„Da die Soldaten einen Beweis für Ihre Leistung und die Größe der überstandenen Gefahr geben wollten, zählten sie Caesar ungefähr 30 000 Pfeile vor, die auf die Stellung abgeschossen worden waren, und als man ihm den Schild des Centurios Scaeva brachte, fanden sich darin einhundertundzwanzig Einschüsse. Weil er sich um den Staat so verdient gemacht hatte, schenkte Caesar ihm 200 000 Sestertien und ließ seine Beförderung vom Centurio der 8. Cohorte zum Centurio des Primipilus bekanntgeben, denn es stand fest, daß die Stellung zum großen Teil auf Grund seines Einsatzes gerettet worden war.“
(Caesar, Der Bürgerkrieg III, 53)[1]
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Als meine Geschwister sich schließlich verabschieden und die Türen sich hinter ihnen schließen, atme ich einmal tief durch. Ich fühle mich erleichtert.
„Na, das ist doch besser gelaufen, als erwartet“, höre ich Caesars trockenen Kommentar hinter mir. Lächelnd drehe ich mich zu ihm um, schlinge die Arme um seinen Hals und stelle mich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen.
„Du warst ja auch wieder sehr überzeugend“, flüstere ich ihm ins Ohr.
„Schön, dass es dir gefallen hat“, gibt er in seinem gewohnt ironischen Tonfall zurück. Doch in seinen Augen sehe ich ein übermütiges Funkeln. Als ich mich wieder von ihm lösen will, zieht er mich stattdessen noch näher an sich heran. „Hiergeblieben, kleine Göttin!“, raunt er mir zu.
Seine Worte sind genauso betörend wie bestimmend und ich schließe erwartungsvoll die Augen, als er anfängt mit der zarten Haut meines Halses zu spielen. Nach genau diesen Aufmerksamkeiten habe ich mich den ganzen Tag gesehnt. Er vergräbt seine Hand in meinen offenen Haaren und ich folge dem leichten Druck, mit dem er meinen Kopf noch mehr nach hinten zieht. „Du solltest die Haare öfter so tragen“, flüstert er an meinem Hals, während seine Lippen höher wandern. Und dann küsst er mich richtig. Nicht sanft, sondern besitzergreifend. Und ich lasse mich fallen, überlasse ihm die Führung und genieße dieses wilde, rauschartige Gefühl, das er in mir hervorruft. Ich spüre den harten Druck seines Körpers an meinem und presse mich noch näher an ihn. Ich will mehr von ihm fühlen!
„Ich muss leider noch einmal los. Zu einer militärischen Besprechung“, höre ich seine seidige Stimme an meinem Ohr. Macht er das mit Absicht? Doch in seinem Ton klingt echtes Bedauern mit. Als ich unwillig stöhne, lacht er leise und drückt mir noch einen sanften Kuss auf die Lippen.
„Kann ich mit?“ Die Frage ist heraus, bevor ich mich bremsen kann.
Er mustert mich überrascht, schüttelt dann aber den Kopf. „Nein, diesmal nicht. Ich muss mich bei den Männern im Lager blicken lassen und ein bisschen für Ordnung sorgen. Mach dir einen schönen Abend mit deinen Freundinnen.“
Ich nicke sofort und verdränge die leichte Enttäuschung in die hinterste Ecke meines Geistes. Als ich wieder zu ihm aufschaue, trifft mich sein warmer Blick. Das Lächeln in seinen Augen ist nachsichtig und fast schon…liebevoll. „Bis heute Nacht!“, raunt er mir zu.
„Bis heute Nacht“, flüstere ich und umarme ihn noch einmal, um ihm einen Kuss auf den Hals zu drücken und noch ein bisschen von seinem Duft einzuatmen, bevor er den Raum verlässt, um sich für den Besuch bei seinen Soldaten umzukleiden.
Ich selbst begebe mich in mein eigenes Ankleidezimmer und sofort springen fünf schwatzende Mädchen auf, um sich pflichtschuldig vor mir zu verneigen. Mit einer Handgeste gebe ich ihnen zu verstehen, dass sie weitermachen sollen, bei was auch immer ich sie gerade unterbrochen habe. Ich winke Charmion und Khered-Anch zu mir, die etwas abseits auf mich gewartet haben und mir nun verstohlene Blicke zuwerfen.
