Etwas später am Tag, kurz nach dem Mittagessen, wurde ich mit grauenvollen Kopfschmerzen wach. „Oh nein....“, schoss es mir durch den Kopf, “Ich.....bin immer noch in diesem Elend gefangen! Kann mich nicht endlich jemand befreien? Ich halte das nicht mehr aus!“
Um meinen Kopf war eine dicke Bandage gelegt und auf meinem Gesicht ruhte eine Atemmaske. Tomoe saß wieder neben meinem Bett und hielt meine Hand. Ich zog diese aber wiederum rasch wieder weg und erntete dabei von ihr einen missmutigen Blick. Warum konnte sie nicht begreifen, dass ich aufgegeben hatte? War es nicht meine Entscheidung, wann dieser Wahnsinn enden sollte? Doch bevor ich sie darüber aufklären wollte, bemerkte ich noch jemanden im Raum. Eine Frau die einen weißen Kittel und eine Brille trug.
„Der zweite Nervenzusammenbruch in so kurzer Zeit.“, sagte sie und warf einen Blick auf meine Akte, “Ich frage mich wie dein Herz das aushält.“
Mein Gesicht verzog sich und sofort riss ich mir die Atemmaske runter um die Ärztin mit einem mörderische Blick festzunageln.
„Können sie mir mal verraten, was sie hier wollen........Yanagi?!“, knurrte ich.
Tomoe starrte mich verwirrt an und blickte dann zu Yanagi.
„Du kennst sie? Aber........woher?“, fragte sie.
„Yanagi.......war mal meine Bezugsperson, in der Forschungseinrichtung.“, erklärte ich und wollte mich aufsetzen.
Doch mein Kopf schmerzte und hinderte mich so daran zu verschwinden.
„So so.“, sagte Yanagi kühl, “Dann leidest du also nicht unter Gedächtnisschwund, Nummer 10. Nach den Eskapaden bei den Testläufen, dachte ich eigentlich ich würde dem nächsten Diclonius zugeteilt werden, aber da lag ich falsch.“
„Tse. Es ist wirklich ein Jammer das ich Kakuzawa damals nicht erledigen konnte. Und warum sie damals noch geblieben sind, ist mir bis heute schleierhaft.“
„Soll das also bedeuten......, dass sie.....genauso wie die anderen im Labor, dafür verantwortlich waren, dass du und deine Artgenossen...“, kombinierte Tomoe und ihre Pupillen schrumpften zusammen.
Yanagi rückte ihre Brille zurecht und zog sich einen Stuhl heran.
„Ja, so könnte man das sagen.“, bestätigte sie und schlug die Beine übereinander, “Aber ich habe diese Experimente immer verachtet. Ich wollte nur die Vektoren erforschen. Und scheinbar hast du vergessen, dass ich mich gut um dich gekümmert habe, Nummer 10. Neben Kurama war ich die Einzige, die dir helfen wollte.“
Ich ballte die Fäuste und wandte den Blick von ihr.
„Soll ich mich jetzt glücklich schätzen?!“, fluchte ich, “Erwarten sie jetzt nicht, dass ich ihnen mit Nächstenliebe entgegen komme! Ich würde vorschlagen, dass sie wieder verschwinden und mich mit meiner Misere alleine lassen!“
„Rayo bitte!“, zischte Tomoe.
„Nein verdammt!“, raunte ich, “Ich habe mich entschieden! Also lass mich in Ruhe und hör auf mir alles schön zu reden! Ich habe nicht danach verlangt, dass ihr mich herbringt! Es ist mir egal ob ihr mir helfen wolltet!“
Ich lies mich wieder aufs Bett fallen und setzte mir die Maske auf.
„Und was ist bitte mit ihnen?“, fragte Tomoe,“Warum sind sie hier? Ich meine, wenn sie mal in dieser Forschungseinrichtung gearbeitet haben und gerade für Rayo eine Bezugsperson waren,.........warum sind sie jetzt hier? Ich verstehe das nicht so ganz!“
„Zu aller erst mal, möchte ich mein tief empfundenes Beileid aussprechen. Ich habe von deinen Klonen gehört und bedauere, dass du unter ihnen so leiden musstest.“
„Schön und gut, aber das beantwortet nicht meine Frage.“, hackte Tomoe nach.
