Julius Caesar mustert mich einen Moment eingehend und um seine Lippen spielt ein feines Lächeln. „Ich kann mich noch gut an unsere letzte Begegnung erinnern, Kleopatra. Du warst noch ein kleines Mädchen, aber hast mich schon damals mit diesen großen, wissbegierigen Augen angeschaut."
„Ich war wahrscheinlich von Eurem stechenden Blick fasziniert, Imperator und wollte mir das abschauen."
Er lacht. „Nicht nur schön, sondern auch wortgewandt. Aus dem Mädchen von einst ist eine beeindruckende junge Frau geworden.“
„Ihr dagegen habt Euch kaum verändert, Imperator. Ihr wart damals schon beeindruckend.“
„Das höre ich gerne. Und da wir nun beide beeindruckt voneinander sind, sollten wir die Förmlichkeiten lassen. Nenn mich Caesar – und ich werde dich Kleopatra nennen, wenn du erlaubst, Majestät."
Er schaut mich pointiert an und ich nicke zustimmend. Sein Charme ist entwaffnend – natürlich!
Mit einer einladenden Geste streckt er die Hand aus. Zögernd lege ich meine Hand in seine und er führt mich zu den bereitstehenden Stühlen. Sein Griff ist fest und warm. Und irgendwie wirkt seine Berührung auf mich beruhigend. Auch Caesar hat sich in der Zwischenzeit umgezogen, denn er trägt nicht mehr die militärische Lorica musculata[2], sondern nur noch eine elegante römische Tunica. Sogar auf Waffen hat er verzichtet und zeigt sich damit ganz von seiner diplomatischen Seite.
Im Vorübergehen nehme ich meine Umgebung wahr und schaue mich im Gemach um. Wir befinden uns in dem Teil des Palastviertels, den ich vor meiner Krönung bewohnt habe und der danach leergestanden hat. Die Mosaikböden mit den feinen Mäandermustern, die filigranen Möbel mit Elfenbeineinlagen und die ägyptischen Wandmalereien, die fruchtbare Nillandschaften zeigen. Die vertraute Umgebung meiner Kindheit und Jugend. Ich bin endlich wieder zu Hause – und doch ist alles verändert, denn es sind jetzt Caesars Räume und ich bin als Gast zu ihm gekommen.
Caesar scheint meine Gedanken zu erraten: „Willkommen zurück in Alexandria, Kleopatra. Ich bin sehr glücklich, dass du den Weg zu mir gefunden hast."
„Und ich begrüße dich in der Hauptstadt Ägyptens, Caesar. Ich danke dir für die Einladung – und für deinen Schutz", erwidere ich, während ich auf einem zierlichen Stuhl mit Löwenbeinen Platz nehme, zu dem er mich geführt hat.
Caesar selbst hat auf einem thronartigen, gepolsterten Stuhl Platz genommen und schenkt uns beiden persönlich Wein aus einer Karaffe auf dem danebenstehenden Tisch ein. Dort stehen auch Schalen mit Früchten, Gebäck und anderen leichten Speisen bereit, doch ich zögere, etwas zu nehmen.
„Keine Angst, es wurde alles vorgekostet", versichert er mir beiläufig und trinkt einen Schluck aus seinem Kelch.
„Ich sehe, du hast dich mit den Bräuchen hier bereits vertraut gemacht", erwidere ich und nippe ebenfalls an meinem Wein. Ich bin mir Caesars taxierenden Blickes dabei wohl bewusst.
„Ich hoffe, du hattest eine angenehme Reise?", fragt er mich freundlich.
„Den Umständen entsprechend", lächele ich. „Drei Tage auf einem Fischerboot sind sehr zu empfehlen in dieser Jahreszeit."
Er schmunzelt: „Ja, die Freuden der Kriegsführung... Ich war übrigens sehr beeindruckt, wie du es geschafft hast, eine eigene Söldnerarmee anzuwerben."
„Und ich bin tief beeindruckt von deiner Strategie in Griechenland. Dein Sieg in Pharsalos ist jetzt schon legendär. Und ich bin außerdem sehr froh, dass du trotzdem die Zeit gefunden hast, mir zu antworten."
„Wo wir gerade bei Pharsalos sind – ich nehme an, du weißt um das Schicksal des Pompeius?" Sein Ton hat sich bei dieser Frage leicht verändert, unter der Freundlichkeit klingt jetzt Schärfe mit.
Ich schaue ihn aufmerksam an. Den Gerüchten zufolge war Caesar bestürzt gewesen, als man ihm bei seiner Ankunft den Kopf des Pompeius präsentierte und hatte sich angewidert abgewandt. Doch wenn er immer noch zornig darüber ist, weiß er es gut zu verbergen.
„Ich habe vor meinem Aufbruch davon erfahren, doch ich hatte keinen Anteil an der Tat, es geschah auf Befehl meines Bruders", antworte ich wahrheitsgemäß.
Er sieht mich forschend an und zieht eine Augenbraue hoch. „Auf Befehl dieses pubertierenden Knaben?"
