Im Ryokan hatte sich die allgemeine Stimmung wieder beruhigt. Mutter hatte Seiryu und Naomi von der Leine gelassen mit dem Nachdruck, dass sie ihre Mützen nicht abnehmen durften. Und auf die Frage der anderen, warum dass so wichtig war, ging Mutter nicht weiter ein und wies alle noch mal darauf hin, den Zwillingen unter keinen Umständen die Mützen vom Kopf zu nehmen. Seiryu hatte mit jedem der Mädchen bisher Zeit verbracht, wenn auch immer nur recht kurz. Su war die letzte und bei ihr schien er sich irgendwie, wohl zu fühlen. Sie lies ihn mit einem ferngesteuerten Rennauto spielen, wovon der natürlich hellauf begeistert war. Keitaro hatte den Fehler begannen, sich mit Seiryu im Ringen zu messen, was mein neugewonnener Freund, etwas auf die leichte Schulter nahm und von Seiryu nach Strich und Faden, immer wieder ausgeknockt wurde. Naomi wiederum hatte sich mit Kanakos Katze die Zeit vertrieben und schien davon nicht genug zu kriegen. Zu erst hatten sie etwas Spaß mit einem Wollknäuel, was darin endete das Naomi der Katze auf allen Vieren, durch das gesamte Ryokan nachjagte. Mutter, Hikari und Haruka drangsalierten Senichi und stocherten in seiner Vergangenheit herum.
Tomoe, Yu und Motoko, standen derweilen vor der Haustüre und schienen auf etwas zu warten.
„Du hast mir nicht gesagt, das dein Mitbewohner noch Geschwister hat.“, sagte Yu erschöpft und klammerte sich an Tomoes Arm.
„Sicher? Ich meine, ich hätte dir das schon mal erzählt.“
„Nein, ganz und gar nicht!“
„Ich finde es allerdings immer noch erstaunlich, dass sich Rayos Geschwister, so stark von ihm unterscheiden.“, warf Motoko ein.
„Und dabei gehen beide völlig unterschiedlich mit ihn um.“, erwiderte Tomoe,“Seiryu ist eifersüchtig auf Rayo, während Naomi ihn überhaupt nicht mehr von sich reißen will.“
Der Wind frischte auf, unzählige Blätter wurden durch die Luft gewirbelt und bildeten sogar einen kleinen Tornado, der sich jedoch rasch wieder auflöste. Sie hörten wie jemand auf den Saiten einer Shamisen spielte. Wie ich später erfuhr, war das eine spezielle „Laute“ mit langem Hals, 3 Saiten und einem relativ kleinen Klangkörper.
Eine Gestalt, tauchte am anderen Ende des Weges zum Ryokan auf und schritt auf sie zu. Sie trug einen breiten Strohhut, wie ihn die Samurai einst getragen hatten, einen weiten Kimono und am Gürtel ein Nodachi-Katana. In den Händen hielt sie die besagte Shamisen und spielte diese
auch.
„Tomoe.........ich hab Angst!“, schluckte Yu und versteckte sich hinter ihrer Freundin,“Lass uns wieder rein gehen!“
„Nur die Ruhe.“, versuchte Tomoe sie zu beschwichtigen,“Motoko.....“
Die Gestalt spielte nun schneller, gab sich aber keine Mühe sich zu beeilen, sondern behielt ihr Lauftempo bei.
„Keine Bange. Ich bin bereit.“, sagte Motoko und legte eine Hand an ihr Katana.
Ein Windstoß, verdeckte ihre Sicht mit einem Wall aus Blättern und als dieser wieder verschwand, schien die Gestalt näher gekommen zu sein.
Yu zitterte wie verrückt, ihre Zähne klapperten und selbst auf Tomoes Stirn, sammelten sich die ersten Schweißperlen.
Das Spiel der Shamisen erreichte seinen Höhepunkt, wurde schneller. Und als der nächste Wall aus Blättern auftrat und genauso schnell wieder verschwand, war auch die mysteriöse Gestalt verschwunden.
