Tomoe war nicht die einzige, die ein Talent dafür hatte mich auf die Folter zu spannen. Nein, auch Mutter konnte mich lange hinhalten und lies sich dabei nie etwas anmerken. Doch Nagaoda, setzte da noch mal einen drauf. Mittlerweile waren wir schon eine knappe halbe Stunde unterwegs und er machte dabei Tomoe Konkurrenz, mich durch fast ganz Japan zu schleifen.
„Sag mal, wie sind deine Mitbewohner denn so?, fragte ich.
„Das wirst du gleich selbst herausfinden. Wenn sie denn da sind. Normalerweise studieren sie den ganzen Tag und entspannen sich Abends dann.“, erklärte Nagaoda.
„Studieren die etwa auch an der Todai?“, fragte ich weiter.
„Ja und nein. Die studieren teilweise an einen anderen Campus.“, fuhr er fort und stoppte dann vor einem Zaun, “Na also, da wären wir. Hat doch gar nicht so lang gedauert oder?“
„Wie bitte? Wir haben über eine halbe Stunde gebraucht! Mir tun die Füße weh! Hätten wir nicht den Bus nehmen können?!“
„Das hätten wir schon tun können. Allerdings habe ich dir somit eine Gelegenheit geboten, dir die Umgebung besser einzuprägen. Nachdem was meine Cousine mir erzählt hat, sollst du einen miesen Orientierungssinn haben.“
„Ach bitte ja! Ich wurde dazu getrieben Sake zu trinken und bin dann durch die Gegend getorkelt. Was hätte ich machen sollen?“
„Jetzt komm mal wieder runter. Wenn du später wieder zurück gehst, können wir ja den Bus nehmen.“
„Na also.“, sagte ich dankend.
Die „Studentenbude“ wie Nagaoda sie umschrieben hatte, war im Grunde ein breites Gebäude, in denen es mehrere Apartements gab. Ich meinte mich daran zu erinnern, mal in so einem gewesen zu sein. Nur wollte es mir nicht mehr so wirklich einfallen. Insgesamt gab es sechs Apartements. Drei oben und drei unten. Nagaodas Wohnung, lag im oberen Bereich, in der Mitte.
Wir gingen also die Treppe hoch und betraten kurz darauf seine Wohnung. Ähnlich wie die, in der ich schon mal zu Gast war um dort zu übernachten, war es auch hier klein und bescheiden eingerichtet. Ein Tisch in der Mitte, davor ein Futon, an der Wand stand ein Fernseher und gleich darüber hing eine Uhr.
„Machs dir erst mal gemütlich. Ist zwar nichts besonderes aber immerhin gemütlich genug um es auszuhalten.“
„Das macht mir nichts.“, nickte ich ab,“Gemütlich ist mein zweiter Vorname!“
Nagaoda stieß ein verdruckstes Kichern aus und klopfte mir auf die Schulter.
„Natürlich, du und gemütlich. Ich mach mir drei Kreuze im Kalender, wenn du mich davon überzeugen kannst!“
„Wohnst du in der Wohnung alleine?“, fragte ich.
„Nein, nein. Ich teile sie mir mit nem guten Freund. Er ist genau wie meine Cousine und Tomoe vom Schwertkampf begeistert.“
„Und wie ist er so?“
„Wenn man ihn nicht ärgert oder ihm sein Essen weg futtert, ist er der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Und bitte, wenn er hier auftaucht, was auch immer passiert: Sprich ihm bloß nicht abfällig auf sein Gewicht an!“
„Und wieso wenn ich fragen darf?“, harkte ich nach.
„Er ist eben ein bisschen kräftiger gebaut. Als ich ihn kennengelernt hab, machte ich genau diesen einen Fehler. Zu erst futterte er mein Essen gleich mit, wurde zu einem Berserker und ehe ich mich aus dem Staub machen konnte, hatte er mich schon ausgeknockt.“, er seufzte,“Lange Rede kurzer Sinn: Es hat zwar nicht lange gedauert sich richtig mit ihm anzufreunden, aber es war sehr mühsam.“
„Und wie hast du es dann letztendlich geschafft?“
„Ganz einfach. Irgendwann kam ich mit der Miete ein wenig in Bedrängnis und ich musste ein paar Anzeigen aufgeben um einen Mitbewohner zu bekommen, der bereit war, sich die Miete mit mir zu teilen. Wie der Zufall es so wollte, war es ausgerechnet er, der sich dazu bereit erklärte, wenn ich ihm dafür mit einer Rechnung unter die Arme greifen würde. Seit dem wohnen wir hier zusammen.“
Kurz darauf, ging er mit mir zu seinen anderen Freunden, die hier wohnten. Zu erst suchten wir Shasami Mishokoti auf. Ein aufstrebender „Mangaka“ wie dieser erklärte. Er hatte eine große Begeisterung für Baseball, sah sich gerne Filme an und hatte sich einen fast schon lebenslangen Vorrat an Nudelsuppe mit Schweinefleisch angesammelt. Das einzige Manko was er vorwies, war dass er einfach keinen grünen Daumen hatte. Viele Generationen seiner Topfpflanze Ukki, hatten ein furchtbar tragisches Ende gefunden. Auch hatte er einen Zwillingsbruder, der ebenfalls als Mangaka tätig war. Und als er von Nagaoda hörte, dass ich versucht hatte diesen mit einer von Tomoes Rauchkügelchen zu verwirren, lachte er mich nur aus. Aber er lies mich in eines seiner Werke stöbern. „Unschuldiges Herz, blutroter Dämon“, so hatte er es betitelt.
