Siddhartha. Eine indische Dichtung (Hermann Hesse), November 2021
Inhalt: Entgegen des Untertitels handelt es sich bei dem Text über die „Selbstbefreiung eines jungen Menschen aus familiärer und gesellschaftlicher Fremdbestimmung zu einem selbstständigen Leben“ nicht um eine Dichtung im herkömmlichen Sinne, wenngleich der Text etwas Poetisches hat.
Eindruck/Gedanken:
Selten habe ich so ein unglaublich inspirierendes und tiefgründiges Buch gelesen, dass mich zum Denken angeregt hat und mir wichtige Lehren für mein Leben mit auf den Weg gegeben hat – zum Beispiel die Erkenntnis, „dass Erkenntnis nicht durch Lehren zu vermitteln ist, sondern nur durch eigene Erfahrung erworben werden kann.“ Dass man nichts findet, wenn man es sucht, denn „[w]enn jemand sucht, dann geschieht es leicht, dass sein Auge nur noch das Ding sieht, das er sucht, dass er nichts zu finden, nichts in sich einzulassen vermag, weil er nur immer an das Gesuchte denkt, weil er ein Ziel hat, weil er vom Ziel besessen ist. Suchen heißt: ein Ziel haben. Finden aber heißt: frei sein, offen stehen, kein Ziel haben.“
Mit der fiktiven Lebensgeschichte Buddhas versucht Hesse das verbindende Element allen Glaubens, aller Menschen, aller Lebewesen zu ergründen. Er tut dies mit einer bildgewaltigen, mystisch anmutenden Spreche, die ich am Beispiel des Flusses kurz vorstellen möchte: „Zärtlich blickte er in das strömende Wasser, in das durchsichtige Grün, in die kristallenen Linien seiner geheimnisreichen Zeichnung. Lichte Perlen sah er aus der Tiefe steigen, stille Luftblasen auf dem Spiegel schwimmen, Himmelsbläue darin abgebildet. Mit tausend Augen blickte der Fluss ihn an, mit grünen, mit weißen, mit kristallnen, mit himmelblauen.“ Eben dieser Fluss lehrt Siddhartha einige Dinge: das Zuhören („das Lauschen mit stillem Herzen, mit wartender, geöffneter Seele, ohne Leidenschaft, ohne Wunsch, ohne Urteil, ohne Meinung“), „dass es gut ist, nach unten zu streben, zu sinken, die Tiefe zu suchen“, da man nur durch das Leid das Glück wirklich zu schätzen lernt, sowie dass es keine Zeit gibt: „Nichts war, nichts wird sein; alles ist, alles hat Wesen und Gegenwart.“
Zum Abschluss möchte ich noch zwei Zitate herausgreifen, die mich sehr bewegt haben:
- „Nicht im Reden, nicht im Denken sehe ich seine Größe, nur im Tun, im Leben.“
- „Die meisten Menschen, Kamala, sind wie ein fallendes Blatt, das weht und dreht sich durch die Luft, und schwankt, und taumelt zu Boden. Andre aber, wenige, sind wie Sterne, die gehen eine feste Bahn, kein Wind erreicht sie, in sich selber haben sie ihr Gesetz und ihre Bahn.“