„Was eh......“, sagte Tomoe verdutzt und lies den Blick schweifen, “Ihr habt das gerade auch gesehen oder? Ich hab mir das nicht eingebildet!“
„I-ich hab g-gar nichts gesehen!“, log Yu und hatte sich hinter Tomoe hingehockt und sie die Augen zugehalten.
„Hm. Was auch immer es war, es ist.......“
„Direkt hinter euch........“, hörten sie jemanden flüstern.
Erbleicht und mit vor Schreck verzerrten Gesichtern, drehten sich Tomoe und Motoko um und es entfuhr ihnen ein entsetzlicher Schrei. Yu, öffnete die Augen und fiel vor Schreck in Ohnmacht. Eine blutig rote Maske starrte sie an. Insgesamt 3 Augen. Eines saß direkt auf der Stirn aus der auch ein paar schwarzer Hörner herauswuchsen.
Als der Schock abebbte, nahm die Gestalt die Maske ab.
„Entschuldigt bitte.“, sagte sie, “Ich hoffe, ich habe es nicht übertrieben.“
„Wieso, musst du denn jedes mal so einen Wind machen, wenn du hier auftauchst?!“, beschwerte sich Motoko,“Bist du dafür nicht schon etwas zu alt, Schwester?!“
„Das, ist also deine Schwester?!“, fluchte Tomoe und versuchte Yu wieder wach zu kriegen,“Ich hoffe dann mal, dass sich der ganze Ärger auch wirklich lohnt, sonst werd ich richtig sauer!“
Tsuruko, Motokos ältere Schwester, setzte ein verlegenes Lächeln auf und ging mit den dreien nach oben, in Motokos Zimmer.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“, sagte Tsuruko,“Ich hatte noch viel zu tun.“
„Und du kannst mir wirklich helfen?“, fragte Tomoe.
„Das lässt sich schnell herausfinden.“, erwiderte Tsuruko,“Verrate mir doch noch mal mit deinen Worten, wo genau das Problem ist. Was, hast du gesehen?“
Tomoe schluckte und wusste nicht so recht ob sie nun mit der Sprache rausrücken sollte oder nicht. Doch als sie herumdruckste, bemerkte sie diesen kalten Ausdruck in Tsurukos Augen, zuckte sie kurz zusammen und atmete durch.
„Es war, ein paar Nächte bevor der erste Tag an der Uni angefangen hatte. Zu erst, kam es mir so vor, als hätte ich vergessen das Fenster zu schließen. Und als ich es dann endlich geschlossen hatte, stand da plötzlich dieser Samurai vor mir.“
„Ein Samurai sagst du?“, wiederholte Motokos Schwester.
„Er trug einen Strohhut, ein langes Katana und überall ragten Pfeile aus seiner Rüstung heraus.“
„Vielleicht hat dir Tsuruko da auch nur einen Streich gespielt, wie uns vorhin!“, meldete sich Yu zu Wort.
Tsuruko kicherte darauf nur.
„Ach komm, du bist doch nicht wirklich immer noch sauer auf mich oder?“
„Es ist doch jetzt völlig egal, was mit mir ist!“, schnaufte Tomoes alte Freundin,“Bitte hilf Tomoe, und lass diese gemeinen Scherze!“
Tomoe tätschelte sie und nahm ihre Hand.
„Jetzt komm mal wieder auf den Teppich. Sie kann uns sicher nicht besser helfen, wenn du dich so sehr aufregst.“
„Ist schon in Ordnung.“, sagte Motokos Schwester,“Ich habe es einfach nur etwas übertrieben. Aber weiter im Text!“
„Ja gut.“, sprach Tomoe weiter,“Jedenfalls, stand dieser Samurai direkt vor mir und wollte mit seinem Katana auf mich losgehen.“
„Und hat er dir irgendetwas gesagt? Eine Drohung oder sowas in der Art?“, fragte Tsuruko.
„Nein. Nichts. Er holte zum Schlag aus und dann kamen auch schon Rayo und Motoko ins Zimmer und der Samurai war verschwunden.“
„Und ihr beide habt nichts gesehen?“, fragte Tsuruko jetzt Motoko.
