Caesar spricht die Worte gelassen aus und seine Obsidianaugen mustern mich mit der dunklen Gewissheit eines Jägers. Ich brauche einen Augenblick, um diese Information zu verdauen. Es klingt beunruhigend, aber ist es das wirklich?
„Vielleicht ist das für sie nur ein Zeitvertreib, so wie das Bogenschießen. Sie liebt doch diese Amazonengeschichten. Und ihre Geste war versöhnlich. Sie hat mir schließlich nichts getan“, meine ich unbehaglich.
„Nein, hat sie nicht. Aber jetzt verstehst du vielleicht, warum ich mir Sorgen gemacht habe?“
„Aber die Schwerter waren doch nicht scharf. Genau das hat Sextus doch überprüft.“
„Man braucht kein scharfes Schwert, um zu töten, Kleopatra. Ein Schlag an der richtigen Stelle reicht völlig. Und es geht blitzschnell.“ Er sieht mich ernst an, während seine begabten Finger gleichzeitig über meine sensible Haut streicheln. Wie viele Menschen hat er mit diesen Händen schon getötet und wie viele beschützt und getröstet? Obwohl seine Worte bedrohlich klingen könnten, sind sie seltsam beruhigend. Er hat sich Sorgen um mich gemacht. Caesar sorgt sich um mich. So sehr, dass es ihn wirklich tangiert.
„Ich glaube, es ging Arsinoe wirklich um Anerkennung“, sage ich leise. „Jetzt fühlt sie sich wieder ungerecht behandelt.“
„Was ist das eigentlich für eine merkwürdige Beziehung zwischen euch beiden?“
„Ich glaube, so genau wissen wir das selbst nicht“, bekenne ich. „Arsinoe hat mich immer gleichzeitig beneidet und kritisiert. Und ich… ich habe sie für ihren Mut bewundert und für ihren Trotz zurechtgewiesen.“
„Also so eine Art Hassliebe?“
„Wahrscheinlich. Vorhin, bevor du gekommen bist, da hatte ich für einen Moment das Gefühl, dass wir uns ein bisschen annähern. Als ob sie versuchen würde, meine Sicht der Dinge zu verstehen.“
„Vielleicht habe ich sie wirklich falsch eingeschätzt. Sie hat aber auch einen komplizierten Charakter! Vorhin klang das ja fast ein bisschen, als wolle sie dich vor mir beschützen.“
„Nicht wirklich. Sie war nur immer diejenige, die sich widersetzt hat, während ich versucht habe, das beste aus den Situationen zu machen. Ich bekam immer das Lob, sie den Tadel. Das wirft sie mir vor, aber im Grunde sehnt sie sich selbst nach Anerkennung.“
„Anerkennung wünscht sich im Grunde jeder“, räumt er ein. Inzwischen klingen seine Worte wieder sanft und empathisch. „Und warum hat sie uns beide mit Alexander dem Großen und Thalestris verglichen?“
„Weil Königin Thalestris sich aus eigenem Antrieb zu Alexander begeben hat. Sie war mit ihm zusammen, weil das ihr Wunsch war“, erwidere ich leise. „So wie ich mit dir.“
Um Caesars Mundwinkel spielt ein Lächeln. „Ich fühle mich geehrt. Und würdest du dich heute immer noch freiwillig zu mir begeben, wenn du die Wahl hättest? Mit dem Wissen, das du heute hast? Wärst du bereit, dich auf mich einzulassen, Kleopatra?“
Ich betrachte unsere ineinander verschlungenen Hände. Fasziniert registriere ich, dass ich gerade nicht unterscheiden kann, wo meine Haut aufhört und seine beginnt. Eine unsichtbare Kraft scheint durch sie hindurch zu pulsieren und uns miteinander zu verbinden. Ich schaue auf und erwidere das warme Lächeln in seinen Augen. „Ja, das bin ich, Caesar. Vor allem mit dem Wissen, das ich heute habe!“
Ein sinnliches Funkeln erscheint in Caesars Blick und als er sich zu mir beugt, schließe ich erwartungsvoll die Augen. Doch statt auf die Lippen, drückt er mir nur einen sanften Kuss auf die Stirn. Bei meinem überraschten Blinzeln huscht wieder ein Lächeln über sein Gesicht. „Später“, meint er schmunzelnd. „So romantisch das mondbeschienene Peristyl und der nächtliche Garten auch sind – aber ich möchte unseren Zuschauern nicht noch mehr Unterhaltung bieten, als ohnehin schon.“ Natürlich hat er Recht mit seiner Zurückhaltung. Unsere Gefolgsleute warten im Hintergrund und sorgen für unsere Ungestörtheit. Und auch wenn wir uns außer Hörweite befinden, beobachten tun sie uns mit Sicherheit.
