Gefolgt von meinen Hofdamen und Fächerträgern gehe ich an der Seite des Königs voran, während Arsinoe und Maios sich ein Stück weiter hinter uns eingereiht haben. Die Mittagssonne hat inzwischen ihren höchsten Stand erreicht und die Hitze ist heute drückend.
Dankbar über den Schutz der Bäume, die den Weg in ein Farbenspiel aus Licht und Schatten verwandeln, lasse ich meinen Blick über die lebensgroßen Statuen wandern, die den Prozessionsweg auf dem Friedhof der Götter säumen. Eine Statuengruppe stellt den weisen Kentauren Cheiron dar, der die beiden jungen Dioskuren unterrichtet – ein Abbild brüderlicher Liebe über den Tod hinaus.
Eine Zeitlang sind der Klang unserer Schritte und der Gesang der Vögel in den Baumkronen die einzigen Geräusche um uns herum, unterbrochen vom gelegentlichen Husten meines Bruders.
„Geht es dir gut. Ptolemaios?“, erkundige ich mich höflich.
„Ja, das ist nur der viele Weihrauch und weil ich die ganzen Zeremonien leiten musste. Du weißt, dass ich das nicht mag“, beginnt er damit, sich zu beschweren, „und wir haben jetzt schon den halben Tag auf dem Friedhof verbracht. Reicht das nicht allmählich? Muss es dann auch noch ausgerechnet heute Abend eine Trauerfeier geben?“
Inzwischen ist er wieder in seinen nörgelnden Ton verfallen und ich würde am liebsten die Augen verdrehen. „Was willst du jetzt von mir hören, Ptolemaios?“ Hättest Du Pompeius nicht ermorden lassen, müssten wir ihn jetzt nicht bestatten. „Caesar plant das schon seit Tagen, das dürfte doch bekannt sein.“
„Finden römische Bestattungen nicht sonst tagsüber statt? Warum hat er das in die Abendstunden verlegt?“
„Warum wohl? Willst du bei dieser Hitze wirklich auch noch an einem Scheiterhaufen stehen?“, frage ich zynisch.
„Nein, natürlich nicht.“ Ptolemaios hat die Lippen fest zusammengepresst, doch in seiner Miene meine ich, einen Anflug von Unbehagen zu erkennen. Ist es wirklich nur seine Abneigung gegen die Zeremonien oder fürchtet er vielleicht die Dunkelheit und die Rache der Erinnyen? Hat das Omen im Tempel ihm zu denken gegeben?
Innerlich gebe ich mir einen Ruck. Ich bin die Ältere und muss daher die Vernünftige sein. Wie oft hat mein Vater das zu mir gesagt und wie oft habe ich das als ungerecht empfunden. Doch es hilft alles nichts, wenn ich keine Besonnenheit zeige, dann tun meine Geschwister es erst recht nicht. Ob es mir gefällt oder nicht, mein Bruder ist der König. Und ich sollte diese Gelegenheit zu einem Gespräch nicht ungenutzt verstreichen lassen. „Ptolemaios?“, beginne ich noch einmal in sanfterem Ton und warte bis er mich anschaut. Ein wenig trotzig und überrascht, aber dennoch aufmerksam.
„Ptolemaios, ich muss mit dir reden.“
„Und worüber?“, fragt er misstrauisch.
„Über die Höhe der Nilschwemme und die Maßnahmen, die es zu treffen gilt. Es geht dabei um Entscheidungen, die ich nicht allein umsetzen kann.“
„Warum überlässt du das nicht Potheinos? Er hat sich im letzten Jahr auch allein darum gekümmert.“
Weil ich deinem Eunuchenkanzler nicht traue! „Das mag sein. Und über seine Rolle wollte ich ebenfalls mit dir reden.“
„Du hast ihn zu dir zitiert, das hat er mir erzählt. Und dass du ihn angewiesen hast, dir die Haushaltspläne vorzulegen.“
„Es ist meine Aufgabe als Königin, die Zahlen zu prüfen – und eigentlich auch deine als König.“ Ich schaue ihn mahnend an. „Potheinos kann uns das nicht komplett abnehmen. Oder willst du dich dein ganzes Leben lang von deinem Erzieher bevormunden lassen?“
„Immerhin besser als von dir! Potheinos sorgt sich zumindest um mein Wohl. Genau, wie es Theodotos getan hat!“, kommt es trotzig von ihm zurück. „Und überhaupt. Was willst du mir hier schon wieder unterstellen?“
„Ptolemaios!“, bemühe ich mich weiterhin um einen sanften Ton, „Theodotos hat sich vielleicht um dich gesorgt, aber in erster Linie ging es ihm um seinen eigenen Machterhalt. deshalb hat er versucht, mich zu verdrängen und Zwietracht zwischen uns zu sähen. Doch er hat damit gegen den Willen unseres Vaters verstoßen, der wollte, dass wir als Geschwistergötter herrschen, wie all unsere Vorfahren vor uns!“
„Deshalb hat Caesar ihn ja auch verbannt“, meint er bitter. „Gegen meinen Willen!“
„Es ging nicht anders“, sage ich leise. „Du hast doch gehört, was Theodotos öffentlich geäußert hat! Und er hat außerdem den Mord an Pompeius befohlen. Allein für diesen Mord hätte Caesar ihn normalerweise kreuzigen lassen!“ Die Härte meiner Worte klingt in meinen eigenen Ohren nach. Doch ich schaue ihm unerbittlich in die Augen und sehe, wie es in seinen zu flackern beginnt.
