Näher:
Samsung schnaubte nervös, als er mit einem kleinen Hüpfer das Tor durchquerte. Samstag sah sich wachsam um. Ein düsteres Haus ragte vor ihm auf, hoch und schmal, aus Ziegelsteinen, die inzwischen braun vom Alter waren. Die vielen kleinen, hohen Fenster erinnerten an Kirchtürme, nur dass in dieser Kirche allein die Dunkelheit wohnte. Sam schüttelte sich. Allein die Vorstellung, dass seine jungen Schützlinge durch das eisenbeschlagene Tor hatten gehen müssen, schürte seine Angst und Wut. Er wollte Mo und die anderen erreichen, bevor die Nox-Geschwister ihnen etwas antun konnten.
"Die Novizen sind hier", sagte Anna van Helsing.
Für einen Moment flammte Hoffnung in Sam auf, bis er sah, dass Anna lediglich ihren Sender überprüfte. Trotzdem, sie waren bereits in der gleichen Welt wie die, die sie retten wollten! Sams Herz schlug schnell vor Aufregung. Mo, Kassie und Blaze waren irgendwo in dem unheimlichen Irrenhaus, vielleicht sogar nur wenige Meter entfernt …
"Sam, warte!", rief Elizabeth.
Erstaunt merkte Sam, dass er Samsung vorwärts getrieben hatte. Er zügelte das Pony und sah sich um.
"Wir müssen vorsichtig sein", warnte ihn Elaine und deutete mit einem Kopfnicken auf die Ohren ihres Friesen Nachtwind. Der stolze Hengst hatte die Ohren angelegt und witterte aufmerksam. Nachtwind war ein mutiges Tier, das sich auch durch Feuerstürme und riesige Leviathane nicht aus der Ruhe bringen ließ. Er war ein Phantasma-Pferd, das sich in die Welt der Realität verirrt hatte. Eines jener Tiere, die nur zu einem einzigen Reiter Vertrauen fassten - Elaine, die gut mit Tieren umgehen konnte - und unberechenbar schnell und stark waren. Kurzum, es war sehr besorgniserregend, wenn selbst Nachtwind nervös wirkte.
Sam ließ den Blick über die Gruppe wandern. Piek und Xeri Mauskat kämpften mit Luzifer. Das Spingpferd bäumte sich auf und versuchte, die Mädchen abzuschütteln. Die anderen Pferde wirkten nervös, mit zitternden Flanken und zuckenden Ohren. Nur Rea Silvia und Pandora, die beiden Kaltblüter, sahen stoisch auf das Gebäude, das vor ihnen aufragte. Anna van Helsing hatte diese Tiere ausgebildet. Sie fürchteten sich vor nichts.
Das Tor, durch das sie gekommen waren, verschwand mit einem leisen, saugenden Geräusch. Nun waren sie in der Welt eingeschlossen und mussten den Weg hinaus erst öffnen. Seufzend erinnerte sich Sam daran, dass sie nicht so schnell verschwinden können würden.
"Kommt", Anna trieb Rea Silvia an.
Die anderen Pferde folgten in einer langen Reihe, bekräftigt durch die Furchtlosigkeit ihrer Anführerin. Elizabeth, Sam und Elaine kamen als letzte, vorbei die Blonde auf Nachtwind das Schlusslicht bildete.
"Seid konzentriert", wies sie die Reiter mit ruhiger Stimme an. "Gefahr droht nun nicht nur von außen, sondern auch von euren eigenen Reittieren. Seid darauf vorbereitet, dass sie sich jeder Zeit erschrecken könnten."
"Gefährlich ist hier nur deine prophetische Ausdrucksweise", schnaubte Elizabeth. "Warst du in letzter Zeit in Mittelerde?"
"Mische dich nicht in die Angelegenheiten von Zauberern", konterte Elaine.
Sam musste grinsen. Trotz der Gefahr, trotz der Sorge um seine Schützlinge.
Anna führte die Gruppe nicht um das Gebäude herum, sondern durch die Haupttür. Die Reiter mussten sich flach auf den Pferdehals legen, als die Tiere zögerlich über die Schwelle traten.
"Licht!", befahl Anna.
Direkt hinter Sam fauchte es und heller, oranger Feuerschein malte seinen flackernden Schatten auf das Pferd vor ihm. Gleichzeitig erschien weiter vorne eine Kugel aus angenehmen, blau-weißen Licht, als Xeri ihren Zauberstab hob.
"Ich sehe, Magie funktioniert hier", stellte Anna trocken fest. "Haben wir auch Taschenlampen?"
"Die würden nur flackern, sobald Geister auftauchen", wandte Andy ein.
"Eben", knurrte Anna.
Etwas später hatten sich drei Taschenlampen gefunden, die im Zug so verteilt wurden, dass es möglichst in gleichem Abstand Licht gab. Elaine und Xeri spendeten trotzdem weiterhin ihrerseits Helligkeit. Für den Notfall.
Schweigend durchquerten sie lange, staubige Gänge, duckten sich unter Spinnweben hindurch, und sahen in leere Räume. Nichts rührte sich, sogar die Taschenlampen leuchteten konstant. Das Klappern der Pferdehufe war das einzige Geräusch weit und breit.
Schließlich kamen sie in eine große Halle, die wohl einmal eine wunderschöne Fensterfassade gehabt haben musste: Nun waren nur noch Scherben übrig. Während sich die Wächter dem Bild der Zerstörung näherten, lösten sich einige Scherben aus dem Rahmen und fielen auf den Boden.
"Das Glas ist frisch zerbrochen!", erkannte Piek aufgeregt. "Sie waren hier."
Sams Herz schlug höher. Samsung ging fast automatisch schneller. "Sie können noch nicht lange fort sein!"
"Traben!", befahl Anna van Helsing.
Und Andy rief: "Yeah, wir finden sie!"