»Schon wach?«, fragt Anna mich.
»Hm«, antworte ich ihr und öffne meine Augen, bleibe aber liegen. Die Helligkeit des Raumes blendet mich. Ich schlage die Decke weg und setze mich auf.
»Das Bett ist so bequem«, schwärme ich. »Und so warm«
»Ich weiß. Hier ist so vieles besser und doch ist es irgendwie nicht gut«
Ich gehe zum Fenster. »Es sieht so schön aus«, stelle ich fest.
Die Sonne färbt den Himmel in ein rötliches Licht, noch steht sie hinter dem Wald. »Siehst du das? Die Sonne ist immer in Bewegung«
»Schön oder?«, meint plötzlich Daniel hinter mir. »Nur, dass sie die Erde bewegt und nicht die Sonne«
»Aber wie soll das funktionieren?«, frage ich und drehe mich um.
»Es ist doch gar nicht so kompliziert. Die Erde dreht sich um die Sonne und um die eigene Achse. Dadurch erscheint es, als würde die Sonne sich bewegen, dabei bewegt sich die Erde«
»Wir gehen dann mal«, meint Emma lachend zu Anna und beide verlassen den Raum.
»Heißt, das also, dass die Erde eine Kugel ist?«, frage ich nach.
»Tatsächlich. Wenn du auf dem Meer bist, kannst du es sehen. Ein Schiff sinkt immer tiefer, wenn es weiter weg ist«
»Aber ich war noch nie auf dem Meer. Und Wasser mag ich auch nicht«, erkläre ich ihm.
Daniel kommt immer näher und stellt sich neben mir ans Fenster. »Irgendwie gefällt mir das nicht so«. Ich schaue weiter aus dem Fenster.
»Was? Das ich hier stehe?«, vorsichtig geht er einen Schritt zurück.
»Nein, nein«, meine ich lachend. Von mir aus könntest du sogar noch näher kommen. »Das klingt mir viel zu langweilig«. Daniel kommt wieder näher. »Es fehlt dieser Feuer. Diese Magie. Dieses Geheimnisvolle«. Mein Arm berührt seinen. Irgendwie fühlt es sich gut an. So warm. Voller Feuer.
»Aber das ist nun einmal die Erklärung«, stellt er fest.
»Was würdest du nun sagen, wenn ich die erzähle, dass die Sonne nur eine Person sei. Eine besondere Person, die dein Herz erwärmt. Und sie ist immer da, wenn die Sonne da ist. Nun wacht sie den ganzen Tag über dich. Doch leider kann sie nicht ewig über dich wachen. In der Nacht erholt sie sich, um am nächsten Tag wieder heller strahlen zu können. Sie wacht immer über dich, egal was du tust. Sie schreibt deine ganze Geschichte auf. Und in der Nacht ließt sie den ganzen Sternen deine Geschichte vor. Dann schauen die ganzen Sterne auf dich herab. Sind stolz auf dich. Jeder dieser Sterne ist eine verstorbene Person. Irgendwann wirst du auch du herunter schauen und stolz auf eine Person sein oder vielleicht sogar die Geschichte dieser Person erzählen. Und vielleicht werden diese Geschichten sogar nach deinem Tod weiter erzählt und du kannst deinen eigenen Geschichten lauschen. Stolz darauf sein, was du alles geleistet und erreicht hast. Stolz und zufrieden sein, vereinigt mit den all den anderen und anderen Menschen hinterherschauen, stolz darauf sein, was deine Nachfahren leisten«
»Wow«. Er schaut mir in die Augen. Seine Augen leuchten, wie eine Lampe. Das Licht scheint mich zu blenden, doch ich kann nicht wegschauen. »Eine echt tolle Geschichte. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll« Eine Träne bildet sich auf seiner Hand und ich wische sie weg.
