Beim Ryokan hatten sich alle, bis auf die Erwachsenen und meine Geschwister im Garten versammelt, um einen Kampf zwischen Tsuruko und Tomoe beizuwohnen. Natürlich nutzten sie hier keine richtigen Katanas, sondern nur Übungswaffen.
„Jetzt bin ich aber mal gespannt, wie gut sich Tomoe da schlagen wird.“, sagte Naru.
„Wir haben bei ihren letzten Besuch schon festgestellt, dass Tsuruko uns allen überlegen ist.“, erwiderte Keitaro.
„Aber wenn Tomoe doch schon bei so vielen Meisterschaften teilgenommen und immer so weit gekommen ist, muss sie doch auch ziemlich gut sein oder?“, fragte Shinobu.
„Das werden wir gleich schon sehen.“, warf Motoko ein,“Allerdings hab ich mir bisher noch kein Bild von Tomoes Können machen können.“
„Viel Glück Tomoe!“, riefen Kitsune und Muzumi.
Su stellte sich in die Mitte des Kampfplatzes und hob einen Arm.
„Also, seid ihr bereit?“, rief sie.
Tomoe und Tsuruko nickten und legten je eine Hand an den Griff ihrer Schwerter.
Meine Mitbewohnerin zeigte schon einige Anzeichen von Ehrfurcht. Von ihrer Stirn liefen die ersten Schweißperlen und ihre Hand zitterte ein wenig.
„Was ist nur los? Von ihr geht eine unvorstellbare Kraft aus. Meine Knie fühlen sich so ungewohnt schwach an, so als ob ich gleich zusammenklappe.“
„Ich halte das immer noch für keine gute Idee.“, schluckte Yu mit zitternden Knien.
„Mach dir mal keinen Kopf. Deine Freundin Tomoe ist zwar verletzlich, aber sie hat auch einen noch größeren Dickschädel als Rayo! Die lässt sich nicht unterkriegen.“, sagte Kitsune.
„Und los!“, rief Su und setzte sich wieder zu den anderen.
Beide Kontrahentinnen zogen ihre Schwerter. Tomoe hielt es hoch mit beiden Händen fest umklammert, die Klinge auf Tsuruko gerichtet. Motokos Schwester hingegen hatte eine Hand auf ihre Klinge gelegt und mit der anderen, das Heft gepackt. Tomoe, machte den ersten Schritt und hastete sofort in Richtung Tsuruko. Die wiederum tat einen Wisch zur Seite und blockte ohne Mühe den ersten Schlag. Dann, teilten sie ihre ersten richtigen Schläge aus. Meine Mitbewohnerin setzte ihr Vertrauen auf ihre Kraft, wohingegen Tsuruko auf Präzision und Abwehr geschaltet hatte. Zwar drängte Tomoe sie immer weiter zurück, doch das störte Tsuruko nicht. Sie täuschte einen Schlag von rechts an, zog dann aber nach Links hob ihr Katana über den Kopf, um gleich darauf zwei harte Schläge abzugeben, die Tomoe ins Taumeln brachten.
„Verdammter Mist!“, fluchte sie.
„Gar nicht mal so schlecht für den Anfang.“, sagte Tsuruko, ohne ihr Schwert sinken zu lassen,“Auch wenn das gerade mal fürs Aufwärmen gereicht hat. Jetzt, lass uns etwas an Tempo zulegen.“
„Von mir aus.“, nickte Tomoe.
Tsuruko setzte ein kaltes Lächeln auf.
„Oh du zögerst kein bisschen. Gefällt mir.“
„Du wirst überrascht sein, zu was ich noch im Stande bin!“
Wieder begaben sie sich in ihre Ausgangsposition und nun legten beide, so wie Kitsune mir später erklärte „eine heiße Sohle aufs Parkett“. Tatsächlich aber, wirkte sich das erhöhte Tempo recht ausgeglichen auf beide aus. Tomoe kam erstaunlich gut mit Tsurukos Schlägen zurecht und konnte sogar einmal kontern. Doch da hatte sie längst noch nicht geahnt, dass sie gegen Motokos Schwester, nicht die geringste Chance hatte. Tsurukos Schläge kamen nämlich so schnell und präzise, dass sie Tomoe nach wenigen Sekunden, gegen die Wand manövriert hatte. Doch davon lies sich meine Mitbewohnerin nicht so leicht beeindrucken. Zwar konnte sie sich mit Mühe aus ihrer misslichen Lage befreien, aber nicht ohne Preis. Zwar wurden ihre Schläge härter, aber wesentlich unpräziser. Und irgendetwas schien sich in Tomoe zu regen. Sie konnte es einfach nicht ertragen zu verlieren, ganz gleich ob das hier nur der Demonstration diente, oder ein richtiger Kampf in der Meisterschaft war. Das musste auch Tsuruko bemerkt haben, denn ein kurzes Aufblitzen von etwas dass stark nach Verwunderung oder sogar Schock aussah, fegte über ihr Gesicht, als sie ein knackendes Geräusch von ihrer Klinge hörte. Also musste Tsuruko für einen kleinen Augenblick ernst machen. Dafür konterte sie Tomoe kurzer Hand aus, hob ihr Schwert über den Kopf und holte tief Luft.
