Zwei Wochen nach dem Vorfall beim Schwimmkurs, beschlossen Tomoe und ich ins Fitness-Studio zu gehen. Natürlich mit Yu im Schlepptau. Tomoe tat genau das, wovor mich die anderen eigentlich gewarnt hatten. Sie wollte unbedingt dass wir trainieren, damit wir für das Sportfest vorbereitet sind. Mich dazu drängen tat sie eigentlich nicht, aber ich spürte wie sie von ihrem Ehrgeiz nahezu verschlungen wurde.
Der April war mittlerweile vorbei und somit auch mein erster Monat auf der Todai. In etwa zwei Monaten würde das Sportfest anstehen und bis dahin sollte die Zeit für mich besonders anstrengend werden.
Den ganzen Weg über hatte es Yu vermieden mich direkt anzusehen und versteckte sich dafür hinter Tomoe. Als wir jedoch beim Studio ankamen, schien Tomoe sie etwas aufzulockern.
„Dann wollen wir mal.“, sagte meine Mitbewohnerin und schnappte sich ihr Handtuch.
Es gab mehrere Etagen wo die Menschen etwas für ihre Fitness taten. Ob nun schwere Gewichte zu heben die an ebenso schweren Stangen befestigt waren, stumpfes geradeaus laufen auf einem Laufband, oder aber das Einprügeln auf einen schweren Sandsack. In der „roten Zone“, gab es zwar auch mal solche Tage, wo die Männer trainieren, allerdings auf ihre eigene Weise. Katsubou hatte mich dazu oft als Prügelknaben missbraucht, was zur Folge hatte das mich Ametsuyu immer mit tadelnden Blick zusammenflicken musste.
„Hier kommt man also hin, um zu trainieren?“, fragte ich.
„Jap. Ich lauf erst mal ne Weile. Und du.......ehm....tja, wie wärs wenn du dich erst mal umsiehst und mal ein paar Sachen ausprobierst?“, schlug Tomoe vor.
„Von mir aus.“, sagte ich Achselzuckend,“Hast du nicht auch einen, wie hast du es genannt „Personal Trainer“, angerufen der uns anleitet?“
„Doch und der müsste auch hier irgendwo sein, aber zu erst machen wir uns warm.“
Sie klopfte mir dabei noch auf die Schulter und ging dann mit Yu zu den Laufbändern. Yu war übrigens nur mitgekommen um Tomoe mit Wasser zu versorgen, oder um ihr hin und wieder ein Handtuch zu reichen. „Und wo war meine Unterstützung?!“
Ich tat also, was mir Tomoe gesagt hatte und ging erst mal zum Gewichtheben. Man grüßte mich freundlich und riet mir, mit leichten Gewichten anzufangen. Doch als ich andere mit meiner Statur beobachtete, dachte ich mir zunächst nichts. Jedoch geriet alles schnell aus dem Ruder, als ich beim hochheben einer vermeintlich leichten Hantel, ein wenig das Gleichgewicht verlor und damit eine Kettenreaktion von purem Chaos auslöste. Ich stieß die Halterungen der Hanteln um, brach mir beim hochheben eines Medizinballs fast den Rücken und renkte mir bei einem Gerät, wo ich einen Hebel nach unten ziehen musste um Gewichte hinter mir hoch zu ziehen, meine Arme aus. Bei anderen Sachen versagte ich ebenfalls und alle anderen suchten schnell das Weite, bevor sie von einer der schweren Hanteln erschlagen wurden.
„Das ist ja vielleicht ein Tollpatsch.“, sagte Yu und reichte Tomoe eine Wasserflasche.
„Ich habe ja schon befürchtet das er es schwer haben wird, aber das es so schlimm wird, hätte ich auch nicht gedacht.“, sagte Tomoe kopfschüttelnd,“Hoffentlich kann der Trainer ihm ein wenig unter die Arme greifen.“
Mittlerweile hatte mir ein Mädchen mit dunklen Haaren und einem seltsamen Akzent geholfen, einen Anfang zu finden. Sie wollte mir sogar ein paar eigene Kampftechniken beibringen. Doch kaum wollte sie mir einen speziellen Überwurf zeigen, kam auch schon Tomeo und zog mich am Kragen von ihr weg.
„Hey, was soll denn das?! Sie wollte mir grade was zeigen!“, meckerte ich.
