04. Oktober 48 v. Chr. nach dem vorjulianischen Kalender
(31. Juli 48 v. Chr. nach dem julianischen Kalender)
Als ich das nächste Mal erwache, spüre ich eine behagliche Wärme, die mich umfängt. Ich blinzele im Dämmerlicht und öffne die Augen einen Spalt, die Seidenstoffe der Vorhänge glitzern in den ersten Sonnenstrahlen wie ein leuchtendes Farbenmeer. Dann bemerke ich die Hand auf meinem Bauch. Caesar. Ich liege in seiner Umarmung und fühle seinen Atem an meinem Hals. Ich muss so eingeschlafen sein, nachdem er mich ein zweites Mal geliebt hat. Genauso sinnlich und fordernd wie beim ersten Mal. Und ganz am Rande der Wahrnehmung meines Bewusstseins sind da auch Bilder eines Traumes. Ich bin geflogen heute Nacht, mit bunt schillernden Flügeln, wie die Göttin Isis, die ihre Schwingen ausbreitet und in den Sternenhimmel hinauf fliegt, zutiefst weiblich, wild und frei. Ich versuche, mich an den Traum zu erinnern, aber die Bilder entgleiten mir, bevor ich sie greifen kann. Stattdessen beginnt Caesar sich hinter mir zu bewegen und seine Hand auf meinem Bauch zieht mich noch näher an seine Brust.
„Guten Morgen, schöne Göttin“, höre ich seine verschlafene Stimme an meinem Ohr.
„Guten Morgen“, lächele ich. Wie seltsam vertraut und gleichzeitig ungewohnt sich das anfühlt, neben einem Mann aufzuwachen!
Normalerweise schlafen Iras oder Charmion in meinem Zimmer und helfen mir dann beim Ankleiden.
„Wo sind die Diener?“, frage ich verschlafen.
„Ich habe vorhin Befehle gegeben, dass wir nicht gestört werden. Ich hoffe, das ist in deinem Sinne?“
„Ja, danke“, erwidere ich und bin dankbar, dass ich Charmions neugierigen Blicken und Fragen noch eine Weile ausweichen kann. Wobei, in Caesars Anwesenheit würde sie es wohl nicht wagen. Caesars Hände malen kleine Kreise auf meinem Bauch und erinnern mich daran, was er heute Nacht sonst noch so alles mit mir gemacht hat. Ein wohliger Schauer durchfährt mich dabei. Wie soll ich das Charmion erklären? Am besten gar nicht. Ihr lebhaftes Gekicher kann ich mir jetzt schon vorstellen. Aber das bringt mich wieder zurück in die Realität des Tages:
„Caesar, wie sollen wir uns tagsüber verhalten? Als wäre nichts geschehen zwischen uns?"
„Kommt jetzt der Teil des Gespräches, den ich eigentlich gestern Abend mit dir führen wollte?“, erkundigt sich Caesar mit dem mir inzwischen so vertrauten Sarkasmus. Doch gleichzeitig wandern seine Hände höher und streicheln sanft und beruhigend über meine Brüste und meinen Oberkörper. „Du weißt besser, was man deinen Untertanen zumuten darf und was nicht, nehme ich an“, beantwortet er meine Frage.
Ich überlege: „Du bist der Repräsentant Roms. Im Grunde kannst du tatsächlich machen, was du willst. Diskreter wäre es allerdings, in der Öffentlichkeit die angemessene Distanz zu wahren. Meine Hofdamen werden es natürlich mitbekommen und der Klatsch lässt sich auch nicht vermeiden. Wie steht es mit den Römern?"
