Vorletzte Nacht, vor dem Beginn der Uni.
Nun stand der rote Vollmond fast gänzlich am Himmel. Nur, ein winziges bisschen fehlte noch um das, wovor mich Shiori vor fast einem halben Jahr noch gewarnt hatte, wahr werden zu lassen. In all der Zeit, in der wir nun im Ryokan waren, war ich nachsichtiger mit den Regeln geworden. Ich hatte bis jetzt niemanden, noch nicht einmal Rayo von den Auswirkungen des roten Vollmondes erzählt. Und als der Holzkopf auch noch in eine tiefe, schier bodenlose Depression gefallen war, hatte ich es schlichtweg vergessen. Das einzige was mich noch interessierte war, dass in weniger als 36 Stunden, die Uni beginnen würde. Erst ab dann, sollte gerade für mich, der größte Test anstehen. Oder aber vielleicht, schätzte ich Rayo willensstärker ein, als seine niedersten Instinkte. Was sollte also das bisschen Mondlicht bewirken? Es war ja nicht so, als ob wir in einem Horrorfilm steckten. Oder?
Als das Licht des roten Mondes allerdings durch mein Zimmer schien und die Türe sich von alleine aufschob, schrie eine kleine unscheinbare Stimme in meinen Kopf mit aller Kraft „Denk noch mal ganz genau nach!“
„Sicher schlafwandelt Su schon wiedermal.“, murmelte ich und richtete mich langsam auf,“Ok, ich glaube wir müssen uns........Rayo?!“
Ja, da stand er. Im Türrahmen. Er hatte einen glasigen Blick und ständig kippte er ruckartig nach vorne, so als ob sein Körper weiterschlafen wollte, aber sein Geist kämpfte dagegen an.
„To-........To“, hörte ich ihn murmeln.
„Was?“, ich stöhnte genervt auf und ging auf ihn zu,“Rayo, was machst du hier?! Geh wieder ins Bett!“
Doch er hörte mir nicht zu. Stattdessen begann er zu schnuppern und kam mir langsam entgegen.
„Tomo......Tomo.....“, murmelte er weiter und stand nun direkt vor mir.
„Hör mal, wenn auch nur einer von den anderen wach wird und dich hier erwischt, sind wir beide geliefert! Also los, geh wieder in dein Zimmer!“
Ich versuchte ihn wegzuschieben doch dabei versagte ich auf ganzer Linie. Normalerweise könnte ich ihn ohne Probleme im hohen Bogen raus werfen, doch irgendetwas stimmte hier nicht so ganz. Als ich dann nur mal kurz stoppte, fiel er mir entgegen und drängte mich nach hinten an die Bettkante.
„To-moe......“, flüsterte er und hob langsam seine Arme an.
„“Nein, nein, nein, nein, nein! Hier ist nicht dein Bett! Ach komm schon....jetzt stell dich doch nicht so an!“, ich verlor den Halt und kippte nach hinten,“Shit!“
Jetzt, lag er halb auf mir und starrte mich mit diesen halboffenen, leeren Blick an. Ich spürte seinen warmen, ruhigen Atem im Nacken und zuckte zusammen.
„Rayo.“, ich seufzte,“Was mach ich nur mit dir du, großer, dummer Holzkopf?“
Jetzt, fuhr er mir auch noch durch die Haare und starrte mich mit diesen verträumten, glasigen Augen an.
„Tomoe......“, flüsterte er.
Mein Blick sprang zwischen ihm und seiner Hand hin und her und ich schluckte.
„Rayo, was soll das werden? Bist du überhaupt wach? Schläfst du?“
Und dann, kam er mir kaum merklich näher, legte seinen Kopf in meinen Nacken und gab mir etwas, dass sich anfühlte wie ein, „Kuss“ auf die Wange? Moment, tat er das gerade wirklich? Wusste er überhaupt was er da tat?!
„Oh nein......“, hauchte ich,“Nein Rayo, stopp! Was machst du denn!“
Ich drehte mich zu ihm, um ihn weg zu drücken, doch das war ein gewaltiger Fehler. Ein einziger, kleiner Moment der Unaufmerksamkeit reichte aus, um einfach alles in sich zusammenstürzen zu lassen. Ich wollte noch fluchen und ihm eine verpassen, damit er aufwacht, doch es war zu spät. Erst spürte ich noch seine Lippen auf meinen, bis alles anfing sich zu drehen und sich zu wiederholen. Immer und immer wieder. Mein Kopf lief rot an, die Ohren begannen zu rauchen. Bis ich endlich wieder Kraft schöpfen konnte um ihn, wenn auch etwas unsanft, von mir zu schubsen. Er fiel mit einen dumpfen Aufschlag zu Boden. Panisch, sprang ich zur Türe und sah einmal quer über den Korridor. Niemand zu sehen. Also schnappte ich mir Rayo, packte ihn an den Beinen und schleifte ihn wieder in sein Zimmer. Ich stürmte also wieder in mein Zimmer, schob so leise wie möglich die Türe zu, hielt kurz die Luft an, um dann kurz darauf in mein Kissen zu schreien.
