Am selben Morgen, bekam das Ryokan wieder mal einen Besucher. Ein kleines Nervenbündel, was ohne Fremde Hilfe keinen vernünftigen Schritt in der großen, kalten und herzlosen Welt da draußen machen konnte. Sie war eben so gezeichnet von Brandnarben wie Tomoe und war im Prinzip das genaue Gegenteil von ihr. Schreckhaft von Kopf bis Fuß. Selbst als ein Vogel jagte ihr schon eine Todesangst ein, wenn er nur kurz vor ihr landete. Das Trauerspiel zog sich bis zum Vormittag hin und da hatte Yu gerade mal die Hälfte des Weges, zum Eingang des Hinata Ryokan geschafft. Kanako und Motoko, hatten sie die ganze Zeit beobachtet und manch einer würde jetzt denken, dass sie ihr hätten helfen können, doch genau das, wollte Yu nicht. Als sie dann schließlich bei den beiden Ankam, sank sie in sich zusammen.
„Schon seltsam, dass du bei unserer ersten Begegnung kaum Probleme hattest dich zu uns zu setzen, um jetzt das genaue Gegenteil zu tun.“, sagte Kanako.
„Ich hätte es wissen sollen!“, jammerte Yu, “Gleich nachdem ich das Haus verlassen habe, hätte ich zurück gehen sollen! Ich bin noch nicht bereit, alleine hier draußen rum zu laufen!“
„Jetzt bist du ja hier.“, erwiderte Motoko,“Komm rein, dann zeigen wir dir alles.“
Doch Yu, sprang wieder auf und schüttelte den Kopf.
„Ich möchte zu erst das Tomoe mich begrüßt und empfängt! Vorher setze ich keinen Fuß über die Türschwelle!“
„Tja, da müssen wir dich leider enttäuschen.“, sagte Kanako, “Tomoe ist gerade nicht hier. Sondern im Krankenhaus und.......“
Yu entfuhr ein lautes Kreischen. Sie raufte sich die Haare, ihr Kopf rauchte und sofort rannte sie danach, mit den Armen rudernd im Kreis herum.
„Was?! Wieso ist Tomoe denn im Krankenhaus?! Ist ihr was passiert?! Dabei haben wir uns doch versprochen, gemeinsam in die Welt hinaus zu gehen! Das kommt davon wenn man sein Versprechen bricht!“, jetzt kullerten ihr auch noch Tränen die Wangen hinunter, “Oh nein, meine arme Tomoe! Sicher hat sie sich ein Motorrad besorgt und damit einen Unfall gebaut! Sie könnte über die Straße gegangen und von einem Auto angefahren worden sein! Das ist furchtbar! Ohne Tomoe kann ich doch nie wieder unter Leute gehen! Was mach ich denn jetzt bloß?! “
Kanako und Motoko, die ihrem Ausbruch der Gefühle mit Entsetzen beigewohnt haben, versuchten sie wieder zu beruhigen. Doch als das scheiterte und Yu schon in eine Papiertüte atmen wollte, nahte auch schon Hilfe. Kitsune hatte sie bei den Schultern gepackt und zum stillstand gebracht.
„Jetzt komm mal wieder runter!“, rief sie, “Tomoe geht es blendend, du musst nicht gleich immer das schlimmste erwarten. Gut, sie mag noch etwas angeschlagen von den letzten paar Tagen sein, aber eigentlich geht es ihr gut. Sie war die letzten Tage nur totmüde und hat sich um ihren Mitbewohner gekümmert. Das ist alles.“
„Wirklich?“, schniefte Yu und schnäuzte in ein Taschentuch, “Aber.....warum ist sie denn im Krankenhaus? Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“
Die drei sahen sich an und versuchten ihr die Situation so einfach wie möglich zu erklären.
„Nun.......du erinnerst dich doch sicher noch an ihren griesgrämigen Mitbewohner oder? Der den du nicht ohne sie treffen wolltest.“, warf Motoko ein.
„Ja.“, nickte Yu.
„Es ist so, dass Rayo gerade eine schwere Zeit durchmacht. Sein Halbbruder ist gestorben und jetzt, liegt Rayo im Krankenhaus. Es geht ihm momentan wirklich sehr schlecht. Und Tomoe tut ihr bestes um ihn zu unterstützen. Das heißt also, sie wird erst Heute Abend wieder kommen.“, hatte Kitsune ihr erklärt.
Yu verzog das Gesicht und lies den Kopf hängen.
„Das ist wirklich Pech.“, sagte sie niedergeschlagen.
„Das wissen wir. Also wie wärs wenn du hier so lange wartest bis Tomoe wieder kommt?“, fragte Kanako.
