„Die Sonne geht gleich auf, Kleopatra.“
Beim Klang von Caesars Stimme erwache ich aus dem leichten Halbschlaf, in den ich nach unserem Liebesspiel versunken bin. Wohlig drehe ich mich zu ihm und schmiege mich noch ein bisschen in seine Umarmung, während die leuchtenden Traumbilder langsam verblassen und ich blinzend die Augen öffne. Im Zimmer ist es noch immer dunkel. Bis auf das schwache Licht der Öllampe, das Caesars Züge beleuchtet.
„Der Himmel hat sich noch nicht einmal rot gefärbt“, murmele ich protestierend.
„Ich muss dennoch gleich aufstehen, meine Schöne. Und ich wollte zuvor noch etwas mit dir besprechen. Faberius, Hirtius und Sextus wissen es bereits und die anderen Offiziere werden es gleich erfahren.“
„Was denn?“ Sein ernster Ton lässt mich aufhorchen.
„Etwas, das mit Sicherheit für Aufsehen sorgen wird. Gestern nachmittag ist eine Eilbotschaft aus Rom eingetroffen. Der Senat hat mich zum Dictator ernannt.“
„Und warum erzählst du mir das erst jetzt?“ Nun bin ich wirklich wach.
„Hättest du lieber die ganze Nacht politische Diskussionen geführt, anstatt mal ein bisschen zu entspannen?“, kommt seine pointierte Gegenfrage.
„Nein, wahrscheinlich nicht.“ Ich blinzele überlegend. „Zum Dictator statt zum Konsul? Das ist doch gut, oder?“
„Das ist sogar sehr gut. Sie haben damit den Antrag, den Marcus Antonius in meinem Namen gestellt hat, angenommen. Die Ernennung gilt für ein Jahr. Das heißt aber auch, dass ich diese Zeit nutzen muss, um die Ordnung im Imperium Romanum wiederherzustellen.“
„Heißt das, dass du früher abreisen musst?“, frage ich bange.
„Vorerst nicht. Es ist schon zu spät im Jahr, um noch eine neue Kampagne zu beginnen und mit dem Aufkommen der Nordostwinde wäre das auch nicht ratsam“, bemerkt er mit Hinblick auf den Sturm, der inzwischen zwar abgeflaut, aber immer noch vernehmbar ist. „Doch es gibt viel zu tun und ich weiß nicht, ob ich wirklich den ganzen Winter hier in Alexandria verbringen kann.“ In seinen Augen sehe ich den Wechsel von Bedauern zu Entschlossenheit und fühle einen leisen Stich im Herzen.
Er wird nicht sofort abreisen, beruhige ich mich und versuche meine Gedanken wieder in sachliche Bahnen zu zwingen. „Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Konsul und einem Dictator?“
„Weißt du das nicht?“ Er mustert mich irritiert.
„Nur theoretisch. Rom wird normalerweise von zwei Konsuln regiert, die jährlich wechseln. Ein Dictator wird nur in Krisenzeiten gewählt und normalerweise nur für ein halbes Jahr, statt für ein ganzes, oder?“
„Ja, das ist richtig. Viel wichtiger aber ist: Ein Dictator regiert allein. Ein Konsul teilt sich die Macht mit einem Amtskollegen – in meinem Fall natürlich eine reine Formalität, denn mein Kollege Isauricus[1] ist ein vernünftiger Mann und lenkt den Senat in meinem Sinne.“ Caesar zwinkert mir zu und ich muss unwillkürlich lächeln.
„Solche eigenwilligen Auslegungen der Gesetze sind aber genau das, was man einem Konsul nach dem Ende seiner Amtszeit zur Last legen kann“, fährt er fort. „Denn seine Immunität endet mit dem Konsulat oder spätestes nach seiner Zeit als Prokonsul und Statthalter einer Provinz. Hätte ich den Rubicon nicht als Feldherr mit einer Legion, sondern als Privatmann überschritten, hätte man mir in Rom den Prozess gemacht. Absurderweise übrigens wegen jener Ackergesetze, die ich während meines letzten Konsulats zugunsten von Pompeius‘ Veteranen durchgesetzt habe.“
„Undank ist der Welt Lohn?“
„In diesem Fall leider ja. Anders als ein Konsul besitzt ein Dictator jedenfalls Immunität über seine Amtszeit hinaus und er muss sich nicht wegen jeder Entscheidung mit seinem Amtskollegen abstimmen. Das gibt ihm viel mehr Handlungsspielraum. Genau wie ein Konsul, Prokonsul oder Proprätor kann ein Dictator auch als Feldherr agieren. Er verfügt über imperium – die Befehlsgewalt über die römischen Legionen.“
„Die hast du doch sowieso schon und deine Soldaten sind dir persönlich verpflichtet.“
„Ja, aber theoretisch nur zeitlich und territorial begrenzt. Und genau deshalb ist es auch zum Bürgerkrieg gekommen. Meine Macht in Gallien ist zu groß geworden und Pompeius hat sich von den Neidern und Feiglingen im Senat gegen mich aufhetzen lassen.“
„Rom beansprucht die Weltherrschaft, aber hindert die am Herrschen, die dazu befähigt sind!“, fasse ich das Ganze zusammen.
