Die gesamte nächste Woche an der Uni, verlief ähnlich holprig wie die erste. Mit der Ausnahme, dass ich die Wege zu den Kursen jetzt etwas besser kannte als zuvor. Zu meinem Glück, gab es tatsächlich einen Kurs für Kampfsport und Selbstverteidigung, bei dem ich mich natürlich noch nachträglich eintragen wollte. Jedoch gab es da einen entscheidenden Haken.
„Erst ab Mai verfügbar.“, las ich auf einem Infoblatt dass am schwarzen Brett hing,“Das dauert ja noch ewig!“
„Jetzt übertreibst du aber.“, sagte Naru,“Wir haben doch schon Mitte April! So lange dauert das nun auch wieder nicht! Nur noch zwei bis drei Wochen.“
„Zwei bis drei Wochen, drei Monate – es könnten genauso gut drei Jahre sein!“, brummte ich,“Ich hasse es so lange zu warten!“
„Du hast mehrere Jahre im Koma gelegen und geschlafen. Da wirst du die paar Wochen doch noch aushalten können.“, entgegnete Tomoe.
„Ich hasse es aber zu warten! Das ist wie Folter!“
Beide seufzten und versuchten mich irgendwie zu trösten.
„Wir machen es dir schon erträglich.“, sagte Naru.
„Immerhin haben wir ab Donnerstag einen Schwimmkurs. Das dürfte deine Wartezeit etwas weniger anstrengend gestalten.“
„Wenn ihr meint.“, nickte ich,“Dann muss ich mir aber vorher noch eine Badehose......“
„Aha! Hier steckst du also!“, hörte ich eine gebieterische Stimme hinter uns.
Die Mine der anderen beiden verdüsterte sich. Sie drehten sich um und stöhnten dann genervt auf.
„Oh nein.“, begann Tomoe Zähne knirschend,“Ausgerechnet jetzt wo ich mein Katana nicht dabei habe!“
„Wusste ichs doch dass ich dich hier erwische, Akumaru!“, zischte Isshina,“Faul und teilnahmslos, wie ich es von dir gewohnt bin! Mit dir hab ich noch ein Hühnchen zu rupfen!“
Ich neigte den Kopf und blinzelte ein paar mal.
„Tut mir leid aber, kennen wir uns von irgendwoher?“, sagte ich verwirrt.
Tomoe und Naru drehten sich kaum merklich weg und versuchten einen Lachkrampf zu unterdrücken.
Isshina war erbleicht und starrte mich schockiert mit offenen Mund an.
„Das war ja mal wieder typisch! Nur ein Einfaltspinsel wie du kann eine solche Persönlichkeit wie mich vergessen!“, fluchte sie, stemmte die Hände in die Hüften und schnaufte,“Du, hast mir meine Geldbörse leer gefressen du Gierschlund! Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?!“
Ich verschränkte die Arme und war noch verwirrter, wodurch ihre Wut an mir abprallte.
„Ich versteh gar nicht wo das Problem ist.“, sagte ich Achselzuckend,“Wir hatten einen netten Abend und wir haben sogar gelacht. Dass du mich trotz der vielen Gerichte dennoch weiterhin von vorne bis hinten bedient hast, ohne dich zu beschweren, ist deine eigene Schuld. Pech gehabt würd ich sagen.“
„Ganz genau.“, bestätigten Tomoe und Naru nickend.
„Da hat Rayo dich gekonnt ausgespielt.“, grinste meine Mitbewohnerin,“Ich meine gut, vielleicht hätte er selbst drauf kommen können, aber du hast ihn immerhin eingeladen. Das hast du dir selbst eingebrockt.“
„Aber.....aber.....ich eh......“, stammelte Isshina und zitterte.
„Das hat gesessen!“, sagte Naru triumphierend und schlug mit Tomoe ein,“Komm Rayo, wir gehen was essen.“
Beide verankerten ihre Arme unter meine und zogen mit mir von dannen. Isshina blieb weiterhin stammelnd und stotternd zurück und fasste sich erst wieder, als wir um eine Ecke bogen.