„Meine Soldaten sind einiges von mir gewohnt", höre ich den amüsierten Unterton in seiner Stimme: „Um ehrlich zu sein, haben sie es sich zur Gewohnheit gemacht, mit meinen weiblichen Eroberungen zu prahlen, als wären es ihre eigenen. Und wenn es nichts zu berichten gibt, erfinden sie auch schon mal was. Im römischen Senat könnte unsere kleine Staatsaffäre hier allerdings zu einem handfesten Skandal werden. In solchen Dingen sind die Senatoren schlimmere Tratschweiber als meine Legionäre.“
„Du kennst den ptolemäischen Hof noch nicht, Caesar. Wir sollten heute auf einiges gefasst sein.“
~*~
Ich kuschele mich noch ein wenig an ihn und schließe die Augen. Als Caesar sich schließlich erhebt, schwinge auch ich mich aus dem Bett und begebe mich auf die Suche nach meiner Kleidung. Caesars dunkle Augen funkeln beim Anblick meines nackten Körpers. Ich greife mir den am Boden liegenden Chiton, mache aber keine Anstalten, mich zu bedecken. Im Gegenteil: Mit wiegenden Schritten durchquere ich das Zimmer und werfe ihm über die Schulter noch einen frechen Blick zu, bevor ich die Tür des Waschraums hinter mir schließe.
Caesars mildes Lächeln verfolgt mich. Grinsend lehne ich mich einen Augenblick von innen gegen die Tür, bevor ich den Raum in Augenschein nehme. Es handelt sich um ein geräumiges Bade- und Ankleidezimmer, in dem auch saubere Gewänder und Kosmetika aufbewahrt werden. Mein Chiton ist nach der gestrigen Reise zu verschwitzt, um ihn noch einmal zu tragen. Schade, denn er besteht aus einer kostbaren Mischung aus indischer Seide und feinstem ägyptischen Leinen. Außerdem befinden sich eingenäht im Saum mein Siegelring, Ohrringe und ein kleines goldenes Isis-Amulett samt Kette. Ich löse den Faden, um die Schmuckstücke zu befreien. Mehr hatte ich nicht gewagt, mitzunehmen. Auf der Suche nach einem neuen Gewand durchsuche ich die Truhen und entscheide mich schließlich für einen sandfarbenen Chiton mit einem gestickten Lotosmuster am Halsausschnitt. Nun, nicht wirklich das Gewand einer Königin, aber fürs Erste wird es genügen. Bevor ich mich ankleide und den Schmuck anlege, wasche ich mich mit dem Wasser aus der bereitstehenden Schale und putze mir die Zähne mit Natron. Danach wähle ich ein Duftöl mit Lotos und Rosenholz und betupfe damit vorsichtig meinen Hals. Kämme aus Ebenholz und kunstvoll verzierte Schminkgefäße aus Fayence entdecke ich in einer kleinen Truhe. Auch Haarnadeln und Bänder liegen bereit, aber ich entschließe mich, die Haare heute offen zu lassen. Ich kämme mir also nur die langen dunklen Locken und schminke mir anschließend die Augen vor dem Messingspiegel mit Kohel, der schwarzen ägyptischen Augenschminke. In meinen Augen liegt ein besonderer Glanz, der mich wieder an die vergangene Nacht erinnert. Schon wieder schweifen meine Gedanken zu Caesar, dem Funkeln in seinen Augen und dem harten Druck seines Körpers auf meinem… Ich muss mich wirklich zusammenreißen!
Gut, dass ich nach einem halben Jahr Kriegslager in Askalon keine verwöhnte Königstochter mehr bin, die für alles Dienstboten braucht. Trotzdem: Ich sehne mich nach einem richtigen Bad.
Als ich das Schlafzimmer wieder betrete, ist Caesar schon fort und die Bettdecke ordentlich über das Laken gebreitet. Gut so, man muss ja nicht auf den ersten Blick sehen, was wir hier getrieben haben. Hat er das selbst getan, oder haben die Diener inzwischen doch ihre Arbeit aufgenommen?