„Was gibt es, Charmion?“, frage ich mit gesenkter Stimme.
„Kleopatra, ich muss dir etwas zeigen“, sagt sie so leise, dass nur ich ihre vertraulichen Worte hören kann. „Ich wollte es schon den ganzen Tag, aber wir waren nie allein.“
„Etwas Gutes oder Schlechtes?“
„Ich weiß noch nicht. Aber ich würde es dir lieber zeigen als erklären.“
„In Ordnung, dann denk dir eine Beschäftigung für die Hofdamen aus und lass uns gehen!“
„Khered-Anch sollte mitkommen. Eigentlich hat sie es entdeckt.“
Ich nicke und beobachte, wie Charmion sich daran macht, Aufgaben zu verteilen und dann augenzwinkernd zu mir zurückkommt. Zu dritt verlassen wir das Zimmer und passieren die langen Gänge, um dann unter den ausdruckslosen Blicken der römischen Wachen, die Treppe ins Obergeschoss einzuschlagen.
~*~
Zum ersten Mal betrachte ich Charmions kleines, aber sehr aufwendig mit farbenprächtigen Wandmalereien gestaltetes Zimmer. Anders als in den unteren Räumen, handelt es sich hier nicht um ägyptische, sondern um makedonische Motive. Gemalte Ionische Säulen, Nischen mit Statuen und immer wieder Türen, die sogar mit echten bronzenen Beschlägen in Form von ptolemäischen Adlern dekoriert sind, die mit ihren Krallen große Ringe umklammern.
„Die Malerei ist beeindruckend“, räume ich ein. „Aber was genau machen wir hier in deinem Zimmer?“ Ich blicke meine Freundin und erste Hofdame erwartungsvoll an.
„Nicht alle Türen hier sind nur gemalt“, flüstert sie leise. „Hinter dem großen Wand-Teppich befindet sich ein Geheimgang.“ Ich betrachte den besagten Wandbehang genauer. Das Motiv darauf ist genauso fein und detailliert wie die Wandmalerei und zeigt eine ptolemäische Königin als Kriegerin auf einem Streitwagen.
Mein Interesse ist geweckt und ich verfolge gebannt, wie Charmion und Khered-Anch damit beginnen, den schweren Wandbehang zur Seite zu schieben. Darunter kommt eine weitere gemalte Tür mit Bronzeadlern zum Vorschein.
„Im Gegensatz zu allen anderen ist diese Tür hier nicht nur eine gemalte Illusion“, erklärt Charmion ernst. „Wenn man nur an einem Ring zieht oder schiebt, passiert gar nichts. Man muss beide greifen und dann zuerst ziehen und anschließend dagegendrücken“, erklärt sie, während sie mit beiden Händen nach den Ringen greift und die beschriebenen Bewegungen demonstriert.
Mit einem dumpfen Ton gleitet die Wand mit der aufgemalten Tür plötzlich nach hinten und gibt den Blick in einen engen Gang frei. Ein warmer Lufthauch strömt mir entgegen, als ich mich zu meinen beiden Hofdamen geselle. Staunend blicke ich in die unheimliche Dunkelheit.
„Wisst ihr, wohin er führt?“, frage ich verblüfft.
„Ja, wir waren bereits drin. Er führt nach einer Weile immer tiefer nach unten und endet an einer verschlossenen Tür“, berichtet Charmion leise. „Zuerst hielten wir es für einen alten Dienstbotengang. Eine Abkürzung zwischen den Wänden. Aber es scheint eher so eine Art Treppengang zu sein, wie in den ägyptischen Tempeln. Auf jeden Fall führt er an mehreren Räumen vorbei und man kann sehr gut hören, was hinter den Wänden gesprochen wird.“
Also wunderbar zum Spionieren innerhalb des Palastes geeignet. „Habt ihr Apollodorus davon unterrichtet?“ Der Leiter meines Geheimdienstes sollte auf jeden Fall davon erfahren.