„Na wartet, das wird noch ein Nachspiel haben! Die Rache der Korukawa wird schnell und unvorhergesehen einschlagen, hört ihr?! Rache! Meine Rache wird fürchterlich!“
Am Donnerstag stand dann die erste Stunde im Schwimmkurs an. Es gab ein großes Becken und um den Platz herum waren Maschendrahtzäune aufgestellt. Ich, Tomoe, Shirai, Haitani und Isshina hatten uns eingetragen. Keitaro und die anderen waren nicht dabei. Dafür aber gut ein Dutzend anderer Studenten die mir völlig Fremd waren. Tomoe und Isshina waren sich einig einen Badeanzug zu tragen, damit Shirai und Haitani sich keine Dummheiten erlaubten und sie noch mehr anbaggerten, als sie es ohnehin schon taten. Meine Mitbewohnerin war aktuell neutral gestimmt, was ohne Zweifel an Isshinas Anwesenheit lag.
„Hast du dich wieder beruhigt, Korukawa?“, merkte Tomoe an.
„Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du da redest, Darakaija.“, wich Isshina der Frage aus und richtete sich ihre Haare.
„Hat sie ihre Meckerei vom letzten mal schon wieder vergessen?“, flüsterte ich.
„Sicher. Sie hat nicht nur dauernd Stimmungsschwankungen. Nein, sie vergisst auch aus Prinzip ihre Wutausbrüche.“
„Hoffentlich vertragt ihr euch, solange wir hier sind.“
„Keine Sorge, ich werde mich zurückhalten. Das tu ich nur dir zu Liebe, du Holzkopf.“, versicherte mir Tomoe.
„Na wenigstens etwas.“, antwortete ich gähnend.
„Achtung! Stillgestanden!“, raunte jemand hinter uns.
Wir alle zuckten zusammen und blickten nur kaum merklich über die Schulter.
„Ist das unsere Dozentin?“, fragte ich neugierig.
„Scheint so.“, sagte Tomoe.
Dies, war Rikako Sakai, eine Dozentin die recht neu an dieser Uni war. An anderen Unis hatte sie hauptsächlich alle Arten von Sport unterrichtet und auch hier hatte sie diesen Job übernommen. Dass sie jetzt auch noch diesen Kurs unter ihre Fittiche genommen hatte, war allerdings neu. Sie trug eine knielange Hose, Sandalen, einen seltsamen weißen Kittel, eine eigenartige Brille wie sie sonst nur gewisse Kampfpiloten trugen und ein Zahnstocher, der in ihrem Mundwinkel lag. Ich wusste noch nicht so genau was ich von ihr halten sollte, aber das konnte nicht mehr lange auf sich warten lassen.
„Also ihr Maden! Wenn ihr genau meine Anweisungen befolgt, werden wir gut miteinander auskommen! Und wenn ihr schön artig seit und euch gut anstellt, könntet ihr vielleicht ins Volleyball-Team wechseln.“
Während ihre Stimme nach jedem Satz immer lauter wurde, seufzte ich schwer und dehnte mich.
„Ein Glück das Shinobu nicht hier ist.“, murmelte ich.
„Oh ja. Stell dir mal vor, die würde Shinobu so hart ran nehmen.“, erwiderte Tomoe,“Die hat doch sicherlich zu viele Kriegsfilme gesehen, so wie die sich hier aufführt!“
Plötzlich drehte sie sich zu uns um und zeigte mit den Finger auf mich.
„Du da, Knirps!“, raunte sie, “Name und Alter, aber pronto!“
„Rayo Akumaru, 20 Jahre alt.“, sagte ich knapp.
Sie nahm kurz ihren Zahnstocher aus dem Mund und hob ihre Sonnenbrille an.
„Akumaru......irgendwo hab ich den Namen doch schon mal gehört.“, sie dachte kurz nach,“So weit ich weis ist dein Klan, kein unbeschriebenes Blatt. Man hört viel gutes. Aber das muss nichts heißen.“
Mein Auge zuckte und verwirrt drehte ich mich zu Tomoe um.
„Hat sie meinen Klan jetzt gelobt oder beleidigt?“, meckerte ich.
„Genug geredet, Knirps! Jetzt geht es an die erste Übung! Geh ins Wasser und zeig den anderen Rekruten was du so drauf hast! Na los!“
Ich bohrte mir im Ohr herum und trottete zum Beckenrand.