„Zanganken!“, rief sie und schmetterte die Klinge auf den Boden.
Steine und Dreck wurden in alle Richtungen geschleudert und Tomoe, verlor ihr Katana und unterlag schlussendlich Tsuruko. Diese hockte nun über ihr, die Spitze der Klinge an ihre Kehle gelegt und ein dunkles Glimmen in den Augen.
„Was war das denn?!“, rief Yu entsetzt, die sich hinter Keitaro versteckt hatte, nur um dann aufzuspringen und zu Tomoe zu laufen, “Oh nein, oh nein! Meine arme Tomoe! Ich hab doch gleich gewusst, das dass eine blöde Idee war!“
„Spinne ich oder, könnte Yu dem alten Griesgram Konkurrenz machen?“, sagte Naru schief grinsend.
„Quatsch.“, lachte Kitsune,“Dem macht keiner so schnell Konkurrenz.“
Alle lachten und machten sich darüber lustig. Alle bis auf Motoko. Offenbar war Tsuruko nicht die einzige, die etwas bemerkt hatte.
„Hey Motoko, du lachst ja gar nicht.“, sagte Su.
„Dabei bist du doch immer mit dabei wenn wir Rayo aufziehen und eh.“, warf Keitaro ein und stoppte sogleich als er Motokos ernsten Gesichtsausdruck sah,“Motoko? Stimmt was nicht?“
Motoko, die gerade ein wenig abwesend wirkte, schüttelte den Kopf und sah die anderen verdutzt an.
„Wie? Was ist los?“, fragte sie.
„Du guckst so komisch.“, sagte Shinobu.
„Ach......., es ist nichts. Schon gut.“, winkte Motoko ab.
„Unsinn. Wir sehen doch, dass dich was beschäftigt.“, sagte Kanako.
Während sie sich unterhielten, machte Tsuruko immer noch keine Anstalten Tomoe aufstehen zu lassen.
„Jetzt besteht wirklich kein Zweifel mehr.“, sagte sie kühl, so dass alle es hören konnten.
„Was hat sie denn?!“, fragte Yu hektisch,“Hast du sie schlimm erwischt?!“
„Es geht mir gut, Yu.“, sagte Tomoe mit ernster Mine.
„Was ist es denn, Schwester?“, fragte Motoko.
Tsuruko erhob sich und richtete ihr Katana auf Tomoe.
„Unsere Freundin Tomoe.....“, alle hielten den Atem an,“Ist unbestreitbar, von einem Geist besessen!“
Alle gaben einen erschreckten Laut von sich und waren erbleicht, während Yu es ihnen gleich tat und mit zuckenden Augen zur Seite kippte.
Tomoe, die nicht wirklich verstand was gerade vor sich ging, sprang wieder auf und raufte sich wild die Haare.
„D-d-das war doch ein Scherz oder?“, stotterte sie,“Ich hab einfach nur schlecht geträumt, das ist alles! Als ob ich von einem Geist besessen bin! Das ich nicht lache!“
Doch auf Tsurukos Gesicht, zeichnete sich kein Lächeln oder Grinsen ab.
Es dauerte eine ganze Weile bis ich mit Nagaoda zum Ryokan zurückkehrte, da mich sein Mitbewohner Chajiro mich nach allen Regeln der Kampfkunst fertig machen wollte, doch dabei spielte ich nicht mit. Nagaoda konnte die Situation jedoch schnell entschärfen – das glaubte ich zumindest. Wir ließen uns auf einen Deal ein, doch wie genau der aussah, dass wollte mir Chajiro noch nicht so bereitwillig sagen. Er konnte mich jetzt schon nicht leiden und tollerierte höchstens meine Anwesenheit, sollte ich noch mal Zeit mit Nagaoda verbringen wollen.