„Nein, er ist heute früh zusammen mit Psenamounis in die Rhakotis aufgebrochen und noch nicht wieder zurück. Außerdem…ich dachte, es sei besser, wenn ich es zuerst dir zeige, Kleopatra.“ Charmion blickt mich vorsichtig an. Die Tatsache, dass sie in Khered-Anchs Gegenwart so vertraulich zu mir spricht, zeigt mehr als deutlich, wie sehr sie der jungen Priesterin vertraut. Oder, dass Khered-Anch inzwischen ohnehin mehr weiß, als gut für sie ist.
Dabei kommt mir ein Verdacht. „Führt der Gang auch an Caesars und meinen Gemächern vorbei?“
„Hm…teilweise“, Charmion senkt schnell den Blick und ich frage lieber nicht weiter. Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, Apollodorus einzuweihen?
Ich sehe mich in Charmions Zimmer um, betrachte die alten Malereien. Ein bisschen erinnert mich das Ganze an die Beschreibungen des berühmten Festzeltes meines Vorfahren Ptolemaios Philadelphos, es fehlen nur die Theaterfiguren.
„Wie seid ihr darauf gekommen, dass sich hinter der Wand ein Gang befindet?“
„Khered-Anch hat die Tür heute Nacht entdeckt“, berichtet Charmion. „Mir ist das bisher nicht aufgefallen, aber sie meinte, sie würde da einen Lufthauch hören und als dann auch noch die Katze so interessiert an dem Vorhang hin und hergeschlichen ist, haben wir den Teppich abgenommen und uns die Wand dahinter genauer angeschaut.“
Khered-Anch nickt aufgeregt. „Genau, Majestät. Ihr wisst doch, im Tempel gibt es…“, den Rest flüstert sie kaum hörbar, „die geheimen Gänge für die Mysterien.“
Ich nicke und lege verstehend den Zeigefinger der rechten Hand an den Mund, die Verschwiegenheitsgeste der Eingeweihten. Als Tochter des Hohepriesters ist Khered-Anch mit solchen Geheimnissen aufgewachsen und hat offenbar ein besonderes Gespür dafür entwickelt.
„Wer weiß noch von diesem Gang?“, spreche ich die offensichtliche Frage laut aus.
„Angesichts der dicken Staubschicht auf dem Boden würde ich sagen: niemand“, antwortet Charmion überzeugt. „Oder zumindest hat niemand ihn seit Jahren benutzt. Unsere Fußspuren sind die einzigen und die stammen von heute Nacht.“
„Also gut. Ich will mir das selbst ansehen. Khered-Anch, du hältst Wache. Falls jemand klopft und nach mir verlangt, halte ihn hin und gib uns Bescheid!“
„Ja, Majestät.“
Nachdem wir uns mit zwei Öllampen ausgerüstet haben, folge ich Charmion in den Geheimgang, was leichtsinnig und gefährlich ist, aber auch ein unwiderstehliches Abenteuer. Durch die in den Steinen der Außenmauern gespeicherte Wärme ist es drückend heiß und noch enger als in den Treppengängen der ägyptischen Tempel. Wir können nur hintereinander gehen, aber wenigstens müssen wir nicht gebückt laufen, wie in den unterirdischen Gängen so mancher Krypta oder Grabkammer.
Eine Weile führt der Gang geradeaus und plötzlich höre ich aus einem der Zimmer lateinische Gesprächsfetzen, die zu uns durch die Wand dringen. Vorsichtig und ohne einen Laut lehne ich mein Ohr dagegen und versuche das Gesprochene zu verstehen.
„Ja, Cassius hat heldenhaft gekämpft! Obwohl der Feind ihm bereits ein Auge ausgeschossen hatte und seine Schulter und Schenkel von Wurfspeeren durchbohrt waren, hat er die Stellung gehalten und noch zwei von den Dreckskerlen erledigt“, höre ich einen Mann mit Reibeisenstimme irgendwelche Kriegsgeschichten erzählen.
„Cassius Scaeva war immer schon ein zäher Bastard, 120 Pfeile soll er allein mit seinem Schild bei Dyrrhachium abgefangen haben“, bestätigt ein anderer.
„Na umsonst hat der Feldherr ihn nicht zum Primus Pilus[2] ernannt und den Sold der 8. Kohorte verdoppelt“, erzählt wieder der Erste und fügt dann noch eine Reihe Vergünstigungen an, die Caesar dieser Kohorte offenbar als Auszeichnung verliehen hat.