Als ich das Audienzzimmer betrete, ist die Überraschung perfekt. Caesar steht gelassen hinter seinem Kartentisch und davor… hat sich die ganze königliche Familie samt Entourage versammelt, gut bewacht von den römischen Soldaten, die sich aber im Hintergrund halten. Da sind sie also alle: Meine jüngere Schwester Arsinoe samt ihrem Strategen Ganymedes. Letzterer ist genauso verschlagen wie Theodotos, der Berater meines pausbäckigen Brudergemahls, Ptolemaios. Er selbst steht in ihrer Mitte, der jugendliche König von Ägypten, gegen den ich gerade einen Krieg führe. Kurz trifft mich sein flackernder Blick, doch dann wendet er sich ab und sieht zu Potheinos, seinem berüchtigten Eunuchenkanzler, der neben ihm aufragt und ihm beschwichtigend einen Arm auf die Schulter legt. Etwas abseits davon steht mein jüngster Bruder Ptolemaios, genannt Maios, mit seiner Kinderfrau. Alle starren mich an. Ich zwinge mich zu einem erhabenen Lächeln, nicke den Anwesenden freundlich zu und begebe mich mit schwebenden Schritten an die Seite Caesars, auch wenn ich mich lieber hinter ihm verkriechen würde.
Caesar gibt sich jovial und begrüßt den König und seine Begleitung mit wohlgesetzten und blumigen Worten. Ich bin mir der giftigen und finsteren Blicke von Arsinoe, Ganymedes und Theodotos dabei wohl bewusst, Ptolemaios wirkt eher verwirrt und Potheinos' Züge sind zu einer Maske erstarrt. Allein der kleine Maios wirkt etwas unbeteiligt, als ginge das Ganze ihn nicht wirklich etwas an. Ich nehme mir an Caesar ein Beispiel und erwidere die mir entgegengebrachten Gefühlsäußerungen mit einem ironischen Lächeln.
„...deshalb ist es mir eine große Freude, dass Ihre Majestät Königin Kleopatra Thea Philopator nun auf meine Einladung hin ebenfalls in der Hauptstadt erschienen ist und wir nun mit der Versöhnung beginnen können, um diesen lästigen und unheilvollen Bürgerkrieg endlich zu beenden. Ich schlage deshalb vor, dass morgen Abend anlässlich der Versöhnung des Königspaares ein Festbankett veranstaltet wird." Und schon ist er dabei, die Befehle hierfür an Potheinos zu delegieren. Ich verkneife mir ein Schmunzeln, so von oben herab hätte ich Potheinos auch gerne früher herumkommandiert, den Schrecken meiner Jugendjahre. Und das Beste dabei ist, dass Caesar seine Befehle offiziell als Empfehlungen gibt, aber jedem ist klar, welche tödliche Macht hinter diesen ,Empfehlungen‘ steht.
„Warum wohnt sie hier bei dir?", will Arsinoe auf ihre provozierende Art wissen.
Caesar schenkt ihr eins seiner überlegenen Lächeln. Ach, Arsinoe, kleine Schwester, leg dich besser nicht mit Caesar an. Kleine Mädchen wie dich verspeist er zum Frühstück.
„Verehrte Prinzessin, es erstaunt mich, dass du deiner lieben Schwester nach all der Zeit keine anderen Begrüßungsworte zukommen lässt. Nun, Königin Kleopatra wohnt hier bei mir, weil ich für ihre Sicherheit verantwortlich bin, bis wir diesen lästigen Thronstreit begraben können. Und natürlich kann ich meine schützende Hand am besten über sie halten, wenn sie in meiner Nähe ist."
Für jeden anderen wäre das deutlich genug gewesen, aber Arsinoe, die ihre Aussicht auf den Thron dahin schwimmen sieht, kann es nicht lassen und wendet sich nun an unseren Bruder: „Ptolemaios, siehst du nicht, was hier gespielt wird? Kleopatra hat dich hintergangen, ich wette, sie geht mit diesem Römer ins Bett, um sich den Thron zu erschleichen."
Ptolemaios blickt entsetzt von Caesar zu mir, zu Arsinoe und einer seiner berühmten Wutanfälle bricht sich Bahn. „Das darf sie nicht! Sie ist meine Frau! Sie hat mir zu gehorchen! Ich bin der König von Ägypten!"
