Vorläufige Endstation:
Ihre Hochstimmung verging, während der Kleinbus die Tourgäste aus dem Park und über eine weite, leere Ebene fuhr, die wirkte wie die äußeren Levelbereiche eines Computerspiels, wo sich die Entwickler nicht mehr die Mühe machten, Details einzubauen.
Kassie saß neben Mo und fragte sich, was nun kommen würde. Der Park war ihr bisher wie der schlimmste Teil ihrer Reise erschienen, doch in der neuen Tour war er gerade einmal Station Zwei. Was konnten sich Ifrit und Asmodai ausgedacht haben, das schlimmer als der Park war?
Zu ihrem Schrecken fand sie eine Menge grausamer Erklärungen: Labyrinthe in völliger Finsternis, Horden von blutrünstigen Gegnern auf offenem Feld, eine weitere Konfrontation mit ihren toten Freunden – Kassie war geradezu erleichtert, als sie das Tor vor sich auf der Ebene erblickte. Diesmal war es kein ätherisches Portal, sondern ein richtiges Tor, aus schwarzem Eisen, mit vielen Spitzen und Zacken und mit einer Reihe Stacheldraht auf der Spitze. Was hinter dem Zaun lag, war durch unzählige wuchernde Büsche verborgen. Kaum war der Bus aber über die Schwelle gerollt, änderte sich der Himmel, über den nun fetzenhafte Wolken zogen.
Kassie legte eine Hand an die kalte Fensterscheibe. Es donnerte in einiger Entfernung, doch sie spürte, wie die Scheibe vibrierte.
Ihr Atem bildete eine kleine Wolke. Selbst im Inneren des Autos wurde es nun schnell immer kälter.
„Das gefällt mir nicht!“, raunte Mortimer ihr zu.
„Mir auch nicht“, murmelte Kassie abwesend. Der Kleinbus rollte einen Hügel hinauf. Ein Blitz zuckte und erleuchtete ein schwarzes, hoch aufragendes Gemäuer mit leeren, schmalen Fenstern.
Im folgenden Donner erstarb der Motor des Wagens. Wenig später wurde die Tür aufgerissen.
„Wir sind da“, erklärte Asmodai, der sich ins Innere beugte. „Raus mit euch!“
Mit weichen Knien verließ Kassie den Wagen, gefolgt von Mo. Blaze wurde in seinen Rollstuhl gesetzt. Als Karo ebenfalls aus dem Auto klettern wollte, schüttelte Asmodai den Kopf. „Du bleibst bei uns.“
„Sie kommt mit uns!“, rief Kassie sofort und wollte Karo die Hand reichen, um sie aus dem Auto zu ziehen. Asmodai schlug die Tür zu und das Auto rollte los. Karos bleiches Gesicht war zu sehen, als sie an dem Türgriff rüttelte. Ihre ängstliche Miene wurde schnell kleiner, als das Auto mit ihr, Max und Ifrit verschwand.
„Hey!“, rief Kassie. „Was habt ihr mit ihr vor?“
„Mach dir um deine Freundin keine Sorgen“, grinste Asmodai. „Sie wird sehr viel sicherer sein als ihr.“
Damit drehte er sich um, breitete die Arme aus und umfasste das sturmgepeitschte Gelände vor ihnen mit einer großen Geste. „Willkommen im Asylum!“
Es donnerte mit dramaturgischer Präzision. Kalter Regen schlug den Tourgästen entgegen.
„Ich bringe euch zum Eingang“, sagte Asmodai mit einem Lächeln. „Eure Aufgabe wird es sein, zum Hinterausgang zu kommen. Karo wird dort auf euch warten. Und wir natürlich auch“, er lachte leise, „möglicherweise vergeblich, aber dieses Risiko müssen wir wohl eingehen.“
Kassie ballte die Hände zu Fäusten, Mo verzog das Gesicht. Aus dem Nichts waren die sieben schwarzen Wölfe aufgetaucht und sammelten sich leise wie Totengeister um Blazes Enthinderer.
„Reizendes Plätzchen“, sagte Mo schließlich, doch seine Stimme zitterte.
„Kommt“, Asmodai winkte ihnen und schritt dann einen gewundenen Pfad entlang.
„Warum überlasst ihr es eigentlich immer euren Minions, uns zu töten?“, fragte Mo laut, als sie Asmodai folgten. „Wollt ihr irgendwie, dass wir gewinnen?“
Asmodai lachte. „Nein. Ihr werdet nicht gewinnen, dazu besteht keine Chance. Aber wir sind fair – oder sagen wir, wir wissen ein gutes Spiel zu schätzen. Und es gehört dazu, dass die Anforderungen steigen, dass euer Können ausgetestet wird. Außerdem müssen wir unsere Minions, wie du sie so schön nennst, ja auch ausbilden. Das ist, was das Asylum ist – hier züchten wir unsere Kreationen, testen und pflegen sie, bevor wir sie frei lassen.“
Eine Kaskade von Blitzen untermalte Asmodais Worte. In den Fenstern des Gebäudes über ihr vermeinte Kassie, unzählige dunkle Schatten zu sehen, die herab sahen und ihre Ankunft beobachteten.
„Was … ist da drin?“, fragte sie und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.
„Alles, was ihr aus der Tour kennt“, antwortete Asmodai bereitwillig. „Und ein paar Überraschungen, die euch nicht bekannt sein sollten.“
Sie hatten die Tür erreicht, ein düsteres Portal in einem Steinrahmen, flankiert von zwei hässlichen Gargoyles, die im Regen und der Dunkelheit beinahe lebendig aussahen.
Asmodai stieß die Tür auf, die unheilvoll quietschte und den Blick auf einen gefliesten Raum freigab. In dem blassen Lichtstrahl, der durch die Türöffnung herein fiel, waren umgestürzte Sitzbänke, umgeworfene Mülleimer und auch eine getrocknete Blutspur zu erkennen.
„Hereinspaziert!“, rief Asmodai, als würde er eine Zirkusattraktion anpreisen und nicht ein mörderisches Irrenhaus. „Immer hereinspaziert. Das ist eine einmalige Gelegenheit – zum Sterben!“
Er blieb in der Türöffnung stehen. Kassie, Mo und Blaze überwanden die drei Stufen und die Türschwelle schweigend und beklommen.
„Und eins noch“, sagte Asmodai, als sie im Dunkeln standen. „Kleiner Junge im Rollstuhl – an deiner Stelle würde ich mich nicht fürchten. Sie können es riechen, und sie tolerieren keine Schwäche!“
Damit deutete Asmodai auf die Alptraumwölfe, die einen knurrenden Kreis um Blaze gezogen hatten.
In diesem Moment schlug die Tür zu und ließ die drei unfreiwilligen Gäste in absoluter Finsternis zurück.