Alle meine Entchen:
Kassie hielt sich an dem Griff von Blaze' Rollstuhl fest. Ihre andere Hand wurde von Karo zerquetscht, die ihr auf den Fuß folgte. Kassandra dachte bei sich, dass ihre Prozession reichlich seltsam aussehen musste, falls jemand sie beobachtete – sie zweifelte nicht daran, dass Asmodai und Ifrit entsprechende Mittel oder Fähigkeiten hatten. Die Vorstellung, wie die Dämonen sich über ihre ängstliche Reihe amüsierten, entlockte ihr ein grimmiges Lächeln. Sie richtete den Blick auf die verletzte Hand, mit der sie sich an den Rolli klammerte, die Hand, der der kleine Finger fehlte.
Sie durfte auf keinen Fall vergessen, wie gefährlich die Nox-Geschwister waren. Und sie fürchtete sich davor, was ihnen in der jetzigen Tour begegnen könnte.
„Ich höre etwas!“, piepste Karo mit hoher Stimme. Sie blieben stehen, Kassie legte den Kopf schief und lauschte. Gleichzeitig versuchte sie, auf dem Bildschirm an der Rückseite von Blaze' Rollstuhl etwas zu erkennen, doch der dichte Nebel ließ den Park auch aus der Vogelperspektive verschwimmen.
„Weiter!“, drängte Mo nervös.
Kassandra konnte nichts hören, aber sie drückte Blaze sanft nach vorne. Der kleine Rollstuhlfahrer setzte sich wieder in Bewegung, seine Teamkollegen und Karo folgten.
Schließlich konnte auch Kassie hören, was die anderen in Angst versetzte: Es war ein vielstimmiges Stöhnen und raschelndes Schlurfen, das Assoziationen an riesige Zombiehorden weckte. Sie beschleunigten ihre Schritte, aber die Geräusche kamen immer näher. Unvermittelt bremste Blaze und Kassie stieß heftig gegen den Enthinderer.
Vor ihnen war ein Gebäude aus dem Nebel aufgetaucht. Es schien der Eingang zu einem Kletterpark zu sein. Es gab eine kinderförmige Öffnung, die die Maße der möglichen Benutzer abzeichnete, dahinter konnte Kassie blass Kletternetze erkennen.
Blaze wollte wenden, doch hinter ihnen wurde das Stöhnen lauter.
„Verdammt!“, sagte Mo. „Geht weiter, sie sind direkt hinter uns!“
„Wir müssen da durch“, meinte Kassie und beugte sich vor. „Blaze, kannst du -?“
„Ich kann darüber klettern“, nickte Blaze und sein Enthinderer schraubte sich surrend in die Höhe. „Los, klettert!“
Kassie kroch durch den Eingang und in einen Tunnel aus Kletternetzen hinein. Keuchend kroch sie vorwärts, die blauen Seile des Spielplatzes schnitten in ihre Haut. Sie hörte den Atem von Karo hinter sich, als sie die Röhre verließ und auf einem offenen Bereich stand, einer Art waagerechtem Spinnennetz in zwei Metern Höhe. Es gab kein Geländer auf der Fläche.
Der löchrige Boden unter Kassie bebte, dann senkte sich der Enthinderer neben ihr herab.
„Folgt mir“, sagte Blaze.
„Schneller!“, schrie Mortimer von hinten.
Kassandra balancierte über die Seile, die Arme ausgestreckt. Die Löcher im Netz waren etwas kürzer als ihre Füße, sonderlich sicher fühlte sie sich trotzdem nicht. Sie kamen an einen Pfahl, an dem ein steiles Netz wie eine waagerechte Wand nach oben führte. Altes Laub und abgeschnittenes Gras hatte sich darin verfangen. Der Enthinderer stieg voran, Kassie kletterte hinterher. Sie schob sich ihre Pistole in den Gürtel.
Oben erreichten sie einen Holzbalken, der einmal mit einem Geländer aus einem einzigen Seil ausgestattet gewesen war. Das Seil war längst kaputt. Tobias rollte mit dem Enthinderer über den Balken. Kassie zögerte. Unter sich hörte sie ein Rauschen wie von einem Fluss. Grüne Stofffetzen, die vielleicht Lianen dargestellt hatten, wurden von einem plötzlichen Luftwirbel erfasst und tanzten über dem Balken wie Algen unter Wasser.
Hinter ihnen krachte ein Schuss. „Keinen Schritt weiter!“, hörte sie Mo brüllen.
Kassie atmete tief durch und ging los. Ein weiterer Schuss hallte, und diesmal erhob sich ein hohes, geisterhaftes, klagendes Heulen.
„Scheiße!“, rief Karo und stieß von hinten gegen Kassie. Beide Mädchen schwankten und drohten, zu stürzen.
„Schneller!“, drängte Karo und Kassie lief los. Sie erreichten das Ende des Holzbalkens und krochen durch ein kleines, buntes Haus aus Holz, dann mussten sie sich über Kopf an einem Metallgerüst entlang hangeln.
Dahinter kamen sie endlich an ein Seil, an dem sie nach unten rutschen konnten. Blaze hängte zuerst den Enthinderer ein und rutschte herunter. Von unten hörte Kassie seine leise Stimme, als er rief: „Luft ist rein!“
Sie hing sich mittels eines Stoffstreifens an das Seil und rutschte los, Karo folgte.
Sie landeten in einer hüfthohen Nebelsuppe und fanden Blaze kaum wieder. Endlich standen sie bei ihm und klammerten sich an die Seiten des Enthinderers.
„Leute?“, fragte Blaze. „Wo ist Mortimer?“
Selbst im Nebel sah Kassie, wie Karo blass wurde. „Er war doch direkt hinter mir!“