»Du bist wach. Endlich«, begrüßt mich meine Schwester.
Irgendwas ist merkwürdig. Der Boden fühlt sich so weich an. Als ich meine Augen ein kleines bisschen öffne, werde ich von grellem Licht geblendet. So bunt. Auch der Geruch ist anders. Es riecht lebhaft. Nicht mehr nach tot. Ich höre merkwürdige Geräusche.
»Wo bin ich? Sollte ich nicht tot sein?«, frage ich Anna und setzte mich auf.
Sie sieht so anders aus. In dem anderen Licht leuchtet sie. So schön.
»Tatsächlich«, sie beginnt zu grinsen. »Du hast dich von den Soldaten erwischen lassen. Und bist nicht einmal frei gekommen. Ich hätte mehr von dir erwartet. Dich einfach so umbringen zu lassen. Ich hab es schließlich auch geschafft«
Sie kann das nicht wissen. Und was macht sie hier? »Woher weißt du davon?«
Ihr grinsen wird immer größer, frecher. »Ich habe so meine Quellen. Aber das du dort erwischt wurdest...«, sie schüttelt ihren Kopf, »das hätte ich wirklich nicht gedacht«
»Das ist jetzt nicht dein ernst oder?« Warum ist sie jetzt so merkwürdig?
»Mein Bein. Versuch du einmal mit einem verletzten Bein den Wachen zu entkommen und dann auch noch das Wasser«
Sie beginnt zu lachen. »Mit dem Wasser hast du einfach einen schlechten Tag der Magie erwischt. Aber das auf dein Bein zu schieben? Da ist doch nichts!«
Sie zieht an meinem Bein. Tatsächlich. Keine Schmerzen.
»Das kann nicht sein«
Sie schaut mich an und hält mir ihre Hand hin. Ich ziehe mich daran hoch.
»Lass und ein bisschen in diese Richtung gehen«, schlägt sie vor und deutet in die Ferne, dort ist eine graue Erhebung. Erinnert mich ein bisschen an die Höhlen. »Ich glaube wir haben nun einiges zu besprechen«
Langsam laufen wir nebeneinander her. Über die scheinbar endlos wirkende Grüne Fläche. Bei jedem Schritt sinkt der Boden ein Stück ein. Diese Farbenvielfalt unglaublich.
»Kann es sein, dass wir oben sind?«, frage ich vorsichtig nach.
Anna antwortet nicht direkt, sondern schaut mich an. Sie hat sie verändert. Wie damals. Sie scheint fast wieder wie früher zu sein. Schwebt nun leichter über diese Ebene. Was ist mir ihr passiert?
»Stimmt. Wir sind oben. Sogar beide. Da hatten deine Ratten wohl unrecht. Habe ich nicht gesagt, dass das die eine Ratte die andere rettet?«
»Das hast du tatsächlich. Woher wusstest du das?«
Statt zu antworten bleibt sie stehen. »Hier ist eine tolle Stelle. Setzten wir uns hier hin? Ist vielleicht besser, als ziellos durch die Gegend zu laufen«
Ich bleibe auch stehen. »Warum sind wir dann überhaupt los gelaufen?«
»Keine Ahnung«
Wir setzten uns auf den weichen Boden. Hier ist es auch gar nicht so kalt. Richtig schön warm und hell. Das da oben ist wohl die Sonne. Würde zumindest zu den Beschreibungen passen.
Einige Zeit sitzen wir dort und schauen es die bunte Umgebung an. Sie ist so neu. So schön. Und irgendwie doch vertraut. Obwohl sie so anders ist, als alles was ich kenne. So viel bunter, als ich es mir immer vorgestellt habe. Wenn die Menschen hier nicht so böse sein sollten, könnte man hier tatsächlich leben.
»Willst du anfangen darüber zu erzählen, was du erlebt hast?«, fragt mich Anna nach einiger Zeit.
»Von mir aus. Ich drehe mich etwas und schaue ihr in die Augen. Ich habe ihr bisher noch nie so intensiv in die Augen geschaut.
»Also wir waren ja in diesen Tunneln. Plötzlich war dort dieses Wasser«, fange ich an. »Wie du weißt, mag ich Wasser nicht so. Ich hasse Wasser. Ich weiß gar nicht mehr warum«
Anna hebt die Hand. »Darf ich dich kurz unterbrechen?«
Ich zucke mit dem Schultern und nicke. Tust du doch schon. Was gibt’s?«
»Ich weiß warum du Angst vor Wasser hast«, meinte sie und scheint auf einmal kleiner zu werden. »Ich dachte immer, dass ich daran Schuld war. Du erinnerst dich sicher daran, als wir immer am See waren oder?« Ich nicke und sie erzählt weiter. »Ich habe dir irgendwann gesagt, dass du unter Wasser atmen kannst, wenn du daran glaubst...«
Ich fange an zu lachen. »Und das habe ich geglaubt?«
»Du erinnerst dich wirklich nicht daran oder?«, stellt Anna fest und ich schüttel den Kopf.
»Du hast es geglaubt. Bist ins Wasser gelaufen. Tief ins Wasser. Doch die Magie hatte einen schlechten Tag...«, sie stockt.
»Aber ich habe es überlebt«, stelle ich fest.
