Ab Abend hatten uns Naru und die anderen ein Festmahl gezaubert, um unsere Ankunft zu feiern. Jedoch konnten Tomoe und ich das anfangs nicht so richtig genießen, da wir uns zum wiederholten mal darüber gestritten hatten, wer jetzt eigentlich als erstes unter die Dusche durfte. Natürlich gab es mehrere Badezimmer, aber wir wollten nicht noch mehr Arbeit machen. Also beschlossen wir, wie üblich, gemeinsam zu duschen, erzählten den anderen davon aber nichts.
„Dann wollen wir euch herzlich hier im Hinata Ryokan willkommen heißen!“, rief Naru in die Runde.
„Herzlich willkommen!“, riefen die anderen dann.
„Hattet ihr eine lange Reise?“, fragte Keitarou.
Ich und Tomoe starrten uns.
„Zählt die Verfolgungsjagd mit Motoko noch dazu?“, fragte ich.
„Pass bloß auf was du sagst.“, warnte mich Motoko.
„Dann war die Reise, lang und unerträglich.“, fügte ich hinzu.
„Wie habt ihr beide euch eigentlich kennen gelernt?“, fragte Naru.
Ich schluckte und Tomoe blieb ein großes Stück von einem Knödel, im Hals stecken. Gleich die zweite Frage und schon steckten wir in der Klemme. Was sollten wir ihnen denn sagen? Wir hatten das noch gar nicht geübt.
„Nun wir ähm......tja....“, stammelte ich.
„Das ist, eine komplizierte Geschichte.“, hustete Tomoe,“Wir sind uns im Krankenhaus begegnet.“
Alle neigten den Kopf zur Seite und offensichtlich schienen sie diese Geschichte noch nicht so richtig zu schlucken. Ich stieß Tomoe in die Rippen, damit sie fortfuhr. Doch ich bereute es gleich wieder, den ihr Ellbogen war etas spitzer als meiner.
„Wieso denn im Krankenhaus?“, fragte Kanako.
„Ich lag im Krankenhaus.“, erzählte Tomoe weiter, “In der Psychiatrie in der ich war, ist ein schweres Feuer ausgebrochen. Und Rayo war dort auch eingewiesen. Nicht wahr?“
Ich wollte ihr noch widersprechen, wenn da nicht ihr Fuß gewesen wäre. Es gab ein kurzes Knacken das von meinen Zehen kam und ich biss mir auf die Lippe.
„Davon hab ich schon gehört.“, warf Muzumi ein.
„Aber wie seid ihr beide da heraus gekommen?“, fragte Shinobu verängstigt.
Und da kam mir der zündende Gedanke.
„Ich......habe versucht Tomoe zu finden in all dem Chaos. Und als ich sie dann endlich gefunden hatte, lag sie bewustlos in ihrem Zimmer. Also hab ich sie gepackt und durch die Flammen getragen!“
Erleichtert atmete Tomoe aus.
„Ohne zu zögern?“, hackte Motoko weiter nach.
„Ohne zu zögern.“, bestätigte Tomoe,“Dann ging es so weiter uns sofort. Wir wurden von Feuerwehrleuten herausgeholt und dann sind wir später im Krankenhaus wieder aufgewacht.“
Der Rest erzählte sich dann wie von selbst. Obwohl wir uns dabei eher vorkamen, als würden wir ihnen erzählen, das wir ein Liebespaar wären und haarklein beschrieben, wie das mit uns passiert ist. Das wurde uns aber erst im Nachhinein klar. Aber gelogen hatten wir ja nicht. Zumindest war nicht alles gelogen. Das mit dem Feuer und den Feuerwehrleuten stimmte jedenfalls. Alles was danach kam musste wir noch etwas umgestalten. Mutter hatte mich dann schließlich wieder gefunden, mich unter ihre Fittiche genommen und Tomoe zog wenige Tage später bei uns ein. Natürlich verschwieg ich Naru und den anderen die Ereignisse in Kamakura.
Nach all den ganzen Strapazen, suchten Tomoe und ich draußen im Garten einen Platz um uns noch mal zu unterhalten. Der Himmel hatte sich rot gefärbt und hinter dem Ryokan konnte man schon ein paar der Sterne erkennen. Tomoe saß mit kurzer Hose und einem einfachen Unterhemd auf der Veranda und schlürfte einen Eistee. Ich musste eine Kappe tragen, obwohl ich meine Hörner vor der Reise abgeschliffen hatte. Und an den Füßen baumelten schwarze Flipp-Flopps. Es war für die Abenddämmerung noch erstaunlich warm und selbst der gekühlte Eistee half mir da nicht.
„Verdammt, mir tut alles weh.“, stöhnte ich und massierte mir die Fußknöchel.
„Und was ist bitte mit mir? Ich bin auch noch da.“, schlürfte Tomoe erschöpft.
„Warum mussten sie uns noch durch das ganze Haus schleifen, nur um zu zeigen, wer in welchem Zimmer schläft?“, fragte ich.
