Knacken hallt durch den Tunnel. Ganz viele. Fast wie kleine Schritte.
Ich bleibe stehen und schaue Anna an. »Da ist was«, flüstere ich ihr zu.
Sie bleibt stehen und starrt nach vorne. Das grünliche Licht der Wand scheint im Takt des Knackens zu blinken.
»Was ist das?«, frage ich leise nach.
»Ich glaube du hast recht. Es ist besser, wenn wir nicht wissen was es ist«, flüstert sie zurück und starrt nach vorne.
»Aber...«, will ich entgegnen, doch sie dreht sich um und befiehlt mir mit ihrem Blick still zu sein.
Das Knacken wird immer lauter, scheint von vorne und hinten gleichzeitig zu kommen.
Nun scheint das Blinken der Wand eher den Takt meines Herzens angenommen zu haben. Das leuchten wird immer wilder.
Was ist das? Ich drehe mich um, doch nichts zu sehen. Vorne ist auch nichts zu sehen. Wir sind hier eingesperrt. Was, wenn es uns jagt? Wer weiß, was für Wesen hier unten leben. Es könnte gefährlich sein. Wir hätten keine Möglichkeit zu fliehen.
Vielleicht ist es auch harmlos. Wir sollten trotzdem aufpassen. Ich schleiche mich weiter zu Anna. Die Wand blinkt immer weiter. Das Knacken hört nicht auf. Immer wieder dieses stetige Klacken. Wie Klauen auf Stein.
Ich versuche herauszufinden, woher dieses Geräusch kommt. Mal von vorne, mal von hinten. Plötzlich von oben, dann scheint es unter uns zu sein.
Wir schleichen uns weiter. Ob das eine gute Idee ist, weiß ich nicht. Aber es ist besser als stehen zu bleiben, also folge ich Anna und vertraue darauf, dass sie mehr Erfahrung mit diesem Wesen hat als ich.
Plötzlich bleibt Anna stehen. »Was ist?«, flüstere ich, doch sie schüttelt nur den Kopf und deutet nach rechts. Ich nehme war, dass der Tunnel einige Meter vor uns eine Abzweigung nach rechts zu machen scheint.
Ist das Wesen dort und wartet auf uns? Wartet, bis wir um die Ecke biegen?
Das Klacken hat sich verändert. Langsamer. Wartender. Als würde es uns bereits erwarten.
»Ich schaue mal nach«, flüstert Anna mit entgegen und schleicht weiter.
»Nein!«, zische ich ihr zu. »Es kann gefährlich sein«
»Ich weiß was ich tue«, antwortet Anna. »Ich muss es sehen. Ich muss wissen, ob es stimmt«
»Was?«, raune ich ihr zu. »Vielleicht ist es gefährlich! Du kannst da nicht näher ran gehen. Nicht freiwillig«
»Ich muss es. Ich muss es wissen. Ich muss wissen, ob es stimmt. Du kannst mich nicht davon abhalten«, sie geht los und dreht sich noch einmal um. »Egal was du tust«
Ich schüttel den Kopf. »Bist du bescheuert?«, murmel ich vor mir hin und packe sie am Arm.
»Lass mich«, zischt sie und reist sich los. Sie beginnt zu rennen, immer schneller. Ich sprinte, doch ich schaffe es nicht mehr sie einzuholen.
Sie biegt ab und ist außer Sichtweite. Eine Sekunde später sprinte ich hinterher. Sofort versuche ich stehen zu bleiben. Ein riesiges Wesen starrt an mich an. Es erinnert mich an ein riesiges Insekt. Eine Mischung aus Made und Tausendfüßler. Das Wesen geht ein wenig auf Anna zu und jedes der unzähligen Beine hinterlässt ein Knacken auf dem Boden.
»Anna!«, schreie ich ihr entgegen, doch sie bleibt weniger Meter vor dem Wesen stehen und schaut es an. Das Wesen überragt sie um mehr als einen Meter und füllt beinahe die gesamte Höhle aus. Wie lang es ist, kann ich nicht erkennen.
