Ich setzte mich auf. Warum liege ich im Bett meines Vaters? Es ist dunkel und still, trotzdem weiß ich sofort, wo ich bin.
Ich spüre wie er neben mir liegt. Kalt und bewegungslos. Ganz schwach erinnere ich mich daran, was passiert ist. Plötzlich war ich wieder im Himmel. Ihr seid eh schon zu viele. Aber wir sind doch gar nicht so viele!
Doch was würde passieren, wenn niemand sterben würde? Ich erinnere mich daran, wie wir beim ersten Treffen im Himmel darüber gesprochen, dass einige einfach irgendwann verschwinden. Nichts ist für ewig.
Und trotzdem ändert das nichts am Schmerz. So viele sind gestorben, fast niemand hat das bisher überlebt. Außer ich. Und Daniel.
Ich stehe langsam vom Bett aus und betrachte seinen leblosen Körper. Fast könnte man denken, dass er schläft, doch ich weiß es besser. Er ist nun oben, bei Max und Mama. Sie sind wieder vereint. Alle zusammen oben. Gemeinsam schauen auf mich herunter. Ich darf sie nicht enttäuschen. Nicht so kurz vor dem Ziel. Nicht jetzt.
Ich verlasse den Raum und gehe in die Küche. Wo ist Daniel hin? Er kann doch nicht einfach weg sein!
Ich schaue in Räume, doch er ist nirgendwo zu finden. Wo ist er? Er kennt sich hier nicht aus, vielleicht ist er raus gegangen und hat sich verlaufen.
Ich stürme durch die Tür und höre ein merkwürdiges Geräusch, dann ein schnaufen. Sofort renne ich um das Haus herum und sehen Daniel im Boden verschwinden, neben ihm hohe Erdhaufen.
»Ich habe eine Frage«, begrüßt er mich.
Ich blicke ihn an. Verschwitzt und voller Erde steht er in dem Loch und gräbt. Ich antworte ihm: »Ich habe sogar zwei Fragen. Was machst du hier?«
Er hievt sich aus seinem Loch und kommt mir entgegen. »Ich grabe ein Grab«, er schweigt kurz und ich schaue ihn an.
Doch er zuckt nur mit dem Schulter. »Sorry, dass musste jetzt sein«
Nun bin ich völlig verwirrt. »Was musste jetzt sein?«, frage ich ihn.
»Wie? Also das mit dem graben«, antwortet er.
»Was? Warum?«
Er springt in das Loch und wirft kurz darauf seinen Spaten heraus. Er zieht sich aus dem Loch heraus. »Was? Ich meine das mit dem Grab und dem graben. Grab graben. Das musste sein«
Ich gehe näher an sein Loch heran. »Grab?«, frage ich nach. »Wofür?«
Jetzt schaut er mich verwirrt an. »Was macht ihr sonst mit den Toten?«
»Wie?«, ich schaue in das Loch. Es ist ziemlich tief. »Da könnte man sich ja fast schon reinlegen«, stelle ich fest. »Die Toten sorgen dafür, dass auf den Feldern mehr wächst«
»Dafür ist es doch gemacht«, stellt er fest.
»Das ist doch sinnlos«, erkläre ich ihm.
Er schüttelt den Kopf. »Nein. Dort werden die Toten reingelegt. Ein Grab halt. Man vergräbt sie und ehrt sie so...An manchen Punkten sind unsere Völker so ähnlich und dann so große Unterschiede«
»Warum dann so tief?«, frage ich nach. »Die Toten werden unter die Erde der Felder gemischt. Dann wachsen die Pflanzen schneller. Aber so tief ist doch bloß Verschwendung. Und viel zu aufwändig. Was übrig bliebt, zieht die Ratten an. Und dann gibt es leckeres Essen. Doch da unten kommt doch keine Ratte hin«
»Ihr seit wirklich manchmal merkwürdig«, stellt er fest.
»Wir? Merkwürdig? Sagt der Richtige«
»Dort legen wir jetzt deinen Vater rein«, kündigt er an. »Ich dachte du freust dich, wenn du so eine Erinnerung an ihn hast. Max mussten wir ja schon irgendwo liegen lassen«, meint er leise und mit einem verletzten Unterton. Habe ich jetzt was falsches gesagt?
