Mit beiden Händen umfasse ich sein Gesicht.
Natürlich gefällt es ihm nicht.
Natürlich hat er keine Chance.
Er dürfte wissen, was ich bin. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als ich vor zwei Minuten mit ihm gesprochen hatte.
Ahnen dürfte er es schon länger. Sonst hätte er ja kaum versucht, vor mir zu fliehen, oder?
Ich spüre, wie er vor Angst zittert. Wenn er könnte, würde er sicher schreien und mich tierisch nerven.
So aber unterbinde ich zu heftige Reaktionen. Stattdessen drehe ich seinen Kopf auf die linke Seite.
Es wird Zeit, diesen Tanz endlich zu beginnen.
Ich ziehe mit beiden Händen seinen Kopf leicht nach oben in die Überstreckung. So habe ich einen besseren Zugang zu seinem Hals. Eine Hand wandert auf sein Kinn, während die andere weiterhin seinen Kopf auf die Erde drückt und fixiert. Die langen Krallen erweisen sich dabei als äußerst praktisch.
Auch sonst gelingt es mir problemlos, Frank mithilfe meines Körpergewichts so zu halten, wie ich ihn haben möchte.
Plötzlich kommt mir wieder eine Erkenntnis. Das Dunkle in mir, welches mich zu lehren scheint, was ich als Vampir wissen muss: ich bin Menschen mit meiner Kraft haushoch überlegen und dadurch wird es auch kein Problem sein, Frank körperlich zu kontrollieren, wenn ich seinen Geist wieder freigebe.
Dieses Böse in mir ist stark geworden. Und fühlt sich vertraut an. So, als sei sie nicht erst seit kurzem, sondern schon immer Bestandteil meiner Seele.
Ich weiß natürlich, dass dies nicht wahr ist. Ich bin noch nicht lange dieses Wesen, was ich nun bin. Aber es scheint mir richtig – viel abwegiger erscheint mir hingegen, würde ich darauf verzichten und wieder zum schwachen Daniel werden.
Auch aus diesem Grund beuge ich mich nun mit meinem Kopf über seinen Hals. Endlich, endlich, werde ich Frank in mich aufnehmen.
Meine Hand, bisher auf seinem Kinn, wandert auf seinen Mund, um ihn zu verschließen.
Trotz meiner geistigen Kontrolle scheint Frank nun große Angst zu bekommen. Er reißt seine Augen voller Panik auf und schnauft hektisch durch die Nase.
„Ruhig atmen“, herrsche ich ihn barsch an. „Langsam. Einatmen. Ausatmen. Weshalb willst du es uns beide schwer machen?“
Nein, ich tue dies nicht aus Wohltätigkeit. Aber wenn Frank hier jetzt einen Herzinfarkt bekommt, bevor ich überhaupt angefangen habe, macht das ganze schlicht und ergreifend weniger Freude für einen Vampir. Und sein Herzschlag ist im Augenblick alles andere als gesund.
Vielleicht ist doch auch ein wenig der alte „gute“ Daniel im Spiel. Manchmal meine ich, ihn zu spüren, wie er sich über mein Verhalten entsetzt und versucht, mich von meinem Tun abzubringen. Aber seine Stimme ist sehr schwach und leise, also kaum zu hören und noch weniger in der Lage, mich zu beeinflussen.
Nur scheint er im Augenblick ausnahmsweise mit mir einer Meinung zu sein. Keine Seite von mir möchte, dass Frank jetzt das Zeitliche segnet.
Wie schon erwartet, lässt sich der Mann natürlich nicht so einfach beruhigen. Aus seiner Sicht wohl auch verständlich. Es bleibt mir daher nichts anderes übrig als meinen mentalen Einfluss zu verstärken, damit er sich etwas beruhigt.
Sehr bedauerlich – ich würde diese Situation wesentlich mehr genießen, könnte ich ein wenig loslassen und müsste den Sterblichen nicht ständig stark beeinflussen.
Wenigstens haben meine Bemühungen Erfolg. Frank wird tatsächlich ein wenig ruhiger geworden, wenn natürlich alles andere als angstfrei. Wollte ich das erreichen, müsste ich ihn wohl in einen komaähnlichen Zustand zwingen.
Immer noch bebend vor Furcht, spricht er etwas in meine Handfläche. Ein Wimmern ist es, ein Flehen, welches natürlich dadurch, dass ich ihm den Mund zuhalte, nicht wirklich zu verstehen ist. Sicher nur die langweilige Bitte, sein Leben zu schonen, so etwas in der Art. Trotzdem unterdrücke ich für dem Moment meine Gier und halte inne. Meine Neugierde siegt und ich beschließe mir anzuhören, was er mir mitteilen möchte.
„Hör zu, Frank!“ Meine Stimme ist eisig und emotionslos. „Ich werde jetzt meine Hand wegnehmen. Dann wirst du mir sagen, was in deinen Augen so wichtig ist. Aber ich warne dich – keine Schreien und kein Jammern. Hast du das verstanden?!“
Ich warte sein Nicken ab, ehe ich die Hand langsam von seinem Gesicht löse.
Der Mensch unter mir ringt mühsam nach Luft und hustet einige Male. Etwas theatralisch in meinen Augen. Würde er sich nicht so aufregen, wäre dies hier alles nicht nötig. Dann wäre ich hier schon lange am Bluttrinken. Aber nun ja – dafür ist es interessant.
Ich räusperte mich, um ihn zu zeigen, dass ich langsam ungeduldig werde. Daraufhin schluckt er einige Male – er ist jetzt schon ein nervöses Wrack – ehe er leise und heiser auf meine Aufforderung antwortet: „Bitte Alessandro, ich bitte dich, lass mich am Leben. Ich tue auch alles, was du willst, hörst du? Alles. Ich will dir dienen, dich unterstützen. Nur bitte, bitte, töte mich nicht!“
Unter Tränen und mit vielen Pausen hat er diese Bitte zitternd hervorgestammelt.
Natürlich! Was hatte ich erwartet?! Die übliche Bettelei eben. Nicht wirklich überraschend.
Allerdings – Frank ist wirklich hübsch anzusehen. Und ich bin auch Männern nicht abgeneigt. Ebenso ein neues Gefühl, welches sich jedoch sehr vertraut anfühlt.
Und wie würde es sich wohl anfühlen, wenn sich dieser hübsche Kerl nicht vor Angst winden, sondern mir willig und freudig sein Blut spenden würde? Jederzeit, wann immer mir es mir danach ist?
Und Mutter wird sicher stolz auf mich sein, komme ich mit einem persönlichen Diener nach Italien zurück. Das würde mir den Respekt in meiner Familie und in der Vampirgesellschaft einbringen. Denn unterworfene Begleiter sind selten.
Und er hat mich ‚Alessandro‘ genannt. Das rechne ich ihm ebenso positiv an.
Gut, er soll seine Chance bekommen.