Ich verdrehe innerlich die Augen. Ptolemaios bricht in Tränen aus, als Theodotos ihm mit zusammengebissenen Zähnen etwas zuflüstert. Aber ehe wir uns alle versehen, ist Ptolemaios aus dem Raum gerannt. Caesar gibt einen knappen Befehl und vier seiner Wachen stürmen ihm nach, dicht gefolgt von den anderen Versammelten. Doch sie sind nicht schnell genug. Später erfahre ich, dass Ptolemaios es bis zu dem kleinen Thronsaal im Untergeschoss geschafft hat. Dort hat er etwas von seiner Schwester, der Hure und Verrat geschrien und sich vor Wut das Diadem vom Haupt gerissen, bevor Caesars Soldaten ihn ergriffen und zurück in unsere Gemächer gezerrt haben.
Dort steht er nun zerknirscht und trotzig vor Caesar, der alle bis auf meine beiden ältesten Geschwister mit entsprechenden Befehlen, das Versöhnungsfest vorzubereiten, hinausgeworfen hat. Dumm gelaufen, kleiner Bruder, um die entstandene Unruhe zu bekämpfen, muss unsere Versöhnung nun umso überzeugender sein. Auch Arsinoe ist deutlich geschockt. Zu sehen, wie römische Soldaten den ägyptischen König wie einen ungezogenen Bengel zurückgeschleift haben, hat ihr zu denken gegeben. Tja, Arsinoe, hättest du Vater früher besser zugehört, wäre diese Machtdemonstration nicht nötig gewesen.
Caesars Ton hat sich geändert, streng sieht er meinen Bruder an, der kurz davor ist, wieder in Tränen auszubrechen.
„Jetzt hör mir gut zu, Ptolemaios – morgen Abend wird es eine Versöhnung geben. Du wirst neben deiner Schwester und Gemahlin stehen, freundlich lächeln, die Versöhnungsrituale vollziehen und allen Gästen erklären, dass sämtliche Differenzen jetzt beigelegt sind. Gleichzeitig wirst du den Befehl geben, deine Armee bei Pelusium aufzulösen. Haben wir uns verstanden!?"
Ptolemaios nickt zögernd.
„Ja, in Ordnung, aber dann verlange ich auch, dass meine Schwester endlich wirklich meine Frau wird und ich meine Rechte als Ehemann einfordern kann!", verlangt er trotzig.
Ich erstarre vor Schreck, doch auf Caesars Gesicht erscheint ein tödliches Lächeln. „Das", sagt er und legt demonstrativ einen Arm um meine Taille, „würde ich an deiner Stelle lieber sofort vergessen." Mein Bruder sieht Caesar an und schluckt. Er hat verstanden.
„Es ist also wahr", giftet Arsinoe mich an. „Du hast dich für ihn zur Hure gemacht, Kleopatra!"
„Es ist auch schön, dich wiederzusehen, Arsinoe", erwidere ich trocken.
„Bist du eifersüchtig, Prinzessin Arsinoe?", fragt Caesar interessiert, während seine Hand über meine Hüfte streichelt.
„Eifersüchtig?! Auf was sollte ich denn eifersüchtig sein? Bestimmt nicht auf meine Schwester! Ich glaube, du verwechselst da etwas und zwar gewaltig!"
„Tatsächlich? Komisch, ich hatte da letztens bei unserem Gespräch einen ganz anderen Eindruck." Caesar lächelt sie an, und ich kenne dieses bedrohliche Lächeln inzwischen ziemlich gut.
„Ich weiß nicht, was du meinst!", entgegnet sie hochmütig.
„Soll ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?"
„Ich will mit dir allein sprechen, Caesar!", verlangt sie. Diesmal teilen Ptolemaios und ich die gleiche Verblüffung.
