Ich öffne meine Augen wieder. Vorsichtig heben sie mich und tragen mich weg. Ich lasse es über mich ergehen, denn wehren kann ich mich dagegen nicht. Ich hätte es wissen müssen. Warum sollen sie mir, einem Feind, auch glauben? Warum sollte ich ihnen auch helfen wollen? Was hätte ich davon? Es bringt mir doch gar nichts. Und doch bin ich hier. Ich bin hier und ein Mörder. Damit haben sie sogar recht und alles andere ist ihnen egal. Es muss sie ja auch nicht interessieren.
Sie tragen mich durch verschiedene kleine Tunnel, bis ich irgendwann die Orientierung verlieren. Wie soll man sich hier zurechtfinden, es sieht doch alles gleich aus.
Nach einiger Zeit bleiben sie vor einem Gittertor stehen. Ein Mann geht nach vorne und schließt das schließt das Schloss auf. Es ist das erste Mal, dass ich hier unten ein Schlüssel und ein Schloss sehe. Auch das stählerne Tor passt nicht in diese Welt, in der das meiste aus Stein besteht. Sie setzten mich ab und zwingen mich, durch das Tor zu krabbeln. Es ist höchstens einen Meter hoch.
Ich gelange in einen runden Raum, der komplett leere ist. Das Tor hinter mir fällt zu und es wird abgeschlossen. Durch das Gitter sehe ich die Menschen wieder verschwinden, dann kehrt Ruhe rein.
Niemand hat während der ganzen Aktion etwas gesagt, stelle ich fest während ich auf dem Boden sitzend durch das Gitter starre. Wo dieses Gitter wohl herkommt? Der Stahl sieht viel zu neu aus, für diese Welt. Der kann nicht von hier kommen. Wie können sie sich hier unten überhaupt versorgen? Woher kommt ihre Kleidung.
Irgendwie gibt es hier so viele merkwürdige Dinge, die nicht ins Bild passen, die einem aber erst beim näheren Betrachten auffallen. Sind sie vielleicht doch nicht so abgeschlossen? Wenn sie so lange isoliert leben würden, warum haben sie sich dann so ähnlich entwickelt. Ihre Sprache klingt modern, nicht so wie sie damals, als sich die Nationen getrennt haben, gewesen sein muss. Das macht doch alles keinen Sinn. Fast wie Bilder die nicht erscheinen. Bei denen man seinen Blick nicht abwenden kann, weil einen etwas an diesem Bild stört, aber nicht weiß was es ist. Es scheint unmöglich zu sein und doch ist es irgendwie möglich.
Lange Zeit starre ich durch das Gitter ins Nichts. Kein Geräusch ist zu hören, keine Bewegung zu sehen. Warum lassen sie mich hier alleine? Wissen sie nichts, was sie mit mir machen oder wie?
Nach einiger Zeit des endlosen Wartens lege ich mich auf den harten Steinboden und starre an die runde Decke. Was ist das hier für ein merkwürdiger Raum? Ganz anders als alles andere. Viel zu rund.
Ich schließe meine Augen und versuche trotz des unbequemen Bodens zu schlafen. Lange Zeit liege ich dort mit geschlossenen Augen. Nichts passiert.
***
Ich laufe über eine grüne Wiese. Ich höre neben mir Annas lachen. Was macht sie denn hier? Gemeinsam laufen wir immer weiter, über die Wiese. Wohin auch immer. Das Ziel ist völlig egal. Wir beide laufen hier und lachen. Alles andere ist doch völlig egal.
Irgendwann bleiben wir stehen. Ich schaue in ihre Augen. Noch nie habe ich mich so wohl gefühlt. Warum habe ich es noch nie vorher gemerkt?
Ich ergreife ihr Hand und wir rennen weiter. Der Wind weht uns entgegen und bringt den Geruch des Meeres. So typisch und doch fühlt es sich so gut an. Früher als ich solche Szenen in Büchern gelesen habe, habe ich immer nur darüber gelacht und konnte es nicht verstehen. Doch jetzt ist es anders. Jetzt ist besser. Diese Freiheit zu spüren, alles hinter sich zu lassen.
Erneut bleibt sie stehen und schaut mich an. Vorsichtig beuge ich mich zu ihr, doch sie grinst nur und reißt sich los. »Da musst du mich erst erwischen«, lacht sie.
Sie hat ein schönes Lachen. Warum ist es mir noch nie aufgefallen? Ich grinse und renne hinter ihr her. »Dich erwische ich doch ohne Probleme«
Sie dreht sich um, aber rennt trotzdem weiter. »Ich habe keine Angst, ich kann Laufen«, neckt sie mich und rennt schneller. Ich stürme hinter ihr her. Wie konnte mir all das verborgen bleiben?
Minutenlang laufen wir über die grüne Wiese. Nichts als der Duft der Natur und ihr lachen. Mehr braucht es nicht, um glücklich sein. Warum habe ich dann nach so vielen Dingen gesucht, die mich glücklich machen sollen, wenn auch solche Kleinigkeiten. ›Weil dieses Glück nicht dauerhaft ist‹, meldet sich eine Stimme in meinem Kopf, doch ich bringe sie zum verstummen.
