All is hell that ends well:
Als sie den Frühstückssaal des Hotels betrat, war sie sich sicher, einen Geist zu sehen.
Die betagte Dame hielt inne. Sie hatte sich, wie jedes Jahr, einen kurzen Urlaub im Hotel Cecilia gegönnt. Einfach mal einen Tapetenwechsel, das musste gelegentlich sein. Sie mochte das beschauliche Hotel für sein Frühstücksbuffet und die netten Angestellten, die einen unbegrenzt schlafen ließen.
Aber dort, am Buffet. War das nicht der Junge, der sie im letzten Jahr so genervt hatte? Dunkelbraune Haare, runde Brille, dürr wie eine Bohnenstange … wie war noch gleich sein Name gewesen?
„Lukas?“ Sie stellte sich mit ihrem Tablett neben ihn. Der Junge drehte sich um und sah sie für einen Moment irritiert, geradezu panisch an.
„Entschuldigung, ich muss Sie verwechselt haben.“
Der Junge sah viel zu alt aus. Irgendwas war in seinen hellblauen Augen, das ihn wie einen Greis erscheinen ließ.
„Für wen haben Sie mich denn gehalten?“, fragte der Junge höflich. Er lud sich unendlich viele Kuchenstückchen auf sein Tablett. Seltsam, hatte nicht der Junge im letzten Jahr auch so viel Kuchen gegessen … zum Frühstück?
„Ich hatte im letzten Jahr jemanden getroffen. Er sah Ihnen ähnlich“, stammelte sie vor sich hin. „Ein Junge, der so eine komische Horrortour machen wollte.“
„Eine Horrortour?“, fragte ihr Gegenüber und hob die Augenbrauen. „Wie soll ich das verstehen?“
„Ach, es war irgendwas hochmodernes.“ Sie kämpfte mit ihrem Gedächtnis, das mit den Jahren nicht besser wurde. „Ich glaube, es ging durch 13 Hotels, so gruseliges Zeug, klassische Horrorgeschichten.“
Der junge Mann schüttelte den Kopf. „Eine Horrorreise? Wer ist denn so verrückt und macht das?“
Sie lächelte erleichtert. „Offenbar recht wenige Menschen. Ich hörte, dieses Jahr findet sie nicht statt. Sonst wäre heute der erste Tag gewesen, hier im Hotel.“
Der junge Mann an ihrer Seite winkte jemandem. Sie hob den Blick und entdeckte sieben Personen, die sich zielstrebig ihren Weg durch die Menge bahnten.
„Meine Freunde“, sagte der Mann entschuldigend.
Irgendwie kamen sie der Dame bekannt vor, wenigstens einige. Ein Mädchen mit kurzen, roten Locken, Sommersprossen und grünen Augen? Ein chinesisch oder japanisch aussehender Junge – humpelte er etwa leicht? Ein dicklicher, kleiner Typ mit nervösen Augen? Ein hübsches, dunkelhaariges Mädchen, Hand in Hand mit dem Chinesen?
Doch nein, die anderen kannte sie nicht. Ein braunblonder Junge, dessen Gesicht irgendwie kalt wirkte, wie aus Stein gemeißelt und ein irgendwie treudoof aussehendes Mädchen mit braunen Haaren. Und schließlich ein Teenager in einem riesigen, elektrischen Rollstuhl. Nein, sie musste sich täuschen. Der junge Mann sah nur zufällig dem Jungen von vor einem Jahr ähnlich. Obwohl, wenn sie es sich recht überlegte, war die Ähnlichkeit nicht besonders groß.
„Hey, Mo! Quälst du wieder unschuldige Zivilisten mit deinem Gelaber?“, grüßte die Rothaarige fröhlich.
„Nein, alles in Ordnung“, winkte die Dame ab. Sie hatte das Gefühl, ein gewaltiges Déjà-Vu zu erleben. Vermutlich nur die Müdigkeit.
In Rekordgeschwindigkeit hatten die acht ihre Tabletts beladen.