„Kleopatra, bitte warte auf mich in meinen Gemächern, ich muss da kurz noch etwas mit deiner Schwester klären, es wird nicht lange dauern." Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu, gehorche aber und ziehe mich in unser Schlafgemach zurück. Ich höre noch, wie er auch Ptolemaios verabschiedet. Was ist da zwischen ihm und Arsinoe gelaufen, bevor ich eingetroffen bin? Ein Funken von Eifersucht kocht in mir hoch. Ich versuche, etwas von der Unterhaltung zu erlauschen, höre aber nur Arsinoes Flüstern und Caesars drohenden Unterton. Unruhig durchwandere ich den Raum.
„Du brauchst keine Angst zu haben, ich habe sie weggeschickt", höre ich plötzlich Caesars Stimme, „sie sollte für die nächsten Tage Ruhe geben." Lässig steht er im Türrahmen und hat die Arme verschränkt. Wie lange steht er da schon?
„Warum durfte ich euch nicht zuhören?"
Er lächelt mich spöttisch an, und ich habe das Gefühl, dass er mich wieder genau durchschaut, aber ich werde ihm nicht den Gefallen tun, weiterzufragen. Keine Ängste, keine Vorhaltungen, keine Eifersucht, so etwas können Männer nicht ausstehen, ermahne ich mich.
Unverhofft spricht er jedoch weiter: „Ich wollte sie nicht vor deinen Augen demütigen. Dass ich sie zurückgewiesen habe, ist schlimm genug, das wird ihr Stolz nicht verkraften."
„Du hast sie zurückgewiesen?", frage ich ungläubig. „Heißt das, sie war vor mir hier bei dir...und sie hat sich dir angeboten? Arsinoe?!" Die Patriotin unserer Familie, die mich immer für meine römerfreundliche Politik kritisiert hat?!
„Nun, angeboten wäre vielleicht übertrieben. Ich weiß, so etwas lässt der ptolemäische Stolz nicht zu. Aber glaub mir, wenn ich es darauf angelegt hätte, dann wäre sie jetzt in meinem Bett, statt deiner."
Oh ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen und verdränge diese Horrorversion schnell aus meinen Gedanken.
„Warum hast du nicht sie gewählt? Sie ist jung und schön!", frage ich zögernd.
„Genau wie du, aber leider auch verwöhnt und unbeherrscht! Was sie da heute im Beisein des Thronrates gesagt hat, war nicht nur unnötig und gehässig, sondern auch höchst undiplomatisch. Sie ist noch längst nicht reif zu regieren. Weshalb sollte ich also meine Zeit mit ihr verschwenden?"
„War das ihre Forderung, dass du sie zur Königin machst?"
„So in etwa. Und jetzt bin ich sehr froh, dass ich nicht darauf eingegangen bin."
„Bist du sicher, dass ich die bessere Königin bin?"
Er schenkt mir ein Lächeln: „Glaub mir, Kleopatra, nach allem, was ich bisher von dir kennengelernt habe, bist du das Beste, was den Ptolemäern passieren konnte. Und ganz sicher eine fähige Königin." Ich erröte bei diesem unerwarteten Lob aus seinem Mund. Dann muss ich schmunzeln.
„Caesar, dein Geschick, mit Kindern umzugehen, ist wirklich beeindruckend!"
„Du meinst mit verzogenen königlichen Gören?", erwidert er zynisch.
„So kann man es auch sagen, aber Schuld sind ihre Erzieher. Sie haben sie gegen mich aufgehetzt, seitdem sie klein waren."
„Warum das?“
„Die Mutter meiner Geschwister gehörte zum griechischen Hochadel, während meine aus der Priesterdynastie von Memphis stammte. Deshalb sind die drei in Alexandria beliebter als ich. Trotzdem war ich immer der Liebling unseres Vaters, und nach Berenikes Tod die Kronprinzessin, und das nehmen sie mir besonders übel.“
„Der Liebling deines Vaters – daher also dein Thronname Thea Philopator: Die von ihrem Vater geliebte Göttin?“
„Ja“, auf Griechisch Thea Philopator und auf Ägyptisch Netjeret Merit-ites.“
„Nun, in dieser Hinsicht kann ich deinen Vater gut verstehen", sagt er bestimmt und zieht mich in seine Arme. „Und keine Sorge, dieser kleine Wichtigtuer wird dich niemals anrühren. Du bleibst hier bei mir."
