Morgengrauen brach soeben an, als Materialkarren und Arbeiter an ihrem Bestimmungsort der künftigen Mine eintrafen. Bereits von Weitem konnte man die Stimme Helberts blöken hören, der lauthals seinen Männern Anweisungen erteilte. Unlängst entladene Karren rollten an ihnen vorbei, auf dem Rückweg zum See, um dringend benötigte Materialien und Lasten von dort nach Norden zu transportieren. Deren Ladung lag abgeladen und weitestgehend sortiert. Zelte säumten ungeordnet das Gelände der auserkorenen künftigen Schmiedeanlage.
»Hey, dich hört man in der halben Mark. Soweit ich mich erinnern kann, ist brüllen meine Aufgabe«, schalte Halis seinen Neffen lachend.
»Du hast‘s mich gelehrt«, wehrte dieser mit abwertendem Winken ab. »Was gibt es Neues vom See?«
»Die Naïns sind, ehe wir loskamen, eingetroffen. Schau nur, sie haben uns ein stattliches Fass ihres berüchtigten Bieres mitgegeben.« Halis schaute gen Himmel und verzog den Blick. »Ich denke, dass unser Fürst genau in diesem Moment nach Norden zieht. Ich konnte nicht viel mitbekommen aber nach dem was ich hörte stehen ein weiterer Weiler und sogar eine Burg zur Debatte.«
Helbert hob die bewundernd die Brauen. »Tja Onkel, die Nächte werden kälter, obwohl die Tage noch angenehm warm sind. Ich vermute, dass er vorhat, so vielen wie möglich ein solides Zuhause zu bieten. Eines das wir für dies hier ...« er vollführte mit ausschweifenden Armen alles um sich herum »... haben zurückgelassen.«
»Genügend Leute sind es ja, aber ich befürchte, dass noch viele während dieser Jahreswende in ihren Zelten kalte Ärsche bekommen werden.«
»Onkel, hast du dir schon überlegt welche Gebäude wir als Erstes bauen wollen? Wir und unsere Leute sind frieren nicht gewohnt«, lenkte Helbert das Thema um. »Unsere Höhlen boten uns Schutz und Wärme. Hier haben wir nichts dergleichen.«
»Hab ich. Komm ich zeig dir, was mir so durch den Kopf geistert.« Halis klopfte seinem Neffen kräftig auf die Schulter, sodass dieser leicht einknickte. »Außerdem, mein Junge, haben wir noch Zeit, bis es ernsthaft kalt wird. Bis dahin werden wir für uns schon entsprechende Wände schaffen.«
Beide machten sich auf den Weg, um das Gelände zu begutachten. Halis wies auf einige Stellen, wo Arbeiter begannen, Baumaterialien abzuladen und deutete auf die ersten Grabungen. »Dort wollen wir das Erz waschen, ganz in der Nähe des Baches, dessen Wasser wir umlenken können. Und da vorn bauen wir die Esse.«
Beide diskutierten vehement über bessere Lagen und Standorte der einzelnen Wohn- wie Werksgebäude, einigten sich jedoch und erteilten erforderliche Anweisungen. Halis Leute waren währenddessen dabei, Stützstreben für den Stollen zu fertigen und entsprechend ihren Bedürfnissen zu bearbeiten. Unbrauchbareres Gestein wurde im und um den Stollen gebrochen und auf kleineren Lastenkarren gewuchtet, um die zum Teil schwere Ladung in einer Senke, unweit ihres Standortes zu entsorgen.
Vor dem Fischgrund-Weiler herrschte bedrückende Ruhe, seitdem die Zelte verräumt und die letzten Aufräumarbeiten abgeschlossen waren. Die Materialkarren fuhren voraus und sollten sich am Bauplatz der neu zu gründenden Ortschaft mit dem Beritt der Schwertmänner vereinen.
Yaeko war in Begleitung Aguschals und vier Scharen auf dem Weg hinauf zum Plateau der Naïns, um dort für ungewisse Zeit Dienst zu verrichten. Mürrisch hatte er seinen Auftrag entgegengenommen, wollte diesen aber nach bestem Wissen und Gewissen ausführen, obwohl er lieber beim Bau der Burg dabei wäre.
»Hast Du Angrol eine Nachricht zukommen lassen, Jarik?«
Dieser hielt sich ununterbrochen den rechten Handballen an die Stirn, ganz so als wolle er seinen Kopf hindern seinen angestammten Platz zu verlassen. »Mmh, ja hab ich und Korian freut sich auf die Unterweisung der Naïnbaumeister. Was hat dein Gespräch mit Elm‘emo gebracht? Ich hab‘ ihn lange nicht mehr gesehen.«
»Ich habe befürchtet, dass du mich danach fragen wirst. Ich mache es kurz. Ich werde länger leben als du und meine Wunden verheilen nahezu sofort.«
»Wah? Autsch«, stutzte er und verzog die Brauen bei einer weiteren Schmerzattacke.
