Während Tomoe sich ausschlief um morgen wieder etwas fitter zu sein, hatte ich mich aufs Dach begeben, um etwas nachzudenken. Auch mir war immer noch leicht schwummrig, aber jetzt hatte ich etwas Ruhe. Zumindest hatte ich das erhofft. Jemand ganze bestimmtes, hatte sich den ganzen Tag schon im Ryokan versteckt und trat nun ins Sternenlicht.
„Du kannst ruhig herkommen. Ich weis das du da bist.“, sagte ich ruhig,“Senichi.“
Ertappt, kam er die Treppe hoch und blieb dann hinter mir stehen.
„Ich hatte ganz vergessen, dass du auf einem ganz anderen Niveau bist, als ich und deine Mutter.“, sagte er.
Er blieb weiterhin stehen. Dabei hatte ich meine Vektoren nicht ausgefahren.
„Es ist dir gestattet, näher zu treten.“, warf ich ein.
„Bist du dir sicher?“, fragte er vorsichtig,“Wenn du noch nicht bereit bist zu reden, kann ich sofort wieder gehen. Dann verschieben wir das......“
„Nein.“, sagte ich knapp,“Mein Zorn auf dich, ist noch nicht verraucht. Aber ich habe gelernt, mich zu beherrschen. Es sei denn, du legst es darauf an.“
Schwer seufzend, trat er neben mich und blickte ebenfalls in die Sterne.
„Ich weis, dass du eine Mordswut auf mich hast. Und sicher, wirst du das was ich dir zu sagen habe, nicht wirklich zur Kenntnis nehmen wollen, aber ich hatte........meine Gründe, deine Mutter zu verlassen, als sie mit dir Schwanger war. Auch wenn es keine guten waren.“
„Was sollen dass auch für „gute“ Gründe sein, seine Frau zu verlassen? Warum tut man so etwas?“, fragte ich kühl.
„Wenn du es genau wissen willst – ich hatte Angst vor ihr. Besonders vor ihren Ausfällen.“
Ich atmete tief ein und bemühte mich, nicht aus der Haut zu fahren.
„Ich will für mein Seelenheil hoffen, dass das nicht alles war. Ansonsten würde der nächste Schlag der auf mein Schweigen folgen würde, dafür sorgen, dass du nicht mehr aufstehst.“
„Du kommst wirklich nach deiner Mutter.“, lachte er,“Erstaunlich. Um es genauer zu sagen, waren ihre Ausfälle nicht mit denen der Menschen zu vergleichen. Keineswegs. Sie hätte beinahe dafür gesorgt, dass ich pulverisiert werde.“
Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
„Und wie darf ich das bitte verstehen?“, fragte ich verwirrt,“Eure Telekinese ist doch meiner, weit unterlegen. Wie kann sie dann eine solche Kraft aufbieten, um etwas zu pulverisieren?“
„Pfff, da fragst du mich was. Meine Theorie dazu ist, dass ihr Temperament und ihr Adrenalin stark dazu beigetragen haben. Das ganze ist wie eine chemische Bindung dir zur Sprengung führt. Quasi, der Tropfen der das Fass zum explodieren bringt.“
„Müsste dann aber ein Fass voll mit Schießpulver sein.“, warf ich ein.
„Genau.“, nickte er,“Du bist schnell.“
Ich massierte mir die Schläfen.
„Wie bringen wir unser beider Verhältnis nun auf einen Nenner?“, fragte ich angespannt.
„Das, überlasse ich ganz dir. Ich habe schon so viel aus deinem Leben verpasst, da darfst du auch die Entscheidung treffen, wie du mich am ehesten in deiner Nähe ertragen kannst. Und auch meine Entschuldigungen, kannst du getrost abweisen. Etwas anderes, habe ich nicht verdient.“
Ich sah ihn leicht gelangweilt an und wusste nicht was ich darauf kontern sollte.
„Eine Frage noch.“, sagte ich schließlich.
