Währenddessen waren die Mädchen immer noch viel unterwegs. Muzumi, Su, Shinobu und Motoko hatten sich von den anderen abgekapselt. Tomoe, Kanako, Kitsune und Naru saßen an einen Tisch und blätterten in Zeitschriften herum. Tomoe, tat selbiges ebenfalls, allerdings in einer etwas anderen Sorte als die drei neben ihr.
„Und du bist dir sicher, das ihr das schon nächstes Jahr durchziehen wollt?“, fragte Tomoe,“Ich meine.....wenn wir alle die Uni schaffen – von mir aus, aber doch nicht schon nächstes Jahr! Das ist viel zu früh!“
„Also ich finde Tomoe hat da ganz recht.“, sagte Kanako,“Während der Uni kann noch so unfassbar viel passieren und schief gehen! Was wenn es zwischen euch beiden mal Stress gibt? Dann seht ihr beide euch nicht mal mehr an, redet kaum noch miteinander und ehe ihr euch verseht, ist es aus!“
„Jetzt kommt mal wieder runter.“, warf Kitsune ein,“Ja, es mag riskant sein das nächstes Jahr schon durchziehen zu wollen, aber sollten die beiden das nicht alleine entscheiden? Immerhin ist es ihr großer Tag! Obwohl.......“
„Siehst du, sag ich doch.“, sagte Tomoe,“Außerdem....sollte er dich nicht erst einmal fragen? Das muss auch alles noch durchgezogen werden!“
„Und was ist bitte mit dir, Tomoe?“, fragte Naru,“Was sind deine Pläne für nächstes Jahr?“
Doch Tomoe zuckte nur die Schultern und blätterte weiter.
„Keine Ahnung. Ich will erst mal die Uni überstehen und hoffen das der Holzkopf auch noch gut durchkommt. Sonst sitzt uns seine Mutter die ganze Zeit im Nacken!“
Die drei sahen sich an und rückten näher an sie heran.
„Sag mal, gibt’s eigentlich schon jemanden, auf den du ein Auge geworfen hast?“, fragte Naru neugierig.
„Keinesfalls.“, antwortete Tomoe trocken,“Es mag sein, dass ich durch euch erst wieder mein Schamgefühl wieder gefunden hab, aber müssen wir deswegen von früh bis spät darüber quatschen, welchen Kerl wir anschmachten?“
„Jetzt komm schon! Was hast du wirklich für nächstes Jahr geplant!“, harkte Kitsune nach.
Tomoe hielt ihnen ihre Zeitschrift unter die Nase.
„Ein Motorrad.“, sagte sie knapp,“Ich habe vor meinen Führerschein zu machen.“
„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte Kanako,“Ich meine, du verdienst noch nicht dein eigenes Geld. Das dürfte etwas schwierig werden. Du hast noch keinen Job.“
„Ach das wird schon.“, sie blickte auf die Uhr,“Ich will ja nicht wie Rayo anfangen zu meckern, aber......wo bleiben die bloß? Ich hätte mitgehen sollen! Kacke!“
„Komm mal wieder auf den Teppich.“, sagte Kitsune,“Nicht nur du und Rayo habt in den letzten Wochen so viel durchgemacht.“
„Wie meint ihr.......“, begann Tomoe, doch Naru unterbrach sie.
„Ganz einfach.“, sagte sie,“Rayos Zusammenbruch, seine Depression die immer schlimmer wurde und jetzt wieder abflaut. All das war für uns eine kurze, aber harte Zeit. Natürlich habt ihr beide am meisten darunter gelitten und gerade er. Du hast dich so unglaublich ins Zeug gelegt. Und jetzt ist es an der Zeit mal auszuspannen. Mag sein, das in einer Woche schon die Uni losgeht, aber wir schieben die Vorbereitungen dafür etwas nach hinten.“
„Aber eine Sache verstehe ich trotzdem noch nicht so ganz.“, sagte Kanako.
„Und was genau?“, fragte Tomoe.
„Warum, war er zu stur, um sich von uns helfen zu lassen, als er wieder zurück kam? Ich meine gut, mittlerweile kennen wir ihn schon etwas besser, aber das es solche Ausmaße annimmt.“
„Ach so.“, entgegnete Tomoe,“Na das ist doch ganz einfach. Rayo hat, so wie er es mir erzählt hat, das nur getan, um uns etwas zurück zu zahlen. Wochenlang haben wir alle uns für ihn den Arsch aufgerissen, mussten ständig darum bangen das er........na ja....ihr wisst schon. Und diesen letzten Weg zum Ryokan, wollte er deswegen alleine bestreiten. Er wäre auf ewig verletzt gewesen, wenn wir ihm da geholfen hätten.“
Kitsune nickte.