»Du bist besonders. Ich kenne noch nicht lange. Aber du hast etwas magisches. Ich bin froh, dass Emma dich her gebracht hat«
»Ich auch«, flüstere ich ihm zu.
Langsam macht er einen Schritt zurück. »Lass uns frühstücken und dann muss ich euch noch etwas wichtiges erzählen. Euer Volk ist besonders. Übrigens, ich habe herausgesucht, was du wolltest. Ich habe da schon eine Idee«
Ich nicke und wir gehen zusammen ins Wohnzimmer.
»Ihr habt ewig gebraucht, da haben wir schon anfangen, dass Frühstück vorzubereiten«, begrüßt uns Emma.
Wir setzen uns uns beginnen zu Frühstücken. »Gibt leider nur Brötchen«, entschuldigt sich Daniel.
»Ist doch egal«, meine ich und beiße in mein Brötchen. »Schmeckt auch so, ziemlich gut«
»Worüber habt ihr euch dort die ganze Zeit unterhalten«, fragt Anna.
»Ach nichts«, antworten Daniel und ich gleichzeitig. »Nichts wichtiges. Nur über Sonnen und Sterne«
»Anna hat mir schon das wichtigste erklärt. Ihr habt euch ja wirklich ewig unterhalten«, meint Emma zu uns.
»Wir beiden haben uns auch gestern schon unterhalten«, erklärt Daniel. »Max hat mir vieles erklärt«
Ich nicke.
»Aber du wirst mir noch den Rest deiner Geschichte erklären müssen. Ich weiß bisher nur ganz grob, dass ihr von unten kommt, es unten eine Krankheit gab. Und das ihr nach einem Gegenmittel sucht, weil ihr glaubt hier eines zu finden. Und die gute Nachricht zuerst. Ich glaube ich weiß, was ihr sucht. Max hat mir genug über die Krankheit erzählt. Ist das bis hierhin korrekt?«, fragt er nach.
Ich nicke. »Und was ist die schlechte Nachricht«
»Ich sollte von vorne anfangen. Ganz vorne. Wisst ihr, warum ihr unter der Erde lebt?«, fragt er uns.
»Das wissen wir«, erklärt Anna ihm. »Es gab wohl einen Krieg und euer Volk hat unseres Vertrieben. Aber das ist nur eine alte Geschichte«
Daniel beugt sich nach vorne. »Tatsächlich ist diese Geschichte wahr. Woher wisst ihr das?«
»Wir haben Bücher gelesen«, erkläre ich ihm.
»Wartet mal«, er steht auf und geht zum Regal, verschwindet kurz und kommt mit einem Stuhl wieder.
»Sag doch was«, meint Emma.
»Bin eh schon oben. Ich bin vielleicht klein, komme aber so auch dran«
Schließlich holt er ein Buch vom Regal und steigt vom Stuhl.
»Habt ihr auch dieses gelesen?«, fragt er und hält es uns hin.
Anna nimmt es entgegen und blättert darin herum.
»Tatsächlich. Dieses Buch haben wir gelesen. Warum?«
»Der Verräter war ein Vorfahre von mir. Es steht dort nicht alles drin, aber er hat all das möglich gemacht. Er soll sogar Schuld am Krieg haben. Hat sein eigenes Volk verraten«, er macht eine kurze Pause und redet schließlich mit leiser Stimme weiter. »Und ich bin mir ihm Verwandt. Es tut mir Leid«.
Ich nehme ihn in den Arm. »Du bist doch nicht schuld daran«, beruhige ich ihn, als er anfängt zu schluchzen.
Ich bemerke, dass Emma mich merkwürdig ansieht, doch es fühlt sich richtig an.
»Aber du kannst doch nichts dafür«, erklärt Anna ihm. »Du willst uns helfen. Du bist anders als er. Du bist besser«
»Nein«, erwidert er. »Ich helfe euch nur, weil ich mich schuldig fühle. Schuldig, für das was er getan hat«
»Ich habe immer gesagt, du solltest mit der Vergangenheit abschließen. Es ist ist nicht deine Schuld«, erklärt nun auch Emma ihm.
