Max läuft den Tunnel entlang. Das kann doch nicht sein ernst sein. Wie kann er es glauben. Er ist doch schlau. Muss er es nicht besser wissen? Ich wollte nur kurz ihn zurückholen. Doch ich kann ihn nicht aufhalten. Ich laufe hinter ihm her. Wenn er schon geht, dann wenigstens nicht alleine.
Schweigend laufen wir nebeneinander her. Folgen einem Tunnel, von dem wir nicht wissen, in welche Richtung er uns führen wird.
Doch ich kenne den Weg nicht. Sein Gefühl zeigt ihm den richtigen Weg. Das ist doch verrückt. Und doch folge ich ihm. Immer weiter ohne Pause.
»Wie lange wollen wir noch gehen?«, frage ich ihn schließlich.
»Bis wir da sind. Oder bis es Zeit ist, eine Pause zu machen. Jetzt nach Links«
Wir biegen in den linken Tunnel ab.
Meine Beine werden mit jedem Schritt schwerer. »Und wann ist es Zeit für eine Pause?«
»Sobald es uns der Tunnel sagt. Wir müssen ihm einfach nur folgen. Dann kommen wir ans Ziel. Wir müssen auf die Magie der Monstermade vertrauen. Diese Tunnel hier sind magisch. Sie verändern sich. Je erschöpfter wir sind, desto kürzer der Weg. Also weiter geht es«
»Das ist doch alles Schwachsinn!«. Ich bleibe stehen. »Wie soll das alles funktionieren? Und: Woher weißt du das alles? Du kannst es doch alles gar nicht wissen!«
Er dreht sich zu mir um. »Ich habe dich nicht gebeten mir zu folgen. Ich habe dir sogar davon abgeraten. Doch du wolltest es unbedingt. Früher hast du immer die Geschichten erzählt. Doch jetzt bist zu so grau geworden wie der Staub. Du hast die Farbe verloren, diesen Glanz. Was ist mit dir passiert? Und wir haben diese Geschichten alle früher gemeinsam gelesen. Erinnerst du dich? Wir haben uns das Lesen und schreiben beigebracht. Du und ich«
Vernebelte Erinnerungen tauchen auf. Bruchstücke. Höre sein Lachen. Wir saßen am See. Vor uns das Buch. Dann: Dunkelheit. Ich will nicht daran erinnern.
Ich schüttele meine Kopf, um ihn wieder klar z bekommen. »Das war früher. Heute ist alles anders«
Er schüttelt den Kopf. »Du bist anders. Du bist anders geworden. Die Geschichten sind die selben. Ich verstehe es nicht. Wie konntest du dich so sehr verändern? Du bist eine andere Person. Ich vermisse die alte Anna. Sie hätte gekämpft. Sie hätte die Magie verstanden, gespürt. Aber du? Dich kenne ich nicht. Nicht mehr«
Tränen sammelten sich in meinen Augen. Er ist mein Bruder. Und trotzdem. Vielleicht hat er recht. Vielleicht glaube ich diese Geschichten nicht mehr. Aber das sind doch bloß Geschichten. Es stimmt nicht. Wie soll ich daran glauben?
Er reicht mir seine Hand. »Jetzt komm mit! Ich lass dich hier nicht alleine. Du wolltest unbedingt mit. Vertrau mir. Sonst geht das hier nicht«
Ich stehe auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Wieder einmal folgen wir den Tunneln; ich lasse mich von Max leiten.
Das ist doch alles verrückt. Am liebsten würde ich wieder zurück, aber dann würde ich mich völlig verirren. Irgendwann wird er einsehen, dass es dort oben nichts gibt. Das es alles nur Geschichten sind. Das keine dieser Geschichten wahr sind.
Unsere Schritte hallen durch die Tunnel. Aber wer soll sie schon hören? Obwohl.
»Was passiert, wenn die Soldaten uns entdecken?«
Einige Sekunden lang laufen wir still weiter. Erst dann antwortet er mir: »Also dann...dann wird es komplizierter«
»Heißt also du hast keinen Plan«, fasse ich zusammen. Ich spüre einen Wassertropfen. Wo kommt der jetzt her? »Kann es sein, dass es über uns einen See gibt?«
Er bleibt stehen. »Was See? Wasser? Warum?«. Er schaut zur Decke, sein Fuß tippt im Takt, der verebbten Schritte.