„Verdammt. Das, war, knapp!“, stammelte ich und fiel angespannt ins Bett.
Am nächsten Morgen, schien Rayo von der Nacht zuvor, nicht wirklich etwas mitbekommen zu haben. Er sah so müde aus wie sonst auch, trank kurioser Weise einen Tee, den er von Isshina bekommen hatte und wirkte noch normal. Als er mich auf dem Flur grüßte, ging ich ihm mit roten Kopf aus dem Weg, was der Dummkopf natürlich nicht verstand und sich nichts weiter dabei dachte. Ich hatte andere Pläne. Also schnappte ich mir nach dem Frühstück das Telefon und rief Shiori an.
„Es gibt ein Problem!“, zischte ich und sah mich um, ob auch niemand lauschte.
„Habt ihr euch schon wieder gestritten?“, fragte sie.
„Ach Quatsch.“, winkte ich ab,“Ich habe nur dummerweise vergessen, was ich machen soll, sobald Rayo dem roten Vollmond ausgesetzt ist.“
Ich konnte spüren wie Shiori die Augen verdrehte.
„Tomoe.“, begann sie,“Feuerlöckchen, was hast du angestellt? Mami merkt sofort, wenn etwas nicht stimmt!“
„Gar nichts!“, nörgelte ich,“Ich habe dich lediglich darum gebeten, mein Gedächtnis etwas aufzufrischen.“
„Es ist doch wirklich ganz einfach. Sobald der rote Vollmond zu sehen ist, musst du dafür sorgen, das die Fenster in Rayos Zimmer, komplett verbarrikadiert sind. Wenn er auch nur einen kurzen Schimmer von diesem Mondlicht abbekommt, fängt sein Gehirn an sich nur noch auf seine Instinkte zu verlassen. Logisches Denken fällt dann etwas mager aus.“
„Gibt es noch etwas, das du mir sagen musst? Ich weiß auch nicht, ehm.....Schlafwandeln eventuell? Der Fall wenn er zu einem halbschlafenden Zombie wird?“
„Oh, gut das du mich darauf ansprichst.“, sagte sie und runzelte die Stirn,“Für solche Fälle, habe ich mir früher, eine Spieluhr zu Hilfe genommen und sie in seiner Gegenwart abgespielt.“
„Eine Spieluhr?“, wiederholte ich,“Und das ist alles?“
„Eigentlich schon.“
„War es denn eine bestimmte Melodie? Oder reicht einfach, irgendeine Spieluhr?“, fragte ich weiter.
Shiori dachte eine Zeit lang nach.
„Ich meine, es spielt keine besonders große Rolle. Zum Beispiel, wäre da ein Modell, was Kota in der Pension stehen hatte. Aber ob du so etwas noch bekommst, ist eine andere Geschichte.“
„Dann verrate mir mal wie es heißt, dann fahre ich gleich mal los und sehe mich um.“
„Komm am besten her, dann bekommst du etwas Geld.“
Das ganze stellte sich als schwieriger heraus, als ich zunächst angenommen hatte. Ich hatte mir als Hilfestellung Kanako und Naru mitgenommen. Doch kaum waren wir in einem passenden Geschäft angekommen, löcherten sie mich schon mit Fragen. Aber ich hatte mir eine Lüge einfallen lassen, die keine Lüge war. Die Spieluhr sollte lediglich dazu dienen, Rayo zu beruhigen und besser schlafen zu lassen, sollte er wieder in eine Depression fallen. Gleichzeitig aber, nutzte ich das alles auch als Vorwand aus, um selber wieder besser schlafen zu können.
Letzte Nacht, vor dem Beginn der Uni.....
Wir standen nun eine Nacht vor dem nächsten roten Vollmond. Und ich war nicht die Einzige, die in den letzten Nächten etwas neben der Spur war. Was hatte sich dieser Holzkopf Rayo auch dabei gedacht, sich bei der Verabredung mit Isshina, wie ein Berserker vollzustopfen und mir dann von früh bis spät an den Hacken zu kleben? Und warum hatte er ständig an mir gerochen? Musste wohl die Aufregung vor der Uni sein.
