Als ich wieder wach wurde, schmerzte zwar mein Kopf, aber die Übelkeit war verflogen. Meine Kleider lagen sorgsam zusammengefaltet neben mir. Niemand außer mir schien sich hier aufzuhalten. Da ich keine Menschenseele wahrnehmen konnte, atmete ich erleichtert aus. Wieder einmal war ich alleine und schaute mich um. Alles war so nobel eingerichtet. Fliesen gab es keine, sondern feinstes Laminat. Ein Katzentisch stand nicht weit von mir in der Mitte des Raums. Die große Türe vor mir, führte in den Garten. Hastig, zog ich mich an, stolperte fast über meine Schuhe und wollte durch den Garten verschwinden. Doch jemand schien mich bemerkt zu haben und tauchte hinter mir, beim Katzentisch auf.
„Endlich wach geworden, Akumaru?“, hörte ich Isshina hinter mir rufen.
Sie saß gemächlich am Tisch und trank einen starken Tee und schenkte mir ebenfalls ein. Saß sie schon die ganze Zeit da? Wenn ja, warum hatte ich sie nicht sofort bemerkt? „Wenigstens habe ich mir zum ersten mal ihren Namen merken können! Endlich! Bin gespannt wie lange das anhält!“
„Verzeih, aber meine Erinnerungen an gestern Nacht sind etwas schwammig.“, sagte ich und versuchte meinen Kater zu verbergen.
Aber Isshina war mir drei Schritte voraus.
„Es gibt drei Möglichkeiten, wie du hierher gekommen bist. Entweder hast du dich von dieser heißspornigen Darakaija losgesagt und bist deswegen zu mir gekommen, oder aber du wolltest dir noch mal das Angebot mit dem feinen Essen zu zweit durch den Kopf gehen lassen.“
Ich schluckte und setzte mich ihr gegenüber an den Tisch.
„Und was wäre die dritte Möglichkeit?“, fragte ich neugierig und nahm mir eine Tasse.
„Oder aber, du bist freiwillig in meine Limousine gestiegen, in der ich dich hergebracht habe. Den Grund dafür musst du selbst herausfinden.“
Ich musste Inne halten, da der Tee wirklich mächtig war und meinen Kreislauf ankurbelte. Ich setzte die Tasse also wieder ab und machte bei ihrem kleinen Rätsel mit. Das wiederum, löste ich nicht sofort, sondern stellte sie vor ein noch größeres.
„Warum sollte ich glauben, das du wirklich vor mir sitzt?“, fragte ich.
Sie neigte verwirrt den Kopf.
„Was soll diese Frage bedeuten?“, fragte sie.
„Ganz einfach. Ich wurde in meinem Leben schon oft getäuscht und hinteres Licht geführt. Viele male dachte ich etwas bestimmtes zu sehen, obwohl es eigentlich gar nicht da war. Mal war es ein Freund, der zu mir gesprochen hat, obwohl er schon lange nicht mehr unter uns weilt. Dann warfen sich mir immer wieder Fragen auf, von denen ich hoffte das man sie mir beantwortet. Mir wurde versprochen, das ich diese Antworten bekommen würde, aber stattdessen wurde ich immer wieder in ein neues Netz aus Fragen geworfen, die ich nicht beantworten konnte. Mein Verstand ist leider nicht mehr so außergewöhnlich wie er es mal war, daher möchte ich zu jeder Zeit ganz sicher gehen, das ich nicht wieder getäuscht werde. Daher frage ich dich nun: Liege ich immer noch im Ryokan und versuche diesen wirren Traum zu überstehen, oder aber ich bin hellwach und du sitzt tatsächlich, leibhaftig vor mir?“
Ich war mir selbst nicht ganz sicher was ich nun wirklich denken sollte. Offenbar versuchte das denkende Individuum, was in mir schlummerte, mich zu unterstützen. Das Kind in mir war immer noch betäubt vom Sake und war fürs erste noch außer Gefecht gesetzt.
Sie trank ihren Tee aus und stand auf. Danach ging sie zu einen Katana, welches auf einem Sockel lag und noch in seiner Scheide ruhte. Sie nahm es an sich und kam wieder zurück zum Tisch.
„Eine interessante Frage, ich bin beeindruckt.“, sagte Isshina und tat eine Geste mit ihrer Hand, “Darf ich dich bitten, dich dort hinzustellen? Ich möchte dir zeigen, ob du noch schläfst oder wach bist.“
Egal was jetzt auf mich zukommen würde, ich hatte sie darum gebeten. Also tat ich ihr den Gefallen und stellte mich ihr gegenüber. Sie nahm das Katana in beide Hände und sah mich mit ernster Mine an.
„Ich nehme an, dir ist bewusst was du tust?“, fragte ich vorsichtig.
Sie nickte und holte mit dem Katana aus. Ich schloss meine Augen und dachte nicht mal daran auszuweichen.
„Achtung.“, sagte sie, legte eine Hand auf die Scheide und die andere auf den Griff.
„Ich bin bereit.“, nickte ich.
Danach stürmte sie mit gezogener Klinge auf mich zu und stieß nach vorne, doch ich bewegte mich kein Stück. Das Katana hatte mich nicht durchbohrt. Noch nicht einmal berührt hatte sie mich. Sie stand neben mir, das Katana immer noch nach vorne gestreckt.
„Woher wusstest du, das ich dich nicht treffen wollte?“, fragte sie.
„Wusste ich nicht.“, erwiderte ich.
„So? Dann bin ich aber auf deine Erklärung gespannt. Setzen wir uns doch wieder und plaudern ein bisschen.“
Das taten wir dann auch. Sie bot mir noch eine Tasse von ihrem Tee an, doch die lehnte ich dankend ab.