»Ein Tropfen Wasser kam von der Decke«
»Was Wasser?«, er springt zur Seite. Ein Bild taucht in meinem Kopf auf. Ein schreckliches Bild. Doch nicht das Wasser ist schuld. Ich bin Schuld.
»Sorry. Ich habe mich geirrt. Es tut mir leid. Ich bin Schuld«
»Was?« Max schüttelt den Kopf. »Was erzählst du da. Ich glaube die Magie macht dich verrückt. Die Magie dieser Tunnel. Ist da wirklich kein Wasser?«
Ich nicke nur. Tatsächlich. »Die Magie macht mir wirklich verrückt. Keine Magie mehr. Erinnerst du dich nicht?«
Noch ein Tropfen von der Decke. »Wir müssen weiter«
»Du bist merkwürdig geworden. Ziemlich merkwürdig. Früher hast du die Magie doch gemocht. Warum jetzt nicht mehr? Woran sollte ich mich erinnern?«
Scheinbar nicht. Ich gehe weiter. »Nichts!«
Doch Max bleibt stehen. »Aber wir müssen Pause machen. Was essen«
»Jetzt sag nicht, dass es dir diese Wände zugeflüstert haben«
Zum Glück antwortet er nicht auf seine Frage, sondern öffnet nur seine Rucksack.
»Ich muss mal«, teile ich ihm mit und verschwinde hinter einer Abzweigung.
Zurück bei Max setzte mich an die Wand und hole ein paar Pilze und etwas Fleisch aus meinem Rucksack. Wie lange ich schon nichts mehr gegessen habe.
Nach einem Bissen frage ich Max: »Ich habe nicht viel Essen eingepackt. Lange wird es nicht mehr reichen«
»Ich habe einiges dabei. Notfalls stellen wir Fallen auf. Der Weg sollte auch nicht allzu lange dauern«
»Wir werden nie ankommen. Selbst wenn. Sind die Wege nicht zugeschüttet? Falls sie überhaupt existieren«, versuche ich Max erneut zu überzeugen.
»Warum bist du dann mitgekommen? Ich habe keine Lust darüber zu diskutieren. Jetzt essen wir was, sammeln Kräfte und gehen dann weiter. Dann sind wir schneller da«
Ich biss von meinem Fleisch ab. Erst jetzt merke ich, wie nass meine ganzen Sachen noch immer sind. Entweder noch nicht getrocknet oder nass geschwitzt.
Hoffentlich begegnen wir Wachen. Die könnten ihn davon überzeugen nicht weiter ins Nichts zu gehen. Sie würden uns zurückschicken. Hoffentlich.
»Weiter geht´s«, meint Max und reicht mir die Hand. Habe gar nicht mitbekommen, dass er aufgestanden ist.
Rechts, Rechts, Links, Mitte. Max deutet immer Wortlos auf den richtigen Weg. Die Frage ist nur, für welches Ziel es der Weg ist.
Immer weiter. Es wird langsam kühler. Die Feuchtigkeit dringt immer tiefer.
Lange werde ich nicht mehr weiter gehen können. Doch ihm zu sagen, dass ich eine Pause brauche...das wäre nicht gut.
Aus dem Nichts taucht eine riesige Felswand vor uns auf.
Ich will schon wieder umdrehen, doch Max geht weiter auf die Felswand zu.
»Ich habe das Gefühl, dass da oben unser Weg ist«. Er deutet nach oben.
Nein! »Nicht klettern«, stöhne ich. »Ich kann nicht mehr«
Warum bin ich ihm nur gefolgt?
»Jetzt ist erst einmal Pause. Wir schlafen jetzt. Und dann sieht es schon besser aus«
Er wirft mir eine Decke zu. Wo hat er die denn jetzt her?
»Ruh dich jetzt aus. Du musst fit sein. Noch ein langer Weg«
»Willst du nicht schlafen?«
Ich liege schon in die Decke eingewickelt auf dem Boden.
»Muss noch was erledigen. Ist aber nicht so wichtig«
Und schon bin ich am Schlafen.