Auge in Auge betrachten die beiden sich einige Zeit. Ich traue mich nicht, näher heran zu gehen, denn die Fühler vor dem beachtlichen Maul bewegen sich die ganze Zeit. Warum bleibt Anna da stehen? Sie sollte weglaufen! Sie muss es doch sehen.
Anna starrt es an. »Du bist also die Monstermade. Ich wusste, dass du existierst. Max hatte recht. Ich habe es am Anfang für einen Witz gehalten. Dich jetzt zu sehen...das ist faszinieren«
Sie dreht sich zu mir um und lässt das Wesen dabei nicht aus den Augen. »Hast du jemals ein solch stolzes Tier gesehen. So ein großartiges und magisches Wesen«, schwärmt sie. »Das ist die Monstermade«
»Geh da weg!«, befehle ich ihr. »Das Wesen könnte gefährlich sein«. Doch Anna schaut mich nur böse an. »Sorry, ich meine die Monstermade«, verbessere ich mich selbst.
Anna dreht sich zu der Monstermade um. »Du bist doch kein Monster oder?«, redet sie mit dem Wesen, als ob es ein Haustier wäre. Die Mundwerkzeuge knacken einmal.
»Es versteht mich sogar«, ist Anna überzeugt.
»Wie kann eine solche Made dich verstehen?«, frage ich skeptisch nach.
»Wieso bleibst du dahinten stehen? Diese Made tut nichts. Sie ist magisch. Ihr haben wir diese Tunnel zu verdanken. Sie hat sie gegraben«, erklärt Anna. »Es hieß, man muss nur daran glauben. Und dass man sich selbst sein Bild malen sollte. Hast du selbst gesagt. Es hat funktioniert!«
»Aber...«, versuche ich zu entgegen, doch ich bemerke, dass es keinen Sinn macht. Ich kann sie nicht mehr überzeugen. Wahrscheinlich hat sie sogar recht. Ich habe es ihr selbst vor nicht so langer Zeit erzählt. Ich sollte es doch besser wissen.
Anna geht auf die Monstermade zu und streichelt über einen der vielen Füße. Plötzlich beginnt die Made wie eine Katze zu schnurren. »Wenn Max das sieht, dann würde er ausrasten vor Freude«, stellt Anna fest. Max hatte sich wirklich davon begeistern lassen. Vielleicht sogar mehr als Anna.
Langsam gehe ich näher. »Und wie geht es jetzt weiter?«, frage ich nach. »Weiter kommen wir, sie versperrt den gesamten Weg«
Doch Anna gibt keine Antwort sondern blickt auf zur Monstermade. Sie blickt auf Anna herunter und knackt mit ihren Mundwerkzeugen.
»Wir warten kurz ab. Am besten wir setzten uns dort hin und machen eine Pause«, schlägt Anna vor.
»Und dann?«
»Wirst du dann sehen«, entgegnet sie.
Wir setzten uns an die Wand. »Leider habe ich meinen Rucksack nicht mehr«, stellt Anna fest.
Wortlos hole ich ein bisschen Essen aus meinem Rucksack und reiche es ihr. Ich nehme einen Schluck aus meiner Flasche. Schmeckt schon leicht abgestanden, aber besser als nichts. Anna scheint nicht viel zu trinken zu brauchen. Max hat auch nie etwas getrunken.
»Ich muss mal«, meine ich zu Anna und verschwinde hinter der Biegung.
Als ich mich wieder neben Anna setzte, bemerke ich wie die Monstermade halb in der Wand verschwindet. »Was macht sie da?«, frage ich Anna.
»Sieht man es nicht?«, meint sie mit vollem Mund. »Sie gräbt einen Tunnel, wie sie es immer tut. Was soll sie auch sonst tun?«
Ich nicke. »Klar. Was soll sie auch sonst tun?«, wiederhole ich ihre Frage.
»Was?«, sie hört auf zu Essen und schaut mich an.
Ich erstarre in der Bewegung: »Was ›was‹?
»Du hast es doch so merkwürdig betont«, stöhnt Anna.
»Was? Ich bin gerade völlig verwirrt«, stelle ich fest.
