Etwa eine halbe Stunde später, trottete Tomoe nach unten in die Cafeteria, wo Naru und Keitaro saßen und miteinander schwatzten. Dabei blätterten sie in einer Zeitschrift herum, die sie sofort wieder versteckten als Tomoe an ihren Tisch herantrat.
„Meine Güte, hast du uns erschreckt!“, hauchte Naru und holte die Zeitschrift wieder hervor.
„Gibt's schon was neues von ihm?“, fragte Keitaro, “Ähm.......Tomoe? Alles klar bei dir? Du wirkst so blass.“
Sie sah die beiden nicht direkt an, sondern hatte ihren Blick gen Boden gerichtet. Man konnte sich nicht mal im Ansatz vorstellen, was gerade in Tomoe vorging. Zumindest ich, konnte das nicht. Ihre Knie zuckten und ihre Beine sahen aus, als ob sie jeden Moment nachgeben würden. Und für einen Moment, sah es wirklich da nach aus, als ob sie zusammenbrechen würde. Doch sie stützte sich noch mal an der Tischkante ab und zeigte ihnen bittere Tränen und ein gequältes Lächeln.
„Er ist aufgewacht!“, sagte sie erschöpft, “Rayo.....ist wieder aufgewacht!“
Ihre Minen hellten auf und dann kippte Tomoe nach hinten und landete schließlich in Keitaros Armen.
„Das war knapp.", sagte er.
"Gut. Ich sage schon mal den anderen bescheid.", antwortete Naru, "Du bleibst so lange mit ihr hier und sorgst dafür das sie sich hinsetzt. Haruka kann sie später abholen.“
Im Ryokan bereitete man wieder mal das Mittagessen vor und Kaede, spielte dieses mal nur die Beobachterin. Shinobu und Su sollten diesmal alles zubereiten und Kaede, beurteilte sie. Immer wenn sie über die Schulter sahen, bekamen sie einen kalten Schock. Kaede war zwar erst seit ein paar Tagen im Ryokan, doch sie hatte schon für gewisses Unbehagen gesorgt.
„Wer macht dir mehr Angst? Shiori oder.....Kaede?“, flüsterte Su.
„Nicht doch! Sie kann dich hören!“, erwiderte Shinobu verängstigt.
„Willst du wieder das Essen anbrennen lassen?“, warf Kaede ein.
„N-nein.....ich strenge mich diesmal an!“, hauchte Shinobu, “Keine Sorge!“
Sie zitterte und zog den Kopf ein.
Wieder beugte sich Su zu ihr rüber.
„Jetzt ist es offiziell!“, flüsterte sie wieder, “Ich habe mehr Angst vor Kaede!“
„Das will ich auch für dich hoffen.“, hauchte Kaede ihr dabei in den Nacken.
Daraufhin schrien Shinobu und Su vor Schreck auf und ein Pfannenwender rauschte nur knapp an Kaedes Gesicht vorbei und blieb in der Wand neben der Türe stecken, wo gerade Mutsumi herein kam und mit einem breiten Lächeln und dem Telefon in der Hand herein kam. Sie brachte sich vor dem Pfannenwender erst mal in Sicherheit und lehnte sich um die Ecke.
„Darf man sich gefahrlos nähern, ohne das Küchenwerkzeuge zu Wurfgeschossen umfunktioniert werden?“, jammerte Mutsumi.
Kaede setzte sich wieder und konnte sich ein kichern nicht verkneifen, was die beidem Nervenbündel am Herd nur noch mehr verängstigte.
„Ich sollte das mal bei Mayu und Nana ausprobieren. Das macht mehr Spaß als ich dachte.“, murmelte sie.
„Wer ist denn am Telefon, Mutsumi?“, fragte Shinobu.
„Oh stimmt ja!“, sagte Mutsumi, “Naru hat gute Nachrichten für uns.“
Sie hielt den Hörer in die Runde.
„Rayo ist wieder aufgewacht!“, sagte Naru begeistert, “Könnt ihr bitte Haruka bescheid sagen, dass sie bitte Tomoe abholen soll? Sie ist totmüde und muss dringend etwas Schlaf finden.“
Daraufhin, verdunkelte sich Kaedes Mine.
„Da bin ich aber erleichtert.“, erwiderte Shinobu.
Als Mutsumi wieder davon rauschte um Haruka bescheid zu sagen, warfen Shinobu und Su alles hin und wollten gleich hinter her.
„Ich gehe ihn zu erst besuchen!“, rief Su und stürmte nach draußen.
Nur Shinobu blieb alleine mit Kaede zurück.
„Wir sollten ihr besser hinterher, bevor sie Rayo wieder mal ärgern will.“, sagte sie schief grinsend.
„Nein.“, konterte Kaede.
„Jetzt komm schon. Er wird sich bestimmt freuen wenn er so viel Besuch bekommt.“
Doch Kaede wandte den Blick von ihr.
„Geht ihr doch zu ihm, wenn es euch so sehr gefällt.“
„Ja aber.....“, antwortete Shinobu verwirrt, “Willst du denn gar nicht wissen ob es ihm gut geht?“
„Nein.“, erwiderte Kaede knapp, “Ich muss es auch gar nicht wollen, da ich weiß, wie es ihm geht. Er ist genauso erschüttert und zerbrochen wie vor zwei Tagen. Außerdem, muss ich Shiori die frohe Botschaft überbringen. Sicher wird sie ihm irgendeinen Kuchen backen wollen.“
Sie stand auf und ging davon.
„Moment mal, verstehe ich das richtig? Du......machst dir keine Sorgen um ihn, nachdem er zusammengebrochen ist und in Lebensgefahr schwebte?“
Kaede blieb in der Tür stehen, seufzte und lies den Kopf hängen.