„Ja ja ja, jammer nur ruhig weiter.“, fuhr sie mir dazwischen,“Wir sind hier um zu trainieren und nicht um zu flirten!“
„Was soll das denn schon wieder heißen? Sie hat mir doch nur geholfen!“
„Ich weis genau was ich gesehen hab und das hat mir gereicht!“
„Ach manno!“
Doch all das Drama was ich angerichtet hatte, sollte ein jähes Ende finden denn unser Personal-Trainer, hatte sich dank Tomoe, zu uns gesellt. Goro Matsunaga war sein Name. Er trug einen grünen Trainingsanzug, hatte eine eigenartige Frisur, seltsam große Augenbrauen und eine Ausstrahlung, die absolut jeden mitreißen und motivieren sollte, jedoch prallte das an mir erst mal ab.
„Ich glaube wohl ich spinne.“, brach es aus Tomoe heraus,“Erst unser Dozent im Geschichtskurs, dann die Dozentin beim Schwimmkurs und jetzt das!“
„Was meinst du?“, fragte ich.
„Ach das.....ehm.....das, erklär ich dir später.“
„Hey! Na, was macht ihr denn für lange Gesichter!“, brüllte er uns voller Elan entgegen,“Meint es das Leben, auch gut mit euch?!“
Während Tomoe und Yu versuchten sich nicht all zu sehr von Goro und seinen absurden Posen ablenken zu lassen, fragte ich mich, ob ich nicht gerade in irgendeinen absurden Tagtraum geschlittert war.
„Sag mal, hast du wirklich mit dem da telefoniert?“, fragte ich.
„Natürlich hab ich das.“, bestätigte mir Tomoe,“Stimmt was nicht mit ihm? Er macht doch einen ziemlich kompetenten Eindruck.“
„Ich weis nicht so recht. Irgendwie, habe ich da ein ganz mieses Gefühl.“
Doch der Trainer war gerade fertig mit seinen Posen geworden und wandte sich nun wieder an uns.
„Also, ihr beide wollt unbedingt körperlich fitter werden?“, fragte er.
„Aber sowas von!“, schnaufte Tomoe,“Das Sportfest ist in zwei Monaten und ich möchte ausgiebig trainieren!“
„Sehr gut!“, antwortete Goro und zeigte mit den Daumen nach oben, nur um sich dann an mich zu wenden,“Du bist Rayo, nicht wahr?“
„Das ist korrekt.“, nickte ich.
„Wie man mir erzählt hat, interessierst du dich für Kampfsport. Wenn du willst, kannst du gerne mit einem meiner Schüler ein wenig Sparring betreiben.“
„Wenn das keine zu großen Umstände macht.“, erwiderte ich.
„Ohne Fleiß kein Preis! Dann wollen wir mal loslegen! Lee! Komm doch bitte mal her!“
Tomoe die alles mit angehört hatte, fiel fast vom Laufband und musste von Yu aufgefangen werden.
„Wie bitte?! Wie war das gerade?! Hab ich mich da gerade verhört oder was?!“, rief sie.
Goros Schüler Lee, kam mit stolz geschwollener Brust angestapft und blieb dann salutierend neben ihn stehen. Und jetzt, hatte ich wirklich das Gefühl zu träumen. Lee, hatte die gleiche Frisur und den gleichen Trainingsanzug wie der Trainer. Auch die Augenbrauen waren dem Trainer wie aus dem Gesicht geschnitten. „Ok, jetzt werde ich wirklich misstrauisch!“
„Sie haben nach mir gerufen Sensei?!“, sagte Lee, genauso voller Elan wie der Trainer.
„Allerdings.“, nickte er,“Rayo hier, möchte gerne einen Sparringskampf mit dir machen.“
„Oh ein Sparringskampf! Das freut mich wirklich außerordentlich!“
„Moment, das muss ich selbst sehen!“, kam es von Tomoe.
Sie stieß ganz aufgeregt zu uns und starrte Lee dann mit offenen Augen an.
„Das, darf doch einfach nicht wahr sein!“, brach es aus ihr heraus und beäugte Lee neugierig,“Wenn ich das meiner Therapeutin erzähle, steckt die mich glatt wieder in die Klapse!“
„Nein welch Augenweide!“, kam es von Lee,“Dich Engel schickt der Himmel! Ich bin ganz hin und weg.“
Tomoe zuckte zurück und schien verwirrt zu sein.
„Redest du mit mir, buschige Augenbraue?“, fragte sie.
„Du hast mich direkt angesprochen! Das muss Schicksal sein.“
Tomoe und ich sahen uns an.
„Ob er bemerkt hat, dass du ihn gerade beleidigt hast?“, fragte ich.
