Ritt durch die Nacht:
Mortimer klammerte sich an Samstag. Die Pferde rasten durch die Dunkelheit, in einem schnellen Galopp, bis auf zwei Ausnahmen: Das kleine Pony, das Elizabeth ritt, blieb störrisch im Trab, hielt aber durch irgendeine Merkwürdigkeit mit den größeren Pferden mit, und das dunkelbraune Tier mit Piek und Xeri auf dem Rücken brach immer wieder aus und musste mit Gerte und eisernen Sporen zurück in die Gruppe getrieben werden. Mo hatte bald entdeckt, dass Piek zwei lange Metallstangen an den Füßen befestigt hatten, die ihre Fersen nach unten verlängerten – wie Absätze von vermutlich 40 Zentimetern Länge. Anscheinend wären die Beine der jungen Frau sonst zu kurz, um die Flanken des großen, dunkelbraunen Luzifers zu erreichen. Den Namen des Pferdes hatte Mo schon nach den ersten Reitminuten erfahren. Das war das, was Piek oder Xeri ständig riefen, um das Pferd zum Gehorsam zu zwingen.
Zum Glück war Samsung, das gefleckte Reittier von Mo und Sam, ausgesprochen brav. Mortimer hatte genug Sorgen im Kopf herumschwirren, angefangen damit, wie sie die Tour dieses Mal bloß überleben sollten – ohne Samstag.
Er merkte, wie sich Angst in seinem Magen regte, als Elaine an der Spitze ihren Friesen durchparierte und Blaze so dazu brachte, seinen Rollstuhl im Schritttempo fahren zu lassen.
„Scheint so, als wären wir da“, sagte Samstag. Die mitgebrachten Fackeln erhellten eine Lichtung im Wald, die keinerlei Kennzeichen zeigte. Woher Elaine wusste, dass hier der Beginn der Tour sein würde, war Mo ein Rätsel.
Kassandra kletterte mehr als erleichtert von dem Rücken der hellbraunen Stute, die sie geritten hatte. Mortimer brauchte eine Weile, um seine Beine zu sortieren und stürzte halb, als er von seinem Platz hinter Samstag auf den Boden sprang.
Der stieg ebenfalls ab, genau wie Elizabeth und Elaine.
Die Meister schwiegen ihre Schüler einen Moment verlegen an.
„Wir wünschen euch viel Glück“, sagte Elizabeth schließlich.
„Wir werden versuchen, zu euch zu kommen“, sagte Samstag schnell, „und über eure Sender solltet ihr uns auch erreichen können.“
„Solange Samira oder Ifrit oder wie sie heißt uns die Sender nicht wegnimmt, richtig?“, fragte Mortimer mit bitterem Unterton.
Samstag nickte. „Trotzdem sind wir ganz in der Nähe. Wir werden einen Weg finden. Vertraut uns.“
Sie nickten schweigend. Elizabeth umarmte einen nach dem anderen. „Ihr seid so tapfer.“
Elaine griff in eine Tasche und holte drei schlanke, längliche Gegenstände heraus.
„Mortimer? Ich habe hier noch was für dich, ist von Andy.“
Mo nahm die Gegenstände entgegen. Es handelte sich um eine Art dunkler Röhre mit zwei Verschlüssen an den Seiten, die in spitzen Haken endeten. Es gab einen Knopf in Form einer Fledermaus, der seitlich auf diesen Röhren angebracht war.
„Ähm. Danke“, sagte Mortimer zu Andy.
„Du solltest sie ausprobieren, allerdings nicht hier. Sie verschießen ein Seil, die Haken bohren sich in so gut wie jedes feste Hindernis, wenn du auf den Knopf drückst. Ist eigentlich für den Einsatz zwischen Hochhäusern konzipiert. Du erschaffst dir damit eine Seilbahn oder eben ein Hochseil an beliebiger Stelle.“
„Und die Fledermaus?“, fragte Mortimer.
Andy kratzte sich verlegen am Kopf. „Ich habe die Dinger aus einem Computerspiel geklaut. Lange Geschichte. Ich hab euer Training beobachtet und mir gedacht, dass sie dir nützlich sein können.“
Mortimer hätte unter anderen Umständen gefragt, wie man denn bitteschön Gegenstände aus einem Spiel entwendete, aber so steckte er die Seilhaken achselzuckend ein.
Als nächstes erhielt Kassandra zwei schlanke Pistolen, deren Griffe nach unten spitz zuliefen.
„Das eine Magazin ist mit Silber gefüllt, das andere mit geheiligtem Eisen. Beides zusammen sollte die Nox-Geschwister wenigstens aufhalten.“
„Danke“, sagte Kassandra und nahm die Waffen entgegen.
„Ich arbeite da an noch etwas. Vielleicht kann ich dir das irgendwann zukommen lassen“, kündigte Andy an.
Kassandra nickte und sagte tonlos: „Ja. Irgendwann.“
„Ist der rührselige Abschied damit vorbei?“, fragte eine gelangweilte Stimme irgendwo hinter ihnen. Mortimer wirbelte herum und erkannte eine einzelne Person, die aus der Dunkelheit kam.
„Wir würden dann gerne anfangen“, sagte Max, als er in das Licht ihrer Fackeln trat.