Feuer frei!:
Ihr Plan war nicht ganz aufgegangen. Statt des roten Drachen hatte der blaue Kassie verfolgt, doch Mo hatte schnell genug reagiert und den blauen in ein Netz aus Seilwerfern gedrängt. Blaze hatte dafür die Aufgabe übernommen, den roten so lange bei Laune zu halten. Als Kassie und Mo auf dem Dach ankamen, bereitete Karo gerade die nächste Ladung der Panzerfaust vor. Insgesamt zwei Schüsse hatten den blauen Drachen bereits erwischt und er hing erschöpft in den Seilen.
„Die neuen Seilwerfer sind Klasse!“, sagte Kassie anerkennend, die die vergeblichen Versuche des Drachen beobachtete, sich zu befreien.
Karo richtete die Panzerfaust aus und schoss. Der blaue Drache heulte auf, als die Explosion ihn traf. Er schlug nur noch matt mit den Flügeln.
„Wir haben ein neues Problem“, sagte Liam, der die Straße im Blick behielt. Eve folgte seinem Blick und sah braune Ströme, die aus Gullys und Kanälen auf die Straße flossen.
„Was ist das?“, fragte sie.
„Ratten“, antwortete Liam. „Unzählige Ratten.“
Etwas krachte und donnerte. Der silberschwarze Drache stürzte aus dem Himmel und blieb liegen.
„Milo und Max hatten Erfolg!“, freute sich Liam, um gleich über das Funkgerät Anweisungen zu machen. Eve sah zu, wie Karo zum finalen Schlag gegen den blauen Drachen ausholte. Sie kam sich nutzlos vor. Jeder hatte eine Aufgabe, nur sie hatte die ihre – sprich, die Leitung über die Aktionen der Gruppe – verloren und stand im Abseits. Liam hatte einen viel besseren Überblick und wusste, welche Anweisungen er geben musste. Sie dagegen … sie war nur ein Geist.
Liam befahl Milo und Max, von der Straße zu fliehen. Der blaue Drache wurde vom insgesamt vierten Schuss getroffen und sacke in sich zusammen. Mortimer rief die Seilwerfer zurück und der Drache fiel leblos auf die Straße.
„Da war’s nur noch einer“, sagte der Geisterjunge grinsend.
„Milo, nicht da lang!“, rief Liam plötzlich. Alle wirbelten herum: Milos Motorrad war von Ratten umzingelt, die das Basis-Gebäude einschlossen. Schon kroch die braune Masse an dem Gebäude hinauf.
„Nach hinten!“, befahl Liam Milo. „Geht zu Blaze!“
Das Motorrad wendete. Die Gruppe auf dem Dach wollte ins Parkhaus fliehen, doch auch hier kamen ihnen bereits Ratten entgegen, eine piepsende Flut. Kassie feuerte auf die kleinen braunen Körper, doch die Toten wurden sofort von neuen Ratten überspült. Die kleinen Wesen rückten zu hunderten in breiter Front vorwärts.
„Es sind einfach zu viele!“, erkannte Kassie, ohne mit dem Schießen aufzuhören. Eve war dankbar für die Headsets, die ihre Ohren vor dem Lärm schützten. Sie drängten sich auf dem Dach zusammen. Karo lud die Panzerfaust nach und feuerte in die Garage. Die Ratten quiekten, unzählige starben. Doch immer noch rückten hunderte vor.
„Das hat geholfen, sie brennen!“, rief Mo.
„Karo, kannst du nicht schneller schießen?“, rief Liam.
Karo schüttelte den Kopf. Die Ratten von der Straße waren auch schon fast bei ihnen angekommen. Eve wollte sich nicht vorstellen, wie es sein musste, von unzähligen kleinen Zähnen zerbissen zu werden.
Sie besann sich der Pois, die sie noch in den Händen hielt. Dann sprang sie nach vorne und wirbelte die Kugeln an den Seilen durch die Luft. Die vordersten Ratten hatten sie fast erreicht. Eve zielte auf eine der brennenden und spürte an der Hitze, wie sich auch die Pois entzündeten. Sie machte einen Schritt zurück und wirbelte die Waffen in schnellen, wilden Kreisen um den Körper, nah am Boden, um ein dichtes Netz, eine undurchdringliche Flammenwand zu erschaffen.
Die Ratten hielten quiekend Abstand und türmten sich in Panik übereinander.
„Genial, Eve!“, rief Liam. „Feuer ist ihre Schwäche.“
„He, Liam“, brüllte Mo. „Denkst du auch, was ich denke?“
Eve hörte nur mit halbem Ohr zu, während sie versuchte, eine Schutzwand für ihre Freunde zu schaffen. Die Ratten kamen aus allen Richtungen – hoffentlich funktionierte Mos Plan schnell, sonst waren sie in großer Gefahr. Schon schrie Karo auf, als mehrere Zähne sich in ihre Füße bohrten. Das Mädchen trat nach den Ratten und ließ dabei die Panzerfaust fallen, die sofort unter braunen Leibern verschwand.
„Nein!“ Karo trat nach den Ratten, um ihre Waffe zu befreien. Eve wirbelte die Pois nach am Boden, um sich etwas Freiraum zu erkämpfen.
Kassie nahm Anlauf und sprang mithilfe der Segelflügel vom Dach. Mo folgte, indem er Seilwerfer in die Luft spannte und sich hinaufziehen ließ. Karo erwischte die Panzerfaust und folgte Mo, der knapp oberhalb des Dachs eine Seiltreppe schuf. Liam sprang auf die unterste Stufe. Eve folgte. Am Dachrand zögerte sie. Es kostete einen beherzten Sprung nach vorne, über den Abgrund, um das unterste Seil zu erreichen. Die einzige Chance, die sie hatten, um außer Reichweite der Ratten zu gelangen.
Sie stieß sich ab und erwischte das vom Regen rutschige Seil mit beiden Händen. Keuchend zog sie sich auf den dünnen Draht. Liam hockte neben ihr und hielt sich bereits wieder das Funkgerät vor den Mund: „Blaze, Milo? Seid ihr da?“
„Ja!“, erklang Blaze‘ Stimme.
„Fahrt zwei mal links und dann geradeaus. Bringt den roten Drachen her.“
Das Gebäude war inzwischen unter Ratten begraben, dafür waren die Straßen frei. Eve strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr war heiß.
„Wir vernichten die Ratten mit dem Drachen?“, fragte sie.
„Metschta hat gemerkt, dass wir mit großen Gegnern gut klar kommen, also hat er uns kleine geschickt. Er hat nicht daran gedacht, dass wir sie gegeneinander ausspielen könnten.“ Der kleine Junge grinste.
„Ich sehe da nur ein Problem“, warf Mo ein. „Wir sitzen direkt in der Flugbahn.“