„Auch wenn er objektiv betrachtet noch ein hitzköpfiges Kind ist, hat er auch seinen Stolz. Aber ich teile Kanakos Verwirrung. Apropos: Wann wolltest du eigentlich mit ihm über diese Sache reden?“
„Wie?“, fragte Kanako.
„Du weißt schon, Kanako! „DIE“ Sache!“, sagten die anderen drei gleichzeitig.
„Es hat sich eben noch keine gute Gelegenheit ergeben. Aber sobald wir zurück sind, werde ich mich an ihm kleben wie eine Klette und erst dann wieder loslassen, bis wir geredet haben!“
Naru stieß ein verdruckstes Kichern aus.
„Hoffentlich treibt ihr es dann nicht so weit, wie Kitsune!“
„Fängt das schon wieder an? Ich habe schon oft genug gesagt, dass wir uns nur geküsst haben! Da ist doch nun wirklich nichts dabei!“
Ich war verwirrt, überwältigt und schockiert zu gleich. Eine Residenz von einem Klan der meinen Namen trug. Würden sich hier noch mehr Fragen auftun?
„Was wird mich da drin erwarten?“, fragte ich nervös.
„Keine Sorge. Die Herrschaften mögen zwar auf dem ersten Blick sehr einschüchternd wirken, aber es gibt eine Sache, die dich von ihnen unterscheidet.“
„Und was?“
Mutter setzte ein schmales Lächeln auf und seufzte.
„Es sind ganz normale Menschen. Sie haben weder Telekinese, noch Hörner. Sie werden also nicht darauf aus sein dich mit bloßer Gedankenkraft zu zerquetschen oder in der Luft zu zerreißen. Alles was du zu tun hast ist, einfach nur ab zu warten und wirklich erst dann zu sprechen, wenn du gefragt oder direkt angesprochen wirst.“
Ich schluckte.
„Leben hier also diejenigen......die die Menschen als „Großeltern“ bezeichnen?“, fragte ich weiter.
„Allerdings. Tanten, Onkel, Großeltern, Cousins und Cousinen, es ist so ziemlich alles vertreten. Das Oberhaupt, steht über allen anderen. Auf ihn musst du besonders achten.“
„Und wieso genau?“
„Weil er Dreh- und Angelpunkt im gesamten Klan ist. Er wird dir wahrscheinlich die meisten Fragen stellen wollen. Aber das wirst du ja selbst merken.“
Sie packte einen kurzen Strick, der an einer Glocke befestigt war, die wiederum neben dem Eingangsportal hing und läutete sie genau drei mal.
„Einen Moment mal, wenn es nur normale Menschen sind und sie nicht so sind wie wir,......“, fasste ich zusammen.
„Ja?“
„Wissen sie denn, was wir sind? Haben sie auch nur eine geringe Ahnung davon, zu was wir im Stande sind?“
„Auch darüber sind sie bestens informiert.“, sagte Mutter.
Sie kam auf meine Augenhöhe und umarmte mich.
„Hör zu mein Kleiner Prinz, ganz gleich was da drinnen auch geschehen mag, ich bin bei dir. Gut, es mag sein das du kein kleines Kind mehr bist, aber dennoch.....“
„Schon gut, ich versteh schon.“, seufzte ich,“Ich werde nicht vorlaut, blöde Bemerkungen kommen mir auch nicht über die Lippen und ich werde mich zurückhalten um ja nicht mit irgendwem Streit anzufangen.“
Sie hob mein Kinn an und strahlte.
„Genau das wollte ich hören.“, grinste sie,“Ich weis, dass man sich nicht verstellen sollte, aber das hier wird ein wichtiges Treffen. Für uns beide. Seit ich damals mit deinem Vater und Hikari studiert habe, habe ich mich vom Klan abgeschottet.“
„Und wieso?“, fragte ich.
„Na ja, ich mochte diese strengen Traditionen nicht und glaub mir, du würdest sie auch nicht mögen. Und als ich dann schwanger wurde, konnte ich ohnehin nicht mehr zurück, weil ein uneheliches Kind zu bekommen vom Klan verpönt wird und Schande bringt. Aber genug davon.“
Als sie sich wieder aufrichtete, öffnete sich das Portal und wir konnten eintreten. Und das erste was mir ins Auge sprang, waren diese beiden gewaltigen Drachen, die mit weit offenen Maul, prächtigem Geweih und feurig roter Mähne auf ihrem Sockel standen. Schwarz und rot war ihr Schuppenkleid und wie schon beim Tor, schienen mir ihre Augen zu folgen. Und an der eigentlichen Haustüre, wurden wir auch schon empfangen. Es war eine junge Frau, etwa in Mutters Alter. Ihre Haare trug sie ordentlich, glatt gekämmt und hinten mit strammen Haarknoten, der von zwei langen Haarnadeln zusammengehalten wurde. Einen Kimono trug sie ebenfalls. Schwarz, mit roten Akzenten.
