Allein:
Das Feuer versiegte bis auf einige wenige Flammennester, die im müllverseuchten Straßengraben und auf den wenigen nicht verkohlten Leichen weiter knisterten.
Kassie wagte sich aus ihrem Versteck. Schweiß stand ihr auf der Stirn.
Im letzten Moment hatte sie sich in ein Gebäude gerettet und war dann, als die Hitze die Scheiben bersten ließ, in einen umgekippten Metallschrank gekrochen, einen alten Kühlschrank.
Es hatte sich angefühlt, als ob sie bei lebendigem Leib gebacken werden würde. Ihre Hände wiesen Brandspuren auf, dort, wo sie mit den neun Fingern die Tür festgehalten und zugezogen hatte. Eine Pfütze ihres Schweißes, der ihr aus dem Nacken und über den Rücken gelaufen war, blieb im kaputten Schrank zurück.
"Mo?", flüsterte Kassie. Mit unsicheren Schritten wankte sie auf die verzogene Straße hinaus. Die Rollschuhe hatte sie irgendwo verloren, im Feuer abgestreift. Die Hitze des Bodens drang durch ihre Socken. Das Tuch vor ihrem Mund, durch Hitze und Schweiß gelockert, löste sich nun ganz und flatterte davon.
Es waren keine Spuren geblieben, nur ein Fleck Schwärze, von dem Brandspuren in alle Richtungen ausstrahlten, und zwei Klumpen Metall, die wohl einmal Kassies Pistolen gewesen waren. Hellere Schatten von menschlichen Gestalten bedeckten den Asphalt, Spuren der Zombies, die im Feuer restlos verbrannt waren und trotzdem der ersten Hitze noch Widerstand geboten hatten.
Vor dem Ort von Ifrits Tod sank Kassie auf die Knie. Sie wusste, dass sie die vergiftete Luft einatmete, doch es machte ihr nichts aus, auch nicht, dass ihr Atem mit jedem Schluchzer immer rasselnder wurde. Asche trieb in der Luft, wallte als grauer Nebel auf, der nur von einigen Feuertropfen durchbrochen wurde.
Sie hatte überlebt, doch zu welchem Preis? Ihre Freunde, ihre Beschützer, jene, die sie hatte retten wollen, waren der Preis gewesen. Ihr kleiner Finger war der Preis gewesen. Hätte sie irgendwann während der Tour Zeit gehabt, diesen Preis zu realisieren, hätte sie schon lange vorher aufgegeben.
Bis eben gerade hatte sie noch gehofft, irgendwie aus diesem Alptraum aufzuwachen. Dass Luca sie angrinsen würde, Milo und Eve Arm in Arm neben ihm standen, Liam dahinter, nervös mit einer Mütze spielend. In einer Welt, in der sie Max und Karo niemals kennengelernt hatte, oder vielleicht doch, aber unter besseren Umständen, und wo Sam und seine fünf Schülerinnen im Hintergrund lachten und Dimitri da war, um sie zu trösten und ihr Vertrauen zu geben.
"Ein böser Traum, Kindchen, nur ein böser Traum."
Wie damals, als sie bei einer Flucht zusammengebrochen war.
Kassie blinzelte und das Bild war fort. Sie war allein in einer leeren, toten Welt. Ohne jede Hoffnung, dass sie ohne die Wächter jemals einen Ausweg finden könnte. Sie blieb in dieser giftigen Welt der Zombies gefangen. Sie schlang die Arme fest um den Oberkörper, als wollte sie alles Leben aus sich herauspressen wie Saft aus einer Zitrone. Doch es kamen nur Tränen.
Sie hörte Schritte und einen Moment wollte sie aufspringen und sich vor dem Zombie in Sicherheit bringen. Doch auf halbem Weg ließ sie sich wieder nach unten sinken. Sie wollte nicht länger kämpfen. Es konnte genauso gut jetzt zu Ende sein, bevor ihr eine hoffnungslose, irrende Suche durch die Aschenwelt bevorstand.
Kassie blickte erst auf, als die Schritte fest und ohne jegliches Schlurfen auf sie zu kamen. Dann schälte sich eine dunkle Gestalt aus dem Nebel, eine Frau in bunten Kleidern und Korsett, mit schwarzen Locken unter einem roten Tuch und kalten, schwarzen Augen.
Anna van Helsing, die Armbrust im Anschlag und den Säbel locker in der Scheide.
"Wie ... wie hast du überlebt?", krächzte Kassie.
"Eine gute Wächterin verrät ihre Geheimnisse nicht", antwortete Anna und ließ den Blick über die Straße schweifen. "Wo sind die Anderen?"
"Tot." Kassie senkte den Blick.
"Alle? Eine Schande."
"Ifrit und Max sind auch tot." Kassie erinnerte sich an den Schuss, an Max' aufgerissene Augen und seinen Sturz.
"Dass Ifrit tot ist, weiß ich. Niemand sonst veranstaltet noch im Sterben so ein Tohuwabohu."
Anna trat auf Kassie zu und richtete die Armbrust auf sie.
"Wa-was?!"
Anna drückte ab. Kassie spürte einen dumpfen Aufprall, der ihren Oberkörper nach hinten riss, bis ihr Rücken auf der Straße aufschlug. Dann erst kam der Schmerz, dumpf und ziehend. Mit beiden Händen umklammerte sie den Bolzen in ihrer Brust.
Anna trat neben sie und blickte kalt auf sie herab. Kassie wollte etwas sagen, doch sie bewegte nur sinnlos den Mund. Sie fühlte Blut an den Händen.
"Du wirst es verstehen", sagte Anna, schon umrahmt von dunklen Nebeln, die sich in Kassies Augen drängten.
Kassies Kraft versiegte und ihr Kopf rollte auf die Seite. Die Augen fielen ihr zu und der Schmerz verblasste.
Sie verstand überhaupt nichts.