Dieser rätselhafte Mo deutete eine Verbeugung an. „Entschuldigen Sie, wir haben es leider etwas eilig. Noch viel vor, heute.“
Die Dame beäugte die vollbeladenen Tabletts. „Sportler?“
„So ähnlich“, lächelte Mo. „Wir sind … Rennfahrer.“
Schon zog die Gruppe von dannen. Die Dame besann sich, dass sie sich ein eigenes Frühstück holen wollte. Als sie mit Tablett an einem freien Tisch saß, hatte die Gruppe ihre Mahlzeit bereits beendet und war im Begriff, den Speisesaal zu verlassen. Doch sie saß nah an der Tür, und so mussten die acht an ihrem Tisch vorbei.
„Der Plan ist klar?“, hörte sie die Rothaarige fragen, die einen Notizblock gezückt hatte.
„Glasklar!“, antwortete der Junge mit den hellbraunen Haaren genervt.
„Ich meine nur, das ist ein ziemlich komplizierter Auftrag. Wir müssen auf alles vorbereitet sein. Lizzy, Sam und Elaine verlassen sich auf uns.“
„Steck endlich den Block weg!“, stöhnte der Rollstuhlfahrer. „Wir wissen, was uns erwartet!“
Seufzend kam die Rothaarige der Bitte nach. Die acht gingen in einer Reihe, fast im Gleichschritt, durch die Tür und gerieten für die Dame außer Sicht.
Die Stimme von diesem Mo erklang: „Auf sie mit Gebrüll!“
„Auf sie mit Gebrüll!“, antworteten die restlichen. Seltsam … da erklangen doch noch andere Geräusche, wie das Klicken von Waffen, die scharf gemacht wurden. Terroristen? Die Dame sprang auf und eilte aus dem Saal, um noch einen letzten Blick auf die Gruppe zu erhaschen, um sie möglicherweise der Polizei beschreiben zu können. Ihr Herz raste.
Nur … sie waren spurlos verschwunden. Die langen Gänge lagen verwaist da und alle Türen waren geschlossen.
Die Frau fasste sich an den Kopf. Jetzt wurde sie wohl endgültig verrückt!
Als sie an ihren Platz zurückkehrte, fiel es ihr wieder ein. ‚Hell-Hopping‘, das war der Name dieser Horrortour gewesen. Offenbar waren die Veranstalter pleite gegangen oder fanden einfach keine willigen Teilnehmer mehr. Im Grunde nicht weiter verwunderlich.
Was für ein alberner Name!
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So, und das war sie, meine erste längere Horrorgeschichte. Die, nebenbei bemerkt, irgendwann ziemlich in Richtung Action abgedreht ist …
Ich möchte mich hier ganz herzlich bei allen Lesern bedanken, insbesondere auch bei allen, die sich die Mühe gemacht haben, ein Review zu schreiben.
Für diejenigen, die sich dafür interessieren, folgt noch ein wenig Nähkästchengeplauder. An alle anderen: Vielen, vielen Dank für’s Lesen! Ich hoffe, ihr hattet Spaß!
Über diese Geschichte:
Tja, der ursprüngliche Plan war, eine Gruppe von fünf stereotypen Jugendlichen durch eine Horrortour zu jagen: 13 Hotels, die immer unheimlicher und übernatürlicher werden. Auch damals waren schon drei Runden geplant: „Roadtrip durch die Hölle“, „Mitarbeiter des Grauens“ und ein dritter, noch nicht betitelter Teil. Die Gruppe sollte erfahren, dass sie mit der Teilnahme an der Tour ihre Seelen verkauft hatten und im zweiten Teil gezwungen sein, den Horror als Mitarbeiter selbst zu erschaffen, während sie sich fragten, was mit den Mitarbeitern nach dem letzten Hotel geschehen würde …
Dann ist das passiert, womit auch Metschta zu kämpfen hatte: Meine Figuren machten sich selbstständig und die Wächter mogelten sich in die Geschichte. Es ging eigentlich nur darum, ein paar Statisten einzubauen, damit es auch 13 Gäste gibt. Diese Statisten waren Sam und Fox Force Five aus „Krieg der Wächter“ und Metschta und Samira Hain aus „Der Schriftsteller“ – beides Bücher, die ich zwar im Kopf hatte, aber noch nicht angefangen. Eigentlich wollte ich „Hell-Hopping“ dazu nutzen, diese Figuren etwas näher kennenzulernen, damit sie in ihrer eigenen Geschichte etwas lebendiger sind – das galt vor allem für Sam, der gemeinsam mit Elaine und Lizzy ein Hauptcharakter seiner Geschichte ist, aber längst nicht so gut ausgearbeitet war wie die beiden Damen.
