Tobias Marshall:
„Wer?“, fragte Elaine, als Sam nicht sofort weiter sprach. Er winkte ab, offenbar war er sich noch nicht ganz sicher. Stattdessen griff er sich Blaze‘ Rollstuhl und führte den Enthinderer zurück zu den anderen. Die Gruppe hatte inzwischen die Aufregung mitbekommen. In knappen Worten erklärte Sam ihnen den Sachverhalt: Blaze war eine Figur, so wie die Monster der Hell-Hopping-Tour, doch offenbar von einem anderen Autoren als Ifrit und Asmodai. Seine Geschichte zu enträtseln, könnte ihre Lösung sein.
„Ich dachte, es ist vorbei!“, rief Kassie aus.
„Ist es nicht“, gab Sam zurück. „Ifrit hat uns zwar freigegeben, doch nicht in die reale Welt. Sie hat den gleichen Trick versucht wie am Ende der ersten Tour: Hier wirkt zwar alles friedlich, doch Magie funktioniert hier.“
Er sah Elaine an, die den Wink begriff, die Hand hob und eine kleine Flamme in den Himmel tanzen ließ.
„Das hier ist noch Phantasma“, erklärte Sam weiter. „Und ich fürchte, dass es eine letzte, große Falle wird.“
Die Schüler, Geister und Zivilisten sackten leicht in sich zusammen. Ihr Kampfgeist war an seine Grenzen gelangt.
„Ich verstehe das nicht“, meldete sich Mortimer. „Sind Ifrit und Asmodai nicht selbst Figuren? Wie können sie da gleichzeitig Autoren sein, das ergibt keinen Sinn!“
„Du kannst doch eine Geschichte über einen Schriftsteller schreiben, oder nicht?“, fragte Sam zurück. „Das, was er in seinem Buch dann erschafft, ist zwar auch deine eigene Kreation, doch es ist eine neue Welt. Aber auch, wenn gewöhnliche Figuren aus ihren Geschichten fliehen, haben sie immer noch Träume, Wünsche und Vorstellungen. Mehr braucht es nicht, um ein Autor zu sein, der in Phantasma Welten erschafft.“
Elaine sah, dass die Gruppe immer noch verwirrt war. Es war noch zu früh – und nicht der richtige Zeitpunkt – um die komplexe Wirkungsweise von Phantasma zu erforschen. Das zu erklären, würde einige Jahre dauern.
Zum Glück lenkte Elizabeth die Gruppe an, indem sie „Schriftsteller!“ murmelte.
Elaine sah sie an. „Woran denkst du?“
„Ich habe vor einiger Zeit eine Welt bereist, ‚Der Schriftsteller‘. Ein unveröffentlichter Horrorroman.“ Sie fuhr sich durch die Haare und zwirbelte dann eine Locke, als sie mühsam in ihrer Erinnerung forschte. „Es ging um einen jungen Rollstuhlfahrer, der an einem Preisausschreiben ab 18 teilnahm und dann gewonnen hat. Bei dem Ausschreiben musste man Texte einsenden und er hatte den besten Text. Darauf gewann er eine Ausbildung bei seinem großen Vorbild, einem berühmten Autoren.“
„Sergej Dimitri Vladimir Metschta”, sagten Blaze und Samstag wie aus einem Mund.
Lizzy atmete durch und sah die beiden an. „Er war auch in der Tour?“
„Und er war nicht im Reich der Toten“, bestätigte Sam.
„Klar, er ist ein Autor!“, rief Kassie aus. „Samira … also, Ifrit, meine ich. Sie hatte eine Aktentasche mit Dokumenten von ihm. Und sie redete davon, dass es seine Seele war.“
„Das muss es sein“, sagte Elizabeth. „Im Buch ging es darum, dass der Schriftsteller seine Seele verkauft hatte. An eine Samira Hain.“
„Verdammt!“, zischte Sam.
„Und um sich zu erlösen“, fuhr Elizabeth fort, „suchte er einen Nachfolger, der sein Talent zum Schreiben genauso wie den Fluch erben würde. Der Gewinner des Wettbewerbs.“
Elaine sah, wie Blaze die Armlehnen seines Enthinderers umklammerte.
„Aber es kam anders. Metschta wollte den Jungen nicht opfern und hat gegen den Dämon gekämpft.“
„Was ist dann passiert?“, fragte Sam, als Lizzy nicht weiter redete. Sie starrte Blaze an. „Die Geschichte war nicht fertig. Ein unfertiges, unveröffentlichtes Buch.“
Elaine schloss die Augen und kombinierte. „Ifrit hat die Geschichte als Samira Hain betreten. Sie versprach dem Autor Erfolg und Talent im Austausch für seine Seele. Er wurde zu einer Berühmheit.“
„Wirklich berühmt“, flüsterte Blaze. „Der beliebteste Autor auf der ganzen Welt.“
„Nein, Metschta war garantiert ein Mensch“, warf Sam ein.
„Vielleicht war es ein echter Schriftsteller und sie hat ihn nach Phantasma entführt, um seinen Wunsch wahr werden zu lassen“, schlug Lizzy vor.
„Das kann sein“, sagte Elaine. „Natürlich war das ganze mehr ein Fluch als ein erfüllter Traum. Irgendwann wollte er den ganzen Ruhm aber nicht mehr. Sie bot ihm einen Ausweg an: Wenn er einen würdigen Nachfolger finden könnte, würde sie ihn sterben lassen.“
„Das klingt ganz nach Ifrit“, knurrte Sam. Alle anderen verfolgten den Wortwechsel zwischen den Wächtern schweigend.
