Wir stehen vor einem großen Gebäude. »Da müssen wir rein«, erklärt Emma mir.
Ich blicke nach oben. Unzählige Fenster blicken mich an, alles voller Glas.
»Ich habe noch nie ein so großes Haus gesehen. Da gehen wir jetzt rein?«, staune ich.
Doch Emma winkt ab. »Es ist groß, aber nicht so groß. Es gibt Häuser, die reichen bis in die Wolken«
»Aber wie soll das funktionieren?«, frage ich nach und folge ihr zu dem Eingang.
Eine Glaswand dreht sich um die eigene Achse, die ganze Zeit. Wir gehen zwischen zwei Wänden hindurch. »Warum hat man nicht einfach eine Tür gebaut?«
»Ruhig«, zischt Emma zu mir. »Wir wollen nicht auffallen. Wenn du hier die ganze Zeit so am Staunen bist, wird es auf jeden Fall auffallen. Wir gehen einfach rein und tun, als hätten wir einen Job. Folgt mir einfach«, befiehlt Emma mir.
Ich nicke. »In Ordnung«
Wir gehen durch die große Halle und zielstrebig an den Menschen vorbei.
»Wir nehmen die Treppe«, schon öffnet Emma eine schwere Tür. »Wir müssen nach oben«
Sie läuft die Treppen hoch und ich folge ihr. Stufe nach Stufe. Immer wieder eine Tür, durch die wir gehen, ansonsten nur graue Stufen und eine graue Wand. Immer höher und höher.
»Wie weit ist es noch?«, keuche ich.
»Nicht mehr weit«, meint sie.
Unsere Tritte hallen weiter im Takt durch das Treppenhaus.
»Wir sind da«, kommt endlich die erlösende Stimme.
Ich stemme die Tür auf und wir treten in Gang. Weg vom grau, hin zum weiß.
Emma deutet auf einen leeren Raum. »Das ist unsere Gelegenheit«
Bevor ich fragen kann, wofür hat sie mich bereits mitgezogen. Bevor ich mich umsehen kann, reicht sie mir einen weißen Kittel und wirft sich selbst einen andern Kittel um. Ich ziehe mir den Kitte um und verlassen den Raum wieder.
Langsam gehen wir den Gang entlang, Emma schaut immer wieder auf die Schilder an den Türen.
»Es muss doch hier irgendwo sein«, murmelt sie.
»Was sucht ihr beiden hier?«, überrascht uns eine Stimme.
»Wir..wir sind neu hier«, stammele ich.
»Ja genau. Ich sollte ein Medikament holen. Doch ich konnte es nicht finden und habe meine Freundin gefragt, ob sie mir helfen kann, es zu suchen. Doch wir sind beide neu und kennen uns hier nicht aus«
»Zwei neue und ich bekomme davon nichts mit«, murmelt der Mann und schaut uns an. »Das ist mal wieder typisch für ihn. Seine Schüler ein Medikament holen lassen. Welches sollt ihr holen? Er meinte irgendwas mit Erde und Ernährung und das es tödlich sei«
»Und es soll wohl hier selten sein«, füge ich hinzu.
»Was meinst du damit?«, fragt er mich.
»Sie meint, dass es eine seltene Krankheit ist, aber wohl ziemlich ansteckend«
»Merkwürdig. Irgendwie merkwürdig«, murmelt er vor sich.
»Es scheint nur dringend zu sein«, stelle ich fest.
»Warum schickt er dann euch?«
»Ich weiß es nicht«, meint Emma.
»Kommt mal mit. Auch wenn das nicht das zu ihm passt. Aber vielleicht war es gerade ein Notfall«, er läuft den Gang entlang. »Ich weiß zwar nicht genau, welches Medikament er meint, aber wir sollten es probieren«
»Es schien wirklich ein Notfall gewesen zu sein«, stimmt Emma ihm zu. »Er schien etwas gestresst«
»Aber er ist nie gestresst«, stellt der Mann verwundert fest.
»Dann muss es was größeres gewesen sein«, vermute ich. Es macht mir immer mehr Spaß, je langer wir hier sind. Es ist ganz anders, als mit Max. Sie scheint genau zu wissen, was sie tut und ich weiß immer besser, was sie vorhat.
»Hier rein«, er tippt ein paar Zahlen in einen Schalter ein und die Tür öffnet sich. Der Raum ist voll mit Regalen und in den Regalen sind viele kleine Packungen. Der Mann steigt auf einen Hocker und holt einige Päckchen herunter.
»Welches davon braucht hier?«
»Können wir alle mitnehmen und ihn fragen? Bevor wir das falsche mitnehmen«, fragt Emma ihn und lässt die Medikamente bereits in ihrer Tasche verschwinden.
»Aber ihr müsst den Rest zurück bringen«, warnt er uns.
»Wir bringen alles was übrig bleibt zurück«, verspreche ich ihm und wir gehen zur Tür.
»Danke für die Hilfe«, bedankt sich Emma und wir rennen die Gänge entlang.
»Wartet«, ruft er hinter uns hier, aber wir laufen schneller.
Wir sind wieder im Treppenhaus und fliegen die Treppen herab, die Kittel flattern hinter uns her.