„Ganz genau. Rom misstraut Alleinherrschern, kommt aber ohne sie nicht aus, wenn es darum geht, ein Weltreich zu regieren. Der Senat in der momentanen Konstellation ist handlungsunfähig, sieht das alte System aber als vorbildlich an. Im Grunde ist es ein endloser Streit zwischen Optimaten und Popularen, der zu nichts führt, außer die eigenen Kräfte zu vergeuden und das Leben der besten Männer in sinnlosen Bürgerkriegen zu opfern. Das ist das Dilemma der Republik, in der ich aufgewachsen bin. Jetzt ist das Reich in einer Ausnahmesituation. Geschockt von meinem Sieg. Und ja, momentan halte ich alle Macht in Händen. Aber wenn ich die Pläne umsetzten will, die Reformen, die so bitter nötig sind, um das Reich zu stabilisieren, dann kann ich diese Macht nicht einfach wieder aus den Händen geben. Nicht wenn ich will, dass dieser Krieg endet.“
„Warum solltest du diese Macht auch wieder aufgeben, Caesar? Sie steht dir zu, nach dem Recht des Eroberers. Und wenn du diese Macht dazu benutzt, um den Bürgerkrieg zu beenden, dann ist das doch das Beste, was Rom passieren kann.“
„Weißt du, Kleopatra – auch wenn alle Welt das inzwischen glauben mag – Gewalt ist nicht meine bevorzugte Lösung. Sie ist für den Moment effizient, bringt aber auf lange Sicht genauso viele Nachteile. Nur gibt es oft keine Alternative. Wenn man die Welt verändern möchte, dann muss man sie erst einmal beherrschen! Die meisten Menschen beugen sich dem Druck und nur die wenigsten der Einsicht.“
„Also siehst du die Monarchie auch als einzig vernünftige Regierungsform?“, frage ich zaghaft.
Caesar lässt sich Zeit mit seiner Antwort, bevor er schließlich einräumt: „Hier im Osten hat sie Tradition und scheint zu funktionieren, zumindest mit einem fähigen Herrscher auf dem Thron – oder im Fall Ägyptens, tatsächlich einer Herrscherin. In Rom sieht die Sache anders aus. Rom hasst Könige und würde niemals einen König dulden.“
„Hier im Osten sieht man dich als Herrscher, Caesar. Allein dein Name hat mehr Gewicht als der jedes Königs.“
„Ich bin dennoch kein König, Kleopatra. Nicht im östlichen Sinn. Rom funktioniert anders als Ägypten und muss auch anders regiert werden“, meint er ernst.
„Aber die Herrschaft eines Dictators wird akzeptiert?“
„Ja. Seit der Zeit Sullas ist das Amt zugegebenermaßen etwas in Verruf geraten. Aber als Übergangslösung wird es akzeptiert. Letztes Jahr wurde ich bei meiner Ankunft in Rom bereits für einige Tage zum Dictator ernannt. Denn nur so war es mir möglich, offizielle Neuwahlen einzuleiten und mich zum Konsul wählen zu lassen.“
Ich schaue ihn nachdenklich an. Bei einem so umständlichen System ist es kein Wunder, dass die marode römische Republik in sich völlig zerstritten ist und nichts in Rom funktioniert. Nichts außer den Armeen, die von gottgleichen Feldherren wie Caesar geführt werden. „Außerhalb Roms wirst du nicht nur als König, sondern sogar als Gott verehrt, ist das nicht ein Widerspruch, Caesar?“
„Mag sein, aber das ganze Leben ist ein Widerspruch in sich. In Rom sind das gefährliche Gedanken, Kleopatra. Das weißt du hoffentlich?“ Er sieht mich eindringlich an und wartet, bis ich nicke, bevor er leise fortfährt. „Du bist auch fast die Einzige, mit der ich so offen darüber sprechen kann.“
„Weil ich eine Königin bin und dir als Klientin verpflichtet?“
„Ja. Und weil du dir genau dieselben Fragen stellst wie ich und keine zufriedenstellenden Antworten darauf findest.“
„Ist es dann nicht zufriedenstellend, wenigstens darüber sprechen zu können?“, erwidere ich leise.
Er lächelt. „Mit dir ist so vieles befriedigend, Kleopatra. Und in so vielen Bereichen. Aber ich fürchte, dass wir nun trotzdem aufstehen müssen, denn der Sonnenaufgang schreitet unaufhaltsam voran. Und auch wenn wir Götter sind, steht es nicht in unserer Macht, ihn daran zu hindern.“
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[1] Publius Servilius Isauricus