Schweigend laufen wir immer weiter und folgen dem Tunnel. Er wird uns schon an unser Ziel führen. Doch wieso konnte Max sterben? Wusste er es? Er hatte etwas von einem Traum erzählt. Hatte er es gewusst? Hatte er davon geträumt?
Er hatte es angekündigt, immer wieder hatte er es mit den Ratten gesagt. Eine Ratte wird sterben. Er hat es mir immer wieder erklärt und ich hatte es abgetan. Es schien unpassend. Ich habe ihn begleitet, weil ich ihn beschützen wollte...nun ist er zum zweiten Mal gestorben. Doch dieses Mal würde er nicht mehr wiederkommen. Ich kann es spüren. Nicht noch einmal.
Doch wenn immer nur eine Ratte gefangen wird...warum ist dann auch Emma gestorben? Oder meinte er damit nur uns beide?
Er will nicht, dass ich jetzt um ihn Trauer. Er will, dass ich zusammen mit Daniel weiter mache. Ich muss es zu Ende bringen. Das bin ich ihm nun schuldig. Was auch immer passieren wird. Ich werde es schaffen. Ich werde ihn stolz machen!
Wir marschieren weiter schweigend den Tunnel entlang. Der Hall unserer Schritte ist das einzige Geräusch. Trotzdem fühle ich mich nicht alleine. Das Leuchten der Wand scheint stärker geworden zu sein. Sie scheint mehr zu strahlen, als sonst.
»Ist es dir auch schon aufgefallen«, breche ich die Stille.
Daniel schaut mich an, doch ohne etwas zu sagen.
»Die Wände leuchten viel stärker als sonst. Ich habe sogar das Gefühl, dass sie strahlen«
Er schaut nach Links zur Wand. »Tatsächlich hätte ich es mir dunkler vorgestellt. Aber ich kann es natürlich nicht vergleichen«
Unserer Schritte hallen weiter durch die Tunnel. Nach einiger Zeit meine ich: »Es ist Max, der uns zu schaut. Er beobachtet uns«
Daniel bleibt stehen. »Das ist toll. Jedoch würde ich vorschlagen, dass wir mal kurz eine Pause einlegen sollten. Ich muss mal und etwas zu Essen wäre auch nicht schlecht.
Ich nicke und bleibe auch stehen. »Pause wäre wirklich gut«
Ich krame in dem Rucksack und finde ein bisschen zu Essen. »Unsere Vorräte werden aber nicht lange reichen«, stelle ich fest, doch Daniel ist schon hinter einer Biegung verschwunden.
Ich beiße in das Essen und starre auf die Wand. Das Leuchten wird schwächer, dann wieder heller. Es pulsiert ganz langsam und kaum wahrnehmbar. Fast wie eine Atmung.
»So fertig«, reißt mich Daniel aus meinen Gedanken.
Ich stehe auf und verschwinde auch hinter der Biegung.
Kurze Zeit später gehe ich wieder zurück zu Daniel. Ich setzte mich zu ihm an die Wand und wir beißen Still in unserer Essen. Ich betrachte wieder das pulsieren der Wand. So langsam und gleichmäßig. Ganz anders als mein Herz. Das schlägt schnell. Viel zu schnell und unregelmäßig.
Ich rücke ein Stück näher an Daniel heran. »Es ist wirklich besonders. Das du uns hier hilfst«
»Ich habe etwas gut zu machen«, stellt er fest.
»Was du aber gar nicht selbst verursacht hast. Was eigentlich schon längst vergessen ist«, erinnere ich ihn. »Nur weil er ein Verwandter vor dir war«
»Ich muss es trotzdem wieder gut machen«
Ich schaue ihm in seine Augen. »Und genau das mag ich an dir so. Du kämpft für das, was du als richtig empfindest«
»Ich kämpfe für das, wofür gekämpft werden muss. Aber nicht genug. Es reicht noch nicht. Ich bin noch lange nicht wie Max. Ich bin viel schlechter. Ich versuche zu sein, wie er. Doch ich schaffe es nicht. Ich kann es einfach nicht«
»Du musst es nicht. Keiner ist perfekt. Gerade Max war es nicht. Du musst nicht perfekt sein. Du bist durch deine Fehler perfekt. Dadurch, dass du nicht perfekt bist«
Verwirrt schaut er mich an. Das Pulsieren wird schneller. »Wie soll das funktionieren?«, fragt er mich.
Ich rücke noch einen Schritt zu ihm heran. »Du bist für mich perfekt. Weil du Fehler hast. Weil ich auch Fehler habe. Wenn du perfekt wärst, dann wärst du zu gut. Dann könnte ich keine Fehler mehr machen. Weil du auch keine machst. Dann wärst du nicht mehr perfekt, weil du dann perfekt bist. Viel zu glatt. Viel zu wenig Glanz. Viel zu wenig Magie«. Ich schaue ihm in die Augen. »Genau deshalb liebe ich dich. Weil du so bist, wie du bist«
Er springt auf. »Wie könnt ihr mich alle lieben? Wie konnte Max mich lieben? Wie kannst du mich lieben? Wie konnte Emma mich lieben?«
Ich spüre jeden Schlag meines Herzen. Schnell und unregelmäßig. »Weil du du bist«, versuche ich ihm zu erklären.