„Selbst wenn.“, entgegnete Tomoe und wandte sich wieder an Lee,“Hör mal zu, ich sollte mich eigentlich geschmeichelt fühlen, aber das tue ich nicht! Deine Frisur ist merkwürdig und spricht mich überhaupt nicht an. Sieh dir mal Rayo an!“
Sie zog mir an den Haaren.
„Hey, was soll......“, maulte ich.
„Seine wilde Mähne ist zwar kaum in den Griff zu kriegen, weil der Holzkopf einfach nicht zum Friseur gehen will, aber bei ihm finde ich es noch erträglich! Und deine Augenbrauen........naja, fangen wir nicht davon an. Mag ja sein, das du das ganz toll findest, aber bei mir bist du da auf nem groben Hozlweg.“
Lee, offenbar davon getroffen, lies die Arme baumeln und zog ein langes Gesicht.
„Nun sei doch bitte nicht so abweisend......“, jammerte er.
„Jetzt lass den Kopf nicht hängen und nimm es wie ein Mann.“, sagte sie und verschränkte die Arme,“Und flirte bitte nie wieder mit mir oder mit Yu. Korosu!“
Mein Auge zuckte und ich drehte mich leicht geladen zu ihr um.
„Hey! Sag mal bist du noch ganz dicht Tomoe?! Das war mein Text!“, fluchte ich.
Von Yu, meinte ich ein leichtes, verdruckstes Kichern zu hören.
„Also gut ihr beiden, dann steigt mal da hinten in den Ring und legt los.“, bat Goro und wies auf den Ring, in der Mitte des Raumes.
„Sollen die beiden etwa boxen?“, fragte Tomoe,“Na ob das gut gehen wird.“
„Was ist denn schon wieder boxen?“, erwiderte ich.
„Nein, ihr werdet nicht boxen.“, sagte Goro lächelnd, “Aber, es ist so etwas ähnliches.“
Wir stiegen in den Ring und ich war sichtlich verwirrt über diese merkwürdigen Bänder die ringsherum gespannt waren.
„Soll ich meine Gewichte lieber abnehmen Sensei?“, fragte Lee.
„Wenn du das willst, dann tu das einfach. Aber bedenke dabei, das Rayo noch ein Anfänger ist. Du solltest also etwas behutsamer vorgehen.“
Ich rollte mit den Augen und Tomoe, tat es mir gleich. „Anfänger? Tse. Wenn der nur wüsste.“
„Dann warte ich auf deine Entscheidung, Rayo.“, sagte Lee.
Ich zuckte die Schultern.
„Von mir aus, kannst du sie gerne abnehmen. Mir macht das nichts. Auch wenn ich nicht verstehe, warum du überhaupt Gewichte trägst. Für mich macht das ganze keinen Sinn.“
„Gut, dann nimm bitte die Gewichte ab, Lee.“, sagte Goro und nickte.
Lee salutierte wieder und öffnete den Klettverschluss seiner Gewichte, die an Armen und Beinen befestigt waren. Danach, begab er sich in seine Kampfpose, bei der er eine Hand auf dem Rücken legte. Die andere war auf mich gerichtet .
Tomoe grinste nur etwas schief und seufzte Achselzuckend. „Komm schon. Als ob die paar Gewichte nen Unterschied machen wenn du gegen Rayo antrittst.“
Doch leider, lagen Tomoe und ich so falsch wie noch nie zu vor. Die Begegnung mit diesem Lee, hatte nun mein komplettes Weltbild der Menschen, völlig auf den Kopf gestellt. Ich wusste nicht, warum ich noch lächelte. Denn als Goro den Gong schlug, hatte ich die letzte Chance verpasst, einen Rückzieher zu machen. Es kam mir vor, als ob ich in eine Windhose geraten wäre. Ein wahrer Sturm von schnellen Faustschlägen brach über mich herein und das Bein, was sich danach kaum merklich um meinen Hals geschlungen hatte, warf mich ohne Mühe aus dem Ring. Ich lag geschockt und zu Tomoes Füßen, die immer noch mit weit offenen Mund da stand und scheinbar einen Kloß im Hals hatte. Yu, machte derweilen große Augen und hatte sich an Tomoes Arm geklammert. Goro kam besorgt zu mir und hob mich auf die Beine.
„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte er und tastete mich ab,“Lee, ich glaube du hast es ein klein wenig übertrieben.“
„Oh, hab ich das?!“, fragte Lee schockiert und verneigte sich,“Das tut mir furchtbar leid! Ich kann mich einfach nicht beherrschen!“
„Gehts dir gut?“, fragte Tomoe und legte mir eine Hand auf die Stirn.
