Das Rauschen des Regens begleitet mich und übertönt meine Schritte. Zum Glück, so kann Emma mich nicht hören. Sie ruft die ganze Zeit meinen Namen. Ich gehe tiefer in die Höhle hinein, immer Emma hinterher. Warum sucht sie nach mir? Was will sie von mir?
Sie hat mich immer so merkwürdig angesehen. Der Weg wird wird schmaler. Wo will sie hin und warum sucht sie hier nach mir?
»Wo bist du?«, ruft sie und es hallt von den Wänden zurück. »Max!«
Vorsichtig schleiche ich mich näher heran. Hat Daniel es ihr erzählt?
Sie geht weiter und bleibt plötzlich stehen. Als ich näher zu ihr gehe, sehe ich den Grund. Der Weg endet im nichts.
»Das ist wohl das Ende«, sage ich und gehe noch eine Schritt auf mich zu. »Warum suchst du mich?«
Sie zuckt zusammen und dreht sich um. »Max. Was machst du den hier?«
Ich zucke mit dem Schultern. »Das wollte ich dich gerade fragen. Was soll hier schon machen?«
Sie schaut mich an, von oben bis unten. »Was ist? Warum schaust du mich so an?«
»Was hast du gemacht? Du so nass und voller Matsch«, meint sie einer viel zu betonten Stimme.
»Was soll ich schon gemacht haben? Schon aufgefallen, dass es regnet?«
Sie schüttelt den Kopf. »Doch schon, aber Anna meinte, dass du Angst vor Wasser haben würdest. Was ist passiert? Das ist alles so merkwürdig«
Ich gehe einen Schritt auf sie zu. »Ich habe vor nichts mehr Angst. Warum sollte ich jetzt noch Angst haben? Wovor sollte ich jetzt noch Angst haben? Ich hoffe Daniel hat dir alles erzählt«
»Ich weiß es nicht. Aber du machst mir Angst. Was soll Daniel mir erzählt haben«, sie will einen Schritt nach hinten machen, doch dann fällt ihr auf, dass hinter ihr nichts mehr ist.
»Hat dein Daniel es dir nicht erzählt?«
Sie schaut mir an wie ein Raubtier, dass in die Enge getrieben wird. Hat alles im Blick und nichts mehr zu verlieren. Ich muss vorsichtig sein.
»Nein er hat es mir nicht erzählt. Er konnte es mir nicht mehr erzählen. Was auch immer passiert ist, hat ihn sehr stark getroffen«
»Haha«, lache ich. »Als ob ihn das getroffen hat. Ihn getroffen. Das ist irgendwie lustig. Sorry«
»Was ist da passiert?«, sie schaut rechts an mir vorbei, als ob dort etwas sei.
»Denkst du, ich falle darauf rein?«
Plötzlich stürmt sie auf mich zu, ich stelle mich in den Weg und wir liegen beide auf dem Boden. Krallen zerreißen mir die Haut, Zähne reißen Fleisch aus meinen Wunden.
Der Felsen rast aus uns vorbei, noch immer sind wir eng verschlugen. Ich sehe Klauen, wo meine Finger sein sollen.
Emma fängt an zu schreien. »Du bist ein Monster!«, höre ich sie schreien.
Wir landen auf dem Boden.
Überall Blut. Ich sehe ein großes Wesen, dass Emma festhält. Im nächsten Moment ist das Monster weg und ich liege dort.
Ich bin das Monster, nicht sie.
* * *
Regen prasselt auf mein Gesicht. Ich öffne meine Augen und richte mich auf. Was für ein merkwürdiger Traum. Als ob ich ein Monster bin. Doch ich habe keine Angst vor Wasser mehr. Ich habe keine Angst mehr. Ich fühle gar nichts mehr. Vielleicht bin ich doch ein Monster. Es stört mich weniger, als gedacht. Es ist mir völlig egal.
Langsam stehe ich auf und marschiere durch den Regen. Aber ich muss wissen, ob es Anna gut geht. Sie ist wichtig.
Der Regen prasselt immer weiter auf mich ein, doch ich nehme es gar nicht mehr wahr. Es ist unwichtig.
Nach einiger Zeit komme ich am Haus an. Die Tür steht offen, deshalb gehe ich einfach rein. Ich tropfe alles voll, aber das stört mich nicht.
»Max?«, ruft Anna.
»Ja ich bin es. Glaube ich«, antworte ich ihr. Sie stürmt auf mich zu und umarmt mich. Dabei durchnässe ich ihre komplette Kleidung, doch ihr ist es egal.
»Wo kommst du her?«, fragt sie mich.
Ich drehe mich zur Tür um, die noch immer offen steht. »Ich würde sagen von dort, aber kann auch sein, dass ich es mir nur einbilde«
»Zum Glück geht es dir gut«, meint sie glücklich.