„Komm, lass uns zurückgehen“, meint er schließlich, bevor er sich erhebt und ich ihm folge. Hand in Hand kehren wir gemeinsam in den Festsaal zurück. Stillschweigend schließt sich unser stummes Gefolge an und flankiert unsere Seiten. Schon vor den Toren klingen uns Musik- und Gesprächsfetzen entgegen. Und wenige Schritte weiter befinden wir uns wieder mitten in der Festgesellschaft. Diener und Dienerinnen mit Tablets weichen uns unter Verbeugungen aus, als wir vorübergehen. Die Luft ist getränkt von Myrrhe und Metopian, hinzu kommt der aromatische Duft warmer Speisen. An Caesars Seite durchschreite ich den Saal, vorbei an dem dekorativen Tempelpodest über die Bodenmosaiken, an den Festgästen vorbei bis zur königlichen Kline an der Stirnseite des Androns. Um die geräumige Speiseliege meiner Brüder haben sich einige Gäste versammelt, unter anderem auch Sextus und Diodorus. Genauer gesagt haben sie sich um Arsinoe versammelt, die zwischen unseren Brüdern Platz genommen hat und dort eine Art literarisches Gespräch leitet. Ihr Gepard liegt wieder zu ihren Füßen und Maios ist damit beschäftigt, ihm den Kopf zu kraulen. Mithras hat die Augen halb geschlossen und schnurrt zufrieden. Bei unserer Ankunft, wenden sich alle Anwesenden sofort Caesar und mir zu und ich registriere die neugierigen Blicke. Natürlich stehen wir sogleich wieder im Mittelpunkt des Interesses.
„Gibt es da draußen irgendwelche Sondervorführungen?“, fragt Ptolemaios stirnrunzelnd, während er an einem Entenflügel kaut.
„Nur den Mond und die Sterne. Der Himmel ist heute für astronomische Beobachtungen wie gemacht!“, versichert ihm Caesar gutgelaunt. Er tut so, als sei nichts gewesen und ich versuche, mir daran ein Beispiel zu nehmen. Trotzdem bin ich gerade sehr erleichtert, dass er die Konversation mit meinem Bruder übernimmt.
Auch Arsinoe schaut zu uns auf und bringt sich in das Gespräch mit ein: „Natürlich, es ist so eine sternenklare Nacht, dass man das Haar der Berenike am Nachthimmel sehen kann. Dein Cousin hat gerade angekündigt, darüber ein Gedicht vorzutragen, Caesar. Wir sind alle sehr gespannt.“ Arsinoe deutet in Sextus‘ Richtung, der die Prinzessin mit einem schiefen Grinsen mustert, um dann einen ironischen Blick mit Caesar zu tauschen.“
„Dann hoffe ich, dass er dich literarisch zufrieden stellen kann, Arsinoe“, entgegnet Caesar mit einem charmanten Lächeln.
„Er hat da übrigens einen interessanten Gast mitgebracht. Unser Freund Diodorus hier“, und damit deutet sie auf den Gelehrten, „schreibt gerade an einem Geschichtswerk und interessiert sich sehr für die Amazonengeschichten. Er hat versprochen, ebenfalls etwas vorzutragen.“
„Ja, und er kennt auch die ganzen Details über die Amazonen und ihre Kämpfe und Liebesgeschichten“, ergänzt Maios, der inzwischen aufgehört hat, den Geparden zu streicheln und sich stattdessen eine Sykomorenfrucht aus einer der Obstschalen greift.
„Das ist sehr passend zum Thema des heutigen Abends“, entgegne ich neutral.
„Du und Arsinoe habt richtig schön getanzt, Kleopatra!“, meint Maios aufrichtig, womit er mich nun doch zum Lächeln bringt. Ich zwinkere ihm zu und bin gerade einfach dankbar für seine unschuldige Anerkennung.
„Und du, junger Mann, gehörst jetzt allmählich ins Bett, das war mehr als nur die erste Stunde!“, beschließt Caesar und deutet in Richtung der Amme des Prinzen, die bereits am Eingang bereitsteht, um Maios zurück in seinen eigenen Palast zu geleiten.
„Du kannst aber noch in Ruhe aufessen!“, bemerke ich mit einem Blick auf seine halbvollen Teller. Mit klopfendem Herzen hebe ich den Blick und begegne Caesars spöttisch gehobener Augenbraue.
„Du hast deine Schwester gehört, junger Mann. Aber danach geht es ins Bett und zwar ohne Widerrede!“