Scherbenhaufen:
Die Limousine tuckerte gemächlich durch die eintönige Landschaft. Das Irrenhaus war hinter ihnen verblasst, nur der Zaun war noch zu sehen, der quer über die graue Autobahn verlief.
Mo, Kassie und Karo saßen auf dem Rücksitz. Ihnen gegenüber saß Max, der sie im Auge behielt, während Asmodai fuhr und Ifrit auf dem Beifahrersitz saß. Zwar waren die Geschwister durch eine Wand hindurch nicht zu sehen, doch man konnte Ifrits Zetern hören.
Im Inneren der schwarzen Limousine gab es ein Kühlfach mit Snacks und Getränkedosen, zwei Fernseher und ausklappbare Tischchen, auf die Spielbretter gedruckt waren: Schach und Mensch-ärgere-dich-nicht, eines der Bretter war aber auch ein Oujia-Board und ein anderes war mit einem Pentagramm bemalt, um das sich ein Reigen seltsamer Runen zog. In den Armlehnen waren Bedienfelder für die Massagefunktion der Sitze und die Sitzheizung unter jedem Platz.
Mo und Kassie nahmen jedoch keine der Annehmlichkeiten in Anspruch. Während Kassie mit tonloser Stimme Karo von den Ereignissen in der Anstalt berichtete, starrte Mo gedankenverloren aus dem Fenster. Eintönig zog die Landschaft vorbei, die ihn immer stärker an den Rohbau irgendeines Computerspiels erinnerte.
Blaze' Fehlen war wie eine Präsenz in der kleinen Kabine, als würde der leere Sitzplatz physische Gestalt annehmen und sich aufblähen, bis er allen Insassen die Luft zum Atmen nahm. Immer noch fragte sich Mo, was sie besser hätten machen können: Blaze stärker ermutigen oder ihn daran hindern, zurück in das Asylum zu fahren.
Es half ihm nicht, dass die sieben Wölfe in lockerem Trab neben dem fahrenden Auto herliefen und mühelos Schritt hielten.
Als sein Handgelenk vibrierte, geriet er für einen Moment in Panik, bis ihm einfiel, dass er ja noch den Sender hatte. Auf dem Display stand "Anruf Sam". Mortimer drückte die Taste, mit der er den Anruf annehmen konnte.
"Hallo?"
"Hey, Mo!", rief Sam erfreut. "Wir sind im Irrenhaus, wo sollen wir euch abholen?"
Mo seufzte. "Nirgendwo. Wir sind schon unterwegs."
Max, der ihm gegenüber saß, grinste gehässig.
"Verdammt!", zischte Sam. "Aber gut, wir sind direkt hinter euch."
Diese Botschaft sandte einen Schauer der Erleichterung über Mos Rücken. Sein Meister und die restlichen Wächter waren nicht mehr weit entfernt. Vielleicht wäre dieser Alptraum ja bald vorbei.
"Wie geht's Kassandra und Blaze?", fragte Sam munter.
"Kassie geht es gut", murmelte Mo. Die Erleichterung war verschwunden, stattdessen ballte sich eine eisige Faust um seine Eingeweide.
Auf der anderen Seite der Leitung wurde es still.
"Oh", sagte Sam dann. "Was ist passiert?"
Mo wollte irgendetwas sagen, aber plötzlich saß ihm ein Kloß im Hals. Als er den Mund öffnete, drang nur ein ersticktes Schluchzen heraus. Er schämte sich, schämte sich in Grund und Boden, dass er seinen Körper nicht besser unter Kontrolle hatte. Er schluckte, doch der Kloß steckte fest. Nun verschwamm auch noch das Display vor seinen Augen.
"Die Wölfe, nehme ich an", erklang die kühle Stimme von Anna van Helsing über den Sender.
"Diese Alptraumhunde, ja", Kassie übernahm das Reden für Mo. "Sie waren einfach zu schnell."
"Wie seid ihr entkommen?", fragte Anna nach.
"Da war ... irgendwas mit dem Enthinderer nicht richtig", berichtete Kassie. "Er hat geschossen und ist durch die Gänge gerast."
"Was?!", das war die Stimme von Andy.
"Blaze ist damit gegen eine Wand gefahren, offenbar hat sich etwas verklemmt", Kassie seufzte schwer. "Jedenfalls konnten wir so aus dem Irrenhaus fliehen, doch die Wölfe kamen hinterher."
"Man kann sie nicht mit Kugeln töten", merkte Anna van Helsing kalt an.
"Jetzt sei doch mal still!", fauchte Piek Mauskat.
"Asmodai hat irgendwas gemacht", sagte Kassie. "Er hat sich in einen Wolf verwandelt, geheult und da sind die Wölfe zu ihm gelaufen. Seitdem haben sie uns nicht mehr angegriffen."
"Das ist eine schlechte Neuigkeit", sagte Anna van Helsing, Pieks Warnung missachtend. "Er hat sie herausgefordert und nun gehorchen sie ihm. Er wird sie gegen euch einsetzen. Denkt immer daran, dass ihr keine Angst haben dürft, unter gar keinen Umständen."
"Ich glaube, das ist in der Situation, in der sie gerade sind, ziemlich unmöglich", merkte Piek spitz an. Man hörte eine Art Gerangel, als Piek offenbar Anna vom Sender vertrieb.
"Hört mal, Freunde", sagte Piek dann. "Ihr habt euch bisher gut geschlagen. Euren Freund hättet ihr nicht retten können, macht euch deswegen keine Vorwürfe - ihr drei übrigens auch nicht, Sam!"
Mo nickte, obwohl Piek das natürlich nicht sehen konnte.
"Wir sind direkt hinter euch", fuhr die Wächterin fort. "Ihr müsst nicht mehr lange durchhalten. Wir brechen jetzt auf, deswegen können wir nicht weiter reden. Haltet die Ohren steif."
"Machen wir", sagte Mo.
Von der anderen Seite erklang ein vielstimmiges "Ciao", "Tschüss!" und "Tschöhö!" Fast schien es, als hätten die Wächter den Schock über Blaze' Tod bereits verkraftet. Mo fragte sich im Stillen, wie viele Tote Sam und die anderen wohl schon begraben hatten.
Max grinste immer noch breit. "Eure Freunde werden euch nicht retten können."
"Ach, halt die Klappe!", fuhr Karo ihn an. "Sei einfach still, Max."