»Ganz knapp. Ich fühlte mich schuldig. Schließlich habe ich es dir gesagt. Du wärst fast gestorben« Ich sehe wie sich eine Träne ihre Wange herunter läuft und wische sie weg. Plötzlich liegt sie in meinen Armen und ich umarme sie. Es fühlt sich ungewohnt an, aber schön.
»Doch ich lebe noch. Ich habe es überlebt. Und das zählt doch oder nicht?«
Ich höre sie in meine Kleidung schniefen. Die Tränen durchtränken meine Kleidung, doch das ist egal.
»Genau das hat diese Frau auch gesagt«
Ich will schon fragen, welche Frau, doch sie bittet mich weiter zu erzählen.
»Ich war dort in diesem Wasser. Mein Bein war verletzt. Ich wollte dich damals wirklich alleine lassen, dort hochklettern. Doch oben ging es gar nicht weiter. Zum Glück«
Auch meine Tränen durchtränken nun ihre Kleidung.
»Jedenfalls habe ich plötzlich Berührungen gespürt. Ich wurde weggetragen. Auf einmal fand ich mich in einem Gefängnis wieder. Zum Glück haben sie mein Bein behandelt. Ich habe mit dem obersten Soldaten gesprochen, doch es war nichts zu machen. Er wollte mich umbringen lassen. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich war mir sicher, dass du in Sicherheit warst. Schließlich wurden nie beide Ratten erwischt. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht sterben werde – obwohl ich es wusste. Ich habe sogar eine Wette mit ihm abgeschlossen. Wenn eine Ratte auf seinem Tisch liegen würde, nachdem ich umgebracht werden sollte, würde er mit einen Wunsch erfüllen. Und nun lebe ich noch. Obwohl ich das Medikament genommen habe. Obwohl ich hätte tot sein sollten. Und plötzlich wache ich hier oben wieder auf. Was ist passiert?«
Ich spüre ihren Atem, ihre Nähe. Erst nach einziger Zeit antwortet sie mir.
»Da sollte ich ganz vorne anfangen«
»Dann fang an. Ich bin gespannt auf deine Geschichte«, erkläre ich ihr.
»Also als wir dort durch den Tunnel gingen, da warst du plötzlich weg. Ich stand vor dem Wasser, doch du warst weg. Ich ging zurück, doch da warst du auch nicht. Plötzlich stand ich im Wasser. Erinnerungen kamen hoch. Das du dich wegen mir ähnlich gefühlt hast« Sie macht eine Pause und umarmt mich kräftiger.
»Ich bin aber freiwillig ins Wasser gegangen«
Sie beginnt zu schluchzen. »Ich weiß nicht was es wollte. Es fühlte sich einfach richtig an dort zu stehen. Ich kann es nicht erklären. Es fühlte sich nach Erlösung an«
Noch immer umarmen wir uns. Leise frage ich sie: »Was ist dann passiert? Du warst also so dicht neben mir. Wurdest du auch erwischt?«
Sie schüttelt den Kopf. »Nein. Ich bin gestorben. In dem Wasser. So wie du es fast auch getan hast. Plötzlich habe ich mich auf einer magischen weißen Ebene wiedergefunden. Es war unglaublich. Ich bin der Musik gefolgt, bis ich eine Frau getroffen habe. Wir haben uns einige Zeit unterhalten und ich habe ihr viele Fragen gestellt – und doch so vieles nicht verstanden habe. Sie hat mir einiges über Magie erklärt«
»Wer war das? Warst du im Himmel?«
»Das habe ich auch nicht ganz verstanden. Sie meinte so etwas wie, dass sie die Autorin meiner Geschichte sei. Weil ich daran glauben würde. An sie«
»Aber du kennst sie doch gar nicht«
»Doch sie kennt mich. Sie kennt meine Vergangenheit und meine Zukunft, meint aber mich nicht beeinflussen zu können. Sie hat mir sogar von dir und der Ratte erzählt«
»Merkwürdig«, stelle ich fest.
»Magie. Magie kann deine Welt beeinflussen, wenn man dran glaubt. Schließlich lagst du dort. Warst auch tot. Sie meinte, dass meine Geschichte noch nicht enden könnte und hat uns wiederbelebt. Deshalb sind wir jetzt hier«
»Klingt echt seltsam. Ich verstehe es nicht«
»Du musst es nicht verstehen«, erklärt sie mir. »Du musst nur die Magie spüren«
»Du hast wirklich dein Leuchten wirklich wieder zurück«, stelle ich fest.
Noch lange umarmen wir uns.
»Aber wir haben hier eine Aufgabe«, sage ich und löse mich vorsichtig aus der Umarmung. »Es soll doch alles hier einen Sinn haben«
»Und was willst du machen?«, fragt Anna mich.
»Wir sollten uns zuerst einen Überblick verschaffen. Wir bekommen es schon irgendwie hin. Schließlich haben wir es auch bis hier hin geschafft«
Ich helfe ihr aufzustehen und wir gehen weiter, in die gleiche Richtung. Ich stelle fest, dass ich noch ihre Hand festhalte. Hand in Hand laufen wir weiter. Ich fühle mich so leicht und glücklich wie noch nie zuvor.