Anna schaut mich an. »Merkt man« und sie nimmt wieder einen Bissen.
»Gibt es eigentlich nur diese eine Monstermade und sie frisst immer wieder durch die Tunnel oder wie? Aber sind es dann nicht irgendwann zu viele Tunnel und stürzen sie nicht ein?«, frage ich Anna.
»Also, ich habe bisher noch keine anderen gesehen. Wie du vielleicht schon gemerkt hast. Woher soll ich das wissen? Es gibt hier so etwas, dass nennt sich Magie. Das ist auch der Grund, warum die Wände leuchten. Das ist eigentlich ganz einfach. Alles was sich nicht anders erklären lässt, ist erst einmal Magie. Aber woher sollst du es auch wissen?«, erklärt sie mir in einem Ton, in dem man eher mit Babys spricht.
»Wer hat den hier jetzt den merkwürdigen Ton?«,
»Ich nicht«, schnaubt Anna und steht auf.
»Deine Freundin ist weg«, bemerke ich und kann mir dabei einen leicht spöttischen Unterton nicht verkneifen.
»Du bist wirklich nervig. Wusstest du das?«, meint sie, während sie auf den neuen Tunnel zugeht. Die gesamte Made ist in diesem Tunnel verschwunden, doch man hört nicht einmal mehr ihre Geräusche.
»Das war mir durchaus bewusst. Aber einer hier muss doch für Abwechslung sorgen. Wäre es die lieber, wenn wir hier still durch die Tunnel marschieren. Wie Soldaten auf dem Marsch ist Einsatzgebiet?«, frage ich nach.
»Stille wäre mir tatsächlich lieber«, antwortet sie.
Ich laufe etwas schneller, um sie einzuholen und laufe wieder neben ihr her.
»Genau...«, meinte ich.
»Du verstehst es. Ich wusste es«, sie nickt. »Geht doch«
»Genau deshalb bin ich nicht still«, beende ich meinen Satz.
Sie schüttelt den Kopf. »Ich habe das Gefühl, dass du mich nerven willst«, stellt sie fest.
»Das kann durchaus sein«, gebe ich zu. »Es soll schließlich niemals langweilig werden«
Ich stupse ihr in die Seite. Sie starrt nach vorne, doch ich kann von der Seite sehen, wie sich ihre Mundwinkel verziehen und sie versucht das Grinsen zu unterdrücken.
»Ich fand die Monstermade irgendwie merkwürdig. Ich hätte mehr erwartet«, wechsel ich das Thema.
»Wirklich? Ich fand es jetzt schon ganz interessant«
»Das meine ich nicht. Ich meine ihr Auftritt. Wie das alles begonnen hat und dann wie sie plötzlich da war. Sich fast nicht bewegt hat. Ehrlich gesagt hätte ich Anfangs bei den Geräuschen viel mehr erwartet«
»Stimmt«, sie macht eine Pause. »Weißt du als ich im Himmel war, hat die Göttin mir erzählt, dass sie so etwas wie meine Autorin sei. Die Autorin meiner Geschichte«
»Davon wusste ich nichts und verstehe es jetzt auch nicht, aber egal. Erzähl weiter«
»Jedenfalls habe ich darüber mit Max geredet. Auch er war der Meinung, dass dies meine Geschichte sei. Ich habe mich immer gefragt, warum es nicht seine Geschichte ist. Und es noch immer nicht verstanden. Max und ich wir haben uns manchmal vorgestellt, wie sich jemand diese Geschichte durchließt und was er dabei so denkt. Ich musste gerade daran denken, als du meintest, dass du mehr erwartet hättest. Hätte ein Leser auch mehr erwartet? War es vielleicht Absicht?«
»Hm. Das wäre eine interessante Möglichkeit. Sehr spannend. Aber ich glaube auch, dass es deine Geschichte ist. Nicht die Geschichte von Max und auch nicht von mir. Aber ja. Ich wüsste auch gerne was sich ein Leser wohl dabei denkt. Doch ob wir das jemals erfahren...«
»Da hast du recht. Wissen werden wir es wohl nie. Aber wir können es uns vorstellen«, schlägt Anna vor.