„Verzeih bitte. Also gut. Nach Nummer 10s ersten Amoklauf während der Testreihen, musste ich mich logischer Weise erst mal ein wenig schonen. Ich war geschockt und die Tatsache das ich an jenem Tag nur knapp dem Tod entkommen war, sorgte dafür, dass ich vom Generaldirektor persönlich abgezogen, wurde um einen anderen Diclonius zugeteilt zu werden. Doch das wollte ich nicht. Dr. Kurama hatte mir eine Möglichkeit verschafft von diesem Ort zu entkommen, was der Generaldirektor natürlich bemerkte. Und wenig später, entkam ich in Osaka dem SAT-Team durch ein geschicktes Täuschungsmanöver. Ich täuschte meinen Tod durch einen schweren Autounfall vor und tauchte unter. Einige Jahre musste ich mich in Osaka dann niederlassen und kam vor über einem Jahr hier an.“
„Jetzt weiß ich zumindest, warum Rayo ihnen bei seinem ersten Anfall so misstraut hat.“, sagte Tomoe, “Aber können sie mir erklären, warum er vor ein paar Tagen wieder zusammengebrochen ist? Ich schätze mal der Tumor der an seinem Herzen sitzt, ist nicht daran Schuld.......“
Yanagi blätterte noch mal meine Akte durch und stand auf.
„Tako-Tsubo-Kardiomyopathie.“, erklärte Yanagi, “Schon mal davon gehört?“
„Nein, noch nicht.“, sagte Tomoe und schüttelte den Kopf.
„Tako-Tsubo-Kardiomyopathie, auch bekannt als Broken-Heart-Syndrom, tritt auf als Folge eines schweren emotionalen Schocks, der eine Schwächung des Herzmuskels auslöst. Da Nummer 10......“
„Können sie ihn bitte, mit seinen richtigen Namen ansprechen?“, fuhr Tomoe ihr dazwischen, “Sie sind nicht mehr in der Forschungseinrichtung also könnten sie bitte.......“
„Natürlich, entschuldige.“, nickte Yanagi und setzte noch mal neu an, “Also, da Rayo seinem Klon Saki sehr nahe stand und dieser dann vor einigen Monaten gestorben ist, hat das wiederum diesen schweren Schock bei Rayo ausgelöst. Zwar hilft der Tumor ihn wenn es darum geht Wunden verheilen zu lassen aber, da dieser Schock eben so heftig war, hat der Tumor darauf nicht richtig reagieren können und hat somit seine Schwächung des Herzens, noch verstärkt.“
Nachdem Tomoe sich mit einer Umarmung, die mich im übrigen nicht berührte, von mir verabschiedete, wollte mir Yanagi wieder Medikamente geben, doch die verweigerte ich. Sie ging danach zu dem Arzt der mich eigentlich behandeln sollte und setzte sich dann erschöpft und ratlos in sein Büro, wo er wiederum an seinem Computer saß und arbeitete.
„Ich hatte ganz vergessen wie anstrengend dieser Knirps ist. Gregory, bekommen sie bloß keine Kinder.“, seufzte sie.
„Das ist nicht verwunderlich, dass sie so denken.“, sagte Gregory, “Soweit ich weiß, lag er mehrere Jahre im Koma und hat somit den Großteil seiner Kindheit versäumt. Wahrscheinlich ist er auch noch zusätzlich frustriert, weil er noch nicht so intensiv an sich rumgespielt hat.“
„Das letzte hätten sie sich sparen können. Ich weiß nicht was ich machen soll. Er verweigert die Medikamente und akzeptiert so gerade noch seine Mitbewohnerin. Noch nicht mal eine simple Spritze können wir ihm geben, ohne das er um sich schlägt.“
„Ja natürlich, weil Spritzen auch nur gutes Bewirken. Besonders Kinder mögen Spritzen.“
„Er ist aber kein Kind mehr! Na ja......nicht so richtig.“
„Na bitte, da haben sie es doch. Sie hätten ihn fesseln sollen damit er still hält. Kleine Gören neigen immer dazu sich zu wehren, wenn man ihnen lange, dünne Nadeln ins Fleisch rammt.“
Erschrocken sah sie ihn an und verzog das Gesicht.
„Wie bitte? Aber Dr. House, ich werde den Schwestern nicht sagen, dass sie einen Patienten fesseln und knebeln sollen!“
Jetzt starrte er sie verdutzt an und stöhnte genervt auf.