»Das lief doch perfekt«, stelle ich fest.
Wir machen die Tür auf und sprinten durch die große Halle, raus durch die drehende Tür.
Verwirrte Gesichter schauen uns hinterher, doch wir verschwinden im Nichts und lassen das große Gebäude hinter uns.
Nach einiger Zeit werden wir langsamer und gehen über die Wiese.
»Das lief echt gut«, meine ich und Emma nicht.
Wir geben uns ein High-Five und fangen gleichzeitig an zu lachen.
»Wie er es uns einfach geglaubt hat«, lache ich.
»Er hat uns einfach verschlossene Medikamente gegeben«
»Und er dachte die ganze Zeit, dass er uns geschickt hat. Wer war das eigentlich?«
Wir lachen noch mehr und noch lauter.
»Das hat echt Spaß gemacht«, stelle ich nickend fest, nachdem wir uns etwas beruhigt haben.
»Stimmt. Das war lustig«
Emma schaut nach oben. »Wir sollten uns beeilen. Es sieht nach Regen aus«
»Es wird tatsächlich dunkler«, bemerke ich.
»Wettlauf?«, fragt sie und ich nicke.
Sofort sprinten wir beiden los, sie ein kleines Stückchen vor mir. Plötzlich trifft mich ein Tropfen, schnell werden es mehr. Wir rennen weiter, doch sie durchnässen uns und die Wiese. Bei jedem Schritt spritzt Matsch hoch.
Endlich taucht das Haus im Regen auf und wir gehen rein. Schwer atmend bleiben wir im Flur stehen und grinsen uns an.
Es ist ruhig. Zu ruhig. Tropfend stehen wir auf dem Teppich. Wir ziehen die Kittel aus und legen sie beiseite.
»Da liegt Daniels Rucksack. Wir sollten die Medikamente hinein tun«, meine ich.
Emma steckt die Schachteln in eine Tasche. »Gute Idee. So gehen sie hoffentlich nicht verloren«
»Irgendwas ist merkwürdig«, stelle ich fest.
»Du hast recht. Wo ist Daniel, wo ist Max?«, Emma schaut sich suchend um.
Ich deute auf ein Loch in der Wand, wo vorher das Regal stand. Nun ist es zur Seite geklappt. »Was ist das?«
Sie zuckt mit dem Schultern. »Keine Ahnung. Das habe ich noch nie gesehen«
Doch ich stehe schon vor dem Loch und steige die Stufen herab.
Immer tiefer steige ich herab. Ich der Ferne sehe ich ein Licht. Ein Licht, dass mich an meine Heimat erinnert.
Einige Stufen später sehen wir unten. »Meine Beine tun schon weh, so viele Stufen sind das«, stelle ich fest. »Und dann noch die ganzen Stufen im Kranken...«
»Es tut mir Leid«, stammelt Daniel und kommt auf uns zu gewankt. Seine Augen sind gerötet und er fällt um. »Es ist meine Schuld«
»Was?« Emma stürmt zu ihm und kniet sich auf den Boden.
»Max«, haucht e. Tränen laufen seine Augen herunter.
»Was ist mit ihm?«, ich dränge mich an Emma vorbei und schaue ihm in seine roten Augen.
»Er ist weggelaufen. Wegen mir. Ich brauche Ruhe. Lasst mich. Geht weg!«, meckert er uns an.
»Ist gut, ist gut«, beruhigt ihn Emma.
»Geht. Ich brauche Ruhe. Sucht Max. Ich bin egal«
Wie ein Zombie steht er auf und wankt die Treppe herauf.
Ich blicke fragend zu Emma, doch sie zuckt nur mit den Schultern.
Langsam folgen wir ihm die Treppe hinauf. Oben angekommen verschwindet er in einem Zimmer. Ich will ihm folgen, doch Emma hält mich auf. »Lass ihn. Wir sollten erst Max finden. Aus ihm bekommst du nichts raus. Was ist hier nur passiert?«
»Max scheint draußen zu sein. Aber es hat geregnet. Regen mag er nicht. Trotzdem oder deshalb sollten wir uns aufteilen, dann finden wir ihn schneller. Es könnte dringend sein«, schlage ich vor.
»Hm. Wahrscheinlich hast du recht. Willst du hier in der Nähe auf den Wiesen schauen?«, fragt sie mich.
»Von mir aus«, willige ich ein. »Wo schaust du?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht versuche ich es an der Höhle oder so. Mal sehen. Allzu weit sollte er nicht sein«
Wir gehen wieder nach draußen und der Regen empfängt uns.
»Hoffentlich finden wir ihn«, sage ich zu Emma.
»Wir werden ihn schon finden«, meint sie zuversichtlich.
Wir verschwinden in zwei verschiedene Richtungen im Regen. Ich laufe über die Wiese und halte Ausschau nach ihm. Jeder kleine Schatten könnte er sein. Doch ich kann ihn nicht finden.
Ich beginne mir Sorgen zu machen. Es wird immer dunkler, die Sicht immer schlechter.
Vielleicht ist er schon wieder in Haus, keimt ein Funken Hoffnung in mir auf.