„Wenn ich direkt an der Türe warten darf.........“
„Sicher doch.“, grinste Kitsune, “Na komm!“
Mein Rücken schmerzte und mein Kopf fühlte sich so schwer an. Zwar war ich wach, konnte aber nicht alles erkennen was vor mir war. Ich konnte mich zwar bewegen, doch es fühlte sich so unnatürlich an.
„Wurde aber auch endlich Zeit.“, hörte ich die gedämpfte Stimme von meinem Arzt neben mir, “Nun wach schon auf. Dein Burger wird kalt.“
Ich hob also meinen betäubten Kopf an und erblickte doch tatsächlich einen dampfendheißen Burger vor mir, auf einen Teller.
„Was soll das........wo bin ich denn jetzt schon wieder?!“, fragte ich entsetzt und versuchte aufzustehen.
Während ich versuchte mich mit meinen Armen auf den Lehnen meines Rollstuhls abzustützen, aß mein Arzt einfach weiter.
„Wir sind in der Cafeteria. Und jetzt iss auf.“, sagte er trocken.
Ich schaffte es den Rollstuhl vom Tisch wegzudrehen und hob mich heraus. Doch statt wie normal einfach aufzustehen und in meinem momentanen erbärmlichen Zustand davon zu humpeln, fiel ich zu Boden.
„Was haben sie mit mir gemacht?!", knurrte ich und versuchte wieder aufzustehen, doch vergeblich.
„Ich habe dir nur eine Möglichkeit verschafft zu schlafen. Das wolltest du doch oder? Ein wenig Morphium und schon wird man schlaff und wehrlos. Wie ein Fisch auf dem trockenen.“
Immer wieder rutschte ich mit den Händen ab und versagte dabei, meine Beine anzuheben.
„Was soll das?! Ich spüre meine Beine nicht! Was ist hier los?!“, zischte ich und begann hektisch zu atmen.
„Am Morphium liegt es nicht.“, sagte Dr. House, “Deine Herzinsuffizienz in Kombination mit dem Tumor an deinem Herzen, sorgt dafür dass deine Motorik ziemlich eingeschränkt ist. Also würde ich vorschlagen, dass du dich an deinen Rollstuhl gewöhnst, denn solange dein Herz mit deiner Depression konfrontiert wird, sind deine Beine erst mal nutzlos.“
Ich lies Kopf und Fäuste auf den Boden senken und vergrub die Fingernägel tief in meine Handflächen. Dieser Wahnsinn der Welt, der mich immer wieder zu Boden riss, nahm einfach kein Ende. Verzweiflung und Trauer überwältigten mich wieder. Das konnte ich nicht ertragen.
„Warum......“, presste ich hervor, “Warum muss ich immer noch so schrecklich leiden?!“
Eine Krankenschwester half mir wieder in meinen Rollstuhl, wogegen ich mich nicht wirklich wehren konnte. Auch mein Magen schickte mir wieder Signale, die mich nahezu wahnsinnig machten. Die Krämpfe kamen wieder zum Vorschein und ein innerer Drang sagte mir, dass es nicht anders ging als zu essen.
„Ich kann dir sagen, warum du immer noch leiden musst.“, sagte House, “Aber das mache ich erst wenn du was gegessen hast. Und jetzt iss endlich.“
In einem Anflug von purer Gedankenlosigkeit, vergas ich jeglichen Anstand und Manieren. Also stürzte ich mich auf den Burger, versenkte meine Zähne in Brötchen und Fleisch. Ich aß nicht einfach, sondern schlang den Burger einfach hinunter, vergas fast zu kauen. Ich fühlte mich wie eine ausgehungerte Bestie, die Tagelang in einem Käfig eingesperrt gewesen ist mit nichts weiter zu essen als schimmliges, von Maden zerfressenes Brot.
Als der Burger dann endlich vernichtet war, war ich völlig geschafft. Mein Magen krampfte noch immer und Geschmack hatte ich auch nicht wirklich empfunden. Mein Blick wanderte umher und ich sah die glücklichen Gesichter all jener, die wohl bald das Krankenhaus verlassen konnten. Aber auch diejenigen die die nächsten Tage wahrscheinlich nicht mehr erleben würden. Und schließlich, landete mein Blick wieder auf Dr. House und auf seinen Stock der an den Tisch gelehnt war.
„Was ist eigentlich mit ihrem Bein? Und was soll der Stock?“, fragte ich und versuchte einen Brechreiz zu unterdrücken.
Offenbar hatte ich zu schnell gegessen. Und Dr. House schien die Frage gekonnt zu ignorieren, denn er sah auf seine Uhr.
„Stehst du auf Monstertrucks?“, fragte er plötzlich.
Ich neigte den Kopf und bereute es sogleich wieder, denn mein Schädel brummte.
„Was zur Hölle soll das denn sein?“, erwiderte ich verwirrt.