Wenn sie wüsste... »Ja. Ich lebe noch. Das ist gut«
Ich blicke mich um. »Wo ist Emma?«, frage ich Anna.
Sie zuckt mit den Schultern. »Sie wollte dich suchen gehen«, erklärt sie mir.
»Was?«, rufe ich. »Das darf nicht sein. Wir müssen hin«
»Aber du weißt doch gar nicht, wo das ist«, wirft sie mich zurück in die Realität.
»Daniel muss uns den Weg zeigen«, sage ich ihr. »Aber du musst ihn fragen. Ich kann ihn nicht fragen«
Sie schaut mir die Augen. »Was ist passiert?«
»Nichts«, antworte ich. Sie blickt mich weiter an. »Ja gut. Ich hatte einen Traum. Einen schrecklichen Traum«
»Aber das ist noch nicht alles«, meint sie und dreht sich trotzdem um. Sie sie klopft an Daniels Zimmer, kurz darauf öffnet sie die Tür und geht hinein.
Ich verschwinde in dem andern Zimmer und hole meine Tasche.
Wieder zurück im Wohnzimmer erscheinen Daniel und Anna.
»Es tut mir Leid«, erkläre ich ihm.
»Mir tut es Leid«, antwortet er.
»Vergessen wir es«, schlage ich vor. »Ich habe ein merkwürdiges Gefühl. Ich hatte einen Traum. Emma war in der Höhle«
»In Ordnung. Ich habe alles dabei. Wenn wir in der Höhle sind, gehen wir gleich weiter, würde ich vorschlagen. Zurückkommen wird sich nicht mehr lohnen«, meint Daniel.
»Genau das gleiche hat Max eben vorgeschlagen«, stellt Anna fest.
»Dann ist es abgemacht«, ich nicke Daniel zu, obwohl es ein Stecken in meiner Brust verursacht. Doch ich muss es ignorieren.
»Dann los«, sagt Daniel und schnappt sich seinen Rucksack.
Zu dritt gehen wir nach draußen und Daniel schließt die Tür hinter sich. Der Regen hat aufgehört.
Wir laufen über die matschige Wiese, Daniel vor uns beiden.
Nach einiger Zeit bleibt es plötzlich stehen.
»Da vorne ist die Höhle«
»Dann rein da«, antworte ich ihm sofort und stürme hinein. Die beiden kommen hinter mir her.
Es ist die gleiche Höhle wie in meinem Traum. Instinktiv weiß ich genau, welchen Weg ich gehen muss. Ich renne immer weiter, meine Tritten hallen von den Wänden wieder. So lang war der Weg in meinen Träumen nicht oder? Außerdem höre ich sie noch gar nicht.
Ich bleibe stehen. Langsam gehe ich weiter. Hier war sie meinem Traum. Ich gehe noch ein kleines Stückchen weiter. Der Weg endet im Nichts. Genau wie in meinem Traum. Nur Emma ist nicht. Warum ist sie nicht hier?
»Suchst du mich«, höre ich plötzlich ihre Stimme. Ich drehe mich um und sie kommt näher.
»Das ist wirklich merkwürdig«, stelle ich fest. »Ich habe davon geträumt dich hier zu finden«
Langsam kommt sie immer näher, bis sie schließlich direkt vor mir steht. Ich versuche nach hinten auszuweichen, doch hier mir ist kein Weg mehr.
»Was hast du mit Daniel gemacht?«, fragt sie mich fast schon nebensächlich. Doch ihre Körpersprache verrät etwas anders.
»Ich?«, frage ich nach. »Ich habe nichts mit ihm gemacht«
»Das stimmt«, meint Daniel plötzlich von hinten. Sie dreht sich um und trifft dabei fast mit ihrem Ellenbogen.
»Du warst in meinem Traum nicht da«, stelle ich fest. »Und du auch nicht«, als ich Anna sehe.
»Wir sind die ganze Zeit bei dir gewesen schon vergessen?«, ruft Anna mir in Erinnerung.
»Nein. Aber war anders gemeint«
»Was ist denn nun passiert?«, fragt Emma nach. »Max war plötzlich weg, Daniel so merkwürdig. Und ihr wollt mir erzählen, dass nichts passiert ist?«
»War nur ein Gespräch unter Männern«, ruft Daniel uns entgegen. »Männern, ännern, ännern«, hallt es auf einmal durch die Tunnel. Aber etwas an dem Hall ist merkwürdig.
Ein Grollen ertönt. Schreie. Steine fallen von der Decke, ein großer Brocken fällt zwischen uns und die anderen beiden.
»Es tut mir Leid«, versucht Emma das Getöse zu übertönen, doch ein ein großer Stein fällt vor unsere Füße; im letzten Augenblick ziehe ich Emma nach hinten. Doch dort ist kein Boden. Gemeinsam stürzen wir in die Tiefe. Schreie. Ich glaube von mir.
Schlimmer als im Traum. Und dann: Alles vorbei.