„Nein. Da war nichts. Aber, Tomoe hatte schon lange davor, Albträume gehabt. Einmal, hatte sie sich sogar fast vom Dach gestürzt.“
Daraufhin warf Yu ihrer Freundin einen entsetzten Blick zu und erntete darauf nur ein stummes Nicken von Tomoe.
„Und was war der Grund für die Sache mit dem Dach?“
„Nun eh........ich weis nicht genau wie ich sagen soll....“, stammelte Tomoe und wich ihren Blicken aus.
Motoko und ihre Schwester sahen sich an und verdrehten seufzend die Augen.
„Selbstverständlich weist du das nicht.“, nickten die beiden.
„Die Geschichte kennen wir schon.“, sagte Motoko.
„Wie darf ich das denn verstehen?“, fragte Tomoe misstrauisch.
„Na überleg doch mal. Rayo steckte zu der Zeit in einer schweren Depression und war näher als wir alle am Abgrund und noch viel näher daran, für immer dort zu bleiben. Er schwebte in Lebensgefahr und stand sogar davor zu sterben. Sicher, wir alle hatten damit zu kämpfen , weil wir den kleinen Griesgram mittlerweile besser kennen und auch mögen. Aber du, Tomoe, du hast noch mal eine ganz besondere Verbindung zu ihm.“, erklärte Motoko ausführlich.
„Außerdem haben wir alle eine ähnliche Situation, mit Keitaro und Naru durchgemacht. Nur nicht ganz so extrem wie bei euch.“, fuhr Tsuruko fort.
„Also erzähl uns jetzt bitte nicht, das da nicht noch ein wenig mehr, als simpler Respekt und gegenseitige Wertschätzung mit im Spiel ist. Du hast was für ihn übrig. Gut, diese ganze Erfahrung war schwer und schmerzvoll, für uns alle. Aber euch beide hat das noch mal mehr zusammengeschweißt.“
Tomoe lies den Kopf hängen und ihre Schultern begannen zu zittern. Ein leichtes Knarzen war von der Türe zu hören. Und Yu hielt sich die Ohren zu, so als ob sie irgendetwas gehört hat, was sie gar nicht hören wollte.
Um den ganzen aber schnell ein Ende zu bereiten, stand Motoko auf und schob ihre Türe auf, nur damit Su, Muzumi, Naru und Shinobu ins Zimmer fielen.
„Habt ihr etwa wieder mal gelauscht?“, fragte Motoko.
„Ach Quatsch, wir doch nicht!“, sagten alle gleichzeitig.
„Könntet ihr bitte wieder gehen?“, sagte Tomoe mit ernster Mine,“Das, geht euch nun wirklich nichts an.“
Motoko scheuchte sie wieder weg und schloss danach die Türe ab.
„Ich sehe schon, so kommen wir nicht wirklich weiter.“, merkte Tsuruko an,“Aber sag mir, ist dieser Samurai dir noch öfters erschienen, oder blieb es nur bei diesem einen mal?“
„Einmal ist er schon noch aufgetaucht. Natürlich wieder in der Nacht.“, nahm Tomoe den Faden wieder auf, als wäre nichts weiter gewesen,“Er wanderte durch den Korridor, ging dann in Rayos Zimmer und stand kurz davor, ihn mit dem Katana zu erschlagen. Also bin ich zuvor natürlich hinter ihm her und kam hatte ich mein Schwert gezogen, verschwand der Samurai auch schon wieder.“
Tsuruko musterte sie eingehend und notierte sich ein paar Sachen.
„Ja, so langsam kann ich ein Muster erkennen.“, sagte sie schließlich und legte Stift und Block weg.
„Und was genau?“, fragte Tomoe,“Wenn das so weiter geht, kann ich mich gleich wieder einweisen lassen!“
„Sag doch bitte so was nicht!“, flehte Yu und brach in Schweiß aus.
„Nur die Ruhe ihr beiden, dazu wird es schon nicht kommen. Wenn wir ihr helfen können, versteht sich.“, sagte Tsuruko,“Darf ich dir, eine persönliche Frage stellen?“
„Klar.“, antwortete meine Mitbewohnerin.