„Warum hast du mich jetzt zurück begleitet?“, fragte ich, als wir vor der Haustüre standen.
„Das hatte keinen besonderen Grund. Vielleicht weil ich dich anfangs ziemlich falsch eingeschätzt habe, oder aber weil ich mir sicher bin, dass wir uns früher oder später noch gegenseitig helfen könnten.“, erklärte er mir.
„Inwiefern?“
Er zuckte die Schultern und steckte die Hände in die Hosentaschen.
„Keine Ahnung. Es kann aber auch sein dass ich, obwohl du viel Mist baust, dich dennoch irgendwie gut leiden kann. Außerdem verstehst du dich gut mit meiner Cousine. Und eines kann ich dir ehrlich sagen: Wenn meine Cousine bei bester Laune ist und so was gab es schon ewig nicht mehr, hebt sich auch meine Laune.“
Ich neigte verwirrt den Kopf.
„Hast du jetzt gute Laune?“, fragte ich.
„Könnte man so sagen.“, nickte er,“Auch wenn ich deinen Ausrutscher bei Chajiro eigentlich schon vorausgesehen hatte.“
„Wo studiert er denn?“
„Er studiert nicht wirklich. Er arbeitet momentan als Lieferjunge. Aber egal. Wir sehen uns dann später.“
Er hielt mir die Faust hin und schenkte mir sogar ein schmales Lächeln.
„Ah, das Ritual hat Keitaro auch schon bei mir gemacht, verstehe.“, erinnerte ich mich,“Aber.......meinst du das denn ernst?“
Er zog seine Faust wieder zurück und ging davon.
„Dann halt nicht. Wenn du nicht willst......“
„Hey da geblieben!“, rief ich,“Das ich nicht will hab ich nie gesagt!“
Kurz darauf schlugen wir dann die Fäuste aneinander.
„Du bist wirklich ein komischer Kauz.“, sagte er.
„Ich habe halt mehrere Jahre im Koma gelegen. Da muss ich noch einiges nachholen!“, erwiderte ich.
„Dann würd ich an deiner Stelle mal damit anfangen. Und wenn du später mal Hilfe brauchst, wie man sich als Ninja verhält, sag einfach Bescheid. Dann bring ich dir schon mal bei, nur deinen Gegner mit Rauchkügelchen aus zu kontern, statt dich selbst.“
Mit diesen Worten ging er davon.
Kopf schüttelnd und seufzend drückte ich auf die Klingel und wurde wenige Sekunden später von Shinobu empfangen.
„Oh, da bist du ja wieder.“, sagte sie überrascht,“Hast du dich wieder beruhigt?“
„Ich denke schon.“, antwortete ich,“Ist meine Mutter noch hier?“
„Tut mir leid, da kommst du etwas zu spät. Vor etwa einer Stunde sind sie abgereist.“
„Auch gut.“, stöhnte ich und ging hinein,“Gibts was neues?“
„Ehm........nun ja......“, sie wusste nicht so recht was sie sagen sollte und brachte mich zu den anderen.
Dafür gingen wir in den Garten, wo sich alle versammelt hatten um etwas zu besprechen.
„Na sieh mal an, wer da wieder nach Hause kommt.“, sagte Kitsune grinsend.
„Du hast einiges verpasst Rayo.“, kam es von Su.
Alle anderen grüßten mich ebenfalls. Nur Motoko und Tomoe schienen sich von mir nicht ablenken zu lassen. Tomoes Freundin Yu, sollte angeblich auch noch anwesend sein. Zumindest sah ich jemanden, der sich hinter Tomoe versteckte. Doch das war mir erst mal herzlich egal.
„Sag mal, was habt ihr angestellt, während ich weg war?“, fragte ich,“Ist schon wieder jemand gestorben von dem ich nichts weis?“
„Da können wir dich beruhigen.“, sagte Kanako.
„Aber es ist etwas passiert und ich denke, Tomoe wird es dir gleich selbst sagen.“, warf Muzumi ein.
Selbige erhob sich dann mit Yu und kam dann auf mich zu, ohne mich eines Blickes zu würdigen, bis sie dann vor mir stand und durchatmete.