„Danke", sage ich und schmiege mich an ihn. „Ich dachte, ich muss mich übergeben, als er das vorhin forderte."
„Dachtest du wirklich, das sei deine Pflicht?", fragt er unangenehm berührt.
„Ich habe es immer hinausgezögert und verschoben, er war ja noch ein Kind...aber die Tradition und das Gesetz verlangen es tatsächlich von mir. Unser Vater hat uns beiden den Thron überlassen, weil eine Königin allein nicht regieren kann – beziehungsweise nur in Ausnahmefällen, wenn kein männlicher Erbe da ist oder als Regentin für einen unmündigen Sohn. Ich bin die Mitregentin meines Bruders und damit seine Frau. Der Pharao und seine Große Königliche Gemahlin verkörpern seit Jahrtausenden das göttliche Ideal von Isis und Osiris. In meinem Fall kann ich in der Verbindung zu Ptolemaios allerdings nichts Göttliches erkennen", schließe ich bitter.
Caesar hat mir aufmerksam zugehört. „Wie es scheint", meint er schließlich, „sind nicht nur die römischen Gesetze überarbeitungsbedürftig. Aber eins nach dem anderen. Fürs Erste müssen wir dieses Gesetz eben biegen, soweit es geht. Aber versprich mir, denk niemals wieder daran, du gehörst jetzt zu mir und ich werde keinen anderen Liebhaber neben mir dulden."
„Caesars Frau muss über jeden Zweifel erhaben sein?", zitiere ich seinen bekannten Ausspruch, der zur Scheidung von seiner Frau Pompeia führte.
„Allerdings", bestätigt er mir und sieht mich dabei bedeutungsvoll an.
Ich nicke bedächtig, obwohl mir hundert Fragen bezüglich dieser neuen Rolle durch den Kopf gehen, unter anderem, ob diese Treue auf Gegenseitigkeit beruhen wird – ich wage es zu bezweifeln. Aber für solche Fragen bedarf es einer ruhigeren Stunde.
„Ich muss meine Dienerinnen versammeln und mich für das Fest vorbereiten, Caesar."
„Ja, veranlasse alles. Ich glaube, Apollodorus und Charmion warten schon auf deine Anweisungen. Entschuldige mich jetzt bitte, ich habe ebenfalls noch einiges zu tun." Er streicht mir noch einmal über die Wange und verlässt dann die Gemächer. Von weitem höre ich ihn noch ein paar knappe Befehle geben.
~*~
Vor der Tür warten wie versprochen Apollodorus – und eine freudestrahlende Charmion. Gemeinsam mit ihr besuche ich das königliche Badehaus, das an Caesars und meine Gemächer anschließt. Wir sind hier ungestört inmitten der Pracht aus vergoldeten Fayencefliesen und Perlmuttintarsien. Caesars Männer schirmen den Trakt ab und garantieren auch hier unsere Sicherheit. Ich mustere die Wachen neugierig, doch sie zeigen keine Regung. Nach Dienstschluss werden sie sich natürlich die Mäuler zerreißen, über die Königin von Ägypten, Caesars neuste Eroberung. Als wir außer Sichtweite der Wachen sind, nehme ich meine Freundin in den Arm und drücke sie lange an mich. Es tut gut, meine Vertraute wieder um mich zu haben.
„Ach, Charmion, seit gestern Abend ist soviel passiert, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll."
„Erzähl einfach in Ruhe, Kleopatra. Ich bereite inzwischen das Bad vor."
Als ich in das heiße Wasser gleite, entfährt mir ein wohliges Stöhnen. Charmion sieht mich erwartungsvoll an und ich grinse ganz unköniglich zurück. „Was hast du denn so gehört?", frage ich nach.
„Nun, inzwischen gibt es im Palast kein anderes Thema mehr, dass du die Nacht in Caesars Gemächern verbracht hast, beziehungsweise heute morgen dort aufgetaucht bist und König Ptolemaios einen Riesenwutanfall hatte. Dass Caesar momentan hier das Sagen hat und sich als Vormund von euch beiden präsentiert. Und naja, dass du und er..."
