Aufbruch:
Sie wanderten durch lange, weiße Gänge, dann ein paar Treppen nach oben und durch weitere Gänge. Schließlich passierten sie eine Sicherheitsschleuse aus drei Metalltüren und nahmen einen Aufzug nach oben.
Die Wächter kamen in einer Abstellkammer heraus. Die Aufzugtüren verbargen den Aufzug hinter ihnen perfekt in der Holzwand. Eine schmale Tür führte sie auf einen kurzen Gang, von dem den Schildern nach zwei öffentliche Toiletten abgingen, sowie eine vierte Tür. Blaze konnte seinen neuen Rollstuhl schmaler stellen und war begeistert. Mit jedem herkömmlichen Rolli hätte er in dem engen Raum Schwierigkeiten bekommen, aber nicht mit diesem.
Da sie so viele waren, mussten sie in Teams gehen. Bei ihrer Gruppe war nur Sam, der sie über einen kurzen Flur führte. Die vierte Tür führte sie mitten in ein überfülltes Restaurant. Die Wächter schritten durch den Raum, an Tischen und daran essenden Menschen vorbei, als gehörten sie hierhin. Die Essenden beachteten sie kaum. Blaze atmete auf, als sie durch die Glastür nach draußen kamen, wo eine Großstadt in grauem Nebel lag.
„Wo sind wir?“, fragte er in gedämpftem Ton.
„In der Realität“, grinste Sam. „Aber wir müssen uns beeilen.“
Er deutete nach vorne, wo sie drei Personen erkannten – Anna van Helsing, Elaine und Elizabeth Leave, die mit gesenkten Köpfen durch die Straßen hasteten.
Auf dieser Reise konnte Tobias seinen Enthinderer an Bordsteinkanten und engen Stellen, wo Autos auf dem Bürgersteig geparkt hatten, austesten. Der Rollstuhl war einfach genial. Was früher ein unüberwindbares Hindernis dargestellt hatte, war nun nicht mehr als ein Achselzucken wert. Blaze gewöhnte sich schnell an die Steuerung.
„Übertreib's nur nicht“, sagte Sam nach einer Weile. „Wir sind immer noch unter Zivilisten, und denen muss dein Wagen merkwürdig vorkommen.“
Zähneknirschend beschränkte Tobias die Kunststücke auf ein Minimum. Er fühlte ein nervöses Flattern im Magen, immerhin wusste er, wohin es nun ging.
Zuerst allerdings verließen sie die Stadt und begaben sich auf einen schlammigen Waldweg – auch der kein Problem für Blaze' neue Räder. Bald holten Piek, Xeri und Andy zu ihnen auf. Sam führte sie über einige Forstwege, dann in den Wald hinein.
Schließlich tauchte wie aus dem Nichts ein asphaltierter Weg vor ihnen auf. Als sie ihm folgten, kamen sie zu einer kleinen Koppel in einer Waldlichtung.
Auf der Koppel standen mehrere Pferde und schnaubten in die kalte Luft.
„Warum fahren wir eigentlich nicht?“, fragte Kassie nach einem Blick auf die Tiere.
„Weil wir mit den Pferden längere Zeit unterwegs sind, während ihr euch durch die Tour schlagt“, antwortete Andy. „Pferde sind in Phantasma sehr viel einfacher zu füttern als Autos. Allein deshalb.“
Elaine winkte Kassie zu sich, Sam legte Mo eine Hand auf die Schulter und führte ihn zu einem Pferd.
Blaze sah zu, wie Mo hinter Sam auf den Rücken eines breiten, braun und weiß gefleckten Ponys stieg. Kassandra dagegen bekam ein eigenes Pferd, ein hellbraunes Tier mit einer Blesse auf der Stirn. Andy, der seinerseits auf ein kräftiges, weißes Kaltblut mit geflochtener Mähne stieg, nahm den Führstrick von Kassies Pferd in die Hand.
Blaze war ziemlich froh, dass er selbst nicht reiten musste. Bisher hatte er nur Therapiepferde kennengelernt und vom Pferderücken aus immer Höhenangst bekommen.
„Samsung? Ist das eigentlich dein Ernst?“, rief Mo.
„Was ist los?“, fragte Blaze den älteren Jungen, der anklagend auf Samstag deutete. „Er hat sein Pferd Samsung genannt! Ist das zu fassen?“
„Alles ist besser als Nachtwind“, behauptete Sam, worauf der pechschwarze Friese, auf dessen Rücken Elaine ohne jedes Zaumzeug saß, herausfordernd schnaubte. Überhaupt kamen die Pferde Blaze viel zu lebendig und groß vor. Das dunkelbraune Vollblut, auf dem Xeri und Piek saßen, tänzelte und riss an den Zügeln. Anna und Andy saßen beide auf dem Rücken von zwei riesigen Kaltblütern und sogar das kleinste Pferd, Elizabeths cremefarbenes Pony, hatte kampflustig blitzende Augen. Samsung und Kassies Pferd, genannt die störrische Matilde, waren wohl noch die harmlosesten Tiere. Samsung gähnte ausgiebig und furzte dann.
„Seid ihr alle so weit?“, fragte Anna jetzt, die vor zwei wahrhaft riesigen Satteltaschen auf einem grauen Tier mit kurzer, dunkler Mähne saß.
Das Vollblut von Piek und Xeri warf den Kopf hoch.
„Ja. Ja, wir sind bereit“, rief Piek. Sie klang durchaus nervös.
Blaze startete den Motor von seinem Enthinderer. „Kann losgehen.“
„Dann auf!“, sagte Anna und sie ritten los.