„Damit du Dummkopf nicht auf die briliante Idee kommst, dich zu einen der Mädels ins Bett zu schleichen.“
„Warum sollte ich das denn bitte tun?“, fragte ich ungläubig, “Ich verstehe euch Menschen einfach nicht! Warum sind manche von euch nur so......besessen darauf den Weibern unter die viel zu kurzen Röcke zu glotzen, oder sie beim Umziehen zu bespannen?! Erkläre mir das mal! Und warum sollte ich mitten in der Nacht zu einem der Mädels ins Zimmer schleichen?“
„Weil die meisten Männer nun mal so sind. Aber bei dir brauchen sie keine Sorgen zu haben. Du bist ja zum Glück nicht so wie die anderen Männer. Ich meine, wir duschen in ein und dem selben Raum, ohne vor Scham im Boden zu versinken!“
Ich seufzte und blickte in den Himmel.
„Was meinst du, wie lange werde ich brauchen um einen Abschluss an der Tokio Uni zu machen?“, fragte ich.
„Länger als ein Jahr. Viel länger, das kannst du mir glauben.“, erwiderte sie.
„Großartig.“, sagte ich trocken, “Ich wette, Mutter hat noch irgendwas anderes geplant! Ich weiß es genau!“
„Ich sag es zwar nur ungern, aber der Meinung bin ich auch. Sie hat sowieso viel zu fröhlich gewirkt, als wir uns verabschiedet haben. Ich traue deiner Mutter sowieso keine zwei Meter weit. Die ist durchtrieben.“
Ich lies den Kopf hängen und sah mich gedankenverloren um. So vieles hatte ich auf mich genommen, meine gerade gefundene Mutter hatte ich zurückgelassen nur um an einer Uni aufgenommen zu werden. Und dabei musste ich noch weit aus mehr lernen, als irgendwelche hochkomplizierten Aufgaben, mi denen sich die Menschen Tag für Tag rumschlagen mussten.
„Ich habe in letzter Zeit wieder an Kamakura gedacht.“, säuselte ich.
„Mach dir darum keinen Kopf. Sobald es passend ist, melden sich Senkou und Rin'ne schon und dann sehen wir weiter.“
„Mit den beiden hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen.“, murmelte ich,“Senkou schuldet mir noch einen Kampf.“
„Jetzt sei doch nicht so laut!“, zischte Tomoe und sah sich um, “Wenn die Mädels das hören, fliegen wir schneller auf, als uns lieb ist! Was glaubst du was dann für ein Aufstand sich hier breit macht? Wir werden keine ruhige Minute mehr haben.“
„Ist gut.“, sagte ich dumpf.
Ich drehte mich um, um ihr noch etwas zu sagen. Aber sie blickte lieber in den Himmel und schien nach etwas Ausschau zu halten.
„Was ist?“, fragte sie, ohne den Kopf aus den Wolken zu nehmen.
„Sag mal, was starrst du so nach oben?“, fragte ich und kratzte mich am Kopf.
„Ich? Gar nichts. Halt dich nicht dran auf. Ich habe nur schon lange nicht mehr in den Nachthimmel geblickt. Und auch den Mond hab ich seid einer Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
Schultern zuckend, legte ich mich auf den Rücken und blickte ebenfalls in die Sterne, die sich langsam hervorwagten.
„Mutter hat mir mal erzählt, das es schon Menschen geschafft haben, auf den Mond zu fliegen. Wie haben die das hingekriegt?!“
„Mit einer Rakete, einem Spaceshuttle, was weiß ich.“, sie trank den Rest ihres Eistees in einem letzten großen Schluck und stand dann auf, “Ich gehe schon mal ins Bett. Bleib nicht mehr zu lange auf. Morgen lernen wir die Mädels und Keitaro ein wenig besser kennen.“
Sie schritt davon. Ich aber hielt sie noch mal zurück und drehte mich zu ihr um.
„Solltest du etwas brauchen, rufst du mich.“ sagte ich mit ernster Mine.
Sie stoppte mit einem Fuß im Türrahmen und seufzte schwer. Sie lies den Kopf und die Schultern hängen und blieb mit den Rücken zu mir gedreht.
„Fängst du schon wieder damit an?“, erwiderte sie kühl.
„Du erinnerst dich doch noch daran, was du mir versprochen hast, oder?“, fragte ich und stand auf.
„Ja doch.“, knurrte sie angespannt, “Aber ich sage es dir noch einmal, damit du es langsam mal begreifst: Es wird, nichts passieren.“
Sie ballte die Faust und biss sich auf die Lippe.
„Du weißt, das ich mein Versprechen, was ich dir gegeben hab, einhalten werde. Sollte irgendetwas passieren, dann kannst du auf mich zählen.“
Eine Antwort darauf bekam ich nicht mehr. Nur ein leises „Idiot.“, konnte ich so gerade noch von ihr hören. Und als sie oben ankam, lies sie sich gegen die Wand fallen und bedeckte das Gesicht mit den Händen.