Stattdessen laufe ich noch ein bisschen schneller, bis ich sie irgendwann einhole.
»Ich habe dich«, rufe ich ihr zu.
»Pass auf deine sogenannten Freunde auf, sie werden dich bald vernichten«, antwortet sie mir.
»Was?«, verwirrt starre ich sie an.
»Wie? Hast du was gesagt?«, fragt sie mich. »Was ist?«
»Nichts«, ich schüttel den Kopf. »Ich dachte nur, dass ich was gehört habe. Aber scheinbar doch nicht. Nur eine innere Stimme«
»Was sagt deine innere Stimme denn?«, fragt sie interessiert nach. »Auf deine innere Stimme sollst du hören«
»Nein. Es ist merkwürdig. Ich soll auf meine sogenannten Freunde aufpassen. Ich versteh das nicht. Keine Ahnung wer damit gemeint sein soll. Egal«, meine ich.
»Du wirst es im richtigen Moment schon verstehen«, antwortet sie nur und beugt sich nach vorne. Auf einmal berühren sich unsere Lippen und mein Bewusstsein verabschiedet sich endgültig. Mein Körper handelt, ohne das ich es steuern oder beeinflussen kann.
Nach einiger Zeit gelange ich endlich die Kontrolle über meinen Körper wieder. Ich stehe auf und sehe wie sie dort vor mir liegt. Was habe ich getan?
Langsam steht sie auf und kommt näher zu mir. Nur wenige Zentimeter vor mir bleibt sie stehen und beginnt mich zu umarmen.
»Du musst mal dein Gesicht sehen«, ruft sie mir entgegen. »Richtig der geschockte Blick. Irgendwie lustig«
Doch ich kann ihr nicht antworten. In der Ferne höre ich Wasser rauschen. Ich laufe los, in die Richtung des Wassers. Ich muss das Wasser sehen. Das hier verwirrt mich gerade nur noch.
Ich höre wie sie mir folgt und laufe schneller. »Was ist los?«, ruft sie mir entgegen.
Woher soll ich das wissen? Es fühlt sich so unheimlich falsch an. Am liebsten würde ich sie anbrüllen, doch ich kann es nicht. Sie ist nicht schuld. Ich bin schuld.
Immer schneller laufe ich auf den Abgrund in der Tiefe zu. Ich kann das Meer dort unten schon riechen. Nicht mehr weit und ich kann es sehen.
Kurz bevor ich die Kante erreiche, brüllt sie: »Stop!«
Ich werde langsamer, aber ich gehe noch ein paar Schritte weiter, bis ich das Meer sehen kann.
»Was hast du vor?«, fragt sie mich vorwurfsvoll, doch ich starre nur aufs Meer.
»Daniel!«, schreit sie.
Langsam gehe ich noch einen Schritt weiter, nur noch zwei Schritte von der Kante entfernt.
»Was? Was ist los?«
Niemand weiß es! Niemand wird es jemals wissen. Ich will es laut, über das Meer hinweg schreien, doch mehr als ein Schluchzen schaffe ich nicht. Es würde eh niemals jemand hören. Es würde niemals jemanden interessieren.
Plötzlich steht sie vor mir. »Daniel!«, ihr rufe werden lauter und energischer.
»Ich liebe dich«, fügt sie mit leiser Stimme hinzu.
»Wie kannst du mich lieben? Niemand kann mich lieben«, erkläre ich ihr ganz leise und stoße sie weg. Sie ist viel zu nah. Niemand kommt mir so nah. Niemals.
»Daniel«, brüllt sie ein weiteres Mal, dann nur noch schrille Schreie. Langsam sehe ich, wie sie in die Tiefe stürzt. Mit erstarrten Augen blickt sie mich an und verschwindet schließlich komplett.
Ohne nachzudenken mache ich einen Schritt nach vorne und falle ebenfalls in die Tiefe.
***
»Daniel!«, höre ich ihre Stimme und öffne meine Augen. Ich sehe sie dort vor dem Gitter sitzen. Blicke in ihre besorgten Augen.
»Du lebst noch«, stelle ich verwundet fest.
»Was denkst du den?«, fragt sie nach.
»Nichts«, erwidere ich leise. »Es ist besser, wenn du jetzt gehst«
»Ich lasse dich nicht alleine«, erklärt sie mit absoluter Sicherheit. Niemals«
»Verschwinde jetzt!«, brülle ich sie an. Sie kann nicht hier bleiben. Das geht einfach nicht. »Sofort. Ich will nicht, dass du hier bist!«
»Was?«, sie schaut in mein Gesicht und stellt fest, dass ich es ernst meine.
»Es ist das beste für dich«, flüstere ich.
Ohne sich umzudrehen geht sie langsam den Tunnel entlang, schaut dabei aber die ganze Zeit in meine Richtung.
Doch endlich verschwindet sie hinter einer Abzweigung und ich habe meine Ruhe. Ich drehe mich um und starre im Sitzen auf die Wand; Tränen tropfen auf meine Schoß. Doch ich kann es nicht länger. Es muss so sein.