Einige Menschen laufen dicht an mir vorbei, doch zum Glück achten sie nicht auf ihre Umgebung. Nur ein kleiner Felsen verdeckt mir vor ihren Blicken. Auch wenn es mein Volk ist, sollten sie mich hier nicht sehen. Trotzdem bleibe ich noch lange Zeit hinter dem hinter dem Felsen sitzen und warte. Es ist merkwürdig. Alle hier sehen noch ziemlich gesund aus. Das hätte ich nicht erwartet. Es fehlen einige, doch alle anderen scheinen noch recht Gesund zu sein. Warum auch immer. Darüber sollte ich mir später Gedanken machen, nun muss ich zuerst mit Daniel sprechen.
Langsam stehe ich auf und schleiche mich weiter. Wie damals. An der rechten Seite bleiben, dann kann man am besten um die Ecke sehen. Ich schaue vorsichtig um die Ecke. Nichts zu gehen. Jetzt nach links. Dort vorne könnte noch jemand stehen, doch auch hier ist niemand.
Ich erreiche das Tor. Wie erwartet abgeschlossen. Wo sie wohl den Schlüssel herhaben?
Ich gehe auf die Knie und starre durch die Gitter.
»Daniel!«, rufe ich. Er liegt auf dem Steinboden und rührt sich nicht. Ein weiteres Mal rufe ich seien Namen, doch wieder keine Antwort.
Ein drittes Mal schreie ich seinen Namen durch das Gitter, endlich reagiert er. Langsam setzt er sich auf und starrt mich merkwürdig an.
»Du lebst noch«, stellt er ungläubig fest.
»Was denkst du denn?«, antworte ich ihm.
Er starrt mich an. »Nichts«, flüstert er. Schon lauter fügt er hinzu: »Es ist besser, wenn du jetzt gehst«
Was denkt er sich? Ich habe so vieles überlebt, als ob ich jetzt Angst haben sollte.
»Ich lasse dich nicht alleine«, erkläre ich ihm überzeugt. »Niemals«
Seine Augen verändern sich. Plötzlich erscheint er wie ein Raubtier in seinem Käfig. Zum Glück ist ein Gitter zwischen uns. »Verschwinde jetzt!«, brüllt er mich an.
Was haben sie mit ihm gemacht? Das ist nicht Daniel. Wieso ist er plötzlich so völlig anders?
»Sofort! Ich will nicht, dass du hier bist«, bellt er durch die Gitter.
»Was?«, frage ich verwundert, doch ein einziger Blick in sein Gesicht genügt, um zu wissen das er es ernst meint. Was ist mit ihm passiert?
Langsam gehe ich rückwärts den Tunnel zurück. Nun ist dort ein Monster drin, wie wir immer gespielt haben. Unsere Spiel ist wahr geworden. Früher habe ich es mir immer gewünscht, doch jetzt...ich hätte niemals gedacht das Monster zu kennen. So gut zu kenne wie ihn. Er war doch immer so nett. Er hat uns doch immer geholfen. War das alles nur gespielt und das ist sein wahres Gesicht? Es kann nicht sein. Es darf nicht sein! Ich rede es mir immer wieder ein, doch ich kann es mir selbst nicht mehr glauben. Ich habe in ihm etwas falsches gesehen.
Plötzlich sitze ich wieder hinter dem Felsen und ziehe die Knie eng an meine Körper; verstecke mein Gesicht. Ich hätte es viel früher sehen müssen. Ich wusste, dass er ein Mörder ist und nehme meine Feind trotzdem mit in meine Welt. Wie bescheuert kann ich nur sein? Ich hätte es doch sehen müssen. Er hat mir genug Chancen gegeben, das Medikament zu nehmen ohne ihn weiter zu gehen, doch ich wollte nicht.
Aber warte! Was wenn das Medikament unwirksam oder gar gefährlich ist? Dann hätte ich Gift unter meinem Volk verteilt.
Wieso kann ich nur so viel falsch machen? »Wieso mache ich immer alles falsch?«, murmele ich vor mir hin.