„Genaugenommen wohl eher auf Befehl seines Feldherrn Achillas. Mein Bruder pflegt mit seinen Spielzeugsoldaten zu spielen, während Potheinos, Achillas und Theodotos das Land regieren. Er folgt in allem ihrem Rat, auch wenn das bedeutet, römische Bürger zu ermorden oder die rechtmäßige Königin vom Thron zu stoßen."
„Du hegst also keine Sympathie für diese drei Männer und ihre Politik?", stellt er mit leichter Ironie fest.
„Nein, in letzter Zeit nicht. Sonst wäre ich wohl kaum in dieser misslichen Lage, oh Caesar", entgegne ich im selben Ton.
„Dann erzähle mir jetzt alles, was du über Pompeius weißt!"
Ich erzähle es ihm, schildere die seltenen Treffen aus meiner Sicht, informiere ihn über Briefe und Abkommen und beobachte Caesars Reaktion dabei. Als ich meine Begegnung mit Julia in Rom erwähne, sehe ich einen alten Schmerz in seinen Augen aufblitzen. Denn Julia, Caesars geliebte Tochter, diese lebenssprühende junge Frau war sechs Jahre zuvor bei der Geburt ihres Kindes gestorben. Ihr Tod war es gewesen, der Caesar und Pompeius letztendlich entzweit hatte.
„Du hast Pompeius gemocht, oder?", frage ich vorsichtig. „Trotz allem."
„Er war mein Freund und er war der Mann meiner Tochter. Julia hat ihn geliebt und ist für ihn gestorben", sagt er nachdenklich. „Vielleicht wiegt dies trotz allem schwerer als der Verrat. Ich hätte sein Leben geschont, schon aus Prinzip, aber hätte ihn trotzdem nie wieder eines Blickes gewürdigt. Doch es ist anders gekommen, dank deines entzückenden Brüderchens und seiner Mörderbande."
„Es tut mir leid", sage ich und meine es ernst.
„Du kannst nichts dafür. Was geschehen ist, lässt sich nicht ändern und es hat auch Vorteile, wenn ich ehrlich bin. Was hättest du an Ptolemaios‘ Stelle getan, in seiner Situation?" Die Frage klingt beiläufig, doch sie ist es nicht.
„Vermutlich hätte ich Pompeius erlaubt, seine Vorräte aufzufüllen, ihm aber das Asyl in Ägypten verweigert", gebe ich zu, „denn du warst ihm auf den Fersen und Pompeius Obdach zu gewähren, hätte Krieg mit dir zur Folge haben können."
„Also hättest du Pompeius die Unterstützung verweigert, obwohl er immer der Patron des Hauses Ptolemaios war?“, hakt er nach.
„Er war der Patron meines Vaters, nicht der meine. Auf meine Briefe aus dem Exil ist er kaum eingegangen – anders als du. Und im Falle seines Sieges hätte er meinen Bruder unterstützt! Ich wechsele nicht leichtfertig die Seiten, Caesar. Ich bemühe mich nur, Ägypten aus einem weiteren Krieg herauszuhalten“, stelle ich richtig, und merke doch, dass ich mich gerade dummerweise gerechtfertigt habe. Ich warte auf seine Reaktion, doch Caesar lächelt nur träge.
„Ja, ja, diese lästigen Kriege…“, resümiert er und betrachtet mich einen Moment sehr intensiv. In ernstem Ton fährt er fort: „Ich bin nun leider gezwungen, weitere Kriege zu führen, gegen die Söhne und verbliebenen Anhänger des Pompeius, die seinen Tod rächen werden. Und wo wir dabei sind: Wo ist deine Armee, Kleopatra?" Den letzten Satz hat er mit der Befehls-Stimme des Feldherrn gesprochen.
„Vor Pelusium und in Alarmbereitschaft", antworte ich ihm automatisch in demselben Ton.
„Wie lange werden sie sich halten in deiner Abwesenheit?"
„Sie belagern weiterhin die Grenzfestung und haben ihre Befehle", entgegne ich.
„Die da wären?"
„Enthüllst du mir auch deine Pläne, wenn ich dir meine verrate, Caesar?", frage ich vorsichtig.
Er lächelt, aber diesmal schwingt darin eine Skrupellosigkeit mit, die er zuvor nicht gezeigt hat. Jetzt lässt er einen Teil seiner charmanten Maske fallen. Stratege, Verführer, Demagoge. Dieser Mann ist genauso gefährlich wie intelligent – und irgendwie faszinierend.
„Kleopatra, was möchtest du, dass ich für dich tue? Sag es mir und ich werde dir verraten, was ich von dir erwarte." Sanfte Worte, aber darunter ein stahlharter Wille – die Verhandlungen haben begonnen.
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[2] Die Lorica Muskulata war eine anatomisch geformte Rüstung, aus Bronze oder Leder, die oft über einer Subarmalis getragen wurde, deren untere Lederstreifen eine Art Rock bildeten und über den Knien endeten. Solche Muskelpanzer waren oft mit mythologischen Motiven verziert und wurden in der römischen Armee vom Feldherrn und den höheren Offizieren getragen.