Wir standen nun eine Nacht vor dem nächsten roten Vollmond. Und ich war nicht die Einzige, die in den letzten Nächten etwas neben der Spur war. Was hatte sich dieser Holzkopf Rayo auch dabei gedacht, sich mehr als sonst voll zu stopfen und mir dann von früh bis spät an den Hacken zu kleben? Und warum hatte er ständig an mir gerochen? Musste wohl die Aufregung vor der Uni sein.
Doch in dieser Nacht, wurde es noch mal etwas merkwürdiger. Die Kopfschmerzen hatten mich zuvor wahnsinnig gemacht. Zwar war es noch keine Migräne, so wie Rayo sie mal hatte, aber schmerzhaft war es trotzdem. Der Mond schien nun stärker als sonst durch mein Fenster. Jede halbe Stunde wurde ich plötzlich wach und sah mich um und meinte, dass irgendetwas in meinem Zimmer fehlen würde. Und als ich von einem Gang zum Klo wieder zurück kam, hörte ich leise Stimmen auf dem Flur. Vorsichtig spähte ich nach draußen und entdeckte tatsächlich, eine Gestalt. Sie trug einen Strohhut, ein Katana an der Hüfte und ein kleines seltsam geformtes Messer in der Hand. Langsam bewegte sie sich auf Rayos Zimmer zu und kam sogar davor zum stehen. Sie öffnete die Türe und stapfte hinein. Rasch, stürmte ich in mein Zimmer, schnappte mir mein Katana und rannte los. Ich riss Rayos Zimmertüre auf und sprang hinein, das Katana zum Schlag ausgeholt.
„Rayo!“
Drei Tage zuvor......
Beim Frühstück war große Neugier ausgebrochen, denn alle wollten erfahren, was es mit dem Akumaru-Klan auf sich hatte. Sogar Tomoe hing mir dabei regelrecht an den Lippen. Jedoch hielt sie ihre Fragen noch zurück, da sie spezielle Dinge über den Klan wissen wollte, was die anderen logischer Weise nicht erfahren sollten.
„Bist du jetzt adlig oder so was?“, fragte Su.
„Ach Unsinn.“, sagte Motoko,“Er genießt jetzt einfach ein höheres Ansehen. Und jetzt kann ich auch verstehen, wieso deine Mutter es so leicht hatte dich auf die Todai zu bringen.“
„Warst du sehr aufgeregt als du deine Verwandten getroffen hast?“, fragte Shinobu.
„Um es genau zu sagen, war ich nervös. Es mag sich seltsam anhören, aber als ich die Residenz betreten habe, spürte ich eine gewisse Dunkelheit. Ein Sog, der mich direkt packte und nicht mehr loslassen wollte.“
„Hattest du das Gefühl, dass es dort spukt?“, warf Kitsune ein.
„Jetzt sei mal nicht albern.“, sagte Kanako,“So ein Gefühl hattest du doch nicht oder?“
„Nicht wirklich.“, nuschelte ich mit vollen Mund,“Das einzige was mir komisch vorkam, war meine Cousine, Ayako. Die konnte mich nicht ausstehen.“
„Auf so was darfst du gar nicht erst hören.“, sagte Naru,“Die hatte ja überhaupt keine Ahnung.“
„Wie sind denn deine Verwandten so?“, fragte Keitaro,“Sind sie sehr streng?“
Ich zuckte die Schultern.
„Sie sind nicht mehr so streng traditionell wie damals zu Mutters Kindheit. Ich meine gut, sie pflegen immer noch gewisse Traditionen, aber sie sind jetzt viel reifer und gehen nicht mehr so überempfindlich mit allen um.“
„Reichen die Wurzeln deiner Ahnen, zu alten Schwertkämpfern zurück?“
„Keine Ahnung.“, gestand ich ihr,“Das Oberhaupt Asurai, hat mir ein altes Erbstück gezeigt. Ein Katana, was mal seinem Bruder gehört hatte. Als dieser heiratete, verließ er den Klan wegen Streitigkeiten mit Asurai. Das Schwert lies er zurück, als Zeichen der Versöhnung.“
„Interessant.“
„Haruka hat uns übrigens erzählt, das ein Brief für dich angekommen ist.“, merkte Muzumi an.
„Ach ja, der Brief.“, sagte ich und legte den Inhalt des Umschlags auf den Tisch,“Er ist von Isshina.“
Alle stöhnten leicht angenervt auf und Tomoe tat ihr Bestes um sich zu beherrschen, wobei allerdings ihre Tasse die ersten kleinen Risse bekam. Dabei hatte sie ihre Hand nur leicht um sie herum gelegt.
„Was will sie denn diesmal von dir?“, fragte Naru.
Ich schlang das letzte Bisschen Rührei runter und seufzte.
