lassen und hob drohend den rechten Arm. »Findet sie!«
Nachdem der Berserker wiederstrebend den Kopf neigte und verschwand, wankte das befehlshaberische Wesen leicht, blickte ihm wenige Herzschläge lang hinterher und wendete sich um. Vornübergebeugt wie ein ausgezerrter Greis schritt er zu einem provisorischen Unterstand. In diesem befand sich ein grob gezimmerter Tisch, auf dem eine zerknitterte alte Landkarte des Landes lag. Deren Ränder stark zerfranst und mit allerlei Löchern im Inneren, die vielerlei Informationen und Landmarken verfälschten. Die aktuelle Position seiner Rotte hatte er durch einen tiefschwarzen Dolch markiert, der die Karte mit dem Tisch verband. Es hob seinen rechten Arm und führte seine aschfahle wie knochendürre Hand zu jenem. Ein seltsames Knistern ertönte, als es die Klinge aus der Tischplatte hebelte und in eine Falte seiner Robe verschwand. Der Legionenführer beobachtete ihn verstohlen aus dem Hintergrund und begab sich anschließend zum Rand des Lagers um Befehle zu bellen.
Ruhig und bewegungslos starrte das mysteriöse Wesen weiter auf die Karte und griff mit seiner Linken in eines seiner eingearbeiteten Taschen in der Innenseite seiner Robe und förderte einen gerundeten Gegenstand zutage. Mit der Rechten umstrich er diesen auf seiner ausgestreckt flachen Hand und hob ihn vorsichtig – fast wie ein Verliebter ein Andenken seiner Angehimmelten – vors Gesicht und legte den Kopf schief.
Dieses runde Etwas – ein Sprechstein, weitestgehend Schwarz und mit dunkelblauen Adern durchzogen, war ein uraltes Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Ein magiebehaftetes Material, welches man einst als Herzstein bezeichnete und von den geschicktesten Lynken gefertigt wurde. Ein bösartiges dunkles Schimmern ging von diesem aus, als das Wesen mit seiner Hand darüber strich und fremde Worte sprach. Die blauen Adern darin schienen sich zu bewegen, als eine finstere Stimme aus dem Stein hervorbrach und in sein Bewusstsein drang.
»Abtrünniger, ich hoffe für dich, dein Anliegen ist nicht so eigensinnig, dass ich mir Weiteres für dich ausdenken muss.«
»Nein Brutmeister, ihr verlangtet herauszufinden, warum sich die entsendete Patrouille nicht zurückmeldete.«
»Sprich, du Wurm.«
»Brutmeister, die Zucht, mit der ihr mich beauftragtet, ist aufgrund minderwertigen Nährschlammes äußerst infantil. Einfachste Anweisungen werden nicht erledigt. Ich erbitte Unterstützung von einer Einheit Reißern«, gestand das Wesen unterwürfig und mit vibrierender Stimme, die von Furcht zeugte.
Es entstand eine kaum merkliche Pause, sodass dem Abtrünnigen die Hoffnung erschien, sein Herr würde seiner Bitte erwägen. Doch die tief drohende und donnernde Stimme vermittelte anderes. »Du wagst es?! Ich habe dich als Oberführer in diesem menschenverseuchten Land eingesetzt und nun maßt du dir an, meine Zucht als minderwertig zu betrachten?! Schuld sei der Nährschlamm?!«
»Brutmei...«
»Schweig! Wenn nicht bis zur Morgendämmerung die verlorene Patrouille gefunden wird, werde ich den unzulänglichen Schlamm mit deinem verdorrten Köper anreichern.« Schmerzendes Stechen bohrte sich in seinen Geist und zuckte zusammen, hielt sich jedoch krampfhaft auf den Beinen. »Erachte dies als letzte Möglichkeit mir zu gefallen, du abtrünniger Wurm«, fiel die Stimme des sprechenden Steines sein endgültiges Urteil. Die steten Bewegungen in seinem Inneren beruhigten sich, der Schmerz ließ nach und das Schimmern verblasste. Das Wesen, welches als Abtrünniger benannt wurde, betrachtete diesen weiterhin auf der Hoffnung, die erbetene Unterstützung zugesprochen zu bekommen – weit gefehlt.