»Wie lange sind wir eigentlich wohl noch unterwegs«, fragt Daniel.
Ich zucke mit den Schultern. »Magische Wege. Manchmal ist mal schneller da, manchmal länger unterwegs«
»Ich meine nur, wegen der Monstermade. Und ob es sich lohnt noch eine Pause einzulegen. Langsam werde ich müde«
»Ich würden sagen, wir laufen noch ein bisschen. Ich habe das Gefühl, dass wir bald ankommen sollten. Je eher, desto besser«
»Natürlich«, stimmt Daniel mir zu. Immer weiter folgen wir dem Tunnel, doch nichts scheint sich zu verändern, als würden wir im Kreis laufen. Doch das kann in in diesen Tunneln sehr leicht trügen.
»Du hast wirklich mit einem Gott gesprochen?«, fragt Daniel ungläubig fest. »Ich meine, wie ist das den passiert. Und der ist auch noch Autor? Wie verrückt ist das?«
Ich schüttel den Kopf. »Nein. Du hast nicht richtig zugehört. Ich habe mit der Göttin gesprochen«, berichtige ich ihn, doch er unterbricht mich.
»Es gibt eine Göttin? Und sagt man überhaupt Göttin? Ich meine das klingt irgendwie merkwürdig? Das klingt eher, als ob es die Frau von Gott wäre. Ist es die Frau von Gott?«
»Was ist das so wichtig? Es hängt davon ab, woran du glaubst« - »Du glaubst also an eine Göttin«
»Nein!«, rufe ich. »Hör mir doch mal zu!«
»Aber ich höre dir doch schon die ganze Zeit zu. Was ist den nun? Ist die Göttin Autorin oder wie?«
Ich stöhne. »Nein. Das habe ich niemals gesagt«
Er schüttelt den Kopf. »Was hast du denn gesagt?«
»Ich habe gesagt, dass diese Göttin so etwas wie die Autorin meiner Geschichte sei. Und das ist doch jetzt völlig egal. Hör doch mal besser zu«, meckere ich ihn an.
»Das ist wichtig. Und was heißt ›sowas‹? Ist sie nun Autorin oder nicht?«
»Warum ist das wichtig? Und woher soll ich das alles wissen?«, stöhne ich.
»Weil du mit ihr geredet hast vielleicht?«
»Aber doch nicht darüber! Ich hatte vielleicht auch etwas besseres zu tun. Wenn du in einer solchen Situation bist und das alles gerade begreifen kannst...würdest du dann solche Fragen stellen?«
Er fängt an zu lachen. »Das ist doch was völlig anderes. Ich weiß gar nicht, warum du so empfindlich bist. Als wir uns das erste mal begegnet sind, da warst du noch viel netter und hattest auch noch Humor. Wo ist dein Humor geblieben?«
»Liegt vielleicht daran, dass in der Zwischenzeit Max und Emma gestorben sind. Meine Mutter gestorben ist. Mein Vater alleine ist, ich ihn alleine gelassen habe, um Max zu retten. Wie soll ich ihm das erklären? Außerdem bin ich hier immer noch unterwegs. Mit dir, einem Feind meines Volkes. Mein gesamtes Volk droht zu sterben, ich bin dabei alle zu verlieren. Und du willst, dass ich noch Humor habe? Soll ich Witze darüber reißen, wie Max gestorben ist?«, ich wende mich ab, damit er meine Tränen nicht sieht. »Für dich war es vielleicht nicht so schwer Emma zu verlieren. Auch Max nicht. Eher im Gegenteil. Sie waren für dich doch nur eine unnötiger Ballast. Du hast es selbst gesagt: Emma konntest du niemals lieben. Und Max war für dich auch nervig. Aber ich kann dir etwas sagen: Ich kann ihn immer besser verstehen« Ich mache eine kurze Pause und spreche dann leise weiter: »Würdest du dich freuen, wenn ich sterben würde?«
Ich schaue ihn nicht an, sondern wende meinen Blick weiterhin ab und starre an die Wand. Ich höre seine Schritte noch immer neben mir, doch er antwortet mir nicht.
Nervöses Schweigen liegt in der Luft. Doch wir bleiben nicht stehen, sondern laufen weiter.
Er braucht mich, selbst zurück nach oben würde er alleine nicht mehr kommen. Und ich brauche ihn. Er hat das Medikament. Er weiß, wie man es Einsetzten muss.
»Wie konnte ich dich mal so toll finden?«, durchbreche ich das Schweigen, schaue ihn aber noch immer nicht an.
Schweigen. Nach einiger Zeit murmelt er so leise, dass ich gerade so verstehen kann: »Das frage ich mich auch manchmal. Du hast recht. Ich habe das alles verdient. Ich habe noch so viel mehr verdient. Ich habe schlimmeres verdient, als zu sterben«
Die Art, wie er diese Worte ausspricht, lassen mich zusammenzucken. Ich spüre den stechenden Schmerz in meiner Brust.
»Nein hast du nicht«, erkläre ich ihn und drehe mich zu ihm um. Wie er dort läuft. Ohne Energie. Wie ein Zombie. Ich gehe einen Schritt auf ihn zu und er bleibt stehen, den Blick auf meine Füße gerichtet.
»Tu es. Was auch immer du tun willst. Schlag mich! Tritt mich! Brüll mich an! Mir egal. Mach was du willst. Ich werde mich nicht wehren und dir keinen Vorwurf machen«, erklärt mir völlig emotionslos und ruhig. Viel zu ruhig.
Ich gehe einen weiteren Schritt auf ihn zu und umarme ihn. Er rührt sich nicht, sondern hängt in meinen Armen. »Was wird das?«, fragt er nach.
»Sieht man es nicht?«, antworte ich.