Als nächstes, suchten wir Yamaroti Arika und Ochari Eiido auf. Auch diese beiden waren Mangaka und hatten eine Zeit lang mit Mishokoti gearbeitet. Eiido und Mishokoti haben sich stark von Aikra beeinflussen lassen. Jeder hatte seinen eigenen speziellen Stil, was Erzählweise, Charaktere und Welt angeht. Eiido, konnte man mit fast allem zum lachen bringen und vor allem war er äußerst gelenkig. Er lebte ursprünglich in Kumamoto und studierte dort Architektur. Jedoch brach er das nach einem Jahr wieder ab, da er es als Zeitverschwendung empfand. Bei einem anderen Mangaka arbeitete er dann eine lange Zeit als Assistent. Er und Arika haben sogar mal einen sogenannten „One-Shot“, gemeinsam geschrieben. Für mich, war er auf jeden Fall ein sehr komischer Kauz und noch komischer fand ich, dass er stets einen Strohhut mit rotem Band trug. Aber auch von ihm bekam ich eine Kopie seiner Werke. „Romance Dawn“ nannte er es.
Zu Arika gab es ähnlich viel zu erzählen. Er war es, der auf die anderen Mangaka einen großen Einfluss hinterließ und diese auch inspirierte. Seine Geschichten, waren zwar immer recht simpel aber dafür kreativ und dennoch gewichtig gestaltet. Er war schon immer dafür bekannt, sich alles einfach zu machen. Er war schon in Europa, hat hier und da einige Preise gewonnen. Außerdem verstand er sich gut auf Kampfkunst. Und auf meine Frage hin, ob es an der Tokio Uni auch einen Kurs für Kampfsport gäbe, wurden sowohl er als auch Nagaoda ziemlich neugierig – aber ich komme später noch mal darauf zurück, verzeiht.
Der letzte im Bunde, war Gatoshi Shiroyohi. Ebenfalls ein Mangaka mit einem großen Talent fürs Zeichnen. Er kommt ursprünglich aus Yamagata und zog dann viel später nach Tokio um dort als Mangaka zu arbeiten. Soweit ich es mitbekommen konnte, hatte er sowohl eine jüngere Schwester und einen Bruder, der ebenfalls Zeichner ist. Seine Freundin, die momentan noch unterwegs war, half ihm beim kolorieren seiner Geschichten und war selbst als Mangaka tätig. Ihr Name war Ketauchi Kaono. Sie würde ich später kennenlernen, so hatte mir Nagaoda erzählt. Leider war Shiroyohi nicht sonderlich energetisch und pausierte seine Arbeit zwischenzeitlich. Außerdem litt er an chronischen Rückenschmerzen, was ihm erheblich bei seiner Arbeit beeinträchtigte. Von ihm bekam ich eine Kopie von „Level E“.
Als wir fertig waren, suchten wir jedoch noch eine weitere Wohnung auf.
„Ein ziemlich komischer Haufen.“, sagte ich, als wir nach unten gingen.
„Das musst du gerade sagen.“, erwiderte Nagaoda,“Der Haufen bei dem du wohnst, ist aber auch einmalig. Im positiven Sinne. Es wundert mich aber, das die Jungs dich so gut aufgenommen haben. Wie kommt das, dass du auf die gerade einen netten ersten Eindruck gemacht hast und bei anderen, versagst du bei so was kläglich?“
„Woher soll ich das denn wissen? Die einen sind eben schwieriger als andere.“, erklärte ich.
„Eine seltsame Logik.“, sagte Nagaoda und stoppte vor der letzten Türe.