Doch in dieser Nacht, wurde es noch mal etwas merkwürdiger. Die Kopfschmerzen hatten mich zuvor wahnsinnig gemacht. Zwar war es noch keine Migräne, so wie Rayo sie mal hatte, aber schmerzhaft war es trotzdem. Der Mond schien nun stärker als sonst durch mein Fenster. Jede halbe Stunde wurde ich plötzlich wach und sah mich um und meinte, dass irgendetwas in meinem Zimmer fehlen würde. Und als ich von einem Gang zum Klo wieder zurück kam, hörte ich leise Stimmen auf dem Flur. Vorsichtig spähte ich nach draußen und entdeckte tatsächlich, die Gestalt von neulich. Sie trug einen Strohhut, ein Katana an der Hüfte und ein kleines seltsam geformtes Messer in der Hand. Langsam bewegte sie sich auf Rayos Zimmer zu und kam sogar davor zum stehen. Sie öffnete die Türe und stapfte hinein. Rasch, stürmte ich in mein Zimmer, schnappte mir mein Schwert und rannte los. Ich riss Rayos Zimmertüre auf und sprang hinein, das Katana zum Schlag ausgeholt.
„Rayo!“
Ich konnte diese Erscheinung nun ganz deutlich vor mir sehen und stieß mit meinem Katana nach vorne, glitt aber natürlich durch sie hindurch und bekam sogar einen eiskalten Schauer ab. Kurz darauf, wachte Rayo auf und fiel aus dem Bett.
„Sag mal, Tomoe spinnst du?!“, fluchte er,“Bist du wieder darauf aus mich umzubringen oder was?!“
„Nein, ich......da war gerade wieder.......“, versuchte ich mich zu retten, doch Rayo interessierte das nicht.
„Hör mal, dass du mich ausspioniert hast, war schon die Spitze des Eisbergs, aber das hier.......!“
„Jetzt hör auf mich zu unterbrechen! Da war wieder diese Geist oder, was auch immer es war! Er stand gerade über dir und wollte dich meucheln!“
Er rollte mit den Augen und legte sich wieder schlafen.
„Ja, ja.“, brummte er,“Meine Geschichte mit Kanakos sprechender Katze glaubst du mir nicht, aber ich soll dir jetzt diesen Hokuspokus von einem Geist glauben?“
„Aber, diesmal habe ich es mir nicht eingebildet!“, zischte ich.
„Merkst du nicht wie hysterisch du dich wieder mal aufführst.“, sagte er mit ernster Mine,“Zu erst misstraust du Isshina und spioinerst mich aus und jetzt willst du mir auch noch weis machen, das ein Geist hier sein Unwesen treibt. Unglaublich das du die Ironie nicht erkennst.“
„Erzähl du mir nichts von Ironie!“, fluchte ich, stapfte nach draußen und fasste mich im Türrahmen wieder,“Tut mir leid. Das kommt sicher nicht noch mal vor. Wahrscheinlich, war das nur der Stress, weil morgen doch die Uni losgeht und......“
Doch er stand schon wieder vor mir und sah mich mit betrübten Blick an.
„Bist du fertig?“, fragte er.
„Wie fertig? Womit?“, erwiderte ich.
„Na, mit allem. War das wirklich die letzte Aktion, bevor es morgen Ernst wird?“
„Glaubst du wirklich, dass ich dir damit irgendwie schaden wollte?“
„Nicht unbedingt. Auch wenn die Sache mit der Spionage schon weh getan hat. Zumindest ein bisschen.“
Ich schüttelte den Kopf und seufzte.
„Tut mir leid. Dabei dachte ich, dass jetzt alles wieder etwas einfacher wird. Stattdessen wurde es nur noch komplizierter.“
„Auch das legt sich wieder.“, sagte er und umarmte mich.
Ich schluckte und spürte wie mein Körper sich anspannte.
„Was soll das denn jetzt wieder?“
„Behalte einfach ab jetzt einen kühlen Kopf. Schließlich, dürfen wir ja nicht auffallen, oder? Zu mal wir ab morgen mehr Leute als nur Naru und die anderen um uns herum haben.“
„Stimmt.“, er löste sich von mir und ging wieder ins Bett,“Bis Morgen.“
Doch er war schon wieder eingeschlafen und schnarchte. Ich schlich wieder in mein Zimmer und setzte mich an den Tisch. Dann kramte ich noch mal das Gruppenfoto raus und dachte nach.
„Hoffentlich artet die Sache nicht auch noch komplett aus. Ich habe schon mit Rayo so viel zu kämpfen, da kann ich diesen Stress nicht gebrauchen.“