„Wie nah steht ihr beiden euch? Du und dieser Rayo, meine ich.“
Tomoe zuckte die Schultern.
„Wir sind Mitbewohner. Und wenn man ihn für eine Sekunde aus den Augen lässt, stellt er sofort was dummes an. Heute ist er wieder mal abgehauen.“
Motoko und ihre Schwester, sahen sich an und Tsurukos Blick verdunkelte sich.
„Du bist meiner Frage ausgewichen. Hat das einen bestimmten Grund?“
Tomoe, stöhnte genervt auf und raufte sich die Haare.
„Verdammt noch mal, was haben meine Albträume denn jetzt plötzlich mit diesem Holzkopf zu tun?! Hier geht es um mich und meine verfluchten Probleme! Also, können wir uns bitte nur noch darauf konzentrieren?“
„Von mir aus.“, sagte Tsuruko entschieden,“Du musst wissen, dass ich eine Exorzistin bin. Sollte dich dieser Geist oder was auch immer, wirklich heimsuchen, müssen wir zu drastischeren Mitteln greifen. Also, verrate mir, ob es noch etwas gibt, was dich bedrückt oder dich verunsichert. Irgendetwas.“
„Na ja, da wäre noch meine Erzrivalin Isshina Korukawa, auch Ella genannt. Seit sie wieder in mein Leben getreten ist, bin ich wesentlich gereizter als sonst. Zu erst taucht sie in der Todai auf und lässt sich von Rayo verbal demütigen. Dann versucht sie mich auf der Feier der Uni zu übertreffen. Und schließlich tänzelt sie in letzter Zeit, ständig um Rayo herum.“
„Deine Rivalin also.“, wiederholte Tsuruko,“Inwiefern?“
„Kenjutsu-Meisterschaft.“, sagte Tomoe knapp,“Mehrmals standen wir uns im Finale gegenüber und immer, verlor ich im letzten Moment gegen sie. Aber nächstes mal, wird sich das ändern! Ich werde noch härter und intensiver als je zu vor trainieren, damit sie endlich mal ihre eigene Medizin schluckt!“
Motokos Schwester nickte.
„Ich glaube, wir haben die Wurzel allen Übels gefunden. Und ich glaube, ich kann dir damit helfen.“
Tomoes Mine hellte auf.
„Wirklich? Muss ich irgendwie, umziehen oder ein Ritual vollziehen damit der Spuk aufhört?“
„Meine Theorie sieht folgend aus. Deine Rivalität mit dieser Isshina, ist einer der Auslöser für das Erscheinen des Geistes. Falls es überhaupt einer ist. Da du immer noch sehr verbissen bist, Isshina zu besiegen, bildest du dir wahrscheinlich ein, selbst dieser Samurai zu sein.“
„Aber, warum sollte ich mir einbilden ein Samurai zu sein, der dann auch noch auf Rayo losgeht?“, fragte Tomeo weiter.
„Vielleicht, versucht dein Unterbewusstsein die Störfaktoren, die dich daran hindern dein Ziel erfolgreich zu verfolgen, auszuschalten. Aber, das ist nur eine Theorie.“
Tomoe schluckte und biss sich auf die Lippe.
„Aber, Rayo stört mich keines Wegs. Ja gut, er macht halt hin und wieder etwas Blödsinn, aber er hindert mich nicht daran, mein Ziel zu erreichen.“
„Wie gesagt, es ist nur eine Theorie von mir. Das muss natürlich nicht zwangsweise bedeuten, dass es genau das Problem ist. Und mit der Kenjutsu-Meisterschaft, hast du mich leicht neugierig gemacht.“, erklärte Tsuruko.
„So?“
„Du sagtest, dass du mehrere male das Finale erreicht hättest. Und dessen, will ich mich jetzt selbst überzeugen.“
„Soll das heißen du......“, versuchte Tomoe zu erraten.
„Korrekt. Ich möchte sehen, wie gut du wirklich bist. Und wenn du willst, kann ich dich unterrichten.“