„Ich grüße euch.“, sagte sie und verneigte sich sehr tief,“Seid willkommen in der Residenz des Akumaru-Klans. Der ehrenwerte Asurai erwartet euch bereits.“
Wir verneigten uns ebenfalls.
„Sie müssen wohl die neue, Haushälterin sein.“, sagte Mutter.
„Gewiss.“, nickte sie,“Rin Nashikawa. Wenn ihr einen Wunsch habt, zögert bitte nicht mich direkt anzusprechen.“
„Das werden wir uns merken.“, erwiderte Mutter und schob mich nach vorne,“Ich nehme an, der ehrenwerte Asurai wird uns später Gesellschaft leisten?“
Rin nickte.
„Der Herr des Hauses bat mich darum alles herzurichten. Wenn ihr erlaubt, würde ich euch zum Saal führen.“
Mutter nickte nur und schon, tat ich meine ersten Schritte und überquerte die Schwelle. Kaum hatte mein großer Zeh, den feinen Laminatboden berührt, spürte ich etwas. Zu erst war es wie ein Sog, der all mein noch vorhandenes Selbstbewusstsein verschlang und dann durch Unsicherheit ersetzte. Dann, kam dieser enorme, unangenehme Druck, der sich auf meine Schultern und meinen Rücken niederließ und mich immer weiter zu Boden presste. Ich spürte ein gewisses Maß an Dunkelheit an diesem Ort, die mich in ihren Bann zog und schlussendlich wurde ich von dieser auch verschlungen. Furcht vor der Ungewissheit, was mich hier erwarten würde, trieben mich fast in den Wahnsinn. Aber, wenn hier nur „normale“ Menschen lebten, was bereitete mir dann so eine Angst? Eine ähnliche Angst, hatte ich verspürt, als ich damals zum ersten mal die „Rote Zone“ betreten hatte. Alles war noch so fremd und neu für mich. Ich konnte die Anwesenheit aller anderen Spüren und jede einzelne, war schlimmer als die andere. Selbst Shinkai, Ametsuyu, Hanayou oder sogar Yokusoku, drängten mich mit ihrer bloße Existenz in eine Ecke. Dabei waren diese vier die weniger gefährlichen.
Und nun, verspürte ich die gleiche Angst erneut. Was war nur mit mir los?
Rin, übergab Mutter einen Kimono wie ihren, schwarz und rot. Meinen konnte ich erst noch anbehalten, wobei Rin mir aber sagte, dass dies sich nach der Versammlung ändern würde.
„Ich bin mir etwas unsicher!“, zischte ich in Mutters Richtung.
„Wieso? Es läuft doch bisher sehr gut!“
„Ja aber......wenn von den anderen verstoßen oder ausgegrenzt werde? Ich meine, du sagtest doch, dass ein uneheliches Kind zu bekommen verpönt wird!“
„Ja schon, aber du wurdest ja geboren, nachdem ich deinen Vater geheiratet habe.“, sagte Mutter,“Und jetzt behalte die Nerven. Es wird ganz schnell vorbei sein. Wirst schon sehen.“
Aus einem Nebenzimmer, kam eine Gestalt die angezogen war wie Mutter und Rin. Allerdings war sie viel jünger und erspähte mich sofort. Nur um sich mir in den Weg zu stellen.
„Was haben wir denn hier?“, sagte das Mädchen und bohrte mir ihren Zeigefinger in die Brust,“Ein Fremdling in unseren Kreisen?! Eine Schande ist das!“
Mutter schritt sofort ein und drängte sich zwischen uns.
„Rin, gehen sie nur schon vor. Wir kommen dann nach.“, sagte sie kühl,“Um diese Göre, kümmere ich mich persönlich!“
Rin verneigte sich und ging davon, da sie vielleicht schon ahnte, zu was Mutter im Stande war. Das Mädchen, zeigte sich aber keinesfalls von Mutter beeindruckt und stellte sich ihr entgegen.
„Tante Shiori.“, sagte sie und rümpfte die Nase,“Hat ja lange gedauert, bis du dich wieder mal hier blicken lässt.“
„Ja ja, immer zu erst auf den anderen herum hacken.“, höhnte Mutter,“Aber egal. Wie geht es deinen Eltern?“
„Die sind bei bester Gesundheit. Und was hat dieser Knirps hier zu suchen?“
Ich wollte schon eingreifen, aber Mutter hielt mir den Mund zu.