„Du hast mir gezeigt, das ich also hellwach bin.“, sagte ich zufrieden.
Während sie sich noch etwas Tee gönnte, schenkte sie mir ein mattes Lächeln.
„Habe ich das also ja? Dann verrate mir doch mal, wieso ich dich nicht treffen wollte und warum du nicht träumst.“
„Es ist ganz einfach. Mir ist nicht entgangen, das du ein gewisses Interesse an mir hast, also war es nur logisch, das du gar nicht die Absicht hattest mich zu treffen. Wenn ich wirklich träumen würde, wäre ich wieder im Ryokan aufgewacht, aber das bin ich nicht. Außerdem würdest du nicht ausgerechnet den aus dem Weg räumen, den du sicher noch ausfragen willst, nicht wahr?“
Ich erlaubte mir ein kleines Grinsen. Isshina klatschte ein paar mal und zuckte kurz mit den Kopf.
„Bravo, ich bin wirklich beeindruckt. Du hast dich wieder einmal als würdiger Gegner erwiesen. Scharfsinnig, fast schon ruhig und zurückhaltend. Eigentlich hatte ich erwartet, wieder dein bekanntes Verhaltensmuster ertragen zu müssen, aber das Ergebnis ist mir lieber.“
„Dann verrate du mir doch bitte mal, warum du dich am Tag der Anmeldung aufgeführt hast, als wärst du eine verwöhnte Göre die den Hals nicht voll bekommt und nur an sich denkt. So ganz will mir das nicht in den Kopf. Was war der Grund dafür?“, sagte ich und verschränkte die Arme.
Sie zündete ein Räucherstäbchen an und stellte es auf den Tisch.
„Sehr spezifisch.“, erwiderte sie, “Warum ausgerechnet dieser Tag? Wir sind uns auch zu anderen Zeiten und Momenten begegnet. Hast du das etwa auch schon vergessen?“
Ich hatte erwartet sie wie üblich zu verärgern, aber sie schien belustigt über meine Frage zu sein.
„Beantworte mir bitte einfach nur meine Frage.“, sagte ich kühl, “Ich habe nicht vor den ganzen Tag hier zu verbringen.“
Sie zuckte die Schultern und begann sich die Haare zu bürsten.
„Ich hatte den Auftritt schon lange im Voraus geprobt und man hatte mir versichert, das ich nun mal die erste wäre die sich dort anmeldet im neuen Jahr. Du hast nun mal einen Nerv bei mir getroffen. Aber, das ist Schnee von gestern. Vergessen wir einfach dieses Missverständnis.“
„Irgendwie verstehe ich das nicht ganz, aber das muss ich auch nicht. Dann verrate mir noch, wie ich hier her gekommen bin. Danach kannst du mich gerne ausfragen.“
Wieder schenkte sie mir ein Lächeln und füllte meine Tasse noch mal nach.
„Ich weiß du willst keinen mehr, aber das beruhigt die Nerven und vertreibt den Kater.“
Ich rollte mit den Augen.
„Du lenkst schon wieder ab.“, brummte ich.
„Entschuldige bitte.“, sagte sie höflich, “Es war noch sehr spät und ich hatte mich gerade auf den Weg nach Hause gemacht.........“
Zuvor..........
Es war kurz nach Mitternacht, als ich benommen und ohne Orientierung durch die Gegend torkelte und so gerade noch einigen Laternen und verwirrten Passanten ausweichen konnte. Wahrscheinlich hatten sich die Mädels schon in den Schlaf getrunken, oder lallten im Foyer noch vor sich hin. Ich wusste nicht wo ich mich befand und die Schilder verschwammen dauernd vor meinen Augen. Die Buchstaben und Zahlen verdrehten und verkrümmten sich, sodass ich irgendwo bei einer Bank zusammenklappte. Irgendwas schien mich auch dort zu halten. Ständig rutschte ich an den Griffen ab und fiel hin. Scheinbar wollte ich mich um jeden Preis hinsetzen oder hinlegen. Und irgendwie schaffte ich es auch, wenn man das so nennen konnte. Ich lag schließlich kopfüber drauf, die Beine und Füße über die Rückenlehne gelegt und alles vor mir drehte sich.
Ich versuchte alles irgendwie in einen Einklang zu bekommen, versagte jedoch als mein Kopf protestierte. Kurz darauf fuhr eine Limousine an mir vorbei und hielt ein paar Meter weiter weg an. Jemand stieg aus und kam auf mich zu, um sich auf Augenhöhe, zu mir hin zu hocken.
„Ah der geheimnisvolle Akumaru.“, sagte Isshina,“Machst du einen Spaziergang?“
Ich blinzelte abwechselnd mit beiden Augen.
„Hunger........“, sagte ich undeutlich.
„Was sagst du?“, fragte sie.
„Hungeeeeer!“
Sie seufzte schwer und schüttelte den Kopf.
„Hunger? Es ist mitten in der Nacht, du bist betrunken und denkst jetzt noch ans essen? Du bist wirklich ein sehr geheimnisvolle Individuum.“
Mir fielen die Augen zu und ich schlief ein.
„Isshina-Sama, wünschen sie weiter zu fahren?“, fragte der Fahrer.
„Nein, noch nicht.“, rief sie nach hinten, “Wir werden ihn mitnehmen. Man kann seinen Gegner doch nicht in so einem Zustand hier liegen lassen. Legen sie ihn auf den Rücksitzt und fahren sie vorsichtig weiter. Das letzte was er braucht ist eine Gehirnerschütterung.“
„Ich nehme an, er soll in ihrem Anwesen übernachten, Isshina-Sama?“
Sie nickte und stieg wieder ein.
„Ganz recht. Er kann erst mal seinen Rausch ausschlafen. Danach sehen wir weiter.“