»Aber ich muss es trotzdem wieder gut machen«, stellt er fest.
»Du musst es nicht. Du hilfst uns freiwillig«, sagt Anna ihm.
»Es stimmt. Du kannst es tun, um die anderen Stolz zu machen. Aber du musst es nicht machen. Es ist deine Entscheidung. Es ist deine Geschichte, nicht die Geschichte deine Vorfahren«
»Jetzt lass mich mal wieder los«, unterbricht er mich. »Ich habe es verstanden«
Ich lasse ihn los und wir setzen uns wieder hin.
»Aber ich habe eine Entscheidung getroffen«, ich werde morgen los gehen. Ich werde herunter gehen. Ich habe mich so lange mit eurer Welt beschäftigt«
»Ich komme mit!«, bestimmt Emma sofort.
»Warum müssen die Frauen immer den Männern folgen?«, frage ich in die Runde.
»Was willst du damit sagen?«, Emma und Anna blicken mich mit strengen Blick an.
»Was ich damit sagen will...« - »Er will bloß sagen, dass er sich über eure Hilfe freut, wie ihr immer für andere einsetzt«, unterbricht Daniel mich und ich nicke ihm zu. Eigentlich wollte ich das gar nicht sagen.
»Wir werden natürlich auch mitkommen«, erklärt Anna. »Schließlich findet ihr sonst den Weg gar nicht«
Daniel beugt sich zurück. »Ich werde losgehen und ein Medikament besorgen, ihr packt die Sachen«
»Warum soll ich nicht das Medikament holen?«, fragt Emma nach. »Dank meiner Arbeit falle ich im Krankenhaus nicht so sehr auf und wenn ich Anna mitnehme...«
»Aber weißt du welches Medikament wir brauchen?«, skeptisch blickt Daniel zu Emma.
»Ich kenne mich damit besser aus als du. Schon vergessen? Ich habe Medizin studiert. Anna wird mir das nötige erklären. Ihr beiden könnt alles wichtige einpacken. Du kennst dich mit der Welt besser aus und ich glaube Max hat auch Ahnung davon, was nützlich sein könnte. Außerdem versteht ihr euch doch ziemlich gut und könnt schon gemeinsam einen Plan entwickeln oder?«
»Naja«, beginne ich, doch werde von Daniel unterbrochen. »Dann werden wir es wohl so machen. Auch wenn du weiß, wie viel ich davon halte«
Emma steht auf. »Wollen wir los?«
Anna nickt und die beiden verschwinden durch die Tür.
»Das war jetzt irgendwie merkwürdig«, stelle ich fest. »Fast als wären sie froh, uns los zu sein«
»Hm, keine Ahnung. Kann sein. Vielleicht wollen sie auch einfach nur ein bisschen Zeit unter Freundinnen«, meint er. »Aber lass uns die Sachen packen. Manchmal ist sie einfach ein bisschen merkwürdig«
Gemeinsam stehen. »Eigentlich habe ich schon alles, was wir brauchen«, stelle ich fest. »Ist alles in meinem Rucksack«
»Komm mal mit«, er läuft zum Bücherregal und nimmt ein Buch heraus. Schon verschwindet seine Hand in der Wand und eine Sekunde später ist ein knirschen zu hören. Das Regal schwingt und zur Seite und ein dunkler Tunnel wird sichtbar.
»Ist zwar Typisch. Immer hinter einem Bücherregal. Wird langsam langweilig, aber es war das beste was mir damals eingefallen ist und das einfachste«, erklärt Daniel mit, doch ich bin schon in dem Tunnel verschwunden.
Ich steige die Treppen herunter, hinter mit Daniel. Schwaches Licht kommt von vorne. Nach etlichen Stufen, erreichen wir geraden Boden vor uns ein großer Raum, vollgestopft mit Büchern und vielen anderen Dingen. Der Tisch ist voller Papier.
