Mein Magen knurrt. Bisher haben sie mir noch nichts zu Essen oder zu trinken gebracht. Ich habe die Hoffnung schon aufgegeben.
Plötzlich höre ich ein merkwürdiges Geräusch. Schritte und ein Schleifen.
Vorsichtig drehe ich mich um, bleibe dabei jedoch sitzen. Durch das Gitter ist nichts zu sehen, doch ich starre weiter durchs Gitter. Da! Füße sind zu sehen. Diese Schuhe kenne ich. Ich kenne diese Füße. Wieso ist sie hier?
Ich sehe wie sie etwas großes direkt an das Gitter schiebt. Erst beim näheren hinsehen erkenne ich, dass es ein Mensch ist.
»Daniel«, schreit sie meinen Namen, ihre Stimme hallt von den Tunneln wieder. Das ist nicht Anna. Das kann sie nicht sein. Was haben sie mit ihr getan. Ich stehe auf und gehe einen Schritt zum Gitter. Direkt vor dem Gitter liegt ein Mann. An seinem ganzen Kopf ist Blut und ich sehe Schleifspuren des Blutes auf dem Boden. Soweit ich erkennen kann, scheint er von oben zu sein, doch es schwer zu sagen.
War das Anna? Das kann nicht sein!
»Warst du das?«, frage ich nach. Langsam beugt sie sich herunter und blickt durch das niedrige Gitter. Merkwürdig grinsend starrt sie mich an. Ihr Gesichtszüge haben sich völlig verändert, sehen nun bedrohlicher aus.
»Ja«, grinst sie ein Clown. »Das war ich«
Sie scheint es sichtlich zu genießen. »Ich bin ein Mörder«, stellt sie fest. »Es fühlt sich besser an, als gedacht«
»Nein!«, antworte ich. »Es ist schrecklich. Es begleitet dich dein ganzes Leben. Du wirst es nie wieder los«. Ist sie nun völlig verrückt geworden?
Langsam setzt sie sich auf den Boden neben die Leiche. »Vielleicht will ich es auch nicht mehr loswerden. Du hast mich mich zum Mörder gemacht. Du! Nun bin ein Mörder. Vieles hat sich in mir verändert. Du hast mich zerstört. Und weißt du was der Vorteil ist? Es ist mir alles egal geworden. Ein Leben bedeutet so wenig. Ich habe die Macht über das Leben anderer Leute. Zum Beispiel ihn hier. Kennst du ihn?«, will sie von mir wissen.
»Was ist mit dir los? Was haben sie mir dir gemacht?«, frage ich sie. Das ist nicht Anna. Sie macht mir Angst. Sie ist jemand fremdes. Wenn ich nicht hinter den Gittern sitzen würde, könnte man denken sie sei ein eingesperrtes Raubtier. Wie sie dort über ihrer Beute sitzt, durch die Gitter schaut. Dieser Blick, der sagt, dass sie die Macht über alles hat, trotz dieser Gitter.
»Ruhe!«, schreit sie mich an. »Das warst du. Falls du es noch nicht gemerkt hast. Ich weiß alles«
Ich schüttel den Kopf. Was will sie wissen? Sie kennt mein Geheimnis. Ich selbst habe es ihr verraten. Wovon spricht sie?
»Wovon redest du?«, frage ich sie.
Ihre Blicke wandern über mich hinüber. Sie hebt einen Arm des Toten und deutet mit diesem auf mich. Plötzlich beginnt sie zu gackern.
»Er hat mir alles verraten. Ihr habt mich die ganze Zeit ausgenutzt«
»Nein!«, verteidige ich mich. »Ich wollte dir und deinem Volk immer helfen. Ich will ihnen noch immer helfen. Was erzählst du da? Das macht doch alles keinen Sinn. Nein«
»Nein!«, schreit sie durch das Gitter und steht auf. »Was hat es mit dem Dynamit auf sich?«, fragt sie laut.
»Dynamit? Was?«. Was meint sie damit? Ich stehe auf auf und laufe im Kreis.
Ich sehe, wie sie sich kurz herunterbeugt. »Das Dynamit, welches bald hier alles in die Luft jagen wird. Ist das euer Ziel?«
»Ich weiß davon nichts«, versuche ich ihr zu erklären. Doch ihr Gesicht ist schon wieder verschwunden. Dynamit. Haben sie uns tatsächlich verfolgt und wollen hier alles in die Luft jagen? Wieso?