„Na na, nicht jetzt mein kleiner Prinz!“, zwinkerte sie mir zu,“Dieser Knirps, ist mein Erstgeborener und dein Cousin, Ayako! Also behandle ihn dementsprechend. Er ist ein fester Teil dieser Familie und dieses Klans.“
„Inoffiziell schon.“, sagte Ayako und verschränkte die Arme,“Aber erst muss Asurai ihn auch akzeptieren.“
Sie schritt erhobenen Hauptes in Richtung Saal und schlug ihre Schulter gegen meine.
„Nett.“, brummte ich.
„Ja, sie mag immer etwas grimmig und kaltherzig wirken...“, begann Mutter.
„Aber?“, harkte ich nach.
„Nichts aber.“, erwiderte sie knapp,“Ich wollte dir damit nur sagen, das du bei ihr besonders vorsichtig sein musst. Sie führt sich immer so auf, als hätte sie hier das sagen. Verzogenes Balg. Geh ihr am besten aus dem Weg, bis ich dir mehr erzähle. Und jetzt los! Asurai wartet sicher schon voller Ungeduld!“
Und ohne noch lange Vorreden zu schwingen, begaben wir uns weiter vorwärts, und so verneigte sich Rin wieder vor uns und öffnete die Türe zum Saal. Ganz hinten am Kopfende, befand sich eine gewaltige bronzene Statue von einem mir unbekannten Wesen. Mehrere Leute, saßen hier an einem großen Tisch. Drei davon waren offenbar meine Cousins und Cousinen. Eine davon war Ayako, die mich nur aus den Augenwinkeln mit Argwohn ansah. Die beiden Cousins wirkten jedoch recht neugierig und waren ähnlich wie Ayako, etwa in meinem Alter oder sogar noch ein wenig älter. Auf beiden Seiten saßen noch verteilt, zwei Männer und Frauen. Ob das meine Tanten und Onkel waren? Weit oben, nahe dem Kopfende, saß noch ein älterer Herr der, so wie Mutter mir erklärte, nicht Asurai war.
„Das, ist dein direkter Onkel.“, flüsterte sie,“Ayako und ihre Eltern sind ebenfalls mit uns verwandt.“
Wir setzten uns daher weit weg von Ayako und gesellten uns zu meinem Onkel, der mich gleich mit einem freundlichen Lächeln empfing und mir einen Tee anbot.
„Ich hoffe er schmeckt dir.“, flüsterte er,“Jasmin-Tee. Aber Vorsicht, er ist noch heiß.“
Doch ich war noch etwas zu nervös, also lies ich die Tasse erst mal stehen und schwieg.
„Wie ist es dir so ergangen?“, fragte Mutter.
„Oh ich komme gerade von einer Erholungskur. Der Steiß bringt mich noch mal um.“
Mutter seufzte und rollte mit den Augen.
„Ich habe dir ja schon immer gesagt, das Limbo nichts für dich ist, aber du hörst ja nicht auf mich! Wenn du noch mal verreist dann leg dich einfach in die Sonne und genieße den Strand!“
„Aber was soll ich denn machen? Die netten Leute dort bestehen doch darauf das ich mit mache. Außerdem bin ich noch immer prima in Form.“
„Sagte der fast 60 Jahre alte, faltenlose Greis der immer noch denkt er könne mit der Jugend von heute mithalten.“, äffte sie ihn nach.
Mein Onkel lachte nur verlegen.
„Schlagfertig wie deine Mutter! Asurai wird froh sein, dass du dich nicht im geringsten verändert hast.“
„Da wir gerade von ihm sprechen: Wo steckt er?“
Ayakos Vater meldete sich zu Wort.
„Er müsste laut Rin ein Erholungsbad nehmen. Sollte aber gleich fertig sein.“
Während die anderen schwatzten, besah ich mir die Statue etwas genauer. Die Kreatur sah aus wie ein Hund.......zumindest dachte ich das. In Wirklichkeit war es aber ein Fuchs oder etwas ähnliches. Seine Ohren waren lang und aufgestellt, das Maul weit aufgerissen und kurioser Weise hatte er neun Schwänze. Und an jeder Spitze davon, befand sich eine Schale, aus denen es nach Öl roch. Der Fuchs hatte auch drei Augen. Das dritte saß dabei auf der Stirn. Ich schluckte und verdrängte meine letzten Albträume, mit denen ich im Krankenhaus noch zu kämpfen hatte.