Der Raum wird in ein magisches Licht gehüllt, das aus den Wänden kommt.
»Das Licht ist genau wie unten«, stelle ich fest und betrete den Raum. »Wie kann das sein? Wo sind wir hier?«
»Daniel betritt den Raum. Ich habe den Raum hier zufällig entdeckt. Ein Raum voll mit Wissen über die Vergangenheit. Leider ist zu wenig Zeit. Aber ich dachte es könnte dich interessieren«
Ich schaue mich im Raum, doch ich entdecke keinen weiteren Tunnel. »Wo geht es hier weiter?«
Daniel kommt auf mich zu und hält einen Rucksack in der Hand. »Ich habe immer gedacht, dass es hier weiter gehen würde. Aber scheinbar nicht. Jedoch war ich oft in einer anderen Höhle. Ich habe mich sehr intensiv mit eurem Volk beschäftigt. In der Höhle fand ich keinen Weg nach unten, habe aber niemals da nach gesucht. Es hieß immer, dass man in diesen Höhlen automatisch seinen Weg finden würde, wenn man ein festes Ziel hat. Die Tunnel bestimmen die Richtung«
»Das hat bei uns ja auch ziemlich gut geklappt«, stelle ich fest.
Er nickt. »Genau« und kommt mir wieder näher und in meinem inneren beginnt alles zu explodieren.
»Das ist merkwürdig«, beginne ich. »Jedes mal, wenn ich dich sehe, deine Näher spüre, jedes mal beginnt es in meinem Inneren zu brennen« Ich gehe einen Schritt weiter zu ihm. »Es ist unbeschreiblich. Ich fühle mich in deiner Nähe so wohl, es ist fast wie dich schon ewig zu kennen, dabei kenne ich dich doch erst seit so kurzer Zeit. Ich liebe dich«
Bei dem Wort liebe zuckt er zusammen und geht eine Schritt zurück. Das Feuer friert ein.
»Ich...ich...mag dich«, stammelt er. »Aber ich liebe dich nicht. Es geht einfach nicht«
Der Eisblock zerspringt, doch er redet weiter. »Es tut mir Leid. Aber ich liebe Emma und Emma liebt mich. Außerdem und das ist das wichtigste: Es geht nicht. Wir sind beide männlich. Wie soll das funktionieren?«
Tränen tropfen auf den Boden doch ich spüre es nicht mehr. Ich spüre nichts mehr. Wie kann er so etwas sagen? Wie kann er so sein?
»Wie soll das funktionieren? Was ist daran anders?« ich drehe mich um und rede leider weiter »Du bist doch nicht besser als sie alle«, immer mehr Tränen bilden sich in meinem Gesicht und ich stürme die Treppe hoch. Wie soll das funktionieren? Oben angekommen renne ich aus dem Haus. Er will nicht, weil er ist wie sie. Was habe ich auch erwartet? Wie kann er auch anders sein? Einfach machen. Wie soll es funktionieren, jemanden zu lieben? Wieso funktioniert es, dann mit Emma? Wo ist der Unterschied?
Ich sinke auf die Wiese. Warum ist das anders? Warum kann es nicht funktionieren? Nur weil ich männlich bin? Er schien mir immer anders zu sein, besonders. Doch er ist gleich. Wie alle anderen auch.
Stunden liege ich auf der Wiese und warte. Warte auf das Ende. Ich spüre den Regen auf meiner Haut, doch ich bleibe liegen. Es ist egal. Unwichtig.
Die Wiese wird weicher und matschiger, doch ich es ist mir egal. Ich werde müde, immer müder. Der Regen wird stärker. Das prasseln des Regens macht mich müde. Meine Augen werde immer schwerer, bis irgendwann alles verschwindet und die Dunkelheit mich empfängt.