„Wären diese verdammten gallischen Brüder nicht mit ihren Reitern zum Feind übergelaufen oder hätte der rechte Flügel nicht diesen dämlichen Fehler begangen, wäre der Sieg bereits in Dyrrhachium unser gewesen!“, murmelt wieder die andere Stimme.
„Das weißt du nicht, an dem Tag stand das Glück zum letzten Mal auf Pompeius‘ Seite. Antonius hat schnell reagiert, aber ohne Caesar wären wir am Arsch gewesen, sag ich dir! Der Feldherr hat das einzig Richtige getan, als er mit uns nach Thessalien gezogen ist. Besser man verliert eine Schlacht als den ganzen Krieg. Lass dir das von einem alten Evocatus[3] wie mir gesagt sein!
„Das ist leicht gesagt. Ich hab an dem Tag viele gute Kammeraden verloren!“ In die Stimme des Jüngeren mischt sich jetzt Wut und Trauer. „Einige sind gefallen, aber die meisten wurden in der Panik niedergetrampelt oder in Gefangenschaft hingerichtet. Dieser Verräter Labienus hat das angeordnet, sagt man, und sich dabei auch noch über unsere Kammeraden lustig gemacht!“
„Seine eigenen ehemaligen Legionäre – Labienus ist eine Schande!“, pflichtet der Ältere bei. „Aber bei Pharsalos haben wir uns gerächt. Die Ehre ist wieder hergestellt!“
„Schade, dass er bei Pharsalos fliehen konnte. Ihn hätte der Feldherr sicher nicht verschont, wie diesen Rotzlöffel Brutus und diese anderen adeligen Nichtsnutze!“
„Ist halt der Sohn von seiner Mätresse, mit der will selbst der Feldherr sich nicht anlegen.“ Der Veteran lässt ein bellendes Lachen hören. „Aber komm, sei doch froh, dass wir hier in Ägypten sind. Darum wird uns die X. Legion beneiden, das kannst du mir glauben!“
„Stimmt, du hast recht. Er hat unsere VI. mit nach Ägypten genommen und diese Grünschnäbel von der XXVII., aber nicht seine X.! Er nennt uns jetzt seine Eiserne – eine größere Auszeichnung gibt es nicht!“, höre ich wieder die Stimme des jüngeren Soldaten, diesmal voller Stolz, worauf er beginnt, weitere Heldentaten seiner Legion aufzuzählen.
Langsam wende ich mich von der Wand ab und bedeute Charmion, weiterzugehen. Von den Feinheiten der römischen Militärhierarchie verstehe ich zu wenig, aber was ich deutlich in den Stimmen dieser einfachen Männer höre, ist die Heldenverehrung für ihren Feldherrn. Und ich kann sie verstehen. Mir war allerdings nicht bewusst, dass es eine Konkurrenz zwischen Caesars Legionen gibt, die geradezu darum wetteifern, ihm zu gefallen.
Außerdem haben die Soldaten einige Namen erwähnt: Labienus hatte bei Pharsalos den Angriff von Pompeius‘ Kavallerie geführt, wenn ich mich richtig erinnere und Brutus war vermutlich der Sohn von Servilia. Vielleicht sollte ich Caesar bei Gelegenheit mal danach fragen, das dürfte interessant werden. Ob er immer noch mit ihr zusammen ist? Aber nein, er war so lange in Gallien und Griechenland, wann hätte er sie sehen sollen? Würde eine Geliebte solange warten? Aber gilt das nicht auch für seine Frau Calpurnia?
Entschlossen dränge ich die aufkommende Eifersucht zur Seite – das ist unter meiner Würde! Stattdessen versuche ich mich zu orientieren. Wir befinden uns offenbar neben einem Wachraum oder Mannschaftsquartier. Lautlos schleichen wir weiter und biegen um eine Kurve. Wie von Charmion angekündigt, beginnen nun die Stufen, die uns immer weiter nach unten führen. Der Gang scheint in der Außenmauer des Palastes zu verlaufen. Statt der massiven dicken Steinblöcke, welche die Hitze des Tages fernhalten sollen, befindet sich hier ein Hohlraum in der Mauer, durch den wir uns bewegen. Die Seitenwände des Ganges sind mit glattpolierten Granitplatten verkleidet, während die Steine über uns in einem Gewölbe zusammenlaufen, vermutlich um dem Gang mehr Stabilität zu verleihen. Diese bauliche Besonderheit muss zusammen mit dem Palast angelegt worden sein. Während ich mich mit Charmion die Stufen weiter hinunter vortaste, klingen hinter einer Wand wieder Geräusche zu uns durch. Verblüfft höre ich die vertraute Stimme von Seleukos, die schimpfend zu uns herüberhallt.