„Was reden sie denn da? Sie sollen ihm doch nur eine Spritze geben, damit er sich beruhigt. Von einer SM-Orgie hat doch keiner gesprochen. Sie dichten immer was dazu, damit sie was zu lachen haben. Sie sind wirklich unmenschlich.“
Yanagi sank in ihrem Stuhl zusammen und ihr Kopf rauchte.
„Manchmal frage ich mich, ob sie mich an der Nase herumführen oder mich nur testen wollen! Ständig drehen sie mir die Worte im Mund herum!“, sie legte ihm meine Akte auf den Tisch, “Außerdem kann es sich einfach nur um das Broken-Heart-Syndrom handeln. Daran besteht einfach kein Zweifel mehr.“
„Haben sie schon ein MRT oder ein CT angeordnet?“
„Nein, dazu bin ich leider noch nicht gekommen, da wir ihn erst mal eine Wunde an der Stirn verarzten mussten.“
„Hat er sich gestoßen?“
„So ähnlich. Er erlitt einen weiteren Nervenzusammenbruch und hat sich laut seiner Mitbewohnerin, immer wieder die Stirn gegen die Wand gerammt. Und die Wand hat sogar schon eine Delle davon getragen. Normaler Weise sind die Patienten mit dem Broken-Heart-Syndrom zwar emotional erheblich abgeschlagen und neigen zu schweren Depressionen, aber dass es solche Ausmaße annimmt.....“
Er blätterte meine Akte durch und las noch mal den aktuellen Bericht.
„Sie haben nicht genug nachgedacht.“, sagte er nach kurzer Zeit.
„Inwiefern? Haben sie eine andere Theorie?“, erwiderte Yanagi.
„Ich habe nicht gesagt, dass sie falsch liegen. Diese Spielchen mit meinen Untergebenen, in denen wir sinnlos irgendwelche Begriffe aufzählen und besprechen, sind langweilig geworden. Nein. Ich meine, dass sie ein Detail scheinbar übersehen haben.“
„Und welches?“
„Er hat seinen Bruder verloren, nicht seinen besten Freund. Der Tod eines Familienmitglieds ist weitaus schwerer zu verdauen, als das Ableben eines guten Freundes. Beides sitzt schwer im Magen und setzt dem Herzen dementsprechend zu.“
Yanagi neigte den Kopf und schaute nachdenklich drein.
„Sprechen sie da aus Erfahrung? Ich meine, sie haben mir nur beiläufig erzählt, dass Sie jemanden verloren haben. Aber nicht explizit was für ein Gewicht, dieser Verlust für sie hatte.“
„Das ist richtig. Aber das ist jetzt egal. Ordnen sie für morgen ein MRT bei dem Knirps an.“
„Und was wenn er sich weigert? Glauben sie mir, er mag zwar gerade zwanzig Jahre alt sein, aber er ist bockig wie ein kleines Kind. Gegen den Dickschädel bin ich leider machtlos.“
Er runzelte die Stirn, steckte sich ein paar Tabletten in den Mund und gab ihr meine Akte wieder zurück.
„Da könnten sie recht haben. Wenn die Wand schon bei diesem Dickschädel nachgibt, können sie ja wohl nur noch versagen, wenn sie ihn mit Medikamenten und Spritzen drohen.“
„Ich mache nur meinen Job. Hätte ich ihm stattdessen Süßigkeiten anbieten sollen?“
„Nein, aber das wäre genauso wenig effektiv gewesen. Von daher, werde ich nun etwas verrücktes versuchen. Ich werde ihm einen Besuch abstatten.“
Damit, nahm er sich seinen Stock und humpelte hinaus. Yanagi war sprachlos und ging ihm hinterher.
„Moment........wollen sie damit sagen, dass „SIE“ zu einem Patienten gehen wollen um ihn zu untersuchen? Persönlich? Ausgerechnet sie?“
„Ja natürlich. Dafür sind Ärzte doch da oder irre ich mich? Sie schätzen mich wirklich falsch ein. Warum arbeiten sie überhaupt noch für mich?“
„Glauben sie mir, die Frage stell ich mir jeden Tag, immer wieder aufs neue. Wollen sie jetzt schon zu ihm gehen?“
„Nein, weil ich jetzt ins Hotel zurück gehe. Ich lasse den Knirps noch ein wenig schmoren. Vielleicht schenk ich ihm ein paar Comics oder rölpse mit ihm um die Wette.“
„Ich weiß nicht ob das jetzt ein Scherz von ihnen war oder nicht!“
„Stimmt, sie haben Recht. Um die Wette Furzen, ist viel spaßiger.“