Flashback:
Es war genau wie damals, mit Eve. Mo stand wie angewurzelt und konnte sich nicht rühren, als hätte ihn eine Schlange gebissen, deren Gift ihn lähmte. Er konnte nichts tun. Absolut nichts. Nicht einmal atmen.
Wieder spritzten Unmengen von Blut auf, als er einen weiteren Freund an die Reißzähne von Wölfen verlor. Mo konnte den Blick nicht abwenden, obwohl er genau wusste, dass sich jedes Detail von Blaze' letztem Kampf in sein Gedächtnis einbrennen und ihn in Alpträumen verfolgen würde.
Kassie war nicht so eingefroren wie er selbst. Mit einem wortlosen Schrei stürzte sie sich auf die Bestien. Sie trat um sich und warf sich dann auf einen der Wölfe, um ihn mit den Fäusten zu bearbeiten, während sie immer noch schrie, unartikuliert schrie. Der Wolf schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege. Die Alptraumhunde waren groß geworden, riesig, sie konnten in dem Korridor kaum aufrecht stehen. Mo zwang seine Beine vorwärts, die ihn ungeschickt auf Kassie zutrugen.
Der Blick der schrecklichen Bestien fiel direkt auf ihn. Sie hatten von Blaze abgelassen, nicht, dass von dem Jungen noch viel übrig war. Mo bückte sich mechanisch und half Kassie auf die Beine.
"Lauf", sagte er. Seine Stimme kam nicht in seinen Ohren an. Er sagte es wieder. Wieder. Kassie setzte sich in Bewegung und zog ihn mit sich, fort von den Wölfen, doch Mo stolperte rückwärts, sodass er den Tieren immer noch in die Augen sehen konnte. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Er war wie betäubt.
Es klatschte und sein Kopf ruckte zur Seite. Stechende Schmerzen strahlten durch seine Wange, plötzlich war Kassie in seinem Blickfeld, eine verzweifelte, ängstliche Kassie.
"Los, Mo, lauf!", rief sie und zerrte an seinem Arm.
Mortimer fiel in einen schnellen Lauf. Er war immer noch benommen, doch Kassies Ohrfeige schien ihn wieder mit seinem Körper verbunden zu haben. Er rannte neben ihr her. Hinter sich hörte er die Wölfe knurren und geifern.
"Die Pistole!", rief Kassie.
Mo erinnerte sich: Er hatte noch eine von Kassies Pistolen. Ungeschickt zog er sie aus dem Hosenbund.
"Blaze", murmelte er. Er spürte, wie etwas in seinem Inneren erzitterte, fast hätte er die Pistole fallen gelassen. Blaze war tot. Die Hell-Hopping-Tour hatte ein weiteres Opfer gefordert.
Nachdem er die Pistole nur mit Mühe in der Hand behalten hatte, wuchs plötzlich das Verlangen, sie von sich zu schleudern - diese ganze Tour war seine blöde Idee gewesen, er hatte die anderen überredet, mit ihm zu gehen, und nun waren nur noch er und Kassie geblieben, zwei verlorene Seelen auf der Flucht vor dem nächsten Schrecken.
Wie sollten sie bloß überleben?
"Reiß dich zusammen!", fuhr Kassie ihn an. "Mo, hörst du mich? Jetzt ist nicht die Zeit."
Sie hatte Recht. Kassie wusste, wann für etwas Zeit war. Sie hatte immer alles organisiert.
Mo riss sich zusammen. Kassie feuerte im Laufen nach hinten, ihr Gesicht war hart, verbissen und kämpferisch. Mo entsicherte die Pistole und schoss ebenfalls auf die Wölfe, die sie in geducktem Trab verfolgten. Mehr und mehr lichtete sich der Nebel, der sich um sein Bewusstsein gelegt hatte und Panik nahm seinen Platz ein. Ein letzter, logisch denkender Teil von Mortimer wusste, dass er die Angst so weit wie möglich nach hinten verdrängen musste, um sich irgendwann mit ihr zu beschäftigen. Er war sich ziemlich sicher, dass er den Tipp von Samstag hatte - oder vielleicht von einem der fünf Mädchen. Vielleicht Fay?
Vor sich sah er den Ausgang, ein helles Rechteck am Ende des Ganges. Aber davor schob sich ein Bild von Fay, der wunderschönen, blonden Fay. Wieso erinnerte ihn dieser lange Gang nur an den Tunnel unter der Erde, wo sie gestorben war? Er stolperte. Kassie fing ihn auf und zerrte ihn weiter, bis seine Füße ihren Rhythmus wiedergefunden hatten.
Der Ausgang war nah - da schlug eine Tür vor ihnen auf und heraus sprangen drei der sieben Wölfe.
Mo und Kassie bremsten so stark ab, dass sie auf den Boden fielen. Gehetzt sahen sie sich um. Bloß vier Wölfe waren hinter ihnen. Wie die anderen drei sie überholt hatten, war Mo ein Rätsel, doch er vermutete, dass die Wesen durch Wände gehen konnten.
Er griff nach Kassies Hand und spürte, wie ihre Finger sich zu einer Faust ballten.
Mo schluckte und packte die Pistole fester. Es gab keinen Ausweg.