„Was will der Dioiketes nun schon wieder?“ Und nach einigen gemurmelten Erklärungen einer anderen männlichen Stimme schimpft er weiter: „Dieser verdammte Potheinos! Und damit soll ich die Königin morgen behelligen? Der hat sie doch nicht mehr alle! Früher war der Skarabäus ein heiliges Zeichen für den Sonnenlauf. Heute ist der Skarabäus nur noch ein Mistkäfer, der die Korruption der Bürokratie vor sich herschiebt!“ Und danach äußert er noch mehr dieser blumigen Schimpftiraden, während die andere Stimme, die ich jetzt als die von Ammonius erkenne, versucht, beruhigend auf ihn einzureden. Grinsend wende ich mich von der Wand ab. Den in meiner Gegenwart immer gesetzt wirkenden Sekretär so fluchen zu hören ist amüsant, allerdings will ich gar nicht wissen, was Potheinos sich nun schon wieder Neues hat einfallen lassen, um mich zu ärgern.
Leise folgen wir dem Gang weiter nach unten. Das schwache Licht unserer Öllampen ist unsere einzige Lichtquelle in der Dunkelheit. Und nach einer Weile verstummen auch alle Geräusche. Plötzlich enden die Stufen und wir stehen vor einer massiven Tür aus Ebenholz, die ebenfalls mit bronzenen Beschlägen in Form des ptolemäischen Adlers dekoriert ist.
Irgendwo in der Nähe höre ich ein Rauschen, wie von Wasser. Ich lehne mein Ohr an die Tür, kann aus dem Raum dahinter aber nichts hören. Vorsichtig ziehe und drücke ich an den Beschlägen, doch die Tür bleibt verschlossen. Inzwischen ist es kühler geworden. Ein Zeichen, dass die Steine um uns herum, nicht vom Sonnenlicht aufgeheizt wurden. Wir müssen uns inzwischen unter der Erde befinden. In der alles beherrschenden Dunkelheit ist das schwer zu sagen. Plötzlich bekomme ich das Gefühl, mich an einem verbotenen Ort zu befinden, als würden wir versuchen, die versiegelte Grabkammer einer Pyramide zu betreten. Ich atme langsam durch und konzentriere mich auf die Lichtquelle in meinen Händen, die Lampe brennt klar und hell. Zumindest gibt es hier unten genug Luft.
„Wir haben es heute Nacht auch schon versucht“, flüstert Charmion. „Aber um diese Tür zu öffnen, fehlt uns der passende Schlüssel.“
„Wir müssen in der Nähe eines Wasserkanals sein“, flüstere ich.
„Ja. Ich glaube, das Rauschen kommt von unten“, bestätigt auch Charmion meinen Verdacht.
Ich untersuche die Tür und betrachte das Schloss genauer. Mit den Fingerspitzen taste ich vorsichtig über die leicht korrodierte Oberfläche und finde tatsächlich eine kleine Unregelmäßigkeit. Als ich die Öllampe näher an das Metall halte, erkenne ich eine winzige Gravur. „Die Regentin, die hochgelobte Berenike“, lese ich die hieroglyphische Inschrift. Und damit wird mir klar, wer diese Tür hat versiegeln lassen. Dieser Teil des Palastes wurde vor etwa 40 Jahren errichtet und somit kommt nur eine Königin namens Berenike in Frage und nur eine verwendete diese besondere Titulatur: meine Tante, die ältere Halbschwester meines Vaters, die lange vor meiner Geburt starb: Die von den Alexandrinern geliebte Königin Kleopatra Berenike Thea Philometor Sotera[4] – die mutterliebende Göttin, die Retterin.