„Dann schieß mal los.“
„Warum musstest du Mutter nicht nur dann verlassen, als sie mit mir – sondern auch später als sie mit den Zwillingen schwanger war? Erklär mir das bitte.“
„Oh, die Geschichte. Tja, sagen wir so: Deine Mutter wollte es mir bei Naomi und Seiryu heimzahlen. Sie wollte mir und ihrem ganzen Klan beweisen, dass sie unabhängig sein und alleine ihren Nachwuchs großziehen konnte. Und als die Zwillinge dann drei Jahre alt Waren, hat deine Mutter mich in selbigen Jahr rausgeworfen.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Und dennoch hat sie dich wieder zu sich gelassen.“
„Hey, nimm das nicht so auf die leichte Schulter.“, meckerte er,“Ich muss für sie schuften ohne Ende! Ich muss jetzt nämlich die Wäsche machen, das Essen kochen. Und einkaufen gehen natürlich auch.“, er seufzte schwer,“Ich liebe deine Mutter wirklich über alles. Aber sie ist echt ne Sklaventreiberin! Und dank ihres Ausfalls von vor ein paar Monaten, durfte ich dann mit den Zwillingen alles aufräumen! Und das nur weil sie deinen Traumabericht gelesen hat.“
Ich hob überrascht die Augenbrauen.
„Moment mal......Tomoe war doch an dem Tag bei euch.........“
„Ja, ganz richtig. Deine Mutter hat so einen heftigen Ausfall gehabt, dass alles gebebt hat. Ein Glück hat es nicht so lange angedauert. Sonst hätte sich der gesamte Kontinent aufgespalten.“
„Du willst mir Sagen, dass Mutter dieses Erdbeben.......“
„Ja.“
„Wow. Na ja, solange sie niemanden verletzt.......“
Plötzlich, hörten wir jemanden entsetzt schreien.
„Rayoooooooooo!“, drang Tomoes Stimme zu uns hoch.
Rasch, sprang ich auf und rannte in Richtung Treppe.
„Wir reden später weiter!“, rief ich.
Ich spurtete nach unten, immer weiter Tomoes Schreien nach, was immer lauter und schmerzvoller wurde. Ich konnte sie weinen hören. Laut und schmerzerfüllt. Wenige Sekunden später, riss ich die Badezimmertüre auf und fand Tomoe heftig schluchzend und zusammengekauert in einer Ecke. Auf dem Boden sah ich große und kleine Blutflecke. Der Spiegel war zerbrochen und ich sah dass ihre rechte Hand blutete. „Was war hier nur geschehen?“ Im Flur, ging das Licht an. Schnell kamen Naru und Keitaro dazu, die erst mal geschockt zurück zuckten.
„Was um Himmels Willen ist hier los?“, fragte Naru entsetzt.
„Keine Ahnung.“, murmelte ich,“Keitaro, hol mal bitte einen Besen und eine Schaufel. Sonst tritt nachher noch jemand in die Scherben.“
„Geht klar.“
„Naru, sei so nett und besorg mal schnell Verbandszeug.“, bat ich sie.
„Wird sofort erledigt!“
Vorsichtig, suchte ich meinen Weg um die Scherben herum und hockte mich dann zu Tomoe.
„Hey, Feuerlöckchen.“, sagte ich sanft,“Was ist passiert?“
Sie sprang mich regelrecht an und klammerte sich an mir fest. Sie weinte noch lauter und drückte ihr Gesicht gegen meine Brust.
„Ich.......ich...hab......ihn wieder gesehen!“, wimmerte sie,“Der Geist! Er ist wieder da.......und....ich konnte ihn in meinem Kopf hören!“
Nachdem Keitaro die Scherben entfernt und Naru Tomoe die Hand verarztet hatte, nahm ich sie auf den Arm und trug sie dann in mein Zimmer.
„Bleibst du bei ihr?“, fragte Naru besorgt.
„Sicher. Geht ihr beide wieder schlafen. Wir sehen uns morgen.“
Drüben angekommen, legte ich sie in mein Bett und deckte sie zu.
„Das Training im Garten, war wohl etwas zu viel. Und dann noch diese Hitze.“, fasste ich zusammen.
„Rayo......“, sagte sie mit erstickter Stimme,“Da.....war noch etwas anderes......“
„Und was?“
Sie deutete auf ihre Schläfen und schluchzte.
„Da war.......dieses Fauchen......ich, hab es gehört.“, sie hustete und biss sich auf die Lippe,“Ich habe es gehört!“
Meine Pupillen schrumpften zusammen.
„Neeeeeeeeeein.......“, hauchte ich und schluckte.
Ich hielt ihre Hand und setzte mich neben das Bett.