Still marschiert er in Haus und kommt kurz darauf mit meinem Vater über den Schultern wieder. Wenn es ihn glücklich macht...er lebt im Himmel weiter, deshalb ist es egal.
Ich nicke und er legt in vorsichtig auf dem Grund des Loches oder Grabes, wie er sagen würde.
Langsam steht er auf und klettert wieder hinaus. Da liegt er. Mein Vater. Ich sehe ihn nun zum letzten Mal. Daniel drückt mir eine Schaufel mit Erde in die Hand. »Wir haben leider jetzt leider keinen Sarg und Blumen. Muss also so gehen«. Als er sieht, dass ich nicht weiß, was ich mit der Schaufel anfangen soll. »Wirf einfach die Erde herunter in das Grab«, erklärt er mir.
Ich werfe die Erde auf den Grund des Loches und kurz darauf wirft auch Daniel Erde herunter.
Während Daniel ihn weiter mit Erde bedeckt, fragt er mich: »Wie macht ihr das eigentlich? Gibt es bei euch Geld? Ich habe das nie richtig verstanden«
»Was?«, frage ich nach und antworte ihm dann: »Ähm, Geld? Wir haben das nicht«
»Tauscht ihr dann einfach oder wie macht ihr das?«, er wirft weitere Erde in das Loch.
»Nein«, erkläre ich ihm. »Jeder arbeitet und bekommt seinen Anteil. Die meisten arbeiten eh bei den Feldern und bekommen dort ihren Anteil. Jeder bekommt seinen Teil«
»Wie kann das funktionieren? Wer kontrolliert das alles?«
»Warum ist das wichtig? Es funktioniert einfach. War halt schon immer so. Anders kann man nicht überleben«
»Bei uns ist das anderes«, stellt er schnaufend fest. Nun ist er völlig mit Erde bedeckt. »Das würde so niemals funktionieren. Schon mit Geld gibt es ewig Streit wer was bekommt und vor allem wie viel Geld...In machen Dingen seid ihr uns wirklich überlegen«
Ich schüttel eden Kopf. »Geld...was bringt einem Geld. Was soll man mit Geld? Ich meine ich frage mich wie ihr uns besiegen konntet damals. Hier ist nicht alles perfekt, aber bei euch ist so vieles einfach sinnlos und verschwenderisch...wieso?«
Er zuckt mit dem Achseln. Das Loch wird immer kleiner und ist schon fast wieder verschwunden.
»Ich meine alleine dieses Grab. So viel Arbeit wegen nichts. Auf dem Feld würde es wenigstens noch was bringen«
»Der Glaube ist wichtig. Die Menschen glauben an etwas. Und es wurde schon immer so gemacht. Man kann doch die Toten nicht einfach auf das Feld kippen«
»Doch! Ich habe ein bisschen von eurer Welt gesehen. Was ich gesehen habe, sah nicht sonderlich gläubig aus. Eher im Gegenteil. Es scheint alles keinen Sinn zu machen. Und bei uns funktioniert es doch auch alles. Bei uns ist es völlig normal. Niemanden interessiert es«
»Hm...glauben tun wirklich nicht viele, meint er und stützt sich auf dem Spaten ab. Das macht wirklich keinen Sinn, da hast du recht. Aber die Leute lassen sich nicht davon überzeugen, dass es sinnlos ist. Nein, sie machen es einfach weiter. Egal was einer sagen würde«
»Ihr seid wirklich merkwürdig manchmal. Wie schafft es euer Volk so die ganze Zeit zu überleben? Das geht doch gar nicht!«
Doch Daniel gibt keine Antwort sondern schaufelt die letzte Erde in das Loch.
Ich starre auf den unebenen Boden. Da unten liegt er nun. Eine merkwürdige Vorstellung. Fast als sei es für die Ewigkeit gemacht. Doch nichts ist für die Ewigkeit gemacht. Das habe ich in letzter Zeit viel zu oft feststellen müssen.
»Kann mir jemand helfen?«, unterbricht eine schwache Stimme meine Gedanken und wir drehen uns beide gleichzeitig zu der Stimme um.