Ein kleiner Tipp: Nehmt niemals Charaktere anderer Storys als Statisten. Das nehmen sie euch übel und rächen sich gewaltig.
Kurz gesagt, die Figuren haben die Geschichte übernommen. Jetzt ist die Handlung von „Der Schriftsteller“ unwiederbringlich gespoilert und die komplexe Welt der Wächter hat die Hell-Hopping-Tour übernommen. Es war kein großer Schritt mehr, Ifrit und Asmodai einzubauen – ebenfalls Charaktere aus „Krieg der Wächter“. Sam, der sich mit den Funktionen von Geschichten auskennt, setzte natürlich alles daran, einen dritten Teil zu verhindern, weshalb es am Ende nur zwei Mitarbeiter des Grauens gab – oder Mitbewohner des Grauens? – und die letzte Tour komplett aus dem Tritt geraten ist. Eine Menge unhöflicher Wächter haben mitgemischt und fröhliche ex-machina-Auftritte hingelegt und das Endergebnis ist eine Mischung aus drei verschiedenen Grundideen, die zu einem Monster mutiert sind, das, wie ich finde, nicht mehr besonders gruselig war.
Den „Schriftsteller“ werde ich nicht mehr schreiben. Die Geschichte von Tobias, Metschta und Sam Hain ist erzählt. Die „Wächter“-Bücher dagegen sind mir ein Herzensanliegen (weswegen ich es auch nicht geschafft habe, Sam und die anderen einfach sterben zu lassen) und wird hoffentlich eines Tages veröffentlicht, als Teil meiner „Phantasma-Chroniken“. Die Ghost Racers sind jetzt offiziell im Canon aufgenommen und werden unter Umständen noch eine Fortsetzung erhalten. Immerhin haben sie gerade erst gelernt, als Team zu kämpfen …
Wenn ich diese Geschichte noch mal schreiben würde, würde ich anders vorgehen: Die Wächter und ihre Geschichtenlogik früher einführen, beispielsweise, statt in den letzten Kapiteln in Erklärungsnot zu geraten. Generell haben sich viele Charaktere im Laufe der Geschichte verändert: Eve von der Zicke zur tapferen Amazone, Liam von einem ängstlichen Anhängsel zu einem geschickten Strategen … all diese Wandlungen hätte man schon vorher andeuten können, zum Beispiel, indem Liam schon am Anfang über irgendeinem Strategiespiel am Handy gezeigt wird. Ich würde auch die Hotels detaillierter durchplanen und ihnen mehr Zeit als sieben kurze Kapitel zusprechen. Dann können sie mehr Atmosphäre entfalten und es gibt sicherlich Gelegenheiten, die ich grandios verpasst habe. Doch es wird erst einmal keine Neuauflage geben und auch eine Fortsetzung ist noch nicht geplant.
Alles in allem bin ich ganz zufrieden. Ich hoffe, das Lesen hat Spaß gemacht, trotz der aufdringlichen Wächter.
Und die Moral von der Geschicht': Seid vorsichtig, bei welchen Horrorevents ihr mitmacht!
Marvin Grauwolf
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Dir hat die Geschichte gefallen?
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich nochmals für's Lesen!