„Ja, was denn?", frage ich nach.
„Dass du seine Geliebte bist", flüstert Charmion.
„Hm, ich nehme an, das ist die freundliche Version meiner Gefolgsleute, was die Arsinoe-Fraktion denkt, habe ich heute schon von ihr höchstpersönlich erfahren."
„Also ist es wahr?", fragt sie aufgeregt.
„Hm ja, vermutlich kann man es so nennen." Ich lächele versonnen und versuche, mich selbst an diese neue Rolle zu gewöhnen.
„Und???"
„Sei nicht so neugierig", lache ich und spritze mit dem Badewasser nach ihr. Aber natürlich weiß Charmion, dass ich gleich mit der Geschichte beginne, und macht es sich erwartungsvoll am Beckenrand auf einigen Kissen bequem. Sie ist eine meiner beiden Freundinnen, denen ich normalerweise alles erzähle. Vielleicht ist das nicht ratsam für eine Herrscherin, aber auch eine Königin braucht Freunde, zumindest in den wenigen privaten Stunden, die ihr bleiben.
Also erzähle ich ihr in Kurzform vom Verlauf des gestrigen Gespräches.
„Er hat dich wirklich dazu aufgefordert, die Nacht mit ihm zu verbringen, so oder so?!“
„Ja, um das Bündnis zwischen uns zu besiegeln. Ich habe ihm erwidert, dass ich die Inkarnation der Göttin Isis bin und mich deshalb nur einem Gott hingeben kann. Das fand er sehr amüsant.“
„Das hat ihn nicht abgeschreckt?“
„Gaius Julius Caesar abgeschreckt?" Ich lächele bei dem Gedanken. „Ich glaube, das hat ihn erst recht gereizt. Du kennst Caesar noch nicht!"
„Wie ging es weiter?"
„Nun, wir haben geflirtet und über die römisch-ägyptische Politik der letzten Jahre diskutiert..."
„Und dann?"
Ich lächele und räkele mich genüsslich im Badewasser. „Es war...gut. Unglaublich gut."
Charmion schlägt vor Freude die Hände zusammen und mir ist klar, dass sie natürlich begierig auf Details ist. Unbeirrt fahre ich jedoch fort: „Heute Morgen war meine Familie im Audienzzimmer und Caesar hat Ptolemaios nach seinem Anfall ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, wer hier im Palast die Befehle gibt und dass er seinen Anspruch auf mich vergessen kann."
„Das heißt, Caesar wird Deinen Thronanspruch durchsetzen?"
„Ja, das wird er. Mein Schicksal ist jetzt mit Caesars verbunden und wir können nur hoffen, dass er weiterhin siegreich ist."
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Historische Anmerkung: Die Dynastie der Ptolemäer stammte ursprünglich aus Makedonien und die Hofsprache in Alexandria war Griechisch. Alle wichtigen Erlässe wurden zweisprachig abgefasst, wie auf dem Stein von Rosetta, wo ein Dekret des Königs Ptolemaios V. in griechischer Schrift, ägyptischen Hieroglyphen und Demotisch (der ägyptischen Verwaltungsschrift) erhalten ist. Die historischen Quellen berichten von Kleopatra VII., dass sie als einzige ihrer Dynastie die altägyptische Sprache beherrschte und dass ihre Anhängerschaft sich in Oberägypten befand, während sie in Alexandria umstritten war. Um dies plausibel zu erklären und in die Handlung einzubauen folge ich einer These Christoph Schäfers (Kleopatra, 2006) und nehme für Kleopatras Mutter (deren Name nicht überliefert bzw. deren Identität umstritten ist) eine ägyptische Abstammung und eine Verwandtschaft mit der Hohepriesterfamilie in Memphis an. In meiner Geschichte ist Kleopatra also zur Hälfte Griechin und zur Hälfte Ägypterin.