„Das hätte er nicht gewagt. Nicht in Ägypten!“
„Meinst du?“, ich halte seinen Blick. „Ich an deiner Stelle wäre mir da nicht so sicher.“
Ptolemaios Augen werden bei dieser Aussage noch größer und nun erkenne ich deutlich die Unsicherheit darin. „Hat er das gesagt?“
„Nein. Aber Caesar empfindet etwas für mich und deshalb nimmt er Rücksicht – auch auf dich. Wenn das nicht der Fall wäre, würde er Ägypten als Strafe für den Mord an Pompeius annektieren. Aber so vertraut er darauf, dass wir Ägypten in seinem Sinne regieren. Und er vertraut darauf, dass du noch jung bist und dazulernst.“
Das scheint ihm tatsächlich zu denken zu geben, denn während der nächsten Schritte sagt er kein einziges Wort, während er mit der Hand sein königliches Zepter umklammert, als wolle er sich daran festhalten.
„Aber über die Vergangenheit wollte ich gar nicht mit dir reden“, fahre ich schließlich leise fort, „sondern über die Zukunft. Vor allem über die nächste Ernte. Die Nilflut ist beunruhigend niedrig – nicht nur ein paar Ellen unter dem Pegel, sondern richtig niedrig! Das ist inzwischen kein Geheimnis mehr und die Leute fürchten eine Hungersnot und sind deshalb verständlicherweise unruhig. Nicht nur auf dem Land, sondern auch hier in Alexandria“
Ich warte auf seine Reaktion, doch er hat den Blick bereits auf das geöffnete Portal geheftet, das den Ausgang des Friedhofs markiert, wo unsere Sänften bereits auf uns warten.
„Das Volk erwartet, dass das Königspaar Präsenz zeigt und geeignete Maßnahmen trifft, um die Versorgung sicherzustellen“, versuche ich es noch einmal. „Und das Königspaar besteht nun mal aus uns beiden, Ptolemaios. Wir müssen in dieser Sache zusammenarbeiten.“
„Und wie stellst du dir das vor?“, kommt nun doch noch eine Reaktion.
„Ich habe zahlreiche Vorschläge, die ich mit dir besprechen möchte. Es geht dabei um Steuererleichterungen, Schuldenerlässe und die kontrollierte Öffnung der königlichen Speicher. Meine Schreiber sind dabei, das alles auszuformulieren, aber die Details würde ich gerne mit dir besprechen, bevor wir es an die Königliche Kanzlei weiterleiten.“
„Und warum kannst du das nicht mit Potheinos besprechen?“
„Besprechen werde ich es mit ihm, keine Angst. Spätestens wenn er mir übermorgen früh die Zahlen vorlegt. Aber ich brauche die Einwilligung des Königs, nicht die des Dioiketes!“
„Gut, meinetwegen.“ Ptolemaios ist stehengeblieben, denn wir haben das Eingangsportal der königlichen Nekropole erreicht. Einen Augenblick schaut er sich suchend nach unseren Geschwistern um, während die Sänftenträger sich bereits nähern und Rufio im Hintergrund einige Befehle bellt. Ptolemaios nickt mir noch einmal zu. „Also gut, dann lass uns das besprechen: übermorgen nach dem Unterricht bei mir im Lochias-Palast!“ Ich nicke, denn auch wenn er es ist, der über die Zeit und den Ort bestimmen will, ist das immerhin ein Anfang.