„Ist ja gut, sie müssen ja nicht gleich so schreien. Ich bin nicht taub!“
„Pille Palle, ab ins Wasser mit dir! Na los, wird’s bald! Beweg dich, beweg dich, beweg dich! Ich will dich schwitzen sehen!“
Tomoe und Isshina schnauften beide und schüttelten dann den Kopf.
„Wenn Shiori das mitkriegt, bricht ein Sturm los.“, murmelte Tomoe.
„War unsere Dozentin vielleicht beim Militär?“, fragte Isshina,“Wenn ja würde es mich brennend interessieren, ob sie schon so war, oder ob sie erst zu dem gemacht wurde, was wir heute vor uns sehen.“
„Ist das nicht eigentlich egal?“, entgegnete Tomoe.
„Nicht so ganz, Darakaija. Entweder haben ihre Ausbilder sie so geformt, oder aber sie war von Anfang an schon so und hat wiederum ihre Ausbilder so durch die Gegend gescheucht.“
Ich tat also was sie mir immer wieder ins Ohr brüllte und begab mich ins Wasser. Dabei verschränkte ich gelangweilt die Arme und tauchte ein.
Einige Sekunden herrschte Stille und unsere Dozentin nickte nur und drehte sich wieder zu den anderen um.
„Aha, der „sinkende Stein“, eine gute erste Übung für Anfänger.“, sagte sie und klatschte kurz,“Also schön, die nächsten bitte!“
Doch ein Mädchen aus dem Kurs meldete sich zu Wort.
„Ähm Verzeihung, dürfte ich eine Frage stellen?“
„Keine Ausflüchte zur Latrine. Erst macht ihr eure erste Bahn!“, wehrte Rikako ab.
„Nein, das wollte ich ganz sicher nicht Fragen!“
„Na dann lass es gleich bleiben. Fragen sind während meiner Kurse nur bedingt gestattet und unsere Zeit ist kostbar. Aber ich mache mal eine Ausnahme, sonst stehen wir hier noch ewig und drei Tage. Stell schon deine Frage.“
„Verdammt noch mal jetzt hören sie doch mal zu! Sollte er nicht langsam wieder auftauchen?!“
Die Dozentin neigte verwirrt den Kopf und hob ihre Brille an.
„Wie darf ich das denn jetzt verstehen?“
„Ja, merken sie denn das nicht?! Der ist schon fast zwei Minuten da unten! Der ersöffelt doch gerade jämmerlich!“
Wie durch Zauberhand, wich Rikako sämtliche Farbe aus dem Gesicht, ihre Brille rutschte ihr von der Nase und der Zahnstocher fiel dumpf zu Boden.
„Wie bitte?!“, kreischte sie hysterisch,“Ist er denn nicht schon wieder zurück?!“
„Nein!“, riefen alle.
„Oh nein, oh nein, oh nein!“, jammerte Rikako,“Das mir sowas in der ersten Stunde passiert! Jetzt sauft mir hier doch glatt einer ab, kacke! Keine Bange, ich mach das.......“
„Rayo!“, rief Tomoe und tat ihre ersten Schritte zum Becken.
Jedoch war Isshina ihr da schon weit voraus. Sie war nach vorne gehechtet, tat einen gestreckten Sprung und verschwand im Wasser.
Was ich die ganze Zeit über getrieben hatte? Oh ja richtig, ich war immer noch unter Wasser. Doch ich schwebte nicht in Lebensgefahr. Immerhin hatte ich lange genug, in einer Flüssigkeit, in einem Tank geschlafen. Gut, zwar mit einer Atemmaske aber ich hatte es überstanden. Ich saß seelenruhig mit gekreuzten Beinen auf den Grund des Beckens und grüßte Isshina mit einem einfachen Handzeichen, doch sie schien das nicht wirklich zu bemerken. Alles was ich noch sah, waren Luftblasen die wild vor mir aufstiegen und ich spürte wie sich ihr Arm um meinen Hals schlang und mich hoch zog. Es gab einen kurzen Aufschrei von allen anderen. Das Mädchen was nach mir gefragt hatte, atmete erleichtert aus und wunderte sich, wo Tomoe steckte. Die hockte in einer Ecke, mit dem Gesicht zur Wand und schien zu schmollen. Den Grund, erfuhr ich erst sehr viel später.
