03. Oktober 48 v. Chr. nach dem vorjulianischen Kalender
(30. Juli 48 v. Chr. nach dem julianischen Kalender)
Es gibt Begegnungen und Ereignisse, die das ganze Leben verändern, im Guten wie im Schlechten. Viele Entscheidungen, die wir treffen, mögen für den Augenblick wichtig erscheinen, finden jedoch kaum einen bleibenden Eindruck in unseren Erinnerungen. Andere Erlebnisse hingegen sind wie mit Flammenschrift in unser Gedächtnis geschrieben und prägen uns für immer. Ein solches Ereignis war mein Treffen mit Gaius Julius Caesar in meinem 3. Regierungsjahr. Oder, um es mit römischen Worten zu sagen: im Jahr 705 ab urbe condita.[1]
Die Götter hatten ihre schützende Hand über uns gehalten und so waren Apollodorus, Charmion und ich unbehelligt nach Alexandria gelangt. Wir nähern uns der Stadt in einem Fischerboot von der Seeseite aus und es war bereits Abend geworden, als Apollodorus das kleine Boot zielsicher in den Großen Hafen ruderte. Ich erinnere mich daran, als sei es gestern gewesen. Ich erinnere mich...
~*~
„Bereit?", fragt Charmion mit belegter Stimme.
„Ich bin bereit!", sage ich und zwinge mich selbst zur Ruhe. Alles oder Nichts, so lautet das Motto des heutigen Tages.
Charmion wirft noch einmal einen prüfenden Blick auf meine Schminke und mein Gewand, dann nickt sie und bedeutet mir, mich auf die Bettrolle zu legen.
Apollodorus wiederholt noch einmal, was wir besprochen haben und fügt dann mit einem frechen Grinsen hinzu: „Also für die nächste halbe Stunde bitte keine Befehle und Bewegungen, meine Königin."
„Genau und am besten auch nicht atmen", füge ich lakonisch hinzu.
„Du bekommst genug Luft durch die Löcher, die ich in den Stoff geschnitten habe, du darfst nur nicht die Nerven verlieren", ermahnt mich Charmion.
Und die Besorgnis in ihrer Stimme reizt mich fast zu einem hysterischen Lachen. Was tue ich hier eigentlich?
„Also noch mal von vorn", fasse ich unseren Plan zusammen. „Ihr wickelt mich jetzt in diese Stoffe ein und verschnürt mich wie eine Mumie, damit Apollodorus dieses Stoffbündel dann als seine Schlafmatte ausgeben kann, sobald wir die Anlegestelle erreichen. Er trägt mich über der Schulter, an den Wachen des Brucheions vorbei, bis zum römischen Militärbereich und ab da kommen wir mit dem Siegel weiter – also gesetzt dem Fall, dass niemand uns verraten hat, oder wir hier direkt in eine Falle laufen."
„Exakt", bekräftigt Apollodorus.
Ich atme noch einmal tief ein und aus und werfe einen Blick zum Horizont. Aton, die Sonnenscheibe versinkt gerade im Westen. Der Sonnengott Re tritt seine Reise in die Duat an. Dort muss er sich wie jeden Abend den Gefahren der Unterwelt stellen, um am nächsten Morgen verjüngt wiedergeboren zu werden. Isis sei mir gnädig, bete ich stumm zu meiner Göttin.
Ich lege mich flach auf den Rücken, während sanfte Hände den Leinenstoff über mir zusammenfalten und schließlich verknoten. Ich kann mich nicht mehr bewegen, bin in der Dunkelheit gefangen und versuche flach und langsam zu atmen.
„Ist alles in Ordnung?", höre ich Charmions gedämpfte Stimme.
„Ja", versuche ich meine Antwort zuversichtlich klingen zu lassen.
„Gut, dann jetzt bitte nicht mehr reden, denn wir kommen in Sichtweite der Hafenwachen", ordnet Apollodorus an.
Die nächste halbe Stunde, oder wie lange es auch dauert, erlebe ich wie in einem traumähnlichen Zustand. Ich werde hochgehoben und höre Apollodorus in seinem breiten Fischerakzent mit den Hafenwachen diskutieren. Er erzählt ihnen irgendein Seemannsgarn von seiner Geliebten, mit der er durchgebrannt sei und mit der er jetzt ein ruhiges Plätzchen für die Nacht suchen würde und ich höre Charmion albern kichern. Anscheinend haben sie die Geschichte anschaulich genug gespielt, denn die Reise geht weiter und irgendwann falle ich in eine Art Dämmerzustand. Ich versuche mich aufs Atmen zu konzentrieren und höre alles andere wie aus weiter Ferne. Wieder Gespräche, wieder Diskussionen, knappe Befehle, diesmal auf Latein. Wir müssen im römischen Lager angelangt sein. Mit einem Mal werde ich abgelegt und jemand zerrt an den Stoffbahnen über mir. Das einströmende Licht der Öllampen blendet mich nach der völligen Dunkelheit in dem Stoffbündel.
„Das nenne ich mal einen ungewöhnlichen Auftritt", höre ich eine tiefe und angenehme Männerstimme in perfektem Griechisch sagen.