Langsam richtet er sich auf und starrt mich an. Er schüttelt den Kopf. »Das ist falsch«
»Was ist falsch?«, frage ich ihn.
»Das was wir hier machen«, er löst sich und setzt sich auf den Boden.
So kaputt habe ich ihn bisher niemals erlebt.
»Was ist damals passiert?«, frage ich ihn. »Du hast davon erzählt, dass du Emma niemals lieben konntest. Doch warum? Was ist passiert?«
Still sitzt er an der Wand, ich sehe wie ihm die Tränen herunter laufen. »Es ist viel zu schrecklich. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, dass zu erzählen«
Ich setzte mich zu ihm. »Doch du kannst mir davon erzählen. Du kannst es nicht mehr nur für dich behalten«
»Ich weiß nicht, ob du mich danach jemals wieder ansehen kannst. Oder ob ich dir danach jemals wieder in die Augen sehen kann«
»So schlimm kann es gar nicht sein sein«, versichere ich ihm. »Ich verspreche, dass ich dich dafür nicht Verurteilen werde«
»Sicher?«, er sieht mir tief in die Augen.
Ich nicke. »Sicher. Ich verspreche es. Jetzt erzähl«
»Wenn du meinst...Ich kann es versuchen. Aber ich kann es nicht versprechen. Es ist viel zu schlimm. Ich weiß nicht, ob ich es kann«
Ich nicke. »Dann mal los«
Er beginnt zu sprechen und ich lausche gespannt seiner Geschichte.
»Es war damals. Ich hatte ein Mädchen kennen gelernt. Ein nettes Mädchen. Sie war richtig toll. Wir verstanden uns ziemlich gut. Zu gut. Wir trafen uns beinahe täglich. Ich war verliebt in sie und ich dachte auch, dass sie verliebt in mich sei. Ob sie es war? – Ich weiß es bis heute nicht. Ich habe es niemals erfahren. Aber sie war wirklich toll. Sie war wie ein Engel. Wie von einem anderen Stern. Leider unerreichbar. Einige Monate kannten wir uns schon, bis ich sie irgendwann mit einem anderen Typen sah. Die beiden schienen sich ziemlich gut zu verstehen. Als ich sie einige Tage später darauf ansprach, war es nur ein Freund mit dem sie ein paar Witze gemacht hat. Sie hat ihn wohl lange nicht gesehen. Aber sie versicherte mir, dass rein gar nichts passiert sei. Also glaubte ich ihr. Schließlich habe ich sie geliebt. Es tat weh, aber ich redete mir ein, dass doch gar nichts passiert sei. Ich habe ja auch gar nichts wirklich gesehen. Ihre Geschichte hätte stimmen können. Ich weiß es nicht und werde es niemals erfahren. Doch einige Wochen später traf ich sie mit einem anderen Mädchen im Bett an. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich weiß, was ich gesehen habe.
Ich sah die beiden. In dem Augenblick...ich habe etwas schreckliches getan. Die ganzen Emotionen vom ersten Mal kamen hoch. Ich erinnere mich noch, wie sie sich versucht hat zu entschuldigen. Sie sie gefleht hat. Das andere Mädchen auch. Sie konnten doch nichts dafür. Plötzlich hatte ich ein Messer in der Hand. Ich erinnere mich an ihre Tränen. Wie sie gezittert haben. Und dann ihre Schreie, bis sie irgendwann verstummten. Beide. Und ich stand dazwischen. Voll mit Blut. Beobachtete wie die Körper immer lebloser wurden und schließlich wie Puppen herum lagen. Ich bin von der Polizei geflohen. Doch ich konnte niemals vor mir selbst fliehen. Ich bin gefangen. Immer. Jede Nacht holen mich die Träume ein. Ich habe mir geschworen nie wieder jemanden zu lieben. Nie wieder jemanden jemanden zu verletzten. Doch dann lernte ich plötzlich Emma kennen. Bevor ich es begreifen konnte, war sie verliebt. Sie hat mich geliebt. Mich! Ich hätte sie nicht enttäuschen können. Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich sie niemals lieben kann und habe so getan, als würde ich sie lieben. Plötzlich tauchte Max auf. Er gestand mir seine Liebe. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an damals. Die Bilder drangen in meinen Kopf. Ich konnte es nicht. Doch Max hat es falsch verstanden. Er konnte es nicht verstehen. Ich konnte es selbst nicht verstehen. Ich hätte es ihm niemals erzählen können. Ich hätte ihn nicht verletzten können«
Ich nehme ihn wieder einmal in den Arm. »Es ist nicht deine Schuld. Du hast es in der Vergangenheit getan. Jeder macht manchmal Fehler. Manche lassen sich nicht mehr wieder gut machen. Trotzdem sollte man es versuchen. Man muss aus den Fehlern lernen. Doch niemand, nicht einmal du selbst, kann dir deshalb ewig böse sein. Du kannst es nicht rückgängig machen. Doch du kannst weitere Fehler verhindern. Du kannst daraus lernen, daran wachsen. Doch du darfst dich dafür niemals niedermachen. Du bist vielleicht ewig schuld daran, doch niemals ewig dafür verantwortlich«
»Meinst du wirklich?«
»Ja das glaube ich. Kein Mensch ist nur gut oder böse. Manchmal muss auch sich selbst verzeihen können. Du kannst das nicht ewig mit dir herum schleppen«
»Ich habe besseres zu tun«, stimmt er mir bei. »Aber es ist sehr schwer. Ich weiß nicht, ob ich es kann. Doch jetzt bin ich zuerst einmal ziemlich müde«
Schon schläft er, mit dem Kopf auf meiner Schulter. Eine Zeit denke ich noch darüber nach, was er mir erzählt hat. Dass er Menschen ermordet hat. Doch irgendwann schlafe auch ich ein.