„Und ich dachte, dass die ganze Sache endlich ausgestanden wäre.“, flüsterte sie, “Warum fängst du jetzt wieder damit an? Warum willst du mich immer noch beschützen?“
In Shinjuku, klingelte im Haus meiner Mutter das Telefon. Es war mitten in der Nacht und einem leisen seufzer und einem darauffolgenden „Och neeee....“, suchte sie verzweifelt mit einer Hand das Telefon neben ihren Bett und legte es an ihr Ohr.
„Shiori.“, meldete sie sich und war nach der Antwort, sofort hellwach,“Tomoe. Endlich meldest du dich mal. Und wie seid ihr angekommen? Geht es euch gut?“
„Ja, alles bestens. Die Mädels hier sind alle sehr nett und eine hat schon versucht Rayo einen Kopf kürzer zu machen.
Mutter kicherte und setzte sich auf.
„Ich hätte es wissen müssen. Und wie geht es meinen kleinen Prinzen so? Kannst du ihn mal holen? Ich möchte sein süßes kleines Stimmchen hören!“
„Das wäre jetzt keine so gute Idee. Er ist vor einer halben Stunde endlich eingeschlafen. Und er schnarcht wie ein Ochse! Man könnte meinen, dass das ganze Ryokan bebt!“
„Sehr schön. Er soll gut schlafen. Ich will doch das mein kleiner Prinz sich wohl fühlt.“
„Und wie geht es euch? Ist Naomi immer noch sauer darüber, das Rayo nicht mehr bei euch ist?“
„Ach, die hat sich wieder beruhigt.“, winkte Mutter ab, “Außerdem haben wir einen neuen Besucher bei uns.“
„Ist Hikari noch bei euch?“
„Ja doch. Sie spielt hin und wieder die Babysitterin, obwohl die Zwillinge das eigentlich nicht nötig haben. Aber ich meinte.......jemand anderen, der gleich nach eurer Abreise hier eingetroffen ist.“
„Wen meinst du?“, fragte Tomoe verdutzt.
„Hör mal.“
Sie hielt den Hörer von sich weg und es erklang ein noch lauteres Schnarchen, als das meine.
„Großer Gott.......welchen armen Trottel hast du abgeschleppt?“
Mutter grinste und strich ihren Zimmergenossen durchs Haar.
„Sagen wir so, er stand direkt vor der Haustüre und ich hab ihn erst mal rein gelassen.“
„Jetzt spann mich nicht so lange auf die Folter!“, antwortete Tomoe genervt, “Wer ist so verrückt, dass er sich nach einen Tag mit dir, in dein Bett legt?!“
Mutter setzte sich auf die Bettkante und grinste noch breiter.
„Sein Vater.“
Es herrschte eine kurze Zeit Stille und von Tomoe kam nur ein schweres Seufzen.
„Wirklich? Schon wieder?“
„Keine Sorge, diesmal bleibt er schön hier. Ich werde ihn diesmal so lange quälen bis er zusammen bricht.“
„Ja ja. Es gibt aber noch etwas, über das ich mit dir reden wollte. Es geht um Rayo.........oder nein, viel mehr um das was in Kamakura passiert ist.“
Sofort verblasste Mutters Grinsen und sie wurde ernster.
„Was ist denn los? Zerbricht er sich wieder den Kopf darüber, was er getan hat? Und hast du ihn danach sofort wieder mit etwas abgelenkt?“
„Ja hab ich. Aber er verfällt wieder in sein altes Verhalten, gegenüber mir. Er will mich ständig beschützen. An für sich ist das ja nicht schlimm. Es ist nur etwas unangenehm, mit ihm wieder darüber zu sprechen. Ich dachte das Thema wäre abgeschlossen.“
„Ja, ich weiß das er diesen Gedanken einfach nicht ausblenden kann. Wenn du dich darauf einlässt, wird er schon ruhige und gelassener. Versprochen.“
„Wenn du das sagst. Das nächste Problem ist, wir wissen nicht was wir morgen machen sollen! Es sind noch ein paar Wochen, bevor es mit den lernen losgeht. Und die Mädels wollten ihn ein wenig auflockern, bevor es zur Sache geht.“
„Das ist ein guter Einfall. Frag sie morgen früh einfach mal. Sicher fällt euch was ein.“
„Ist gut. Entschuldige bitte die später Störung.“
„Macht nichts. Bis bald. Und sag ihm, das er mich morgen anrufen soll!“
„Mach ich!“
Sie legten auf und Kopf schüttelnd, blickte Mutter zu meinen Vater.
„Manchmal frage ich mich, von wem er mehr geerbt hat. Dieser kleine Holzkopf. Mein.......kleiner Prinz.“
Weit weg, in Osaka, stand ein großes Anwesen, bewohnt von einer wohlhabenden Familie. Die Tochter saß in ihrem Zimmer, in einem Sessel und blickte in den roten, noch kaum zu erkennenden Sichelmond. Sie feixte über das ganze Gesicht und betrachtete ihr langes Katana was vor ihr auf seinen Sockel lag und im Mondlicht schimmerte.
„Schon bald, wird mich mein Weg, zur Todai führen. Ich bin unterwegs, ihr erbärmlichen Schwächlinge!“