»Das hätte Max mir auch erklärt. Aber ich frage warum? Ich kann es nicht. Ich kann euch nicht lieben. Ich konnte Max nicht lieben. Ich konnte Emma nicht richtig lieben«
Ich starre ihn an. »Du warst mir ihr zusammen. Oder nicht? Sie war deine Freundin!«
Langsam geht er noch einen Schritt zurück. »Sie hat mich geliebt«. Tränen bilden sich auf seiner Wange und ich will aufstehen, doch ich kann mich nicht rühren. »Ich konnte sie nicht verletzten. Ich spürte wie glücklich sie ist. Wegen mir. Ich konnte sie nicht verletzen. Ich konnte es ihr niemals sagen. Doch es hat mich kaputt gemacht. Jeden Tag zu spüren, dass sie mich liebt. Jeden Tag mir dieser Schuld leben zu müssen, sie jeden Tag zu verraten, weil man sie niemals lieben kann. Jeden Tag das Leuchten in ihren Augen zu sehen und zu wissen, man man selbst niemals so ein Leuchten in den Augen haben wird. Diese Last anzunehmen. Nichts sagen zu können, um sie nicht zu verletzen. Alles zu tun, was sie will. Aber damit niemals glücklich zu sein. Wissen, dass man sie nicht ewig täuschen kann und doch alle Kraft darauf zu verwenden sie zu täuschen. Ihr Liebe vorzuspielen. Am Anfang ist so etwas leicht. Sie merkt es nicht. Zu verliebt. Blind, um die Wahrheit zu sehen. Doch es wird immer schwerer, diese Lüge am Leben zu halten, es kostet immer mehr Kraft. Es zerstört dich immer mehr. Plötzlich Max. Er erzählt einem, dass er einen liebt. Man hat aus den Fehlern gelernt. Will ihn nicht enttäuschen. Er hatte recht. Ich könnte keinen Mann lieben. Ich kann niemanden lieben. Ihn dann so verletzt zu sehen. Auf einmal sterben.beide. Und dann kommst du...und der Albtraum beginnt von vorne. Ich kann es nicht mehr. Ich kann es einfach nicht mehr. Ich bin zu kaputt dafür«
Ich spüre die Tränen auf meiner Wange. Wie konnte ich das alles nicht vorher sehen? Wieso ist es mir niemals aufgefallen? Ich hätte doch merken müssen, dass er sie nicht liebt.
Das Pulsieren des Lichts wird stärker. Ich zwinge mich aufzustehen, auch wenn meine Beine mich nicht tragen wollen. Daniel geht den Tunnel entlang ich ich versuche ihm zu folgen.
Das Licht der Wand flackert immer schneller, doch ich achte nicht darauf und gehe hinter Daniel her.
»Was macht ihr hier!«, bellt plötzlich eine Stimme von vorne. Soldaten. Einen unpassenderen Moment hätten sie sich nicht aussuchen können. Ich drehe mich um, doch dort stehen auch Soldaten. »Das ist nicht gut«, stellt Daniel fest.
»Ganz schön schlau, dieser Junge«, lacht eine Stimme. »Hätte man ihm gar nicht zugetraut«
»Was wollt ihr?«, frage ich sie, obwohl ich die Antwort bereits kenne.
»Das ist völlig egal«, lacht die Stimme wieder. »Ihr kommt einfach mit uns mit und den Rest werdet ihr sehen«
»Mach was sie sagen«, flüstere ich Daniel zu.
»Ganz schön viel Intelligenz hier«, stellt die Stimme fest.
Innerhalb von einer Sekunde werden wir gepackt. »Da lang«, brüllen sie uns an.
Das Licht der Wand blinkt nun so schnell, dass ich es fast nicht mehr wahrnehmen kann.
Warum muss immer alles schief laufen? Alles was schief laufen kann läuft schief. Max hätte nun gesagt, dass meine Geschichte sonst langweilig werden würde. Doch wer, außer Max, interessiert sich denn schon dafür?
e zwar auf oft gefährliche Dinge, aber es gibt immer einenGrund. Eigentlich war es mir egal, ich fragte es mich trotzdem.Fragen wollte ich nicht, deshalb wollte ich es erstmal vergessen.Bestimmt würde es sich bald aufklären.
Nachdem alleRucksäcke voll waren (wir mussten sehr viel drücken) wollten wiruns noch etwas ausruhen. Da kam Daniel zurück. " Ich habe allesgefunden." Er hielt einen Rucksack hoch. "Es ist schonspät, lasst uns gleich etwas schlafen."
"Was hastdu denn alles eingepackt?", wollte Anna wissen.
"Ich habe einfach ein paar Medikamente eingepackt, die gegen dieKrankheit helfen könnten. Was habt ihr denn alleseingepackt?"
"Essen, Trinken und ein paarKleinigkeiten", antwortete Emma. " Wisst ihr wo wirreinkommen?", wollte sie auch noch wissen.
Anna und ichverneinten, aber Daniel antwortete:" Es gibt eine Höhle in derNähe. Das ist wahrscheinlich ein Eingang. Wir sollten aberAusrüstung für eine Höhle mitnehmen."
"Das kann ichmorgen besorgen. Wenn wir daran vorbeigehen. Jetzt lasst unsschlafen.", meinte Emma.
Wir legten uns hin und schliefen biszum nächsten Morgen. Es war für mich eine traumlose, aber dennochunruhige Nacht.