Ehrfürchtig starre ich auf die Zeichen. Die Namenskartusche meiner Tante, die vor 32 Jahren ermordet wurde – von ihrem eigenen Gemahl Ptolemaios Alexander[5]. Wofür die Alexandriner blutige Rache nahmen und den König förmlich zerfleischten. Nach dem Tod dieses unglücklichen Paares fiel der Thron an meinen Vater.
Die kleine Kartusche erinnert mich an den Mechanismus, den mein Vater in die Schatulle seines Testaments hat einbauen lassen. Könnte es sein, dass seine Schwester dasselbe Verfahren angewendet hat, um diese Tür zu verschließen? Wenn das der Fall ist, brauche ich den Siegelring meiner Tante. Ob der sich vielleicht noch bei den Regalien im Schatzhaus befindet? Gleich morgen früh werde ich Stephanos dazu befragen. Doch für heute kommen wir hier nicht weiter.
Ich könnte natürlich auch einfach Caesar hiervon erzählen und ihn bitten, die Tür aufbrechen zu lassen. Aber irgendwie fühlt sich das falsch an. Was immer sich dahinter verbirgt, ist ein Familiengeheimnis und wenn überhaupt nur für meine Augen bestimmt.
Vorsichtig drehe ich mich um und trete leise den Rückweg an. Diesmal zähle ich die Stufen und damit bestätigt sich mein Verdacht, dass sich die Tür unter dem Palast befinden muss. Ein unterindischer Raum, der nur über diesen schmalen Treppengang erreichbar ist. Von der Zeit scheinbar vergessen. Ich muss dringend die Baupläne dieses Palastes anfordern, denn ich will wissen, ob hier noch mehr ungelöste Rätsel auf uns warten. Als wir wieder an dem Wachraum vorbeikommen, höre ich Trinksprüche. Offenbar sind die Wachen dazu übergegangen, ihren Feierabend zu zelebrieren. Neugierig lehne ich noch einmal mein Ohr gegen die Wand und höre diesmal die Stimmen von mindestens 4 Soldaten:
„Auf die Legio VI Ferrata!“
„Auf die Eiserne!
„Auf unseren Centurio!“, höre ich alle rufen. Offenbar ebenfalls ein Trinkspruch.
„Auf unseren Feldherrn!“
„Auf Caesar!“, grölen nun alle und ich höre deutlich die Begeisterung in ihren Worten.
Ich will mich schon abwenden, als eine der jüngeren Stimmen bemerkt: „Also eines muss man dem Feldherrn lassen. Er hat immer die hübschesten Frauen und die Dienerinnen sind auch ein netter Anblick.“
„Vergiss das ganz schnell, mein Junge. Du kennst die Befehle! Niemand vergreift sich am Eigentum des Imperators!“, höre ich die mahnende Stimme des Älteren.
„Sind eh nicht mein Fall, diese Ägypterinnen. Ich steh eher auf die blonden Gallierinnen“, meint darauf ein anderer.
„Du meinst, du stehst eher auf deren große Titten!“, kontert der Jüngere. Das dumpfe Lachen von mindestens drei Männern hallt durch die Wand.
„Na und? An denen ist ja wenigstens was dran. Diese ägyptischen Damen sind so dünn, da hat man doch Angst, die in der Mitte durchzubrechen.“
„Also erstmal sind die meisten von denen Griechinnen und zweitens bist du ja nur mal wieder sauer, weil du noch keine abgekriegt hast.“
„Klugscheißer, nur weil du mit deinem flüssigen Griechisch hier gut ankommst, musst du dich nicht für was Besseres halten. Ein ordentlicher Römer spricht Latein!“
„Wir sind hier aber in Alexandria. Nimm dir mal am Feldherrn ein Beispiel und entspann dich! Morgen abend kommen wieder ein paar Hetären und Huren ins Lager, vielleicht steht ja eine darauf, wenn du dich mit ihr auf Latein unterhältst.“ Die letzten Worte enthalten einen sehr anzüglichen Klang und wieder lachen alle.
Ich wende mich von der Wand ab, denn ich habe genug gehört. Falls Caesar mich vor genau solchem Gerede einfacher Soldaten fernhalten wollte, waren seine Bemühungen diesmal nicht von Erfolg gekrönt. Bei diesem Gedanken muss ich grinsen.
Leise schleichen wir weiter, bis wir wieder in Charmions Zimmer herauskommen.