„Verstehe das bitte nicht falsch, aber es gibt nun mal gewisse Dinge, die dich nichts angehen und die du wahrscheinlich noch nicht verstehst. Also.....tu du an meiner Stelle das was,........ich einfach noch nicht tun kann.“
„Aber Kaede......“, sagte Shinobu niedergeschlagen.
Und damit ging die Königin nachdenklich und leicht geknickt nach oben.
Tomoe, hatte Naru und Keitaro schon mal zum Eingang geschickt, denn Haruka war schon da um sie abzuholen. Meine Mitbewohnerin hatte sich noch einen Kaffee geholt und wollte sich von mir verabschieden. Doch kaum war sie auf den Flur getreten, hörte sie mich auch schon wieder Schreien.
„Ich habe gesagt, ich will dieses Zeug nicht nehmen!“, brüllte ich, “Lassen sie mich in Ruhe!“
Etwas ging zu Bruch und aus meinem Zimmer, stolperte eine der Krankenschwestern, die ein Tablett wie ein Schild vor sich hielt.
„Es tut mir ja wirklich leid, aber du musst nun mal deine Medikamente nehmen und.......“
„Verschwinden sie!“, schrie ich.
Eine Tasse flog durch die Türe und zerschellte an der Wand, während sich die Krankenschwester sich in Sicherheit brachte. Entsetzt rannte Tomoe durch den Flur und fand dann ein Schlachtfeld vor. Eine Spritze lag zerbrochen auf den Boden und der Inhalt war auf den Boden verteilt. Mein Mittagessen hatte ich bis vor fünf Minuten nicht angerührt und auch das war nun in allen Ecken des Zimmers verstreut. Ich saß zusammengekauert auf meinem Bett.
„Grundgütiger, was ist passiert?“, fragte Tomoe erschüttert und kam vorsichtig auf mich zu.
„Alle wollen mir helfen......alle bemitleiden mich!“, zischte ich, “Dabei wissen sie genau, dass es sinnlos ist! Niemand kann mir helfen!“
„Und deswegen hast du gerade eine Krankenschwester die nur ihren Job gemacht hat, einfach mal so verstört und angeschrien? Sag mal spinnst du?!“
Ich warf Tomoe nur einen düsteren Blick zu.
„Was weißt du schon? Ich habe nicht darum gebeten, hergebracht zu werden. Also wozu das ganze? Für mich gibt es keinen Platz mehr auf dieser Welt.“
Tomoe ballte die Fäuste und atmete tief durch.
„Rayo, hör zu. Ich weiß das du gerade eine sehr schwere Zeit durchmachst. Aber das gibt dir nicht das Recht, dich wie ein völlig verrückter aufzuführen. Außerdem habe ich genau dasselbe vor fast fünfzehn Jahren ebenfalls durchgemacht. Falls du ein paar Gedächtnislücken haben solltest.“
Langsam, bewegte ich mich vom Bett, musste mich kurz fangen als ich ein ziehen in den Füßen verspürte als ich den ersten Schritt tat. Dann ging ich mit schweren Schritten auf sie zu und drängte sie an die Wand.
„Warum.....habt ihr mich hier her gebracht? Sag mir warum!“, fluchte ich.
Sie zuckte kurz zusammen.
„Ist das dein Ernst?“, entgegnete sie, “Ich will für dich hoffen, das dass nur eine rhetorische Frage gewesen ist! Wir haben dich hergebracht, weil du im sterben gelegen hast! Hast du das etwa schon wieder vergessen?!“
„Na und? Jeder stirbt irgendwann mal. Meine Zeit auf dieser Welt ist schon lange vorbei! Ich will einfach nicht mehr verstehst du?! Ich ertrage es nicht mehr, dass andere wegen mir sterben!“
Ich fiel auf die Knie. Kopf und Arme gesenkt und bittere Tränen die in meinen Augen brannten und zu Boden fielen.
„Rayo.....glaub mir, ich weiß wie schwer so ein Verlust liegen kann! Aber du musst dir damit helfen lassen!“
Das Fauchen jagte wieder durch meinen Schädel und ich verlor die Kontrolle. Der Schmerz, riss mich wieder nach oben und trieb mich nach vorne. Und als ich wieder Nana sah, kurz nachdem ich sie massakriert hatte, warf ich alles von mir und lies der Verzweiflung freien Lauf.
„Es hat sich nichts geändert!“, schrie ich, “Absolut gar nichts! Egal was ich auch versucht habe.......egal wie sehr ich mich bemüht habe! Es war von Anfang an sinnlos!“
Dann, begann ich meinen Kopf gegen die Wand zu rammen.
„Rayo! Was zur......?!“, hauchte Tomoe entsetzt und wollte mich noch aufhalten.
Doch ich war am Ende. Immer wieder wuchtete ich meine Stirn gegen die Wand, bis mir das Blut aus der Wunde rann. Tomoe packte mich bei den Armen und zog mich mühsam zurück. Das Blut benetzte meine Augen. Und plötzlich sah ich mich wieder in der blutig roten Hölle, in der ich einst meine Spiegelbilder auf grausame Weise niedergemetzelt hatte......und da war auch Saki. Auch er badete gerade zu im Blut und dort wo sein Herz sein sollte, befand sich nur ein faustgroßes Loch. Ich merkte nicht mal, wie ich wieder regungslos am Boden lag und nur noch diesen roten Vorhang vor mir sah. Tomoe bettete mich auf ihren Schoß.
„Hilfe!“, schrie Tomoe,“So hilf mir doch jemand, bitte! Schwester!“