„Sie lädt mich zu einem Essen zu zweit ein.“
Alle außer Tomoe starrten mich verdutzt an.
„Darf ich mal?“, bat Kitsune und ich reichte ihr den Brief,“Unglaublich! Da stehts!“
„Irgendwie, wird diese Isshina immer merkwürdiger.“, sagte Kanako,“Erst fährt sie dich völlig grundlos an und hackt sogar noch auf dir herum, während du im Krankenhaus warst und jetzt will sie plötzlich ein Rendezvous mit dir? Also irgendwas stinkt da doch gewaltig zum Himmel!“
„Wahrscheinlich will sie ihn nur fertig machen. Ihn demütigen.“, sagte Motoko mit ernster Mine,“An deiner Stelle würde ich nicht hingehen. Sag ihr einfach, dass du die Spielchen satt hast und das wars dann!“
Tomoe seufzte erleichtert und lies sich gegen Motokos Schulter fallen.
„Danke.“, flüsterte sie,“Ich kann mir nicht vorstellen was passiert wenn diese Isshina mit Rayo.......“
„Ich werde hingehen.“, sagte ich entschieden.
Alle schrien entsetzt auf und gaben erschreckte Laute von sich. Shinobu war auf ihren Stuhl zusammengesunken, Naru und Keitaro lagen halbtot am Boden und der Rest starrte mich mit zusammengekniffenen Lippen an.
In Tomoes Augen meinte ich ein rotes Glimmen zu sehen und ihre Hand hatte sie auf mich gerichtet und deutete an mich damit zu erwürgen.
„Und warum hast du dich so entschieden?“, fragte Shinobu.
„Müssen wir das jetzt wirklich ausdiskutieren?“, seufzte ich schwer.
„Sie hat sich aufgeführt wie eine Irre, als wir an der Todai waren.“, sagte Keitaro.
„Außerdem nennt sie uns ständig „Anhang“., sagte Naru Kopf schüttelnd,“Kannst du es dir nicht noch mal durch den Kopf gehen lassen?“
„Ich habe nun mal meine Gründe.“, erklärte ich.
Kurz darauf stand Tomoe auf und nickte nach draußen. Sie packte mich am Arm und zog mich hinter sich her, während sie sich mit der anderen Hand unentwegt am Kopf kratzte. Vor der Haustüre stoppten wir.
„Bitte sag mir, dass das nur ein Scherz von dir war.“, sagte sie mit ernster Mine,“Willst du mir jetzt ein Messer in den Rücken rammen?“
„Warum sollte ich dir ein Messer in den Rücken rammen?!“, fragte ich entsetzt,“Dann wäre doch meine gesamte Existenz und meine Aufgabe völlig sinnlos!“
Sie gab mir einen Schlag auf den Kopf.
„Bist du jetzt wirklich so schwer von Begriff oder tust du nur so?“, zischte sie,“Erkläre mir mal, woher dein Sinneswandel auf einmal kommt!“
„Ich bin mir nicht sicher.“, gestand ich ihr,“Seit ich mit Mutter wieder von der Familie weg bin, fühle ich mich.......nicht mehr so, eingeengt, freier als zu vor noch.“
Sie starrte mich überrascht an und legte mir dann eine Hand aufs Herz.
„Hattest du wieder einen Anfall? Oder hast du die Depression nun vollends hinter dir gelassen?“
Ich lies den Kopf hängen und schnaufte.
„Nein. Ich habe mit dem Verlust von Saki immer noch zu kämpfen. Aber, ich....kann nicht beschreiben was genau es ist.....“
„Du willst sagen, dass du damit jetzt besser umgehen kannst. Richtig?“, fasste sie zusammen.
Ich meinte zu erkennen, wie sich ihre Mine kaum merklich erhellte.
„Vielleicht.“, nickte ich.
„Gut ehm....., das freut mich.“, sagte sie knapp,“Aber, kommen wir noch mal zurück zu der Sache mit Isshina.“
„Ganz gleich, was du auch sagen wirst, ich habe mit entschieden.“
„Das weis ich ja. Aber warum? Hat dir Isshina irgendwas davon versprochen? Ich dachte du kannst sie genauso wenig leiden wie ich.“
„Das war......oder.....ist immer noch so. Keine Ahnung.“, druckste ich herum,“Sie, hat mich nach der Operation noch besucht. Und, ich sagte ihr, dass wenn du nichts dagegen hättest, sollte das Essen zu zweit kein Problem sein.“
Sie biss sich auf die Lippe und sah sich um.
„Hör zu. Ich will dir nichts verbieten. Aber ich will das du vorsichtig bist. Es mag sein, das Isshina dich besucht hat, jedoch muss das nichts heißen.“
„Ich dachte, nach deiner Entschuldigung bei ihr, wärst du weniger misstrauisch.“, merkte ich an und bohrte mir in der Nase.