„Und was habt ihr entdeckt?“ Khered-Anch ist uns aufgeregt entgegengeeilt. „Verzeiht, ich meine natürlich: Majestät“, fügt sie dann entschuldigend hinzu.
„Du kannst mich Kleopatra oder Sherienesi nennen, wenn wir unter uns sind“, erlaube ich ihr die vertrauliche Anrede. „Du gehörst zur Familie und von nun an zu meinem Inneren Kreis.“
Khered-Anchs Augen werden vor Ehrfurcht noch größer und beginnen dann zu strahlen. „Danke, Majestät…ich meine…Kleopatra.“
Ich nicke ihr freundlich zu und beobachte dann, wie Charmion den Mechanismus betätigt, um die Wand wieder in ihre alte Position zurückgleiten zu lassen. Die Malerei kaschiert den minimalen Spalt perfekt, doch wer die Wände abklopft, müsste den Unterschied bemerken.
„Wie kommt es, dass sowohl die Diener, als auch die Römer das übersehen haben?“, spreche ich meinen Gedanken laut aus. Geheimgänge und Kryptoportiken sind nichts Ungewöhnliches in ptolemäischen Palästen. Aber dieser hier scheint schon lange nicht mehr in Benutzung zu sein, wenn man die Staubschicht auf dem Boden als Indiz nimmt. Dass anscheinend niemand diesen hier kennt, macht mich stutzig.
„Iras und Ich kannten ihn nicht und wir haben doch vor Deiner Krönung sogar einige Zeit hier gelebt!“, meint Charmion achselzuckend. Und das stimmt, nicht mal meine Amme kannte ihn und die war immer über solche Geheimnisse bestens informiert gewesen. „Aber soweit ich mich erinnere, waren die alten, makedonisch dekorierten Räume damals nicht in Benutzung. Bis vor ein paar Tagen übrigens auch nicht, denn als Rufio in der Nacht als wir eintrafen auf die Schnelle ein Zimmer für mich finden musste, stand dieser Raum voller alter gestapelter Möbel und er hat ihn erst einmal ausräumen und saubermachen lassen.“
Ich nicke und gehe im Raum auf und ab, während ich über ihre Worte nachdenke. Der ältere Teil der Paläste dieses Viertels war im makedonischen Stil erbaut und dekoriert worden. Die ägyptischen Wandmalereien und Umbauten hatte erst meine Mutter in Auftrag gegeben und mein Vater hatte ihr freie Hand gelassen. Doch dann war sie so früh gestorben und die ägyptischen Paläste hatten teilweise leergestanden. Vielleicht war dieser alte Trakt tatsächlich in Vergessenheit geraten. Bis Caesar gekommen war.
„Wirst du es Caesar sagen?“, stellt Charmion vorsichtig die Frage, die ich mir selbst auch schon gestellt habe.
„Erstmal nicht“, beschließe ich. „Niemand außer uns dreien soll vorerst davon erfahren! Ich will zuerst selbst herausfinden, was es mit diesem Gang auf sich hat.“ Beide nicken ernst und geben mir ihr Versprechen.
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[1] Deutsche Übersetzung: Marieluise Deißmann, Gaius Julius Caesar, Der Bürgerkrieg, III, 53, Stuttgart, 2008, S. 131.
[2] Der Primus Pilus war der ranghöchste Centurio einer Legion (genauer gesagt: der Centurio der 1. Centurie der 1. Kohorte). Anders als bei den aus dem Adel stammenden Stabsoffizieren, handelte es sich beim Primus Pilus meist um einen altgedienten Veteranen. Cassius Scaeva wurde von Julius Caesar wegen seiner besonderen Tapferkeit in der Schlacht von Dyrrhachium zum Primus Pilus befördert (Caesar, Der Bürgerkrieg, III, 53).
[3] Als Evocati wurden Veteranen bezeichnet, die ihre reguläre Dienstzeit absolviert hatten, sich aber nach ihrer ehrenvollen Entlassung freiwillig zum Dienst in einer Legion meldeten. Sie hatten besondere Vergünstigungen und genossen großes Ansehen unter den Legionären.
[4] Kleopatra Berenike III. (120-80 v. Chr.).
[5] Ptolemaios XI. Alexander II (105-80 v. Chr.).