»Du hast schon verstanden, durch die ausgelöste Magie des Steines wurde mein Körper beeinträchtigt. Verletzungen verheilen um ein Vielfaches schneller als normal und ich lebe deutlich länger als du oder sonst wer. Wenn du also die vierzig Sommer zählst, sehe ich noch genauso Jung und knackig aus wie eh und je.« Theatralisch wischte er sich über sein Haar und ließ die Muskeln spielen. »Ach, bevor du fragst, Lerina teilt ein ähnliches Schicksal. Ihre Familie hat sich einst mit dem Blut dieser Hüter vermischt.«
»Oh, naja dann. Zumindest ist sichergestellt, dass du unserem Volke noch eine lange Zeit als Fürst dienen wirst.« Jarik legte eine leicht grinsende Mine auf, die auch durchaus als schmerzverzerrt durchgehen konnte, Ben war sich dem nicht sicher.
»Im Gegensatz zu dir, mein Lieber, finde ich das alles ganz und gar nicht lustig.« Um seine Äußerung zu untermauern, klopfte er seinem Freund absichtlich härter auf die Schulter, sodass dieser schwer erfüllt und jammernd zur Seite wegknickte.
»Boa hey. Ich will dich doch nur aufmuntern. Schau, wenn du dich auf die Kleine einlässt, dann teilt ihr euer Leid gemeinsam. Geteiltes Leid ist bekanntlich nur halbes Leid. Wo steckt denn nun unser Hüter?«
»Er ist gegangen. Er meinte, dieses Artefakt, welches ich dem anderen abgenommen habe, müsse sicher verwahrt werden und das dürfe nicht in Neumark sein.«
Ben begann zu flüsterte, und kaute nahezu auf jedem Wort herum. »Was die Kleine anbelangt ... sie ist Süß, ja. Mehr als das sogar. Ich mag sie ... irgendwie.« Ein schelmiges Grinsen huschte über seine Gesichtszüge und genoss den schmerzerfüllten Blick seines Freundes. Was das Gesöff der Naïns für seltsame Mimiken hervorbringen konnte, war amüsant.
»Mann, wenn man dir so beim Stottern zuhört, kann man glatt denken, du hast Angst dich in sie zu verlieben. Ich und die Übrigen sind doch jene, die Altersgebrechen leiden, während ihr beiden Spunde noch auf den Bäumen umherspringt.« Jarik lenkte sein Pferd mit dem Oberschenkel und ließ es schleunigst einen Schritt zur Seite machen, um der heranschnellenden Hand auszuweichen, um nicht wieder mit dem bohrenden Schmerz im Kopf konfrontiert zu werden. Anstatt der erwartenden Hand erntet er jedoch nur einen trühbseligen Blick.
»Ich glaube, genau dass ist das Problem.«
»Oje. Lasst es mich so ausdrücken mein Fürst. Ihr seid über beide Ohren verliebt und könnt es euch nicht eingestehen.« Er schüttelte vorsichtig den Kopf und ließ sein Pferd anreiten. »Hüh!«
Verblüfft der förmlichen und unverkennbar aggressiven Art der Ansprache seines Freundes sah Ben ihm hinterher. Er seufzte betrübt und überlegte, ob er nicht einfach zu seinen Gefühlen stehen solle, schließlich bekam er das Getuschel vieler andere ohnehin mit. Hinter ihm vernahm er leises Getrappel und mähen, bis er seinen Namen rufen hörte. Beim Umdrehen schaute er auf eine kräftig gebaute Bergziege hinab, gesattelt und auf dessen Rücken Goram, der ihm freudig zuwinkte.
»Wohl auf, mein Freund? Oder noch einen brummenden Schädel?«
»Erinnere mich nicht an dieses Gesöff, meinen obersten Schwertmann hat es aus den Latschen gehauen. Was ist das da unter deinem Hintern?«
»Das mein Lieber, ist mein berittener Untersatz. Unsere abgerichteten Bergziegen stellen sicher, dass wir Kleinwüchsigen uns schnell und trittsicher auf, als auch in dem Berg bewegen können. Für Pferde sind wir nicht geschaffen und dort wo wir leben, sind sie eh fehl am Platze.« Spöttisch warf er seinen Blick auf Bens Stute. »Sie haben Angst, weißt du?«
»Aha. Sind deine Leute bereit zum Aufbruch?«
»Wenn du es bist?«
»Abmarsch«, rief Ben über seine Schulter hinweg und bereute es sofort wieder so vehement sein Organ zum Ausdruck gebracht zu haben. Vor Schmerz rollte er mit den Augen und verzog spitzbübisch die Mundwinkel und Goram schlug sich lachend aufs Knie. »Jaja, an Bëor muss man sich gewöhnen. Musst mal unseren schmackhaften Eintopf kosten. In diesem verarbeiten wir die gleichen Pilze.«
»Pilze?« Ben funkelte ungläubig und unterdrückte mit dem Griff zum Hals den aufsteigenden Brechreiz.
»Ja, natürlich Pilze. Was glaubst denn du? Eigentlich stammen diese aus den Tiefen der Berge, doch unsere Bauern haben es geschafft, sie auf dem Plateau zum Gedeihen zu bringen. Grandios nicht wahr?«
»Klasse, echt.« Er würgte den bitteren Geschmack, der sich unter seiner Zunge sammelte, herunter.