»Du hast richtig gehört. Ich weiß alles«, grinst sie durch das Gitter. »Aber du, du wirst auch bei drauf gehen. Du wirst auch hier hier unten verrecken. Zusammen mit den ganzen anderen Menschen«, stellt sie gehässig fest. »Ich bin schon gestorben. Ich weiß, wie es sich anfühlt. Ich will nur sehen, wie du von der Explosion zerrissen wirst. Ich werde auch sterben, doch das zu sehen, dass ist es wert. Dein Gesicht zu sehen. Vor Schmerzen zerrissen, wie sich deine Fetzten überall zerreißen. Diese innere Zerrissenheit nicht nur fühlen, sondern auch zu erleben. Das ist es, was mich noch antreibt. Sonst wäre ich schon längst nicht mehr hier«
»Warum?«, frage ich leise nach. »Was habe ich dir getan?«
»Was? Du? Mir? Du fragst noch?«, sie beginnt laut zu lachen.
Sie setzt sich wieder auf den Boden. »Weißt du zufällig, wie lange es noch dauert?«, fragt sie mich, plötzlich erstaunlich ruhig und spielt mit dem Arm des Toten herum.
»Was?«
»Na bis es explodiert. Was sonst? Ich bekomme langsam Hunger«
»Ich auch«, stelle ich fest.
Vorsichtig deutet sie auf die Leiche und ich schüttele sofort den Kopf. »Nein!«, brülle ich. »Es reicht. Du bist verrückt geworden. Du bist ein Monster!«
»Denkst du ehrlich, dass du kein Monster bist?«, fragt sie mich.
»Ich bin auch ein Monster«, gebe ich zu. »Aber ich bereue es«
»Ich nicht«, stellt sie fest. »Niemals«
Plötzlich höre ich Stimmen und Schritte. Warum kommen sie jetzt.
»Anna verschwinde«, zische ich ihr zu und blicke zu ihr. Doch Anna ist weg.
Ein Mann blickt durch das Gitter und auf die Leiche. Wieder auf die Leiche dann auf mich.
»Wer ist das?«, fragt er und ich zucke mit den Schultern.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, fragt er und ich zucke mit den Schultern.
»Wieso liegt er hier?«, fragt er und ich zucke mit den Schultern.
»Ich weiß es nicht«, antwortete ich und stehe auf.
»Setzt dich wieder hin«, brüllt er mich an.
»Niemals«, entgegne ich und bleibe ich stehen.
»Du setzt dich jetzt hin!«, brüllt er mich an.
»Warum?«, frage ich nach und starre nach unten. Er muss auf dem Boden liegen, um mein Gesicht sehen zu können. Irgendwie lustig. »Ich wollte helfen und bin eingesperrt. Jetzt ist eh alles egal. Jetzt ist es zu spät. Nicht mehr lange und alles hier unten ist nur noch Schutt und Asche. Nicht mehr lange«
»Was willst du damit sagen?« Ich sehe die Angst in seinen Augen und beginne zu grinsen.
»Angst. So ein merkwürdiges Gefühl. Man hat Angst zu sterben. Doch man kann auch Angst haben zu leben. Man hat nur Angst, wenn man noch was zu verlieren hat. Ich habe bereits alles verloren. Sogar meine Angst. Wovor sollte ich auch Angst haben.
Plötzlich wird der Mann weggestoßen und Annas Gesicht erscheint an seiner Stelle.
»Es ist so weit«, flüstert sie.
Ein lauter Knall. Von allen Seiten gleichzeitig. Die Erde beginnt zu beben und kurz darauf stürzt alles ein. Felsbrocken fallen von der Decke. Ich spüre den Schmerz, da ist er auch schon wieder verschwunden. Frieden macht sich bereit. Alles wird unwichtig. Stein verschwindet, Freiheit macht sich breit. Freiheit und Ruhe. Alles andere ist völlig bedeutungslos geworden. Es macht doch alles keinen Sinn. Warum macht man sich so oft unnötige Sorgen? Es kann doch alles so leicht sein.