„Ein bisschen Misstrauen hab ich immer.“, sie zuckte die Schultern,“Auch wenn es mir schwer fällt, gebe ich dir hiermit meinen Segen.“
„Wirklich?“
„Ja doch.“, sie klang leicht genervt,“Und pass auf. Ich habe da einen Verdacht, was Isshina angeht.“
„Hör mal, ich bin doch kein kleines Kind mehr. Aber gut, ich werde aufpassen.“, ich schenkte ihr eine kurze Umarmung und ging wieder mit ihr rein,“Und......hast du dir irgendwas eingefangen? Oder warum kratzt du dich dauernd?“
Verwirrt starrte sie mich an und kratzte sich weiter.
„Was meinst du?“
„Ja merkst du das nicht?! Ich kann schon förmlich sehen wie dein Kopf raucht! Warum kratzt du dich?!“
„Hä? Ich....oh nein, nicht schon wieder!“, sie stöhnte genervt auf und riss sich ein paar Haare aus,“Das muss der verdammte Stress sein! Mist!“
Ich schüttelte den Kopf und ging rein.
„Was habt ihr Menschen nur für Probleme.“
„Wie bitte? Du hattest doch am Tag der Anmeldung genau das gleiche Problem!“
„Ja, weil ich mir meine, du weißt schon!“
„Die Uni steht in ein paar Tagen an! Da ist man nun mal gestresst! Und....hey! Jetzt geh nicht einfach weg, wenn ich mir dir rede! Rayo!“
Am Abend, war die Stimmung im Ryokan leicht elektrisiert könnte man sagen. Das musste wohl daran liegen, das in drei Tagen die Uni losgehen würde. Tomoe und ich, beobachteten Keitaro und die anderen aus sicherer Entfernung.
„Sind die jetzt alle so nervös weil die Uni bald losgeht?“, fragte ich.
„Kann sein. Das ist ganz normal. Du glaubst gar nicht wie viele Streber es gibt, die sich deswegen verrückt machen. Oder aber, die sind wegen dir so aufgekratzt.“, entgegnete Tomoe.
„Wieso?“
„Na überlege doch mal! Du magst zwar die Aufnahmeprüfung mit hängen und würgen, gerade so noch geschafft haben, aber das heißt auch, das für dich der Einstieg noch schwerer wird als bei den anderen!“
„Abwarten.“, sagte ich knapp.
„Was soll das schon wieder heißen?“, sagte sie verdutzt.
„Warte einfach ab. Noch haben wir Zeit.“
Sie rollte mit den Augen und wies mich an ihr zu Folgen.
„Gehen wir lieber schlafen. Du hast ja morgen eine Verabredung mit Isshina. Da wollen wir doch nicht, dass sie schon wieder so ausrastet wie in der Uni.“
„Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun?“
„Na, wenn du nicht ausgeschlafen bist, pennst du morgen ein! Und dann dürfen wir alle uns wieder ihr Gemecker anhören!“
„Das leuchtet mir ein.“
Ich blieb stehen, starrte aus einem Fenster und dies, war einer dieser seltenen Momente wo ich den Mond erblickte. Er hatte einen leicht rötlichen Ton angenommen und war fast komplett rund.
„Rayo!“, rief Tomoe,“Kommst du?“
Ich stieß wieder zu ihr auf und gerade als sich unsere Blicke trafen, stieg mir ein seltsamer Geruch in die Nase. „Nun mach schon Schakal! Mache den nächsten Schritt!“
„Was ist das?“, murmelte ich abwesend.
„Ich geh zu erst duschen.“, sagte Tomoe,“Den ganzen Tag hab ich trainiert und.......ähm.....Rayo?“
Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass ich ihr deutlich näher gekommen war und an ihren Haaren roch. Sie stand ganz ruhig da und rührte sich nicht.
„Was ist das für ein Geruch?“, fragte ich benommen.
Mein Blick verschwamm immer wieder. Nicht mal ihre Reaktion konnte ich richtig deuten. Sie schluckte.
„Das, du gehörnter Holzkopf, nennt man Schweiß!“, sagte sie angespannt,“Vielleicht wäre es doch besser, wenn du zu erst unter die Dusche gehst!“
Das nächste an das ich mich erinnern konnte war, wie ich auf dem kalten Badezimmerboden saß und eiskaltes Wasser auf mich niederprasselte. Tomoe war nicht zu sehen. Ich war verwirrt und stellte den Duschkopf ab.
„Was ist gerade passiert?“, fragte ich verwirrt und sah mich um,“Hallo? Tomoe? Naru? Irgendjemand? Hm.......ich muss wohl eingeschlafen sein. Aber wie komm ich hierher? Heute ist wohl einfach nicht mein Tag!“