Diese war mit gelben Absperrbann voll geklebt und die Kratz- und Blutspuren darunter, sollten offenbar eine Warnung sein. Aus allen Ecken der Türe, krabbelten unzählige Insekten hervor. Kakerlaken, Tausendfüßer, Kellerasseln und einige Spinnen, kamen uns entgegen. Ich wusste nicht genau wieso, aber irgendetwas sagte mir, dass wir nicht hier sein sollten.
„Und wer wohnt hier?“, fragte ich,“Abgesehen von den Krabbelviechern?“
„War das eine rhetorische Frage?“, entgegnete Nagaoda,“Hier wohnt schon seit Ewigkeiten, keiner mehr. Aber, es hat mal jemand hier gewohnt. Einer von meinem engsten Freundeskreis. Zumindest glaube ich, dass er dazu gehört hat.“
„War er, genauso drauf wie dein anderer Freund, von dem du mir erzählt hast?“
„Guter Witz, das muss man dir lassen.“, sagte er und drückte die Klinke runter,“Der hier, war das genaue Gegenteil von den anderen.“
Wir krochen unter dem Band hindurch und für einen Moment glaubte ich, wieder in einer der Zellen der eisernen Hölle zu stehen. Alles hier drinnen, stank. Wände und Decke wiesen Zeichen von Schimmel auf, hier und da sah man Brandflecken, der Bildschirm des Fernsehers war von einem Messer durchbohrt. Auch konnte man hier einige, blutige Handabdrücke erkennen.
„Was ist hier passiert?“, fragte ich mit dunkler Mine und schluckte.
„Das kann ich dir nicht wirklich verraten, da ich genauso wenig Ahnung hab wie du. Ich kann mich nicht mal daran erinnern, wie der Kerl hieß oder wie auch immer wir uns „angefreundet“ haben. Es klingt sehr nach Klischee wenn ich von ihm erzähle, aber so war er halt wirklich drauf. In sich gekehrt, kam aber mit mir gut aus. Nur vor die Tür getraut hat er sich kaum. Höchstens mal nachts, oder wenn ich ihm seine Einkäufe gebracht hab.“
„Moment, er hat nicht selbst eingekauft?“
„So kann man es ausdrücken. Ich habe auch nur einmal sein Gesicht gesehen, zumindest eine Hälfte davon. Er hatte tiefe und dunkle Augenringe. Manchmal hat er den ganzen Tag durchgeschlafen und kam nur Nachts raus, oder aber er hat überhaupt nicht geschlafen. Irgendwann, hab ich dann gar nichts mehr von ihm gehört. Und als ich ihn nach einen langen Urlaub wieder mal besuchen wollte, war seine Tür aufgebrochen und es sah so aus wie du es jetzt vor Augen hast.“
„Hast du denn überhaupt noch mal was von ihm gehört?“, fragte ich weiter.
„Nicht das ich wüsste.“, sagte Nagaoda,“Ich glaube mit dem wärst nicht mal du klar gekommen. Wo der heute steckt weis ich nicht und ob er überhaupt noch am Leben ist, kann ich dir auch nicht sagen.“
Als uns ein paar Ratten entgegen kamen, drehten wir um und schlossen die Türe wieder. Danach zogen wir uns wieder in Nagaodas Wohnung zurück.
„Ich hoffe ich konnte dich ein wenig ablenken.“ sagte er und reichte mir eine Dose Limo.
„Ein wenig schon.“, sagte ich knapp,“Ich denke es wird Zeit, das ich wieder zurückgehe.“
„Wenn du willst. Bist du denn schon bereit mit deinem alten Herrn zu quatschen?“
„Keine Ahnung. Hätte ich denn eine Wahl?“
„Sicher. Aber da musst du wohl alleine durch.“
Die Tür fiel ins Schloss und die Schritte die darauf folgten, ließen das Wasser in der Flasche auf dem Tisch erzittern. Und da, stand er nun im Türrahmen.
„Ah Chajiro.“, grüßte Nagaoda seinen Mitbewohner,“Gut das du kommst. Dann kann ich dir gleich jemanden vorstellen und.......“
Der Bursche war breit, hatte lange Haare und trug ein Katana bei sich
Doch ich war schneller als er und da brach es auch plötzlich aus mir heraus.
„Sag mal ist das Godzilla oder King Kong?!“, hustete ich.
Der Riese schnaufte wie ein wütendes Nashorn und stapfte dann genauso auf mich zu.
„Wie bitte, was war das gerade?!“, brüllte er,“Ich hör wohl nicht richtig!“
Nagaoda fiel dabei erst mal nach hinten und stöhnte genervt auf.
„Und es geht los.“, sagte er und gab sich keine Mühe, das nahende Unheil irgendwie abzuwenden.