Inzwischen berichtet Sextus über die legendären militärischen Siege des verstorbenen Feldherrn. Mit gemischten Gefühlen höre ich zu. Pompeius war in der Tat ein großer Mann und mit ihm geht eine Ära zu Ende. Doch seinen Ruhm verdankt er der Eroberung unserer Nachbarkönigreiche, die nun römische Provinzen sind. Das Ende des Seleukidenreiches und der Sieg über Mithridates Eupator, den Sextus gerade als überragend bezeichnet, haben Ägypten in eine katastrophale Lage gebracht. Unsere einstigen Verbündeten, die Diadochenreiche, die aus den Eroberungen Alexanders hervorgegangen sind, sind nicht mehr. Das Reich der Ptolemäer ist das letzte.
Sextus ist inzwischen bei der Schlacht von Pharsalos und der Flucht des Pompeius angelangt. Mit knappen aber schonungslosen Worten schildert er dessen Ermordung durch Achillas, Septimius und Salvius. Als hohe Offiziere der ägyptischen Armee haben sie diesen Mord im Auftrag des Königs begangen. Von direkten Beschuldigungen gegen meinen Bruder sieht Sextus jedoch dankenswerterweise ab und betont stattdessen die Rolle, die Theodotos in diesem Mordkomplott gespielt hat:
„Der Wortführer des Regentschaftsrates wurde bestraft und so wird es jedem ergehen, der die Größe Roms herausfordert. Doch wir können und wollen uns jetzt nicht mit höfischen Intrigen und Meuchelmördern beschäftigen. Der junge König von Ägypten wurde selbst durch die Einflüsterungen eines falschen Ratgebers getäuscht, der inzwischen wohlweislich aus dem Land geflohen ist, nachdem er den Tod dieses großen Römers verschuldet hat. Mögen die Erinnyen sich seiner annehmen! Der König und die Königin Ägyptens verurteilen diesen Mord zutiefst. Zusammen mit allen aufrechten Römern betrauern sie den Tod des Pompeius und haben sich deshalb Gaius Julius Caesar als ihrem Vormund und Patron zu noch größerer Treue verpflichtet.“
Die diplomatischen Floskeln gehen Sextus leicht von der Zunge und klingen überzeugend, obwohl die meisten der Anwesenden die Wahrheit kennen dürften. Unauffällig blicke ich zu Ptolemaios, der die Lippen krampfhaft zusammengepresst hat und stur geradeaus schaut. Sicherlich empfindet er es als Zumutung, der Zeremonie beiwohnen zu müssen. Und Caesar hat das mit Sicherheit auch so beabsichtigt: Als Strafe und Mahnung zugleich. Und noch ein anderes Gesicht schaut mit undeutbarem Ausdruck stoisch geradeaus: Potheinos, der sich in der Reihe unter uns neben Ganymedes eingereiht hat, ist mit Sicherheit nicht zufällig hier. Nachdem Caesar den Dioiketes in den letzten Tagen von allen öffentlichen Treffen ausgeladen hat, muss er heute Abend auf dessen Anwesenheit bestanden haben. Ebenfalls eine unterschwellige Warnung.
Mittlerweile ist Sextus auf die Flucht der Gemahlin und des Sohnes von Pompeius zu sprechen gekommen, die den Mord vom Schiff aus mitansehen mussten, ohne eingreifen zu können. Ich schaudere bei dem Gedanken, was das für seine Ehefrau bedeutet haben muss, auch wenn ich bei diesem Bild unwillkürlich an Caesars Tochter Julia denken muss. Wäre sie nicht so früh und so tragisch gestorben, wäre es sicherlich nie zu dem Krieg zwischen ihrem Vater und Ehemann gekommen. Für einen Augenblick sehe ich wieder Julias lachendes Gesicht vor mir, wie sie an der Seite von Pompeius unbeschwert durch das Peristyl ihrer Villa spaziert. Mein Blick gleitet zu der mit dem roten Tuch bedeckten Bahre auf dem Scheiterhaufen und für einen Moment kann ich die Seelen der beiden fast erahnen, wie sie sich im Elysium wiederbegegnen – oder auf den Feldern von Sechet-iaru.[3] Ich wünsche es ihnen sehr.