Ich blinzele und richte mich halb auf. Neben mir knien Charmion und Apollodorus mit gesenkten Köpfen. Als ich aufblicke, sehe ich zwei schlanke muskulöse Beine, darüber eine römische Generalsuniform und dann zwei dunkle stechende Augen, die mich mustern. Gaius Julius Caesar. Eindrucksvoll. Ausdrucksstark. Charismatisch.
Ich starre ihn einen Moment nur an, bis mir bewusst wird, dass ich mich auf den Knien vor ihm befinde. Die Königin von Ägypten kniet vor einem römischen Konsul. Na wunderbar! Absurderweise gehen mir plötzlich die Worte meines Vaters durch den Kopf. „Kämpfe niemals gegen Rom, auch wenn Rom für alles steht, was wir für barbarisch erachten. Gib nach, wenn es nötig ist, aber ohne dich zu beugen." Und hier knie ich - vor dem mächtigsten Feldherrn Roms, dem Sieger von Pharsalos, den manche schon jetzt für einen Gott halten. Doch bevor er durch seine Siege in Gallien und Griechenland zum Gott aufstieg, war ich bereits Göttin durch Geburtsrecht!
„Königin Kleopatra Thea Philopator aus dem Hause Ptolemaios, die rechtmäßige Königin von Ägypten, Herrin beider Länder und Tochter der Göttin Isis", stellt Apollodorus mich mit fester Stimme vor. Stolz hebe ich den Kopf und richte mich auf.
Mir gegenüber steht der neue Eroberer der Welt und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie und er zieht mich mit Leichtigkeit zu sich empor.
„Königin Kleopatra und ich kennen uns bereits", sagt er höflich, meine Hand immer noch festhaltend. Er ist mir sehr nah, so nah, dass ich seinen Duft nach Leder und Sandelholz wahrnehmen kann. Seine dunklen Obsidianaugen blitzen mich spöttisch an. „Ich muss sagen, ich bin beeindruckt, sehr beeindruckt."
„Imperator", grüße ich ihn und entziehe ihm höflich meine Hand, um auf meine Diener deuten zu können: „Dies sind meine Getreuen Apollodorus und Charmion. Sie haben heute ihr Leben riskiert, um mich sicher zu Euch zu bringen." Ich berühre Charmion an der Schulter. „Ihr dürft euch erheben."
Meine Freunde stehen in einer fließenden Bewegung auf und ziehen sich dann dezent zurück. Ich wechsele dabei einen kurzen Blick mit Charmion, mit dem wir uns gegenseitig Mut zusprechen.
Als ich Caesar wieder anschaue, wird mir klar, dass er mich für keine Sekunde aus den Augen gelassen hat. Er schnippt mit den Fingern und sofort treten die beiden Männer vor, die im hinteren Ende des Raums am Kartentisch gestanden haben.
„Rufio, bitte veranlasse, dass angemessene Zimmer für unsere Gäste vorbereitet werden“, weist er den Offizier an, bevor er sich wieder mir zuwendet. „Kleopatra, Ich nehme an, du möchtest dich nach der anstrengenden Reise kurz erfrischen?“
„Das wäre in meinem Sinne“, höre ich mich sagen.
„Dann würde ich vorschlagen, dass wir heute gemeinsam zu Abend essen, um alles Weitere zu besprechen. Sagen wir, in einer Stunde?“
Ich erwidere seinen dunklen, intensiven Blick und nicke, während ich ihm hoheitsvoll danke.
Ein Lächeln umspielt Caesars Mundwinkel und meine Knie fühlen sich plötzlich seltsam weich an, als ich mich umwende, um dem Offizier zu folgen, der Charmion und mir die Gästeräume zeigt.
~*~
In einem kleinen Raum voller blau schimmernder Fayencekacheln übergießt Charmion meinen Körper mit erfrischendem Rosenwasser und betupft meinen Hals mit Lotosöl, bevor sie mir hilft, das Gewand wieder anzulegen und perfekt zu drapieren. Ihre Griffe sind geübt und sicher, aber zwischendurch trifft mich ihr fragender Blick.
„Es wird gut gehen. Caesar hat uns als Gäste willkommen geheißen. Und er ist geneigt, mir zuzuhören“, versichere ich ihr zuversichtlich. Doch meine Ruhe ist nur äußerlich, denn mein Herz pocht wie wild. Alles hier fühlt sich an, als würde ich mich auf ein wichtiges Tempelritual vorbereiten, bei dem die Blicke aller Götter auf mir ruhen und jede Geste bewerten. Doch Rituale kann man vorher einstudieren, das hier nicht. Allzuschnell sitzen Frisur und Schminke wieder perfekt und Rufio begleitet uns zusammen mit Apollodorus zurück zu Caesars Gemächern.
Doch vor dem Eintreten hält der römische Offizier meine Hofdame und meinen Leibwächter zurück. „Der Imperator wünscht die Königin allein zu sprechen!“
Ich sehe, wie Apollodorus sich anspannt und nicke ihm beschwichtigend zu. „Es ist in Ordnung“, sage ich leise, während ich auch schon die Tür durchschreite, um Caesar erneut gegenüber zu treten. Hinter mir werden die Türen geschlossen. Wir sind allein.
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[1] Lat. seit Gründung der Stadt = seit der Gründung Roms.