Dr. House sah mich mit einem Blick an der eindeutig an Entsetzen erinnerte. So als hätte er noch nie eine derartige Frage gehört.
„Du weißt nicht was Monstertrucks sind?“, fragte er weiter.
„Nein. Und das wird sich auch nicht ändern. Auch wenn sie mir das Wort noch drei mal sagen!“, knirschte ich.
„Himmel bist du schwer von Begriff. Monstertrucks! Riesige Trucks die kleine Autos zertrümmern und verschrotten. Schon mal davon gehört?“
Ich stöhnte genervt auf und raufte mir die Haare.
„Nein, sollte ich?“, entgegnete ich und stützte den Kopf auf meinen Händen ab, “Ich habe etwas gegessen. Was wollen sie noch von mir?“
„Eigentlich nichts.“, antwortete er, “Es verwundert mich nur, dass du wegen eines Verlusts unbedingt sterben wolltest. Warum frag ich mich. Weil du nichts mehr daran ändern kannst? So ist das Leben. Leben bedeutet Schmerz. Außerdem hast du eine nette Freundin, die sich für dich aufopfert. Und wer könnte da noch den Wunsch verspüren, freiwillig zu sterben?“
Ich seufzte schwer und schluckte einen dicken Kloß herunter, was sich jedoch als schwer erwies.
„Ich habs ihnen doch schon mal gesagt. Sie kennen weder mich, noch Tomoe.“
Er schob die Fritten die auf meinen Tablett standen näher zu mir.
„Iss deine Pommes. Deine kleine Freundin hat schließlich gutes Geld dafür bezahlt. Wir sind noch nicht fertig.“
Ich wandte den Blick von ihm ab und biss mir auf die Lippe.
„Ich habe keinen Hunger mehr. Was wollen sie damit bezwecken mich hier mit Fastfood vollzustopfen? Warum wollen sie mir helfen?“
"Ich habe nie direkt gesagt, dass ich dir helfen will. Vielleicht tu ich es aus Mitleid, oder aus Langeweile, wer weiß. Außerdem habe ich dir gesagt, dass wir uns in vielen Punkten ähneln. Und so jemanden sterben zu lassen, würde bedeuten, dass ich mir beim sterben zusehe. Und glaub mir, dass habe ich schon einmal erlebt. Noch mal mach ich das nicht durch."
Ich wurde langsam ungeduldig und ballte die Faust.
„Verdammt noch mal, was muss ich tun, damit sie endlich aufhören?!“, fluchte ich.
Und genau darauf, hatte er nur gewartet und bediente sich an meinen Pommes.
„Sag mir einfach nur, wie ich dir helfen kann.“, konterte er.
Dieser Satz, traf mich völlig unvorbereitet wie ein Hammerschlag. Und wie sonst auch, spürte ich wieder dieses entsetzliche Fauchen in meinem Schädel, doch diesmal schien es zu mir zu flüstern „Es ist alles zwecklos! Gib deinem Instinkt nach!“
Ich schüttelte den Kopf und vergrub ihn in meinen Armen auf den Tisch.
„Nein, lassen sie das. Niemand kann mir helfen.“, hauchte ich.
„Das ist nur die Depression die aus dir spricht. Wenn du dir helfen lässt, könnten wir das beheben.“
„Was können sie schon für mich tun?“, schluckte ich.
„Alles mögliche.“, bestätigte er mir, “Ich schlage dir einen Deal vor. Sollte ich es bis zum Ende des Monats geschafft haben, dir zu helfen, wirst du eine Therapie über dich ergehen lassen. Und ich könnte dir noch zeigen, wie deine kleine Freundin mit dir ins selbe Bett hüpft.“
Ich raufte mir die Haare und griff mir ans Herz.
„Aber der Monat ist doch diese Woche schon zu Ende! Wie wollen sie das in der kurzen Zeit schaffen?!“, fragte ich krächzend.
„Glaub mir, das ist genügend Zeit.“
„Und was ist, wenn sie mir nicht helfen können? Was wenn sie dieses Fauchen in meinem Schädel nicht beheben können?“, hackte ich nach.
Er seufzte und legte beide Hände auf seinen Stock.
„Wenn ich dir bis Ende des Monats nicht helfen kann, lass ich dich mit deinem Selbstmitleid alleine und dann kannst du auf die Weise abtreten, die für dich am wenigsten schmerzhaft ist. Egal was kommt, du gewinnst oder verlierst. Je nach dem wie du dein eventuelles zukünftiges Ableben betrachtest.“
Ich rollte vom Tisch weg und starrte an die Decke um eine Antwort zu finden. Das konnte doch alles nur ein Traum sein.
„Rufen sie Yanagi. Ich, werde darüber nachdenken.“