Sextus spricht indessen über die verbliebenen Parteigänger des Pompeius, die er für seine Verwicklung in den Bürgerkrieg und die daraus folgende Niederlage verantwortlich macht, was letztendlich zu seiner Ermordung führte. „Für seine Triumphe hätte ihm ein Scheiterhaufen in Rom und ein Grab auf dem Marsfeld gebührt, mit Leichenspielen, Gladiatorenkämpfen und allem Glanz, mit dem man einen römischen Triumphator verabschiedet“, beendet Sextus schließlich seinen Bericht und macht dann eine rhetorische Pause, bevor er fortfährt: „Stattdessen hat er sich zu diesem Bürgerkrieg aufhetzen lassen, in dem Römer gegen Römer kämpfen. Ich weiß, viele von euch haben Verwandte und gute Kameraden verloren. Familien wurden auseinandergerissen oder kämpfen auf unterschiedlichen Seiten. Ich selbst habe in diesem Krieg viele Freunde verloren, sie sind bei Dyrrhachium gefallen oder wurden von Labienus ermordet – der sich als Verräter erwiesen hat. Und selbst innerhalb der Familie der Julier ist es zu Verrat gekommen – wie das unrühmliche Beispiel meines Vetters Lucius zeigt. Trotz aller Wohltaten, die Caesar ihm erwiesen hat, hat er uns hintergangen und ist auf die Seite jener Männer gewechselt, die doch nur von ihrer eigenen Eifersucht und Gier getrieben werden und einen altgedienten General wie Pompeius so aufgehetzt haben, dass er sich zu diesem unglückseligen Krieg hat hinreißen lassen!“ Noch einmal unterbricht Sextus seine Rede und atmet einmal durch, bevor er zum Schluss kommt: „Und dennoch dürfen wir uns von solchen Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Das sind wir dem Andenken unserer Gefallenen schuldig. Sie haben ihr Leben geopfert, damit wir Rom wieder einen können. Damit wir diesen unsinnigen Bürgerkrieg beenden und gestärkt daraus hervorgehen können. In einem Reich, das seine altgedienten Soldaten mit Land und Wohlstand belohnt, ohne vor dem Senat darum feilschen zu müssen. In einem Reich, dessen Grenzen nicht von Barbaren überrannt werden und in dem unsere Familien sicher leben können. In einem geeinten Imperium Romanum, das uns mit Stolz erfüllt!“
Caesar ist an Sextus‘ Seite getreten und hat ihm anerkennend die Hand auf den Arm gelegt. Der Feldherr nickt seinem Cousin noch einmal zu, bevor er sich selbst an die versammelten Legionen wendet. Seine geübte Rednerstimme erfüllt sofort den ganzen Platz:
„Kameraden,
Wir sind diesen langen Weg gemeinsam marschiert. Viele seit den Kämpfen in Gallien, Germanien und Britannien. Für die Siege, die wir dort für Rom errungen haben, hätten wir geehrt werden sollen. Stattdessen mussten wir dieses uns zustehende Recht mit dem Schwert erkämpfen – auf den Schlachtfeldern von Massilia bis Pharsalos – und gegen den General, der jetzt tot und besiegt vor uns liegt. Wie viele unserer Kameraden haben dabei ihr Leben verloren oder Verletzungen davongetragen, die sie für den Rest ihres Lebens zeichnen werden! Wir haben unsere Gefallenen begraben, so gut es möglich war. Vielleicht fragt ihr euch, warum wir heute den Mann bestatten, der für all diese Entwicklungen verantwortlich war? Denn hätte er sich nicht von den Neidern und Verbrechern im Senat überreden und gegen mich aufhetzen lassen, dann hätte dieser Bürgerkrieg vermieden werden können.
Einst waren Pompeius und ich durch Freundschaft und Blut verbunden. Ich habe ihm meine Tochter zur Frau gegeben und ihn als meinen Freund betrachtet. Er aber hat sich von den Einflüsterungen neidischer und ehrloser Männer blenden lassen und ist zu meinem Feind geworden. Viele gute Männer haben versucht, ihn durch Argumente der Vernunft zur Einsicht zu bewegen. Ich selbst habe es viele Male versucht. Vergebliche Mühe!
Ich werde euch sagen, warum wir ihn heute dennoch mit einer würdigen Bestattung ehren: Weil er ein römischer Held war. Einer der größten Generäle, die Rom je hervorgebracht hat. Und wahre Römer ehren ihre Helden. Ihr habt mir stets die Treue gehalten, ihr seid mir über den Rubicon gefolgt und habt alle Mühsal klaglos auf euch genommen. Ihr habt dem Recht zu seinem Sieg verholfen. Doch wahre Größe zeigt sich nicht allein im Sieg, sondern auch darin, wie man sich als Sieger verhält. Zeigen wir Cato, Scipio und Labienus, was wahre Größe ist! Indem wir auch imstande sind, einem Feind Respekt zu zollen. Gnaeus Pompeius Magnus, einem der größten Feldherren Roms, den die Götter stets beschützt, aber am Ende doch verlassen haben, da sie bei Pharsalos auf unserer Seite standen und uns den Sieg geschenkt haben!“
Tosender Jubel erklingt aus allen Kehlen und erfüllt die Nacht wie ein Donnergrollen, während Caesar die Fackel ergreift und einen letzten Blick auf die Bahre wirft, um den Scheiterhaufen dann mit abgewandtem Gesicht zu entzünden.
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[3] Das griechische Elision (lat. Elysium) bezeichnet einen jenseitigen Ort, an dem ewiger Frühling herrscht. Die Vorstellung entspricht in vielen Punkten dem ägyptischen Binsengefilde (ägypt. Sechet-iaru), einem paradiesischen Ort im jenseitigen Reich des Osiris, das allen Seelen offensteht, die die Prüfung des Jenseitsgerichtes bestanden haben.