Nachts, wenn alles schläft:
In der seltsamen, leeren Welt gab es dann tatsächlich noch eine Veränderung. Und zwar wurde es, während die beiden Gruppen sich am Straßenrand ausruhten – oder im Fall von Mo, Kassie und Blaze Pläne schmiedeten – urplötzlich dunkel.
Kassie musste einen Angstschrei unterdrücken, denn mit einem Mal sah sie nichts mehr, weder die Hand vor Augen, noch den Himmel oder ihre Freunde.
„Whoa!“, machte Mortimer irgendwo neben ihr. Kalte Finger griffen nach Kassies Arm. Sie wollte den Griff abschütteln.
„Kassie! Kassie, ich bin's!“, sagte Mortimer. „Das ist doch dein Arm, oder?“
„Ja“, sie beruhigte sich und tastete nach Blaze, der auf ihrer anderen Seite gesessen hatte.
„Piep, piep, piep, wir ham uns alle lieb“, lästerte der kleine Rollstuhlfahrer, als sie so zu dritt im Kreis hockten und Händchen hielten.
„Ich glaube, ich erkenne ein paar Sterne“, sagte Kassie nach einer Weile und sie ließen sich wieder los. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, bis keine Gefahr mehr bestand, dass einer von ihnen verloren ging.
„Das war jetzt unerwartet“, kommentierte Blaze.
„Erwarte das Unerwartete. Das sagt Sam doch immer“, grinste Mortimer.
„Das sagen alle von denen“, sagte Kassie mit einem Seufzen. Dann versuchte sie, in der Dunkelheit den Rest ihrer Gruppe auszumachen.
Vorsichtig stand sie auf.
„Was hast du vor?“, fragte Mortimer.
„Ich habe einen Plan“, flüsterte Kassie zurück und trat auf den Asphalt der Straße. „Wäre nett, wenn ihr verängstigt klingen könntet, für den Fall, dass Asmodai oder Ifrit uns belauschen.“
Sie trat über den festen Grund der Straße und bewegte sich so langsam und leise, wie sie nur konnte.
Mortimer und Blaze schwiegen einen Moment überrascht, dann begannen sie zu reden und klangen immerhin allgemein besorgt.
Kassie schlich lautlos auf die andere Seite der Straße. Die Luft war kalt geworden. Das Gras knirschte sacht unter ihren Schritten.
Die vier anderen schienen zu schlafen. Kassie saß eine ganze Weile am Straßenrand und lauschte dem sanften Schnarchen, bis sie sich sicher war, vier verschiedene Atemzüge zu hören, allesamt friedlich und ruhig. Dann kroch sie auf die schmalste Figur zu, Ifrit.
Leise beugte sich Kassie über die schlafende Dämonin. Sie suchte das blasse Gesicht der Frau im schwachen Licht ab. Kein Muskel rührte sich, wie bei einer Puppe aus Porzellan.
Dann entdeckte sie den silbrigen Schimmer von Metall, streckte die Hand aus – und berührte ihre Pistolen.
Schneller, als sie denken konnte, hatte Kassandra die Hand um die kalten Griffe geschlossen. Sie riss ihre Waffen an sich, wie ein Verhungernder wohl nach Brot greifen würde. Zitternd drückte sie die Waffen an die Brust. Ihr Atem ging schnell, aber immer noch rührte sich nichts.
Kassandra stand langsam auf und überprüfte das Magazin ihrer Waffen. Sie waren beide geladen. Ganz langsam richtete sie die Läufe auf Ifrits Brust.
Es wäre nur eine kurze Bewegung des Zeigefingers, nicht mehr. Die Dämonin rührte sich immer noch nicht. Kassie zielte auf ihre Stirn.
Auf den schmalen Lippen von Ifrit lag ein Lächeln. Kassie fragte sich, ob es auch vorher schon dort gewesen war. Es war ein gehässiges, überhebliches Grinsen.
Der Atem wollte ihr stocken. Fluchtartig drehte sie sich um und rannte über die Straße zurück. Ihr Herz raste wie selten zuvor, als wäre sie gerade einer Explosion entgangen. Völlig verstört setzte sie sich zu Mortimer und Blaze.
„He, du hast deine Waffen!“, bemerkte der Rollstuhlfahrer grinsend. „Super!“
„Ja“, keuchte Kassie. Kalter Schweiß lief ihr über den Rücken.
„Gut“, sagte Mo. „Dann haben wir einen Punkt abgehakt.“
„Sollen wir Sam Bescheid sagen?“, fragte Blaze, aber Mo schüttelte den Kopf. „Er wird wieder anrufen.“
Kassandra versuchte immer noch, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen.
„Ich glaube, wir können gar nicht genug Waffen haben!“, sagte sie dann.