„Ach da bist du! Jetzt komm schon her. Es ist alles in Ordnung. Es geht ihm gut.“
„Lass mich in Ruhe.“, maulte sie und ihr Kopf schien zu rauchen,“Die hätte sich gar nicht erst einmischen sollen, dann hätte ich ihn da in null Komma nichts raus geholt. Blöde Ziege. Muss sich immer und überall vordrängeln! Gemeinheit!“
„Ich wollte dir keines Wegs die Show stehlen, Darakaija!“, rief Isshina.
„Sprich mich nicht an! Mir geht es gut!“, erwiderte Tomoe.
Die Dozentin war auf einem Klappstuhl zusammengesunken und fächerte sich Luft mit der Hand zu. Ganz so abgebrüht war sie dann wohl doch nicht. So schnell kann man sich irren. Ich wiederum, richtete mich auf und sah mich um.
„Sag mal, warum bist du nicht sofort wieder hoch gekommen?“, fragte Rikako.
Ich zuckte die Schultern.
„Ich dachte es geht darum, wie lange ich die Luft anhalten kann.“
„Wie.......aber........was?“, sagte sie verdattert,“Du solltest eine Bahn schwimmen.“
„Aber ich kann nicht schwimmen.“, konterte ich trocken.
Die meisten Umstehenden fielen vermeintlich in Ohnmacht oder schlugen sich mit der Hand gegen die Stirn.
„Herrje herrje.“, sagte Isshina seufzend und schenkte mir sogar ein schmales Lächeln,“Erst mir die Geldbörse leer fressen und jetzt nicht schwimmen können. Du steckst voller Überraschungen, Akumaru.“
„Ok, wir machen erst mal ne kurze Pause.“, sagte Rikako erschöpft.
Daraufhin verschwanden alle um sich was zu Essen zu holen. In diesem Moment, drehte mir Isshina den Rücken zu. Uns es erfasste mich ein lähmender Schock. Genau dort, zwischen ihren Schulterblättern, zeigte sich mir ein alter Albtraum. Drei versetzte Augen, die mich direkt anzustarren schienen. Meine Pupillen verengten sich zu schlitzen, mein Herz begann so schnell zu rasen das es schmerzte. Ich sah wieder diese flammenden Augen die mich anstarrten, mich bedrängten und zu Boden zwangen. Da war so ein dunkles, unheimliches und unverständliches Geflüster, was von allen Seiten auf mich eindrang, sich in meinen Schädel hineinfraß. „Schakal....ich.....sehe....DICH!“ Meine rechte Schläfe schickte mir einen brennenden Schmerz, so als ob man mir einen glühend heißen Stab durchs Fleisch jagte. Und mir den Kopf haltend, stapfte ich wortlos davon, ohne Isshina noch eines Blickes zu würdigen.
„Akumaru, was hältst du davon wenn wir beide mal zusammen – ähm, Rayo? Was hast du? Was ist los? He!“, rief sie und wollte mich noch bei der Hand packen, doch ich zog sie rasch zurück und floh regelrecht mit kochender Wut im Bauch vor ihr.
„Rayo?! Hey! Wo willst du hin du Holzkopf!“, versuchte Tomoe mich zu erreichen und wandt sich dann leicht angesäuert an Isshina,“Was hast du bitte gemacht?!“
„Ich bitte dich.“, wehrte sich Isshina,“Wenn ich wirklich ernsthaft etwas versucht hätte, würde ich viel subtiler und ohne körperlichen Kontakt vorgehen.“
„Ja, aber wieso hat er denn so schnell das Weite gesucht?“
„Wenn ich das wüsste. Ich glaube, du solltest lieber mal mit ihm......“
„Natürlich sollte ich das. Du machst ja sowieso nur alles schlimmer.“, knurrte Tomoe und ging durch die Türe,“Rayo!“
Die Tür fiel mit lautem Donnern ins Schloss und es herrschte Stille. Bis auf das dunkle Flüstern was von draußen hinter der Türe in die Dunkelheit drang und mich verfolgte.