„Warum, hört es nicht auf?“, fragte sie,“Warum.......hört dieser Schmerz, nicht endlich auf?“
Ich schüttelte den Kopf und fuhr ihr durch die Haare.
„Sh, ruhig.“, flüsterte ich,“Ist ja gut Rayo ist hier. Rayo beschützt dich.“
Sie legte meine Hand auf ihre Wange und begann ruhiger zu atmen.
„Großer.........dummer.......Holzkopf.“, flüsterte sie.
Ich neigte den Kopf und blickte auf ihre Brandnarben.
„Ich verspreche, dass wir dieses ganze Drama um den Geist aufklären werden.......Tomoe.“
Ein schmales Lächeln, huschte kurz über ihr verweintes Gesicht. Dann schloss sie die Augen und schlief wenige Minuten später ein.
Am nächsten Tag, räumten wir den Garten auf und teilten uns noch mal auf, um einzukaufen. Kitsune und Tomoe blieben dabei zurück. Als ich dann wieder mit Kanako und Naru zurückkam, kapselte ich mich gleich von den beiden ab und ging zu Kitsune. Vor ihrer Türe, blieb ich also stehen und wollte anklopfen, doch etwas hielt mich zurück.
„Du kannst das wirklich besser als Rayo.“, hörte ich Tomoe zufrieden seufzen.
„Du hättest gleich zu mir kommen sollen.“, erwiderte Kitsune.
Ich verdrehte die Augen und klopfte an. Und vorsichtig, trat ich ein. Tomoe saß auf einem Stuhl und trug eine Art Umhang, der sie bis auf den Kopf bedeckte. Kitsune saß hinter ihr.
„Na, hast du alles kriegen können?“, fragte Kitsune lächelnd.
„Kann man so sagen.“
Tomoe warf einen Blick zu mir und neigte auch gleich verwirrt den Kopf.
„Hast du, etwa beim Einkaufen deinen Strohhut getragen?“, fragte sie ungläubig.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und nickte.
„Allerdings.“, sagte ich.
„Na wenigstens, hattest du deinen Spaß.“, sagte Tomoe entspannt.
„Was macht ihr da eigentlich?“, fragte ich.
„Wir färben ihr nur etwas die Haare.“, erklärte Kitsune,“Immerhin hat sie ja auch einiges an Farbe abbekommen, bei der Schlacht im Garten.“
Ich nickte Tomoe zu und setzte mich auf den Boden.
„Alles klar bei dir?“, fragte ich vorsichtig,“Tut deine Hand noch weh?“
Doch die schüttelte nur den Kopf.
„Der Schock sitzt immer noch tief.“, sagte meine Mitbewohnerin geknickt,“Aber, danke der Nachfrage. Und meine Hand fühlt sich etwas Taub an. Besonders viel werde ich beim Sportfest also nicht machen können. Aber das große Rennen am Ende, ziehe ich durch!“
Als sie schließlich fertig war, zog sich Tomoe in ihr Zimmer zurück und reichte mir kurz ihre Hand, bevor sie ging.
„Kitsune, ich denke mal dass ich bereit bin.“
„Bereit wofür?“, fragte sie.
Ich deutete auf meinen Kopf.
„Meine Haare zu färben. Morgen ist doch das Sportfest.“
„Ach ja richtig! Dann komm mal her und setz dich.“
Das tat ich dann auch. Sie legte mir den Umhang an und zeigte mir schon mal die Farben.
„Nur ein paar Strähnen, wenns geht.“, erklärte ich.
„Alles klar. Und welche Farbe?“
Ich zuckte die Schultern und dachte nach. Dann warf ich einen Blick auf den Inhalt meiner Einkaufstüte und fasste einen Entschluss.
„Rot. Ein kräftiges rot.“
„Wie du willst. Soll ich es gleichmäßig färben?“
„Überrasch mich einfach.“, nickte ich, “Allerdings, sollte es nicht zu viel sein. Das schwarze, soll dominanter sein als das rot.“
„Gut. Dann lehn dich mal zurück und genieße es. Das wird ein Weilchen dauern. Und bei deiner Mähne ist das noch etwas untertrieben.“
„Du kannst sie mir ja etwas kürzen, wenn sich das noch einrichten lässt.“
Sie grinste und zückte eine Schere.
„Nichts lieber als das! Also gut! Dann geht’s jetzt los!“