„Rayo.“, schluckte Tomoe,“Das wird jetzt nicht leicht zu erklären sein aber......“
„Jetzt sag schon.“, drängte ich,“Wir haben bis jetzt schlimmeres durchgestanden als das, was euch so die Stimmung verhagelt. Also?“
„Ich, bin von einem Geist besessen.“, sagte Tomoe knapp.
Ich schüttelte den Kopf und kratzte mich.
„Bitte was? Tomoe, veralberst du mich wieder? Ist das die Rache dafür, dass ich euch beim Baden einmal überfallen hab, als ich dir von der sprechenden Katze erzählen wollte?“
„Nein, du Holzkopf!“, sagte Naru.
„Wir wissen wie verrückt sich das anhört, aber es ist wohl tatsächlich so.“, erwiderte Keitaro,“Motokos Schwester hat es uns erklärt.“
„Und wo ist ihre Schwester dann?“, fragte ich weiter,“So was wie Geister gibt’s doch nicht!“
„Ach und sprechende Katzen schon?“, sagte Motoko.
„Ich weis was ich gesehen und gehört habe!“, verteidigte ich mich,“Also wo ist deine Schwester?“
„Sie ist etwa fünf Minuten bevor du gekommen bist abgereist.“, sagte Keitaro,“Sie wird in ein paar Wochen wieder vorbei kommen um zu sehen wie es Tomoe geht.“
„Genau.“, sagte Tomoe,“Und da wir schon dabei sind, will ich dir endlich mal Yu vorstellen.“
Doch ihre Freundin weigerte sich und gab ihr bestes, sich weiter hinter ihr zu verstecken.
„Nein ich will nicht.“, brummte Yu.
„Ich weis, dass es nicht leicht für dich ist, aber es ist mal an der Zeit! Also stell dich bitte nicht so an und......“
Das ganze endete aber darin, das Yu vor ihr das Weite suchte und beide dann um mich herum rannten, bis mir schließlich schwindlig wurde.
„Ok ok, Schluss jetzt! Auszeit!“, brüllte ich und alle verstummten,“Könnten wir bitte zur Normalität zurückkehren? Ich hab schon genug Stress für heute gehabt!“
„Da hat er nicht ganz unrecht.“, sagte Naru,“Wir alle haben heute ziemlich viel erlebt.“
„Dann würd ich vorschlagen, dass wir die beiden erst mal alleine lassen.“, schlug Keitaro vor.
Kurz darauf suchten wir Tomoes Zimmer auf, wo Yu sich rasch von Tomoe abkapselte und sich in ihrem Schrank versteckte.
„Bin ich denn wirklich so furchterregend?“, fragte ich.
Sie schob die Türe für einen kurzen Moment auf und steckte dann mit geschlossenen Augen den Kopf raus.
„Er soll mich nicht direkt ansprechen!“, fiepte sie,“Ich bin noch nicht bereit für sowas!“
Dann schob sie die Türe wieder zu und schwieg.
„Tja, ich hab dir ja schon mal gesagt wie sie ist.“, sagte Tomoe,“Nimm es ihr bitte nicht übel.“
Ich seufzte und legte mich auf den Boden.
„Ich habe heute schon so viel komisches Zeug erlebt, da stört mich das kein bisschen.
„Und was zum Beispiel?“
„Na ja, Nagaoda hat mich seinen Freunden vorgestellt, sein Mitbewohner hätte mich beinahe zu Hackfleisch verarbeitet. Und ich glaube ich habe mich mit Nagaoda angefreundet.“
„Das ist wirklich komisches Zeug.“, erwiderte meine Mitbewohnerin.
„Sag ich ja. Und, was soll das jetzt mit dem Geist? Geht es noch um den selben, den du schon mal gesehen hast?“
Sie nickte.
„Ganz recht. Motokos Schwester sagte, dass ich mich da zu sehr darauf fixiert habe, Isshina zu schlagen. Dadurch ist dieser Geist angeblich erst aufgetaucht. Oder aber mein Unterbewusstsein spielt mir da einen Streich und gaukelt mir vor, dass ich selbst dieser Samurai bin.“
„Und was sollen wir jetzt dagegen machen?“, fragte ich weiter,“Wie sollen wir uns gegen etwas zur Wehr setzen, dass praktisch durchlässig ist?“
„Tsuruko sagte, dass ich mir einige Talismane besorgen sollte. Wenn das nicht klappt, müssen wir so was wie einen Bannkreis um das Ryokan ziehen.“
„Dann wollen wir mal hoffen, dass irgendwas davon funktioniert.“