„Bin nur etwas durch den Wind.“, brabbelte ich, schüttelte den Kopf und fasste mich kurz danach wieder,“Was auch immer das war, ich will ne Revanche!“
„Was?!“, fragte sie alle.
„Ich war nur unvorbereitet und hab nicht richtig aufgepasst! Nächstes mal kriegst du mich nicht so schnell!“
Tomoe wollte mich schon aufhalten, doch ich hörte nicht. Ich stieg also wieder in den Ring, achtete dieses mal zwar auf Lees Körperhaltung, versagte aber genauso brachial wie zu vor. Und wieder. Und wieder. Und wieder. Und immer wieder. Das ganze zog sich also bis zum Abend hin und als das Studio sich leerte, Tomoe, Yu und Goro schon mehrere Flaschen Wasser geleert hatten, lag ich schwer atmend im Ring und wollte einfach noch weiter machen.
„So, ich glaube das sollte für Heute reichen.“, sagte Goro und zog mich aus dem Ring,“Alle Achtung, du hast wirklich Durchhaltevermögen, das muss man dir lassen! Wir kennen uns zwar noch nicht so gut, aber ich bin stolz auf dich!“
Dabei lächelte er mich mit blitzenden Zähnen an und zeigte mit den Daumen nach oben.
„Quatsch! Ich bin noch lange.......nisch am Ende!“, nuschelte ich.
„Rayo, es reicht, das Studio hat geschlossen und ich würde gerne nach Hause gehen!“
„Ich ebenso!“, kam es von Yu.
Goro verabschiedete sich bei uns, klopfte mir noch auf die Schulter und verschwand.
„Von mir aus. Ich hab sowieso Hunger.“, sagte ich knapp.
„Na bitte, wenn man sich auf eines ganz sicher verlassen kann, dann auf deinen Magen!“, kicherte Tomoe.
Doch bevor sie mich noch stützend nach draußen bringen wollte, hielt Lee uns noch mal zurück.
„Ich muss mich bei dir bedanken, Rayo!“, sagte Lee und zeigte ebenfalls mit den Daumen nach oben,“Du hast zwar nicht gegen mich gewonnen, aber ich bin beeindruckt, dass du dennoch weiter machen wolltest!“
„Warts nur ab.“, spuckte ich aus,“Nächstes mal wisch ich den Boden mit dir, verlass dich drauf!“
„Dessen bin ich mir sicher.“, er hielt mir die Faust hin,“Ich hoffe wir sehen uns schon bald wieder.“
Ich versuchte meinen Mund irgendwie zu einem Lächeln zu bewegen, doch ich war einfach zu erledigt. Aber mit letzter Kraft, schlug ich mit seiner Faust ein. Ob ich diese buschige Augenbraue wirklich noch mal wiedersehe, wusste ich nicht.
In den vergangenen Wochen, hatte sich Isshina den Kopf über den Vorfall beim Schwimmkurs zermartert und schien ernsthaft daran zu verzweifeln. Und nun, suchte sie wieder einmal ihren Schrein auf. Wie schon so oft, musste sie sich erst überwinden über die Schwelle der Doppeltüre zu treten, vermied es in die drei dämonischen Augen hineinzusehen. Sie kniete vor der Rüstung nieder, zündete Räucherstäbchen an und betete.
„Wieder einmal knie ich hier vor dir nieder und ersuche dich um deinen Rat.“, murmelte sie,“Gewähre mir Einsicht. Meine Bemühungen, mich Rayo zu nähern, sind gescheitert. Vergib mir meine Sünden. Beim Blut des Korukawa-Klans, ersuche ich dich um Vergebung. Für das Mal des Achtköpfigen, werde ich Buße tun. Gib mir Kraft. Ich werde die Ungerechtigkeit zerschlagen und ehrenvoll handeln.“
Plötzlich, zerbrach rechts von ihr einer der Blumentöpfe und Isshina, zuckte zusammen. Sie wirbelte herum und hielt den Atem an. Die rote Spinnenlilie und die Erde, waren zu Boden gefallen. Langsam drehte sie sich wieder zu den drei Augen um. Die Augen begannen zu glühen und sämtliche Kerzen im Raum, erloschen schlagartig.
„Ich verstehe. Wenn das der Rat ist, den du mir gibt’s, werde ich ihn befolgen. Der Gunst des Achtköpfigen sei dank.“