„Dimitri schrieb Tobias. Eine Figur, die talentiert genug war, um seinen Platz einzunehmen. Doch irgendwas ist schief gelaufen“, fuhr Elaine fort und sah Tobias an. „Wieso hat Ifrit euch beide in die Tour gesteckt? Dreizehn Hotels, die unschuldige Zivilisten einsammeln und töten … vielleicht … vielleicht, um einen anderen Kandidaten zu finden. Metschta sah sich die Gäste an und sollte ein neues Opfer wählen, diesmal keine Figur, sondern einen echten Menschen. Bis es Metschta zu viel wurde und er dich zur Tour hat fahren lassen. Offenbar wollte er dich doch opfern, um sich zu befreien und den Horror der Tour zu beenden.“
„Dann haben wir ihnen dazwischen gefunkt“, beende Elizabeth den Satz. „Ifrit sagte zu mir, dass wir allein Schuld daran wären, dass es eine dritte Tour gab. Deswegen gab es bei dieser Tour wohl nur noch sieben Hotels. Sie waren drauf und dran, die Geschichte einzustampfen und weiter zu ziehen, als wir Blaze gerettet und damit alles zerstört hatten.“
Elaine fühlte sich aufgeregt. In den Gesichtern der Schweigenden konnte sie lesen, dass sie ihnen kaum noch folgen konnten. Ihre Gedanken rasten. Ein Ausweg … nach all den Lösungen mussten sie doch auf einen Ausweg treffen!
Plötzlich spürte sie etwas, das sich um ihren Knöchel schlang. Sie sah noch Sams und Lizzys alarmierte Blicke, ehe sie von den Füßen gerissen wurde. Es waren dünne Wurzeln, die sie in die Höhe rissen. Die Wächter schrien. Elaine zielte mit Feuer auf das Holzwerk, doch es brannte nicht. Ehe sie sich versahen, blieb das kleine Wäldchen unter ihnen zurück und sie wurden zum Dorf gerissen – nein, in die Luft darüber, wo sich ein großer Käfig aus Wurzelgeflecht befand. Unsanft landeten sie im Inneren.
Elaine sprang auf. Genau wie Lizzy und Sam stürmte sie auf den Ausgang zu, doch schon fiel die Tür ins Schloss. Sie ließ sich nicht öffnen, so sehr die Wächter sich auch gegen die Wurzeln warfen oder nach dem Schließmechanismus tasteten.
„Verdammt, wir waren unaufmerksam“, resignierte Sam schließlich.
„Das war geplant“, erkannte Lizzy. „Wir wurden von der Gruppe getrennt.“
„Dann ist der Rest vermutlich ihr Kampf“, überlegte Elaine und sah sich um. „Ich hoffe nur, dass wir nicht die drei Prinzessinnen sind, die vor dem Drachen gerettet werden müssen.“
Sam spielte an seinem Sender herum. „Kein Empfang. Wer immer uns gefangen hält, weiß über die Wächter Bescheid.“
„Natürlich weiß er das!“, fauchte Elizabeth. „Es ist Metschta. Ifrit wird ihm alles erklärt haben und nun ist er der Endboss. Er muss Tobias fangen und ihn an Ifrit ausliefern, um seine Seele zu befreien. Und er ist der verdammte Autor dieses Ortes.“
Sam wurde blass. „Dann ist er allmächtig. Die Schüler haben keine Chance!“
„Nicht so schnell“, wandte Elaine ein. „Er ist ein Autor. Er hat Talent zum Schreiben. Dann wird er sich an die Gesetze der Geschichten halten und einen letzten Widerstand zulassen. Um die Spannung zu erhöhen. Vielleicht überlässt er es sogar dem Schicksal, wer gewinnt. Ihr vergesst, dass er Tobias nicht opfern konnte. Vielleicht kann er es immer noch nicht. Noch gibt es Hoffnung.“
„Pah, Hoffnung. Ifrit hat ihn inzwischen einige Jahre gefoltert“, schnaubte Elizabeth. „Er will ihr wahrscheinlich eine Show bieten und ihr danach nicht nur Blaze, sondern auch die anderen präsentieren, um sich freizukaufen.“
„Das kann natürlich auch sein“, gab Elaine widerstrebend zu.
Der Käfig setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Die drei Wächter klammerten sich an die Streben, als vor ihnen im Nichts ein Portal erschien.
„Nein!“, keuchte Lizzy, die als erste begriff. „Er wirft uns aus der Geschichte raus!“
Sie warfen sich gegen die Gitterstäbe, doch vergebens. Schon glitten sie durch das Portal … und … waren im Wald. Mehrere Gesichter starrten sie an.
„Kittehz of Doom?“, fragte Anna van Helsing schließlich. „Wo sind eure Schüler?“
Neben der Jägerin standen Sams fünf Schülerinnen auf der einen und Team Game of Life auf der anderen Seite.
„Metschta hat sie“, sagte Elizabeth. „Wir müssen sofort zurück!“
Anna verzog das Gesicht. „Ich versuche seit Stunden, zurück in die Welt zu gelangen. Aber die Koordinaten sind falsch. Und eine einzelne Welt in Phantasma zu suchen …“
„Ich weiß“, knurrte Lizzy. „Wir müssen trotzdem irgendwie zurück.“
Anna zuckte mit den Schultern. „Zuerst müssen wir euch befreien. Dann gucken wir, ob es möglich ist, die Welt wiederzufinden.“
Es war klar, dass die Dunkelhaarige daran zweifelte.