»Du machst doch nicht alles falsch«, meint plötzlich eine Stimme. »Du hast sehr vieles richtig gemacht«
Langsam löse ich meine Arme von meinen Knien und blicke nach oben. Ein Mann steht vor mir. Vorsichtig schaut er zu mir runter, seine Arme hinter seinem Körper.
»Wer bist du?«, frage ich ihn.
»Ich?«, stellt er fest. »Warum interessiert dich das?«
»Keine Ahnung. Warum sollte es mich nicht interessieren?«, antworte ich ihm.
»Niemanden interessiert mein Name. Ich bin ich. Alles andere ist doch egal«
Ich nicke. »Wahrscheinlich hast du recht. Namen kann ich mir eh oft nicht merken. Nur von besonderen Menschen«
Er reicht mir seine Hand und ich ziehe mich daran hoch. Wir setzen uns zusammen auf einen niedrigen Felsen. Ihm scheint es egal zu sehen, ob er gesehen wird. Er scheint sich ziemlich sicher zu sein. »Geht mir ähnlich meint er. Deshalb haben wir dich immer nur das Mädchen genannt«, stellt er fest.
»Was? Ihr habt über mich gesprochen?«, frage ich nach. »Wer ist überhaupt wir?«
»Naja. Das ist jetzt nicht ganz so wichtig. Ich bin hier. Ich bin gekommen, um mich bei dir zu bedanken«
Nun hat er mich völlig verwirrt. »Wofür willst du dich bei mir bedanken?«
»Also, ohne dich hätte dich das hier alles nicht funktioniert. Du hast das alles möglich gemacht«
Ich stehe auf und schaue ihn an. »Wer bist du? Bist du einer von denen?«
Er nickt. »Also je nachdem, wen du mit denen meinst. Aber ja. Wir wollen euch hier unten helfen. Hier könnt ihr auf Dauer ja nicht leben«
»Was willst du von mir?«, frage ich und gehe einen Schritt zurück. »Was?«
»Ich habe doch bereits gesagt, dass ich mich bedanken wollte. Im Namen meines ganzen Volkes«
Noch immer sitzt er unbewegt auf dem Felsen.
»Wofür?«, frage ich nach.
»Ohne dich hätten wir das alles niemals gefunden. Und niemals die perfekten Orte für das Dynamit gefunden?«
Ich mache einen weiteren Schritt zurück. »Das Dynamit, welches hier verteilt und bald explodieren wird?«
»Was?«, rufe ich.
»Oh«, stellt er fest. »Das hätte ich vielleicht nicht erwähnen sollen«
Langsam gehe ich einen Schritt weiter nach vorne. »Was ist mit Daniel? Welche Rolle spielt er?«, presse ich heraus und gehe noch einen Schritt weiter auf ihn zu. Es wird wärmer, doch es mir egal.
»Daniel? Wer ist Daniel«, fragt er nach.
Ich gehe noch einen Schritt weiter. Plötzlich halte ich einen schweren Stein in der Hand.
»Mein Begleiter! Der Verräter!«, zische ich.
»Ach der«, meint er ziemlich ruhig. Viel zu ruhig. »Keine Ahnung. Der war die ganze Zeit völlig unbedeutend. Der hat den Boss nicht einmal interessiert. Er war einfach da. Aber auch er wird bald vernichtet sein, so wie alles hier unten. Dann kann endlich Frieden herrschen«
»Ruhe!«, brülle ich und schmettere den Stein gegen sein Gesicht. Blut spritzt; ein dumpfer Knall und er liegt hinter dem Felsen, auf dem er lag. Warum bewegt er sich nicht? Warum hat er keine Angst?
Ich packe seine Beine und zerre ihn durch die Tunnel. Er hinterlässt rote Streifspuren auf dem Boden, doch das ist mir egal. Alles ist egal.
Irgendwann stehe ich wieder vor dem Gitter. Ich lasse seine Beine auf den Boden fallen und schiebe die Leiche direkt vor das Gitter und schreie Daniels Namen. Er hat es geschafft mich auch zu einem Mörder zu machen. Er hat mich kaputt gemacht. Nun werde ich ihn zerstören!